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Neurodermitis – was tun, wenn Cremen nicht ausreicht?

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Neurodermitis – was tun, wenn Cremen nicht ausreicht? Bildquelle: A. Sack

Menschen mit Neurodermitis bekommen im ersten Schritt Cremes verordnet. Das hilft zwar vielen Patientinnen und Patienten, aber nicht allen. Was also tun, wenn Cremen bei der Behandlung der atopischen Hautekzeme nicht ausreicht? Es gibt weitaus mehr Möglichkeiten, als die Meisten denken, meint Dr. med. Anna-Lena Sack, Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Hamburg, im Gespräch mit MeinAllergiePortal.

 

Autor: Sabine Jossé

Interviewpartner: Dr. med. Anna-Lena Sack

Frau Dr. Sack, wie häufig kommt es vor, dass das Cremen bei Neurodermitis nicht hilft?

Dass Cremen allein bei Neurodermitis nicht hilft, ist leider ein sehr häufiges Problem. Dabei ist mit „Cremen“ zum einen das therapeutische Eincremen mit antientzündlichen Cremes, zum Beispiel lokalen Calcineurininhibitoren oder kortisonhaltigen Cremes, Salben oder Lotionen gemeint, welches die Neurodermitis-Symptome nicht immer kontrollieren kann. Zum anderen ist das Eincremen im Rahmen der Basispflege, in Form von Cremes, Salben und Lotionen, gemeint.

Ich will erreichen, dass meine Patienten ein Grundverständnis für ihre Haut erlangen und wissen, welche Behandlung bei welchem Zustand der Haut nötig ist. Das kann im ruhigen Zustand eine Pflege sein, die die Barrierefunktion der Haut unterstützt und so dem Entstehen von Ekzemen vorbeugt – das nennt man dann proaktive Therapie. Im Schub kann es aber auch eine anti-entzündliche oder Juckreiz-lindernde Therapie sein – das nennt man dann reaktive Therapie, also als Reaktion auf eine Hautveränderung. Dafür stehen viele verschiedene Präparate zur Auswahl, manche sind austrocknend – das wäre gut bei Bläschen – und manche sind pflegend bis fettend - das wäre eher gut auf trockenen Ekzemen. Aber ein Wirkstoff kann noch so gut sein, in der falschen Grundlage kann er das Ganze sogar verschlimmern, zum Beispiel eine fettende Creme auf Bläschen.

Woran liegt es, dass das Cremen mit Kortison oder Hautpflegeprodukten bei Neurodermitis nicht immer hilft?

Das liegt daran, dass die Neurodermitis keine statische Erkrankung ist, sondern zum Teil in Schüben verläuft. Außerdem kann das atopische Ekzem je nach Lebensphase mal stärker, mal weniger stark ausgeprägt sein. Ich habe viele Patienten, die neu zu mir in die Sprechstunde kommen, aber bereits einen langen Neurodermitis-Leidensweg hinter sich haben. Oft sind sie schon sehr frustriert, resigniert und regelrecht therapiemüde. Den Glauben an eine Neurodermitis-Therapie, die wirklich hilft, haben sie leider oft verloren.

Wie können Sie Patienten helfen, die die Hoffnung, ihre Neurodermitis-Symptome in den Griff zu bekommen, schon aufgegeben haben?

Diese Neurodermitis-Patienten muss man wieder neu motivieren und davon überzeugen, nicht einfach aufzugeben. Es ist wichtig, zu wissen: Man kann eigentlich immer eine andere Therapiestrategie ausprobieren. Ziel muss es sein, den Betroffenen wieder eine Kontrolle über ihre Haut zu ermöglichen und das Vertrauen in die Therapie zurückzugewinnen. Einfacher ist es natürlich, wenn die Patienten gleich beim ersten Ekzem-Schub in die Sprechstunde kommen und wir die Therapie gleich von Anfang an richtig angehen können.

Was können weitere Gründe dafür sein, dass bei Neurodermitis-Patienten die topische Therapie mit Cremen der Haut nicht oder nicht mehr anschlägt?

Wenn die Cremetherapie mit Kortison oder Hautpflegeprodukten bei Neurodermitis nicht oder nicht mehr hilft, kann das drei wesentliche Gründe haben:

  • Die Tatsache, dass Neurodermitis eine systemische Erkrankung ist
  • Mögliche Trigger, die neue Ekzeme auslösen
  • Die grundsätzlich mal leichtere mal stärkere Verlaufsform der Erkrankung, wir Ärzte nennen das „Variable Verlaufsform“

Was heißt eigentlich systemische Erkrankung?

Bei Neurodermitis ist nicht nur die Haut betroffen, sondern der gesamte Körper. An der Haut besteht ein Barrieredefekt. Dadurch sind Haut und Schleimhäute etwas dünner und, im Vergleich zu hautgesunden Menschen, geschwächt. Um eben diese Barrierefunktion der Haut zu unterstützen, sollte man eine proaktive Therapie durchführen. Unter „proaktiver Therapie“ versteht man das vorbeugende Cremen der Haut mit einer antientzündlichen Creme, auch wenn noch kein Ekzem besteht – hierfür kann zum Beispiel ein lokaler Calcineurininhibitor oder eine niedrig potente kortisonhaltige Creme zur Anwendung kommen“.

Gleichzeitig geht Neurodermitis mit einer systemischen Entzündung einher, der sogenannten „Typ-2-Entzündung“. Dieser fortwährende Entzündungsprozess im Körper geht ohne Behandlung nie wirklich weg und kann das Krankheitsgeschehen immer wieder von neuem befeuern. Daher kommt es auch immer wieder zu sogenannten „Schüben“.

Welche Auslöser – auch Trigger genannt - gibt es bei Neurodermitis?

Es gibt bei Neurodermitis bestimmte Auslöser, die dafür sorgen, dass die Neurodermitis-Therapie nicht mehr hilft. Das können hormonelle Schwankungen sein, zum Beispiel durch eine Schwangerschaft, aber auch Umweltfaktoren. Ernährung spielt auch eine Rolle. Aber auch äußere Umstände können das Hautbild verschlechtern, zum Beispiel Stress, sowohl beruflich als auch privat. Auch ein Baby in der Familie kann junge Eltern zunächst einmal stressen. Ich frage deshalb Patienten, die plötzlich schwerere Schübe haben:

  • Was hat sich im Alltag geändert?
  • Gibt es Änderungen bei der Ernährung?
  • Hat der Stress zugenommen?
  • Kommt es neuerdings zu allergischen Beschwerden?
  • Könnte eine Kontaktallergie hinzugekommen sein?

Es gibt viele potentielle Triggerfaktoren und diese zu identifizieren, ist manchmal nicht einfach, das ist oft Detektivarbeit.

Und inwiefern hat Neurodermitis eine variable Verlaufsform?

Neurodermitis ist per se eine variable Erkrankung. Sie muss nicht so bleiben, wie sie aktuell ist oder wie sie lange Zeit war. Die Anzahl der Schübe kann sich immer ändern, der Hautbefund kann variieren und genauso die Schwere der Schübe, bis hin zu einer andauernden hohen Krankheitsaktivität. All das kann dazu führen, dass das Cremen nicht ausreicht. Dann muss man die Therapie entsprechend anpassen.

Wie entscheiden Sie, ob das Cremen bei Neurodermitis noch hilft, oder ob es eine mittelschwere bis schwere Neurodermitis ist, die eine andere Therapie nötig macht?

Ich schaue mir den Therapieverlauf in der Regel jeweils 2 bis 4 Wochen an. Wenn die Therapie dann nicht deutlich angeschlagen hat und die Ekzeme nicht besser geworden sind, müssen wir etwas Neues ausprobieren. Mein Therapieansatz ist immer, dass der Patient möglichst erscheinungsfrei sein sollte. Wenn man das bei einem mittelschwer bis schwer betroffenen Menschen mit Cremes nicht in den Griff bekommt, muss man eine neue Therapie einleiten. Schließlich geht es auch um die Lebensqualität.

Welche neuen Therapien gibt es, wenn das Cremen bei Neurodermitis nicht hilft?

Neue, für die Behandlung von Neurodermitis zugelassene Therapien, sind die Biologika und die JAK-Inhibitoren, kurz JAKi. Diese Medikamente werden per Spritze injiziert oder als Tablette eingenommen. Man kennt und vertraut diesen Therapien schon bei anderen Erkrankungen, zum Beispiel bei Rheuma. Auch chronisch entzündliche Darmerkrankungen und die Psoriasis kann man mit Biologika sehr gut und erfolgreich therapieren. Dabei kommt es zu einer gezielten Hemmung des Immunsystems. Das ist wichtig zu verstehen, man beeinflusst mit diesen Therapien nicht das gesamte Immunsystem. Zum Teil sind diese Präparate sogar auch schon für kleine Kinder zugelassen, zum Beispiel Dupilumab, oder auch für Jugendliche, zum Beispiel Upadacitinib und Tralokinumab, weil sie entsprechend sicher sind. Es macht mir richtig Spaß, die Patienten mit den neuen Therapien zu behandeln, weil man so wirklich eine Abheilung der Ekzeme erreichen kann und das Hautbild wieder sehr gut werden kann. Ich sage meinen Patienten: Wenn wir mit lokalen therapeutischen Maßnahmen, also den Cremes und Lotionen, keine ausreichende Besserung erreichen können, wäre der nächste Schritt ein Biologikum oder ein JAK-Inhibitor.

Man sollte auch mitbedenken – und das wissen immer noch zu wenig Patienten – was dies für ein enormer Fortschritt ist, angesichts der Tatsache, dass sich bei Neurodermitis lange Zeit therapeutisch nur sehr wenig getan hat.

Welche Erfahrungen hat man mit JAK-Inhibitoren und Biologika bislang gemacht?

Diese neuen Therapien sind Dauertherapien und können den Patienten oft so gut helfen, dass sie die Neurodermitis sogar vergessen und dass endlich einmal Ruhe einkehrt. Die Patienten sollen dann zwar weiterhin die Basispflege anwenden, aber dafür genügt das Eincremen nach dem Duschen, das machen ja die meisten Menschen. Mit den neuen JAK-Inhibitoren und Biologika können sie sich endlich wieder freier und unbeschwerter fühlen, das ist das Charmante an diesen innovativen Therapien.

Gibt es auch Nebenwirkungen bei Biologika und JAK-Inhibitoren?

Natürlich gibt es bei Biologika und JAK-Inhibitoren auch unerwünschte Wirkungen. Darum sind bei bestimmten Präparaten regelmäßige Laborkontrollen vorgesehen, um eventuelle Nebenwirkungen zeitnah zu erfassen. Grundsätzlich müssen die Patienten notwendige Informationen vorab erhalten und verstehen, welche Nachteile oder Nebenwirkungen möglich sind. So können sie ihren behandelnden Arzt sofort informieren, wenn sie diese Symptome an sich bemerken.

Was soll der Patient tun, wenn er merkt, dass die Creme zur Behandlung der Neurodermitis nicht ausreicht?

Hat man als Patient den Eindruck, dass die Therapie der atopischen Dermatitis nicht den gewünschten Erfolg bringt, sollte man das Thema beim behandelnden Hautarzt unbedingt ansprechen. Selbstverständlich kann man auch gezielt die Option von Systemtherapien, Biologika und JAK-Inhibitoren zur Sprache bringen, wenn der Wunsch besteht, diese Therapien einmal auszuprobieren. Im Zweifelsfall ist es auch immer möglich, aktiv um eine Überweisung zu einem Kollegen zu bitten, der solche Systemtherapien anbietet oder einen anderen ärztlichen Kollegen zu konsultieren. Es hat sich so viel getan und es gibt mittlerweile so viele therapeutischen Möglichkeiten, dass es sich lohnt, einen weiteren Gang zum Arzt auf sich zu nehmen und für seine Haut zu kämpfen. Schließlich geht es dabei auch um ein großes Stück Lebensqualität!

Frau Dr. Sack, herzlichen Dank für dieses Interview!

 

Glossar:

  • Atopische Dermatitis = medizinisch neuerer Fachbegriff für Neurodermitis oder atopisches Ekzem
  • Defekte Hautbarriere oder Barrieredefekt = Geschädigte, trockenen Haut, durchlässig für Allergie auslösende und allgemein schädliche Stoffe
  • Immunsystem = körpereigenes Abwehrsystem, verteidigt den Körper gegen äußere Eindringlinge und körperfremde Stoffe
  • Symptom = sichtbares oder spürbares Anzeichen oder Merkmal einer Krankheit oder einer Verletzung.
  • Systemisch = innerlich
  • Topisch = äußerlich
  • Variabel = veränderlich

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

01. März 2023

Autor: S. Jossé/A.-L. Sack, www.mein-allergie-portal.com

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