Dr. Max Tischler im Interview: Mit Neurodermitis leben – Strategien für den Umgang mit der lebenslangen Belastung

Wir haben mit Dr. Max Tischler, einem erfahrenen Dermatologen und Allergologen, über das Thema Neurodermitis – eine chronisch-entzündliche Hauterkrankung, die viele Menschen ein Leben lang begleitet – gesprochen. Besonders interessant sind die Fragen, wie sich die Krankheitslast im Laufe der Jahre aufsummieren kann, welche Auswirkungen die Erkrankung auf das tägliche Leben und Lebensentscheidungen der Betroffenen hat und welche Möglichkeiten es gibt, die Neurodermitis langfristig zu kontrollieren.
Neurodermitis beginnt oft im Kindesalter und bringt meist eine hohe Krankheitslast mit sich. Wie nimmt die Belastung im Laufe des Lebens zu? Und stimmt es, dass Betroffene Lebensentscheidungen aufgrund der Erkrankung oft anders treffen als sie es ohne die Neurodermitis getan hätten?
Dr. Max Tischler: Die Neurodermitis beginnt häufig im Kindesalter und kann im Laufe des Lebens eine zunehmende Belastung darstellen. Vor allem eine mittelschwere oder schwere Ausprägung der Erkrankung und mit der Neurodermitis einhergehende Begleiterkrankungen wie Asthma, Lebensmittelallergien oder Heuschnupfen beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen. Sie können ihren Alltag oft nicht so frei gestalten, wie sie es gern würden: dazu zählen zum Beispiel das Ausüben von Hobbies wie Sport oder auch die Wahl der Kleidung und vieles mehr – die Neurodermitis wirkt sich auf fast alle Bereiche des Lebens aus. Zu der körperlichen Erschöpfung, die beispielsweise durch schlaflose Nächte aufgrund von Juckreiz entsteht, kommt oft eine emotionale Erschöpfung hinzu. Zu dieser tragen auch soziale Faktoren wie Mobbing oder Scham bei. Auch die Berufswahl kann von der Neurodermitis beeinflusst sein, denn einige Arbeitsumfelder können für Betroffene mit großen Herausforderungen verbunden sein – unter anderem wenn Handschuhe oder Arbeitskleidung getragen werden müssen, der Kontakt mit reizenden Stoffen gegeben ist oder auch viel körperlich gearbeitet wird.
Wie Sie gerade erwähnt haben, geht Neurodermitis oft mit anderen entzündlichen Erkrankungen wie Heuschnupfen oder Asthma einher. Welche Zusammenhänge gibt es zwischen diesen Erkrankungen und wie können Betroffene von einer frühzeitigen Diagnose profitieren?
Dr. Max Tischler: Das ist richtig, mehr als drei Viertel der Menschen mit Neurodermitis haben mindestens eine weitere Erkrankung aus dem sogenannten atopischen Formenkreis. Dazu gehören neben der Neurodermitis allergisches Asthma, Heuschnupfen, Nahrungsmittelallergien oder auch die allergische Bindehautentzündung. Diese Erkrankungen haben gemein, dass das Immunsystem auf eigentlich harmlose Umweltstoffe überreagiert und dadurch Entzündungsreaktionen im Körper ausgelöst werden. Eine frühzeitige Diagnose kann helfen, eine gezielte Neurodermitis-Behandlung einzuleiten, Begleiterkrankungen sollten dabei miteinbezogen werden. Ein Neurodermitis-Tagebuch und gegebenenfalls ärztlich abgestimmte Allergietests helfen, die individuellen Auslöser zu erkennen und gezielt zu vermeiden bzw. zu behandeln. Die gute Nachricht: Durch eine gut kontrollierte Neurodermitis kann das Risiko für das Auftreten von Begleiterkrankungen reduziert werden oder die Symptome von bestehenden Begleiterkrankungen verbessert werden.
Neurodermitis beeinflusst das soziale Leben von Betroffenen auf vielfältige Weise. Viele Menschen mit Neurodermitis berichten auch von Stigmatisierungen aufgrund ihrer Hautveränderungen. Wie können Menschen mit Neurodermitis den Vorurteilen begegnen? Und haben Sie Tipps, wie Menschen mit Neurodermitis die Erkrankung und die damit zusammenhängende Belastung gegenüber anderen thematisieren können?
Dr. Max Tischler: Stigmatisierung bei sichtbaren Hauterkrankungen wie Neurodermitis kann wirklich eine große Herausforderung darstellen. Wenn beispielsweise während eines Schubs Ekzeme an Stellen auftreten, die sich nicht verdecken lassen, oder Schuppen der trockenen Haut auf dunkler Kleidung auffallen, sind Betroffene oft mit Blicken oder Kommentaren von Außenstehenden konfrontiert. Gründe dafür sind häufig Unwissenheit und Vorurteile über die chronische Erkrankung, die leider immer noch weit verbreitet sind – wie etwa die Fehlannahme, Neurodermitis sei ansteckend. So zeigt eine Studie, dass zwei von fünf Jugendlichen mit Neurodermitis schon Opfer von Mobbing in der Schule waren und etwa jeder Dritte Erwachsene bereits Diskriminierung am Arbeitsplatz erfahren hat.
Ein offener Umgang mit der Neurodermitis kann meiner Erfahrung nach dazu beitragen, Vorurteile abzubauen. Auch im sozialen oder beruflichen Umfeld kann es helfen, die Erkrankung proaktiv anzusprechen, um Missverständnissen vorzubeugen und das Umfeld für die eigenen Bedürfnisse zu sensibilisieren. Für den persönlichen Umgang mit der Erkrankung und der Stigmatisierung kann professionelle psychologische Unterstützung oder die Teilnahme an Selbsthilfeangeboten, bei denen man sich mit anderen Betroffenen austauschen kann, eine gute Option sein.
Es gibt eine klare Verbindung zwischen Neurodermitis und psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen. Was können Menschen mit der chronischen Hautkrankheit tun, wenn sie merken, dass sie die Erkrankung stark belastet, und welche Unterstützung können Betroffene erwarten?
Dr. Max Tischler: Man darf die psychische Belastung, die durch die Neurodermitis entstehen kann, auf keinen Fall unterschätzen. Es kommt häufig vor, dass der Juckreiz, die Schmerzen und die sichtbaren Ekzeme zu einem verringerten Selbstwertgefühl, Angstgefühlen oder sogar Depressionen führen. Das belegt auch eine Untersuchung, die gezeigt hat, dass die Hälfte der Menschen mit Neurodermitis schon einmal Probleme mit Angststörungen aufgrund ihrer Hauterkrankung hatte. Drei Viertel haben sogar schon einmal depressive Episoden bzw. eine ausgeprägte Depression durchgemacht. Wie schon angesprochen, sollten sich Menschen mit Neurodermitis wirklich nicht scheuen, psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen – damit kann das Gefühl, allein mit der Last der Erkrankung zu sein, überwunden werden. Darüber hinaus können moderne Therapien helfen, die Hautsymptome zu lindern und dadurch die Lebensqualität zu steigern. Denn man kann sagen, wenn die Neurodermitis gut kontrolliert ist, kann sich auch die psychische Gesundheit verbessern.
Bei vielen Menschen mit Neurodermitis kann die Erkrankung ihre berufliche Leistung und Lebensqualität beeinträchtigen. Welche Herausforderungen sehen Sie speziell im Arbeitsumfeld und welche Empfehlungen haben Sie für Betroffene, die ihre Symptome im Job managen müssen?
Dr. Max Tischler: Wie vorhin schon angesprochen, kann die Neurodermitis im Arbeitsumfeld eine große Herausforderung darstellen, angefangen bei der Wahl der Ausbildung oder des Berufs, über Beeinträchtigungen der Produktivität – dies hat laut einer Studie mehr als ein Viertel der Menschen mit Neurodermitis schon erlebt – bis hin zum Berufswechsel oder in manchen Fällen sogar letztlich bis zur Einschränkung der Teilnahme am Arbeitsleben. Im Arbeitsumfeld selbst kann neben den Arbeitsbedingungen und individuellen Triggerfaktoren – beispielsweise Schwitzen, häufiges Desinfizieren oder Händewaschen – auch Stress ein bekannter Auslöser für Schübe sein. Es kann also durchaus hilfreich sein, den eigenen Arbeitgeber über die Neurodermitis zu informieren, um nötige Anpassungen – zum Beispiel bei der Arbeitsplatzgestaltung oder Arbeitszeit – vorzunehmen. Eine wichtige Basis bleibt natürlich die dermatologische Behandlung, um die Symptome unter Kontrolle zu halten und ein Arbeitsleben ohne Einschränkungen möglich zu machen. Auch bei Fragen zur Berufswahl oder Unsicherheiten im Umgang mit der Erkrankung im Arbeitsumfeld kann ein Gespräch mit dem Dermatologen bzw. der Dermatologin helfen.
In den letzten Jahren hat sich die Behandlung von Neurodermitis stetig weiterentwickelt. Lohnt sich der (erneute) Gang zu einem Facharzt/einer Fachärztin bzw. sich eine Zweitmeinung einzuholen?
Dr. Max Tischler: Definitiv! Ich kann allen Betroffenen nur raten, regelmäßig zum Dermatologen bzw. zur Dermatologin zu gehen und sich bei Bedarf, wenn man das Gefühl hat, nicht die passende Behandlung zu erhalten, auch mal eine Zweitmeinung einzuholen und dann gegebenenfalls die Praxis zu wechseln. Insbesondere wenn die Neurodermitis schwer zu kontrollieren ist, neue Symptome auftreten oder weitere atopische Begleiterkrankungen vorliegen, sind regelmäßige Facharztbesuche ratsam. Wer sich unsicher ist, ob die eigene Neurodermitis gut kontrolliert ist, kann dies mit einem Selbsttest überprüfen. Den gibt es zum Beispiel auf der Website www.leben-mit-neurodermitis.info/selbsttest/. Es hat sich in den letzten Jahren viel in der Forschung getan, sodass heute moderne Therapieoptionen für die langfristige Behandlung und Kontrolle der Neurodermitis zur Verfügung stehen. Diese setzen gezielt an der Ursache der Hauterkrankung an – es lohnt sich also, sich beim Dermatologen bzw. der Dermatologin nach den verfügbaren Therapieoptionen zu erkundigen! Wie gesagt, kann durch eine frühzeitige, passende Behandlung die Neurodermitis kontrolliert und damit auch das Risiko für Begleiterkrankungen reduziert werden.
Noch mehr Informationen zur Neurodermitis und den Therapiemöglichkeiten, zum Umgang mit der chronischen Hauterkrankungen sowie einen Ärztefinder finden Menschen mit Neurodermitis und Interessierte auf der Website www.leben-mit-neurodermitis.info. Dort gibt es unter anderem einen Blog, auf dem Betroffene ihre Erfahrungen und wertvolle Tipps teilen. Auf dem gleichnamigen Instagram-Kanal @leben_mit_neurodermitis.info gibt es neben interessanten Infos auch die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.
Reinhören lohnt sich: In den Folgen des „Leben mit Neurodermitis – Der Hautnah-Podcast“ kommen regelmäßig Menschen mit Neurodermitis und Expertinnen und Experten zu unterschiedlichen Themen rund um die Erkrankung zu Wort. Moderiert wird der Podcast von Alissa Stein und Dr. Max Tischler und ist auf allen gängigen Audioplattformen verfügbar.
MAT-DE-2501163-1.0-03/2025
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: Advertorial mit freundlicher Unterstützung von Sanofi und Regeneron, www.mein-allergie-portal.com
Lesen Sie auch
-
Welche Kleidung ist die richtige bei Neurodermitis?
-
Neurodermitis: Schlimmer Juckreiz? Betroffene geben Tipps!
-
Neurodermitis & Stress: Liegt es an der Psyche?