Schwere Durchfälle und Erbrechen beim Säugling: Ist es FPIES?
Schwere, blutige Durchfälle, schweres Erbrechen, Apathie – wenn es bei Säuglingen zu solchen Symptomen kommt, ist die Angst der Eltern groß. Der erste Verdacht lautet oft „Infekt“, aber es könnte auch eine seltene Form der Nahrungsmittelallergie dahinterstecken. MeinAllergiePortal sprach mit Dr. Stephan Buderus, Chefarzt Pädiatrie an den GFO Kliniken Bonn, Betriebsstätte St. Marien Bonn-Venusberg über FPIES oder „Food Protein-Induced Enterocolitis Syndrome“ und wann dies die Ursache für schwere Durchfälle und Erbrechen beim Säugling sein könnte.
Autor: Sabine Jossé M. A.
Interviewpartner: Dr. Stephan Buderus
Herr Dr. Buderus, FPIES oder „Food Protein-Induced Enterocolitis Syndrome“ ist eine nicht IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie, was heißt das genau?
Nahrungsmittelallergien sind vielen Menschen als die klassischen Nahrungsmittelallergien bekannt. Die Patienten entwickeln dann nach dem Kontakt mit dem Allergen, zum Beispiel auf Nüsse, innerhalb kürzester Zeit Symptome wie: Brennen im Mund, Durchfälle, Bauchschmerzen oder Luftnot bis hin zum allergischen Schock. Bei diesen IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien kann man das spezifische IgE bestimmen, das heißt, man kann sogenannte CAP-Titer bestimmen, die gegen Erdnuss, Walnuss, Haselnuss etc. positiv sind. Ebenso kann man einen Prick-Test durchführen, bei dem sich bei einer vorhandenen Sensibilisierung eine Quaddel an der Hautstelle bildet, die mit dem Allergen konfrontiert wurde.
Bei den nicht-IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien gibt es wesentliche Unterschiede. Dazu gehört, dass es nicht so einfach ist, sie zu diagnostizieren, denn es gibt keinen Bluttest und auch keinen sicher etablierten Hauttest. Auch das Reaktionsmuster ist bei den nicht-IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien anders, denn die Symptome treten typischerweise erst Stunden nach dem Allergenkontakt auf, in Einzelfällen auch erst nach Tagen. Wir haben es bei den nicht-IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien also mit einem deutlich verzögerten Einsetzen der Reaktion zu tun.
Handelt es sich bei den nicht-IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien um eine Typ-IV-Allergie?
Der Mechanismus, der dahinter steckt, ist eine zelluläre, T-Zell vermittelte, Allergie über bestimmte Entzündungslymphozyten. Das bedeutet, die Mechanismen gehen in Richtung Allergie vom Spättyp, aber man weiß aktuell noch nicht genau, wie der genaue Ablauf der Entzündungsreaktion ist. Erschwerend kommt hinzu, dass bei einem Teil der Patienten bestimmte IgE-Anteile eine Rolle zu spielen scheinen. Aus diesem Grunde sprechen die Tests, die zur Diagnose IgE-vermittelter Allergien eingesetzt werden, bei den nicht-IgE-vermittelten Allergien nicht an – man kann sie also nicht einfach messen.
Weiß man, wie häufig FPIES ist und ob die Zahlen steigen?
Es gibt nur wenige systematische Daten zu FPIES. In einer australischen Arbeit hat man bei einem von 10.000 Kindern unter zwei Jahren FPIES gefunden. Eine israelische Studie hat FPIES bei einem von 300 Kindern entdeckt, also deutlich häufiger.
Offensichtlich ist, dass die Häufigkeit von FPIES von Land zu Land unterschiedlich zu sein scheint. Jedoch stellt sich hierbei auch die Frage, wie gut die Erkrankung diagnostiziert wird. Auch bei uns wird die Erkrankung FPIES aktuell mehr wahrgenommen, als dies früher der Fall war.
Welches sind die Hauptauslöser bei FPIES?
Auch in Bezug auf die Hauptallergene bei FPIES gibt es von Land zu Land Unterschiede.
Bei den Kindern, die wir in Deutschland sehen, wird FPIES überwiegend von Kuhmilch ausgelöst. Wichtig zu wissen ist hierbei, dass diese auch für gestillte Kinder gilt, da auch über die Muttermilch Allergien vermittelt werden.
Auch Soja kann ein auslösendes Allergen für FPIES sein, jedoch viel seltener als in den USA.
Der ansonsten gut verträgliche Reis kann ebenfalls ein Allergen bei FPIES sein. Die meisten Fälle werden aus Australien berichtet, aber auch in unserer Klinik haben wir zwei Kinder, die auf Reis allergisch reagieren. Die üblichen Getreidesorten sind selten die Ursache für FPIES. Wenn doch, ist es interessanterweise der Hafer, der normalerweise ebenfalls als gut verträglich gilt, der FPIES auslösen kann.
Gemüse, Früchte und Fleisch sind eher seltene die Auslöser von FPIES.
Kann man sagen, dass FPIES auf Nahrungsmittel auftritt, die im jeweiligen Land sehr häufig verzehrt werden?
Das ist bei Nahrungsmittelallergien oft der Fall. Womöglich sind es auch bei FPIES die lokalen Speisegewohnheiten, die die auslösenden Allergene bestimmen.
Es gibt aber eine Gemeinsamkeit: In allen Ländern ist es immer die Kuhmilch, durch die es am häufigsten zu FPIES kommt. In der Regel sind ja Säuglinge betroffen, und die werden traditionell mit Milch gefüttert.
Reagieren die Kinder bei FPIES auf ein Allergen oder auf mehrere?
Die Mehrheit der Kinder reagiert auf ein Allergen, selten auf zwei und ganz selten auf drei. Auch hier scheint es jedoch regionale Unterschiede zu geben, denn in den USA gibt es eine große Einrichtung, die von einer erhöhten Rate von Kindern mit FPIES auf zwei und drei Allergene berichten.
Gibt es Risikofaktoren, die die Entstehung von FPIES begünstigen?
Nein, es sind nicht die atopischen Kinder, die mehr als andere FPIES entwickeln. Es kann jeden treffen.
Günstig ist hier jedoch, dass die nicht IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie FPIES eine günstige Prognose hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich FPIES auswächst, ist relativ hoch. Wir können den Eltern also sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass FPIES bis zum dritten Geburtstag verschwunden ist, über alle Allergene betrachtet bei 60 bis 85 Prozent liegt.
Für Kinder, die allein auf Kuhmilch allergisch reagieren, ist diese Zahl sogar höher. Mehr als 50 Prozent der Kuhmilch-allergischen Kinder haben FPIES sogar bereits bis zum ersten Geburtstag verloren.
In welchem Alter tritt FPIES erstmals auf und wie zeigen sich die Symptome?
FPIES kann bereits bei sehr jungen Säuglingen erstmals auftreten. Die Mehrzahl der Kinder ist zwischen drei und neun Monaten alt. Nicht selten kommen die Kinder mit einer akuten Form von FPIES als schwere Notfälle in die Klinik. Sie leiden unter starkem Erbrechen und Durchfällen, die Durchfälle können auch blutig sein. Im schlimmsten Fall kann es zu einer Schocksymptomatik kommen.
Die Symptome von FPIES können leicht mit anderen Erkrankungen verwechselt werden.
Bei einem chronischen Verlauf von FPIES können die Symptome weniger dramatisch ausfallen. Meist handelt es sich um etwas ältere Kinder, die immer wieder, einige Stunden nach der Gabe der Flaschennahrung oder dem Nachtbrei mit Reisflocken, mit Symptomen reagieren. Dazu gehören ebenfalls Erbrechen und Durchfälle. Den Kindern geht es dann sichtbar schlecht und manchmal sind sie dann regelrecht „weggetreten“, erholen sich aber immer wieder. Bei diesen Kindern ist es dann leichter, einen Bezug zwischen Symptomen und Nahrungsaufnahme herzustellen.
Treten bei FPIES die Symptome immer sofort nach dem erstmaligen Allergenkontakt auf?
Nicht unbedingt. Es kann sein, dass die Kinder ein Nahrungsmittel für eine ganze Zeit vertragen und plötzlich zeigen sich Symptome. Auch bei der Umstellung vom Stillen auf die Flaschennahrung kann FPIES erstmals auftreten, denn die die Zusammensetzung des Eiweißes von Muttermilch unterscheidet sich von der der Kuhmilch. Die Ursachen für das plötzliche Auftreten von FPIES kennt man jedoch nicht.
Mit welchen Erkrankungen kann die akute Form von FPIES verwechselt werden?
Die Symptome von FPIES ähneln denen einer schweren Infektion, einer Sepsis oder einem nicht diagnostizierten Herzfehler. Wenn die die Infektionsparameter diese Diagnose aber nicht stützen und das Herz gesund ist, sollte man stutzig werden.
Aber: Gerade bei den jungen Säuglingen wird die Diagnose dadurch erschwert, dass Milch oder Muttermilch ein Nahrungsmittel ist, das auf den ersten Blick nicht zwangsläufig verdächtig ist, diese schweren Symptome auszulösen.
Wie erfolgt die Diagnose von FPIES?
Die Diagnose ist dann gestellt, wenn die Symptome sich nach Unterbrechung der Allergenzufuhr verbessern. In akuten FPIES-Fällen werden die Kinder dann entweder zunächst künstlich ernährt, oder erhalten eine Therapienahrung, wodurch sich ihr Zustand wieder normalisiert. Zur Sicherung der Diagnose sollte dann eine Provokation erfolgen, das heißt ein erneuter Allergenkontakt. Verschlechtert sich der Zustand des Kindes erneut, ist damit auch die Diagnose FPIES gestellt.
Wie sieht die Therapie bei FPIES aus?
Die wesentliche Therapie bei akutem FPIS besteht darin, die Allergenzufuhr umgehend zu unterbrechen. Das gilt für jede allergische Erkrankung. Ist die Kuhmilch der Auslöser für FPIES, dürfen die Kinder keine Milch mehr erhalten.
Kinder, denen es sehr schlecht geht, müssen sogar intensivmedizinisch betreut werden, auch, um einen Flüssigkeitsverlust zu vermeiden. Wenn der Darm deutliche Zeichen einer Entzündung zeigt und die Kinder blutige Durchfälle haben, sollten die Kinder zumindest weitgehend über die Vene ernährt werden, bis die Entzündung abgeklungen ist.
Abhängig von der Schwere der Symptomatik würde man den Zeitraum festlegen für den eine streng allergenfreie Ernährung gelten soll. Das könnte bis zum ersten Geburtstag sein. Bevor man das allergene Nahrungsmittel wieder freigibt, sollte jedoch eine stationäre Reprovokation erfolgen. Das bedeutet, das Kind wird stationär aufgenommen und bekommt das Allergen zu essen. Im Gegensatz zu den oralen Provokationen bei IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien, müssen die Kinder bei einer Provokation aufgrund von FPIES aber länger im Krankenhaus bleiben, da die Reaktionen hier deutlich später einsetzen. Die Nachüberwachung muss mindestens 72 Stunden betragen.
Wie wird die Provokation gehandhabt, wenn ein sehr junger Säugling das Allergen über die Muttermilch zu sich nimmt?
Wenn ein Kind sich über die Muttermilch sensibilisiert hat, ist die Kuhmilch das wahrscheinlichste Allergen. Dann wäre es eine Möglichkeit, dem Kind eine Therapienahrung zu geben. Eine andere Option wäre, dass die Mutter sich ab sofort strikt kuhmilchfrei ernährt, ihre Milch eine Zeit lang abpumpt, um die mit dem Allergen kontaminierte Milch zu entfernen und dann erneut mit dem Stillen beginnt. Auch hier sollte die Diagnose dann durch die Exposition mit einer normalen Säuglingsmilch gesichert werden. Welche Option die bessere ist, muss mit den Familien abgestimmt werden.
Herr Dr. Buderus, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Wichtiger Hinweis
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