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Darmerkrankung beim Kind: Was kann das sein?

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Darmerkrankungen beim Kind, was kann das sein? Bildquelle: M. Claßen

Es gibt zahlreiche Darmerkrankungen beim Kind, das heißt Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes. Welche Erkrankungen gibt es? Welche sind häufig? Wie sehen die Symptome aus, wie Diagnose und Therapie? Kann man Darmerkrankungen beim Kind verhindern? MeinAllergiePortal sprach mit Dr. Martin Claßen, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Bremen Mitte und Kindergastroenterologe.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartner: Dr. Martin Claßen

Herr Dr. Claßen, welche Darmerkrankungen sind bei Kindern häufig?

In unserer auf gastroenterologische Erkrankungen von Kindern spezialisierten Abteilung sind die häufigsten Darmerkrankungen bei Kindern die Folgenden:

Zunehmend sehen wir bei Kindern auch Darmentzündungen, medizinisch „chronisch entzündliche Darmerkrankungen“ (CED). Zu den entzündlichen Darmerkrankungen bei Kindern gehören zum Beispiel diese:

Außerdem sehen wir bei Kindern Erkrankungen der Leber und der Bauchspeicheldrüse, diese eher etwas seltener.

Haben die Kinder eher allergisch bedingte Nahrungsmittelunverträglichkeitenen, also Nahrungsmittelallergien oder eher nicht-allergisch bedingten Unverträglichkeiten bzw. Nahrungsmittelintoleranzen?

Zu uns kommen sowohl Kinder mit Nahrungsmittelallergien als auch Kinder mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten.

Wir führen routinemäßig mehrere hundert H2-Exhalationstests pro Jahr durch, das ist ein Atemtest, mit dessen Hilfe man eine Kohlenhydratmalassimilation feststellen kann. Bei zahlreichen Patienten, bei denen dies anhand der klinischen Symptome oder im Zuge der Anamnese nicht bedacht wurde, stellen wir so eine Laktoseintoleranz oder eine Fruktosemalabsorption fest.

Sind die Laktoseintoleranz und die Fruktosemalabsorption nicht eher Erkrankungen von Erwachsenen?

Durchaus nicht. Die Fruktosemalabsorption ist bei Kindern extrem häufig, weil die Menge an Fruktose, die der kindliche Darm aufnehmen kann, begrenzt ist. Kinder nehmen heutzutage aber hohe Mengen an Fruktose zu sich, in Form von Saft, Softdrinks und Süßigkeiten. Oft passt das nicht zur altersbedingt noch geringen Aufnahmekapazität des Darms. Kleinkinder haben deshalb häufiger Probleme mit Fruktose als Erwachsene.

Anders ist das bei der Laktoseintoleranz, die, genetisch bedingt, häufiger im Erwachsenenalter auftritt. Bei Kindern manifestiert sich die Laktoseintoleranz typischerweise zwischen dem 6. und 10. Lebensjahr. Im 1. und 2. Lebensjahr spielt sie praktisch keine Rolle.

Sie sehen aber auch Kinder mit klassischen Nahrungsmittelallergien?

Wir sehen häufig Kinder mit klassischen Nahrungsmittelallergien unter unseren Patienten. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass Kinder mit klassischen IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien grundsätzlich eher einem pädiatrischen Allergologen vorgestellt werden. Bei Kindern, die auf Kuhmilch, Hühnerei, Weizen oder Erdnuss allergisch reagieren, stellen die Eltern in der Regel selbst einen Zusammenhang zwischen der Nahrungsaufnahme und den Beschwerden der Kinder her. Sie beobachten dann bei den Kindern zum Beispiel Erbrechen oder Durchfall, kurz nach dem Essen bestimmter allergener Lebensmittel und suchen dann gezielt die Hilfe eines Allergologen. Zu uns kommen dann eher die Kinder mit nicht-IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergien.

Was genau sind nicht-IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergien bei Kindern?

Nicht-IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergien sind Nahrungsmittelallergien, die mit den klassischen Allergietests nicht diagnostiziert werden können. Oft haben die Kinder eher uncharakteristische Bauchbeschwerden wie Durchfall oder Bauchschmerzen, dies oft so regelmäßig, dass eine direkte Zuordnung zu einem speziellen Allergen schwierig ist.

Welche nicht-IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergien sind bei Kindern häufig?

Typisch bei Babys, also im Säuglingsalter, ist die Kuhmilch-induzierte Enteropathie. Das ist eine Allergie auf Kuhmilch, die mit Gedeihstörungen oder Erbrechen einhergehen kann. Fast immer ist diese Form der Kuhmilchallergie nicht IgE-vermittelt. Das heißt, wenn beim Kind ein Allergietest auf Kuhmilch gemacht wird, ist er negativ. Oft waren Kinder mit dieser Erkrankung bereits bei einem Arzt, der vermeintlich eine Kuhmilchallergie ausgeschlossen hatte. Allerdings wird man mit dem üblichen Allergietest, bei dem IgE-Antikörper gegen Kuhmilch bestimmt werden, diese Erkrankung auch nicht diagnostizieren können. Hinzu kommt: Es gibt verschiedene Krankheitsmanifestationen in den verschiedenen Altersstufen. Das bedeutet, je nach Alter des Kindes kommt es zu unterschiedlichen Symptomen.

Häufig werden auch kleine Säuglinge mit Blutbeimengungen zum Stuhl vorgestellt. Meist betrifft dies gestillte Kinder. In manchen Fällen spielt hier eine Allergie gegen Kuhmilchproteine eine Rolle, die über die Muttermilch in den Darm des Babys gelangen. Auch hier muss zur Diagnosestellung ein Diätversuch gemacht werden: Die Mutter sollte sich versuchsweise kuhmilchproteinfrei ernähren. Oft geben wir zusätzlich probiotische Bakterien, da hier wie bei anderen Darmerkrankungen die Darmbakterien, das sogenannte Darmmikrobiom, zusätzlich eine Rolle spielen.

Hat ein Kind schwere allergieähnliche Symptomen oder zeigt es klare Reaktionen auf Nahrungsmittel, die sich im Allergietest nicht bestätigen lassen, sollte eine Untersuchung bei einem pädiatrischen Gastroenterologen erfolgen.

Sie hatten erwähnt, dass auch die Zöliakie bei Kindern häufig vorkommt…

Im Hinblick auf die Zöliakie ist es wichtig zu wissen, dass sich die Erkrankung heutzutage anders manifestiert als dies in den älteren medizinischen Lehrbüchern steht. Auch ich habe im Studium noch gelernt, dass die Anzeichen für Zöliakie bei Kindern Gedeihstörungen, ein dicker Bauch und Durchfälle sind. Heutzutage gilt dies aber nur für einen sehr kleinen Prozentsatz der Patienten.

Bei vielen Kindern findet man Symptome, die nicht direkt an eine Zöliakie denken lassen, wie zum Beispiel Bauchschmerzen, eine leichte Eisenmangelanämie, Verstopfungen oder Wachstumsverzögerungen. Wenn man dann routinemäßig einen Zöliakietest beim Kind vornimmt, findet man nicht selten hohe IgA-Transglutaminase-Antikörper, die als Zöliakie-Nachweis gelten.

Warum treten die typischen Zöliakie-Symptome wie Gedeihstörungen, ein dicker Bauch und Durchfälle bei Kindern heutzutage nur sehr selten auf?

Die Tatsache, dass die früher als typisch bezeichneten Zöliakie-Anzeichen heute nur sehr selten auftreten, hat wahrscheinlich auch etwas damit zu tun, wann ein Kind erstmals glutenhaltige Nahrung erhält. Es gab eine Zeit, in der man schon früh, in den ersten Lebensmonaten, Getreide in die Beikost eingeführt hat, indem man der Milch Haferflocken beigefügt hat. Die Kinder sollten so schneller satt werden. Wenn ein Kind mit Zöliakie sehr früh mit Gluten konfrontiert wird, erhöht sich natürlich das Risiko, dass die Zöliakie auch früh in Erscheinung tritt. Dann kommt es eher zu der der für Zöliakie klassischen Manifestation in Form von Gedeihstörungen und dicken Bäuchen. Heute startet man bei der Beikost später mit dem Getreidebrei.

Steigt die Zahl der Kinder mit Zöliakie?

Man geht davon aus, dass die Zöliakie heute genauso häufig auftritt, wie in der Vergangenheit. Sie wird aber häufiger diagnostiziert, weil die Kinderärzte gegenüber dieser Erkrankung sensibler sind. So testen wir Kinder mit länger andauernden Verstopfungen, bei denen normalerweise nicht an eine Zöliakie gedacht würde, grundsätzlich auf Antikörper. Von ca. 200 Kindern mit Verstopfung, die wir pro Jahr betreuen, finden wir bei bis zu drei Kindern eine Zöliakie. Das gleiche gilt auch für Kinder mit länger andauernden Bauchschmerzen und anderen nicht charakteristischen Symptomen, wie Wachstumsstörungen. In diesen Fällen stellt man die Diagnose, bevor es zu Gedeihstörungen kommt. Aber: Manche Kinder haben auch schlicht keine Gedeihstörungen, trotz bestehender Zöliakie.

Sie sagten, dass Darmentzündungen bei Kindern häufig vorkommen…

Bei den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) weiß man bereits, dass unsere westliche Lebensweise das Erkrankungsrisiko erhöht. Erkrankungen wie Morbus Crohn gibt es in Ländern in Zentralafrika nicht. Wenn Länder die westliche Lebensweise jedoch adaptieren, wie dies in China und Indien der Fall ist, steigen die Zahlen von Morbus Crohn rapide an und nähern sich denen der westlichen Industrieländer. Ähnliches beobachtet man im Hinblick auf Allergien und das gilt auch für die Colitis ulcerosa. Zum Problem CED kommt hinzu: Bei den älteren Kindern haben wir eine hohe Zahl von Patienten mit eosinophilen Entzündungen des Darms und der Speiseröhre. Dazu gehören die eosinophile Colitis und die eosinophile Ösophagitis (EOE).

Und: Ähnliches beobachtet man im Hinblick auf Allergien.

In welchem Alter treten die entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa auf – kommen Sie also schon bei Babys, Kleinkindern oder Kindern vor?

Grundsätzlich können CED bereits in den ersten Lebensjahren auftreten, dies glücklicherweise aber selten. In diesen Fällen müssen wir immer angeborene Störungen des Immunsystems als Ursache ausschließen. Die meisten Neudiagnosen stellen wir aber im Teenageralter.

Welche Symptome zeigen Kinder bei Darmentzündungen?

Die Beschwerden sind unterschiedlich, je nachdem welcher Darmanteil betroffen ist - bei Morbus Crohn kann das grundsätzlich jeder Teil vom Mund bis zum After sein - und wie schwergradig die Entzündung ist. Häufig sind Bauchschmerzen, oft auch Durchfälle mit Blut im Stuhl. Es kommen auch Gewichtsabnahme, Gelenkentzündungen oder Hautentzündungen vor. Manche Jugendliche fallen auch mit vermindertem Wachstum und verzögerter Pubertät auf.

Wie sieht die Behandlung bei Darmentzündungen aus?

Die Behandlung hängt wiederum vom Befallsmuster und der Stärke der Entzündung ab. Beim Morbus Crohn kann man mit einer 6 bis 8-wöchigen Behandlung mit Trinknahrungen - nur diese dürfen zu sich genommen werden - die Entzündung unterdrücken. Da es sich um chronische Erkrankungen handelt, die jederzeit schubweise wieder auftreten können, muss eine medikamentöse Dauertherapie begonnen werden. Hierzu gibt es eine Reihe wirksamer Medikamente. Cortison versuchen wir, wo es geht, zu vermeiden, da es sich negativ auf das Wachstum auswirkt.

Leiden Kinder, die unter Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn leiden, unter Wachstumsstörungen?

Ja, das kommt leider häufig vor und wird bei der Therapieplanung mit berücksichtigt. Das heißt, dass wir den Ernährungszustand optimieren und konsequent dafür sorgen, dass die Entzündung verschwindet. Anhaltende Entzündung wirkt als Bremse auf das Wachstum und die Pubertätsentwicklung.

Wie kann man als Elternteil erkennen, ob ein Gang zum Arzt sinnvoll ist?

Die Hauptwarnzeichen sind: Blut im Stuhl, anhaltende Durchfälle, Leistungsminderung, Gewichtsabnahme, Bauchkrämpfe. Bauchschmerzen kommen bei Kindern und Jugendlichen ja häufig vor, sind aber glücklicherweise nur selten durch CED bedingt. Der Kinder- und Jugendarzt kann durch einen einfachen Stuhltest auf Calprotectin schauen, ob eine CED als Ursache der Schmerzen in Frage kommt.

Sie sagten, dass immer mehr Kinder an eosinophiler Colitis und eosinophiler Ösophagitis (EOE) erkranken…

Ja, wobei die Ursachen dafür weniger bekannt sind. Ein Faktor kann eine vermehrte Aufmerksamkeit für die Erkrankungen sein. Aber auch unsere Lebensgewohnheiten könnten eine Rolle spielen.

Warum erkranken Kinder so häufig an entzündlichen Darmerkrankungen?

Ein Faktor, der beim Anstieg entzündlicher Darmerkrankungen eine Rolle spielen könnte, ist zum Beispiel die Ernährung. Die Kinder essen oft nur wenig Ballaststoffe, aber viel Fleisch und viele Süßigkeiten. Hinzu kommt Mangel an Vitamin D, weil die Kinder kaum noch an die Sonne kommen.

Neue Studien zeigen, dass das Risiko, an einer CED zu erkranken davon abhängt, wie häufig wir industriell gefertigte Nahrung zu uns nehmen. Dabei könnten bestimmte Zusatzprodukte wie Emulgatoren und Farbstoffe eine Rolle spielen. Das heißt im Umkehrschluss: Wir sollten so viele frisch zubereitete Nahrungsmittel zu uns nehmen, wie möglich.

Und: Kinder sollten sich viel draußen bewegen - das hilft natürlich auch gegen das steigende Problem des Übergewichts!.

Kann man sein Kind durch die richtige Ernährung vor Darmentzündungen schützen?

Zur Prävention mancher gastroenterologischer Erkrankungen bei Kindern ist es aus meiner Sicht durchaus hilfreich, die Mahlzeiten aus unverarbeiteten Nahrungsmitteln selbst zuzubereiten. Man sollte frisch, „bunt“ und auch viel „grün“ essen. Zweimal wöchentlich Fleisch ist durchaus ausreichend. Und: Süßigkeiten sollten nicht zu häufig im Speiseplan auftauchen! Die klassische mediterrane Mischkost senkt das Risiko für manche ernährungsbedingte Erkrankungen erheblich, auch für Darmentzündungen beim Kind. Auch andere Erkrankungen, wie zum Beispiel Arteriosklerose, kann man über diese Ernährungsfaktoren beeinflussen.

Gibt es Lebensmittel, die Kinder mit Darmentzündungen bzw. entzündlichen Darmerkrankungen gut vertragen?

Mediterrane Mischkost ist das, was wir nicht nur zu Vorbeugung, sondern auch bei nachgewiesener Erkrankung empfehlen. Im Stadium starker Entzündung sollten schwer verdauliche Nahrungsmittel und starke Gewürze vermieden werden. Die wichtigste Maßnahme ist immer die medikamentöse Therapie; wenn diese wirkt, kann der Darm wieder normal funktionieren.

Wissen denn die Eltern, wie man die Ernährung so gestaltet, dass entzündliche Darmerkrankungen beim Kind verhindert werden?

Manche Familien sind sehr gut in der Lage, eine gesunde Ernährung der Kinder sicherzustellen. Andere Familien ernähren sich vornehmlich von Fertigprodukten und diese Art der Ernährung ist möglicherweise nicht ideal. Das heißt aber nicht, dass dies der einzige Grund für gastroenterologische Erkrankungen bzw. Darmerkrankungen bei Kindern ist.

Entzündliche Darmerkrankungen sind nicht monokausal, sondern haben viele Facetten.

Was sollten Eltern wissen, wenn beim Kind eine Darmerkrankung festgestellt wurde?

Eltern von Kindern, bei denen eine gastroenterologisch Erkrankung diagnostiziert wurde, sollten darauf achten, dass sie die Behandlung des Kindes in erfahrene Hände legen, denn manche gastroenterologische Erkrankungen sind relevante, lebensbestimmende Erkrankungen, die nicht heilbar sind. Für die Entwicklung des erkrankten Kindes ist es sehr wichtig, dass die richtigen Maßnahmen zum frühestmöglichen Zeitpunkt getroffen werden.

Manche dieser Erkrankungen sind insgesamt so selten, dass die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte nicht viel Erfahrung sammeln können. Ich empfehle deshalb, einen Kindergastroenterologen aufzusuchen, der auf diese Erkrankungen spezialisiert ist. Spezialisierte Kollegen findet man auf der Seite der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung e. V. (GPGE): www.gpge.eu.

Herr Dr. Claßen, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

29. März 2022

Autor: S. Jossé/M. Claßen, www.mein-allergie-portal.com

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