Neurodermitis-Schübe durch Nahrungsmittelallergie
Betroffene vermuten oft, dass Neurodermitis-Schübe durch Nahrungsmittel ausgelöst werden. Aber nur bei einem Drittel der Patienten kann man eine Allergie auf Nahrungsmittel tatsächlich nachweisen. Möglicherweise sind die Nahrungsmittelallergien dieser Patienten aber nur unentdeckt. Ein neuer Blick auf den Zusammenhang von Nahrungsmittelallergien und Neurodermitis könnte sich jedoch durch aktuelle Forschungserkenntnisse auftun. Vorgestellt wurden sie im Buch „Tägliches Brot: Krank durch Weizen, Gluten und ATI" im Jahr 2018, und danach durch weitere hochrangig publizierte Studien untermauert. Eine Neuauflage ist in Bearbeitung. MeinAllergiePortal sprach mit den Autoren Dr. phil. Kristin Gisbert-Schuppan und Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Detlef Schuppan, Professor of Medicine an der Harvard Medical School in Boston, USA, und Leiter des Instituts für Translationale Immunologie und der Ambulanz für Zöliakie, Dünndarmerkrankungen und Autoimmunität am Universitätsklinikum Mainz, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Zöliakiegesellschaft und Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS).
Autor: Sabine Jossé M. A.
Interviewpartner: Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Detlef Schuppan, Dr. phil. Kristin Gisbert-Schuppan
Frau Dr. Gisbert-Schuppan, Herr Prof. Schuppan, Sie haben beschrieben, dass häufig Nahrungsmittelallergien die Ursachen von Beschwerden sein können, obwohl zuvor Allergietests negativ waren, wie kam es dazu?
Gemeinsam mit Frau Prof. Fritscher-Ravens aus Kiel und London konnten wir Studien an Patienten durchführen, die die Diagnose Reizdarm-Syndrom (RDS) erhalten hatten. Dabei wurden die Patienten mit Hilfe der konfokalen Laser-Endomikroskopie untersucht. Eine konfokalen Laser-Endomikroskopie ist eine Vergrösserungsendoskopie, die auch zelluläre Veränderungen während der Endoskopie in vivo erkennen lässt. An der Dünndarmschleimhaut lassen sich so unmittelbar nach Aufsprühen bestimmter Allergene, insbesondere von Weizen, Milchproteinen, Soja und Hefe, eine Barrierestörung („Leaky Gut“) und entzündliche Veränderungen nachweisen.
Was war das Ergebnis der Untersuchung von Reizdarm-Patienten, ohne Allergie-Diagnose?
Bei mehr als 50 Prozent der Patienten mit der Diagnose Reizdarm-Syndrom (RDS) lag tatsächlich eine Nahrungsmittelallergie vor. Davon reagierten in unserer ersten klinischen Studie und einer folgenden zweiten, deutlich grösseren Studie,60 Prozent der Patienten allergisch auf Weizen und die meisten anderen Patienten auf Milchproteine, Soja und Hefe. Wie wir aus den immunologischen und feingeweblichen Untersuchungen der zweiten Studie wissen, scheint es sich dabei um eine sogenannte Typ 2 Allergie zu handeln – hier sind unter anderem sogenannte eosinophile Immunzellen beteiligt. Dies erklärt auch das Versagen der üblichen Allergietests (IgE-Antikörper im Blut, Hauttests) und die oft um Stunden verzögerte klinische Reaktion, wie Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung, aber auch Hautprobleme, auf diese häufigen Nahrungsmittel.
Könnten auch Neurodermitis-Patienten häufiger als bislang angenommen von Nahrungsmittelallergien auf Weizen, Gluten oder andere Allergene betroffen sein?
Es könnte durchaus sein, dass Neurodermitis-Schübe von Nahrungsmittelallergien auf Weizen, Milch, Soja, Hefe etc. getriggert werden, denn wie ist bisher Allergie definiert?
Klassischerweise über die Symptome und positive IgE-Antikörper gegen spezifische Allergene oder Allergengemische und/oder einen positiven Hauttest. Gegebenenfalls führt man zur Allergiediagnose noch einen aufwendigen doppelblinden Provokationstest durch. Bei den meisten Nahrungsmittelallergien greifen diese Diagnosemethoden aber nicht, denn die klassischen laborchemischen Kriterien einer Allergie werden nicht erfüllt. Oft zeigen weder der Hauttest noch der Bluttest positive Ergebnisse.
Können auch nicht allergisch bedingte Nahrungsmittelunverträglichkeiten, also Nahrungsmittelintoleranzen Trigger für Neurodermitis-Schübe sein?
Der Begriff Nahrungsmittelintoleranzen umfasst alle Nahrungsmittelunverträglichkeiten, also auch die nicht durch Immunzellen vermittelten. So werden Beschwerden bei Laktose-, Fruktose-, oder Sorbitintoleranz, welche neben komplexen Kohlenhydraten Ursache der sogenannten FODMAP-Intoleranz sind, durch den verminderten Abbau bzw. die verminderte Aufnahme dieser Kohlenhydrate im Darm verursacht. Sie verbleiben dann im Darm und dienen dann gasbildenden Bakterien als willkommene Nahrung. Diese Gasbildung erzeugt dann Blähungen, oft mit Bauchschmerzen und verbunden mit Durchfall oder Verstopfung, und insgesamt Unwohlsein. Eine Entzündung ist hiermit jedoch nicht verbunden, und damit ist eine Verschlechterung von Allergien oder chronischen Entzündungen durch diese FODMAPs nicht zu erwarten. Zudem kann sich eine FODMAP-Intoleranz mit der Besserung einer meist entzündlich verursachten Störung der Darmbarriere wieder bessern. FODMAPs und verwandte Zucker/Sorbitintoleranzen tragen also sehr wahrscheinlich nicht zu einer Neurodermitis bei. Dagegen spielt eine gestörte Darmbarriere, wie auch insbesondere die gestörte Hautbarriere, meist gekoppelt mit Nahrungsmittelallergien eine Rolle.
Was unterscheidet die üblichen Tests auf Nahrungsmittelallergien von der konfokalen Laser-Endomikroskopie?
Bei der direkten Provokation an der Dünndarmschleimhaut, gefolgt von der konfokalen Endomikroskopie, sind diese atypischen Nahrungsmittelallergien in Echtzeit (Videoendoskopie) innerhalb weniger Sekunden bis Minuten nachweisbar. Interessanterweise treten die klinischen Symptome, wie Blähungen und Bauchschmerzen oder Hautsymptome, meist erst nach einigen Stunden auf.
Was bedeutet diese Erkenntnis zu Nahrungsmittelallergien bei Reizdarmpatienten für bestimmte Neurodermitis-Patienten?
Die Dunkelziffer dieser atypischen Nahrungsmittelallergien ist enorm hoch, das zeigte sich ja bereits bei der gerade erwähnten Untersuchung an Reizdarm-Patienten. Bei Reizdarmpatienten weiß man ja, dass mit den klassischen laborchemischen, bildgebenden und endoskopischen Methoden kein Hinweis auf eine entzündliche oder allergische Erkrankung zu finden ist. Unsere zweite klinische Studie hat jedoch gezeigt, dass es signifikante entzündliche Veränderungen der Dünndarmschleimhaut bereits vor und insbesondere nach positiver Nahrungsmittelprovokation gibt. Diese werden aber in Standardendoskopien und -biopsien nicht erfasst. Hat man das Allergen identifiziert und meiden es die Patienten, ist die Mehrzahl von ihnen sehr schnell beschwerdefrei oder deutlich gebessert. Nach unseren Studien wurde die Untersuchung mittels CLE – das steht für konfokale Laser-Endomikroskopie - bereits in einigen Kliniken in Deutschland als Leistung eingeführt. Zur Neurodermitis bedarf es allerdings noch spezieller CLE-Studien.
Zunächst empfehle ich infrage kommenden Patienten, insbesondere auch wenn Kinder betroffen sind, 2 bis 4 Wochen weizenfrei zu leben - hierzu gehören zunächst auch ältere Weizensorten und andere glutenhaltige Getreide - und zu prüfen, ob sich das Beschwerdebild darunter bessert. Gegebenenfalls sollten gleichzeitig oder danach auch Kuhmilchprodukte, Soja und Hefe probatorisch gemieden werden. Bei vielen Patienten hat das dramatische Effekte, und das war mit ein Grund für uns, das Buch „Tägliches Brot: Krank durch Weizen, Gluten und ATI“, mit Daten auf guter Evidenzbasis und zahlreichen kommentierten Patientenberichten, zu schreiben.
Manche Eltern könnten also Recht haben, wenn sie Nahrungsmittel als Ursache für die Neurodermitis-Schübe der Kinder verdächtigen?
Eltern äußern häufig den Verdacht, dass die Neurodermitis der Kinder durch bestimmte Nahrungsmittel getriggert wird. Aber die Mediziner, die von unseren neuen Erkenntnissen noch nichts wissen, präsentieren den Eltern die negativen Testergebnisse der Allergietests oder Endoskopien und erklären, dass das Kind weder an einer Nahrungsmittelallergie noch an einer Zöliakie leidet. Den Eltern hilft es aber nicht weiter, wenn ihr Kind dennoch Symptome hat oder wenn sie manchmal sogar der Hysterie bezichtigt werden. Sie sind dann unsicher und frustriert.
Ein weiterer Faktor für eine gestörte Darmbarriere, die auch Neurodermitis begünstigt, sind Emulgatoren in vielen verfeinerten Nahrungsmitteln, unter anderem Polysorbate oder Carrageenan. Auch hierauf sollten die Betroffenen und die Eltern von Neurodermitis-Kindern achten.
Inzwischen haben wir ja auch genügend Hinweise, die auf einen Zusammenhang von Nahrungsmitteln und Neurodermitisschüben hinweisen, um zu wissen, dass es sich bei den Vermutungen der Eltern nicht um Einbildung handelt. Davon abgesehen ist nichts unbegründete „Einbildung“, was dem Patienten hilft, selbst wenn es sich um einen Placeboeffekt handeln sollte. Aber die Ergebnisse unserer Untersuchungen gehen weit über Placeboeffekte hinaus. Hier fühlen sich die Patienten häufig unter einem Rechtfertigungsdruck, auch gegenüber ihren behandelnden Ärzten.
Gibt es denn auch eine Studie an Patienten mit Neurodermitis, bei denen keine Nahrungsmittelallergie diagnostiziert wurde, die aber dennoch betroffen sein könnten?
Wie oben erwähnt haben wir noch keine CLE-Studie an Patienten mit Neurodermitis durchgeführt, um eine Barrierestörung des Darms oder eine Typ 2 Nahrungsmittelallergie objektiv nachzuweisen. Letztere lässt sich ja mit keinem Blut- oder Hauttest nachweisen, sondern objektiv nur mittels der CLE. Wir werden dies gerne tun, brauchen hierfür aber auch Personal und Forschungsmittel. Ich erwarte, dass wir hier zum Nutzen der Patienten fündig werden. Nichtsdestotrotz ließe sich mit relativ geringen Mitteln in Zusammenarbeit mit den Hautärzten eine kontrollierte Lebensmittelstudie, zum Beispiel mit oder ohne Weizen, durchführen.
Wie gehen Sie bei der Studie zu atypischen Nahrungsmittelallergien und insbesondere zur Rolle des Weizens bei Neurodermitispatienten vor?
Dafür müssten die Neurodermitis-Patienten zum Beispiel drei Monate lang entweder eine weitgehend weizenfreie Diät einhalten oder ihre definiert weizenhaltige Kost weiterführen, gefolgt von einem 3-monatigen Wechsel (Cross-over) zur jeweils anderen Diät. Dabei sollten auch gut objektivierbare immunologische und weitere objektivierbare Parameter, wie Hautsymptome und Beschwerde-Scores erfasst werden.
Welche Konsequenzen hat das für die Ernährung der Patienten?
Wir erwarten, dass sich eine erhebliche Zahl der Neurodermitis-Patienten unter einer weitgehend weizenfreien, gegebenenfalls auch einer anderen relativ einfach durchzuführenden Diät, bessern sollte.
Frau Dr. Gisbert-Schuppan, Herr Prof. Schuppan, herzlichen Dank für dieses Interview!
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: S. Jossé/K. Gisbert-Schuppan/D. Schuppan, www.mein-allergie-portal.com
Lesen Sie auch
-
Neurodermitis Schub: Behandeln oder verhindern?
-
Schwere Neurodermitis bei Erwachsenen? Häufig unerkannt und unbehandelt!
-
Neurodermitis beim Baby: Kann Ernährung Schübe verhindern?
Weitere Beiträge
News - Neurodermitis
- Neurodermitis: Was ist das?
- Neurodermitis im Gesicht: Was hilft?
- Kann Hypnose bei Neurodermitis-Juckreiz helfen?
- Neurodermitis oder Pilz: Welche Rolle spielt Malassezia?
- Können Probiotika bei Neurodermitis helfen?
- Neurodermitis-Schübe durch Pollen: Airborne Contact Dermatitis
- Neurodermitis im Sommer: Wie cremt und pflegt man sich richtig?
- Neurodermitis am Kopf: Was hilft an der Kopfhaut?