Alpha-Gal-Syndrom? Fleischallergie? Symptome & Risiken
Das Alpha-Gal-Syndrom, die Allergie auf Fleisch von Säugetieren, gibt es. Allerdings ist sie unter den Nahrungsmittelallergien ein Exot. Die Diagnose wird in letzter Zeit jedoch häufiger gestellt. Was ist über die Ursachen der Allergie auf Fleisch bekannt, wie zeigen sich die Symptome, wie erfolgt die Diagnose und welche Risiken bestehen? MeinAllergiePortal sprach mit Prof. Dr. med. Uta Jappe, Oberärztin, Leitung Interdisziplinäre Allergieambulanz am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Standort Lübeck und Leiterin der Forschungsgruppe Klinische und Molekulare Allergologie am Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum, über das α-Gal-Syndrom.
Autor: Sabine Jossé M. A.
Interviewpartner: Prof. Dr. med. Uta Jappe
Alpha-Gal-Syndrom: Die wichtigsten Fakten!
▶Das Alpha-Gal-Syndrom ist eine allergisch bedingte Unverträglichkeit von Fleisch
▶Der Stich bestimmter Zeckenspezies gilt als Hauptursache der Sensibilisierung gegen Alpha-Gal
▶Für das Auftreten einer Fleisch Allergie muss keine Zecken-übertragene Infektionskrankheit vorliegen
▶Auch lange nach einem Zeckenstich kann es zu einer Fleisch Allergie kommen
▶Mögliche Symptome beim Alpha-Gal-Syndrom sind zum Beispiel Urtikara, Schwellungen, Durchfall oder Atemwegssymtome
▶Zur Diagnosestellung reicht die Routinediagnostik manchmal nicht aus
▶Besteht eine Allergie auf Fleisch, sollten Säugetier-Fleisch, -Innereien und –Produkte gemieden werden, ebenso gelatinehaltige Produkte und Medikamente
Frau Prof. Jappe, wie viele Menschen in Deutschland leiden an einem Alpha-Gal-Syndrom?
Beim Alpha-Gal-Syndrom handelt es sich um eine „allergisch bedingte Fleischunverträglichkeit“, an der das Immunsystem beteiligt ist, nicht nur um eine „Fleisch-Intoleranz“. Angesichts der Tatsache, dass immer wieder Patienten in die Ambulanz kommen, die eine „diagnostische Odyssee“ hinter sich haben, ist von einer relevanten Dunkelziffer auszugehen.
Gegen welche Arten von Fleisch kann man ein Alpha-Gal-Syndrom entwickeln?
Das Alpha-Gal-Syndrom stellt einen Symptomkomplex dar, im Rahmen dessen Patienten eine Nahrungsmittelallergie gegen Säugetierfleisch und –Innereien sowie selten auch -Milch entwickeln, da hierin der Zucker Galactose-alpha 1,3-Galactose (Alpha-Gal) enthalten ist. Zum Alpha-Gal-Syndrom gehören auch Reaktionen auf Medikamente, die aufgrund ihres Herstellungsprozesses das verantwortliche Alpha-Gal enthalten.
Patienten mit Alpha-Gal-Syndrom vertragen Geflügel und Fisch, da hierin das Alpha-Gal nicht vorkommt.
Inzwischen gilt der Stich bestimmter Zeckenspezies als Hauptursache der Sensibilisierung gegen Alpha-Gal. Damit sind jedoch andere Wege der Exposition und Sensibilisierung keineswegs ausgeschlossen.
Bei welchen Fleischsorten kommt es am häufigsten zu Allergien?
Beim Alpha-Gal-Syndrom gibt es Hinweise, dass die meisten Patienten auf Rindfleisch reagieren. An zweiter Stelle steht Schweinefleisch, gefolgt von Lamm und Rotwild. Und: Es ist durchaus möglich, dass ein Rindfleisch-Allergiker Lamm verträgt. Stärker als auf Fleisch, womit das Muskelfleisch gemeint ist, reagieren Patienten mit alpha-Gal-Syndrom auf Innereien von Säugetieren, da hierin die Allergen-Konzentration deutlich höher als im Muskelfleisch ist.
Im Vergleich zum Alpha-Gal-Syndrom scheint die Protein-basierte Fleischallergie, für die Serumalbumin ein Hauptallergen darstellt, seltener zu sein. Weitere seltene Fleischallergien sind auf Kreuzreaktionen über Serumalbumine beruhende Erkrankungen wie zum Beispiel das Katzen-Schweinefleisch-Syndrom.
Sie sagen, dass eine Fleischallergie durch einen Zeckenstich ausgelöst werden kann. Muss dafür eine Borreliose, also eine Lyme-Krankheit, aufgetreten sein, oder reicht der Zeckenstich allein?
Die Fleischallergie im Sinne des Alpha-Gal-Syndroms tritt auf, ohne dass parallel eine Zecken-übertragene Infektionskrankheit vorliegen muss, das heißt es genügt der Stich bestimmter Zeckenspezies.
Tritt das Alpha-Gal-Syndrom zeitgleich mit dem Zeckenbiss auf oder können sich die Symptome einer Fleisch Allergie auch noch später zeigen?
Wegen der Sensibilisierungsphase tritt das Alpha-Gal-Syndrom mit Verzögerung nach Zeckenstichen auf. Lediglich bei schon bestehendem Alpha-Gal-Syndrom können erneute Zeckenstiche den Schweregrad der Symptome nachteilig beeinflussen. Es ist also durchaus denkbar, dass die Symptome, zum Beispiel nach einer therapierten Borreliose, erstmals auftreten können.
Wie hat man herausgefunden, dass Zecken die Fleischallergie verursachen?
Die Zecke wurde als Mit-Verursacher des α-Gal –Syndroms entdeckt, weil in den USA das Vorkommen der Fälle von Alpha-Gal-Syndrom geographisch deckungsgleich mit dem Endemiegebiet Zecken-übertragbarer Erkrankungen sowie der Spezies Amblyomma americanum war. Genau in dem Verbreitungsgebiet der Zecke war die Inzidenz des Alpha-Gal-Syndroms massiv angestiegen. Darüber hinaus war es bei diesen Patienten zu allergischen Reaktionen auf den Zeckenstich gekommen. Das heißt, diese Zecke hat bei den Patienten tatsächlich Allergien ausgelöst.
Kann nur die Zeckenart Amblyomma americanum eine Fleischallergie auslösen oder ist das auch bei anderen Zecken-Spezies möglich und welche davon gibt es in Deutschland?
Abgesehen von Amblyomma americanum sind weitere mit dem alpha-Gal-Syndrom assoziierte Zecken-Spezies Amblyomma testudinarium und Haemophysalis longicornis, Ixodes holocyclus sowie Ixodes ricinus, und letztere ist in Deutschland endemisch.
Abgesehen von der Zecke, welche anderen Sensibilisierungswege kennt man bei der Fleischallergie?
Bevor man wusste, dass bei bestimmten Formen der Fleischallergie die Zecke eine Rolle spielt, nahm man an, dass die Sensibilisierung durch den Fleischgenuss und damit über den Gastrointestinaltrakt erfolgt. Die Sensibilisierung über den Zeckenstich gilt derzeit als Hauptursache der Sensibilisierung. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass auch andere pathogene Organismen, die das Allergen aufweisen, wie zum Beispiel bestimmte Helminthen, Auslöser einer Alpha-Gal-Sensibilisierung sein können.
Können Babys und Kinder auch von einem Alpha-Gal-Syndrom betroffen sein?
Auch Kinder können unter einem Alpha-Gal-Syndrom leiden. Damit kann selten auch eine Kuhmilchallergie einhergehen, die nicht Protein- sondern Alpha-Gal-basiert ist.
Was bedeutet „genuine“ oder „echte“ Allergie auf Geflügelfleisch?
Bei der Geflügelfleischallergie kann es sein, dass die Sensibilisierung über eine Kreuzreaktion über die Atemwege erfolgt. Das kann zum Beispiel beim Kontakt mit Vögeln bzw. Vogelfedern passieren. Es gibt Patienten, die über ein Vogel-Ei-Syndrom gegen Geflügelfleisch sensibilisiert werden und die dann sowohl auf Geflügelfleisch als auch auf Eier mit allergischen Symptomen reagieren. Diese Art von Kreuzallergie auf Fleisch scheint jedoch insgesamt sehr, sehr selten zu sein. Auch die Geflügelfleischallergie ist eher selten.
Welche Faktoren spielen bei der Entwicklung einer Geflügelfleischallergie bzw. einer Allergie auf „rotes“ Fleisch eine Rolle?
Eine Geflügelfleischallergie entwickelt sich mit zunehmender Exposition, das heißt, je öfter man mit dem Fleischallergen in Kontakt kommt, desto eher kommt es zur Allergie. Die Voraussetzung ist, dass bereits eine gewisse Disposition bzw. Bereitschaft besteht, Allergien zu entwickeln.
Beim α -Gal-Syndrom ist der wichtigste Risikofaktor wiederholte Zeckenstiche. Ob sich vorbestehende Allergien begünstigend auf die Entwicklung einer Fleischallergie auswirken, ist nicht bekannt. So scheint zum Beispiel das Vorliegen einer Atopischen Dermatitis kein Risiko-Faktor für die Entwicklung eines Alpha-Gal-Syndroms zu sein. Bei einigen meiner Patienten liegen neben dem α-Gal-Syndrom keine weiteren Allergien vor.
Reagieren Betroffene mit einem α-Gal-Syndrom auch auf Milchprodukte? Gibt es abseits von Fleisch weitere Lebensmittel, die Galactose-α 1,3-Galactose enthalten?
Patienten mit Alpha-Gal-Syndrom, insbesondere Kinder, selten aber auch Erwachsene, reagieren auf Kuhmilch und Milchprodukte. Abgesehen davon kann es Reaktionen auf Gelatine bzw. Gelatine-haltige Produkte geben.
Wie äußern sich die Alpha-Gal-Symptome bzw. die der Fleischallergie auf rotes Fleisch?
Die Patienten mit Alpha-Gal-Syndrom reagieren interindividuell sehr unterschiedlich. Die häufigste Manifestation scheinen Nesselsucht und Gesichtsschwellung - Angioödem - zu sein. Anzeichen einer Alpha-Gal-assoziierten Fleischallergie können sich aber auch am Magen-Darm-Trakt, zum Beispiel durch Durchfall, entwickeln. Dabei kann es sich um zusätzlich zu vorbestehenden Hautsymptomen auftretende Magen-Darm-Symptome handeln, die sich im Sinne einer Crescendo-Reaktion entwickeln, wenn das Allergen nicht gemieden wird. Es gibt aber auch die alleinige Manifestation am Gastrointestinaltrakt. Manche Patienten reagieren auch mit zusätzlichen Symptomen an den Atemwegen.
Wie schnell nach dem Verzehr von Fleisch kommt es bei der Fleischallergie zu Symptomen?
Das Besondere beim α -Gal-Syndrom ist, dass die Symptome erst mit einer Verzögerung zwischen 3 bis 6 bis zu 18 Stunden nach dem Genuss von rotem Fleisch oder Innereien auftreten können. Es kann deshalb zu einer verzögerten Anaphylaxie kommen. Die Patienten klagen dann über Angioödeme und schwere Urtikaria – seltener über Magen-Darm-Beschwerden- und bringen diese Symptome zunächst oft nicht mit dem Fleischverzehr in Verbindung. Wird Alpha-Gal in hohen Konzentrationen verzehrt, was zum Beispiel bei Genuss von Innereien der Fall ist, kann die Reaktion früher einsetzen.
Was passiert, wenn man nicht merkt, dass man eine Fleischallergie hat und weiter Fleisch isst?
Wenn diese Patienten weiterhin Fleisch konsumieren, weil sie ja nicht wissen können, dass sie darauf allergisch sind, kann es zu einer Progredienz kommen. Das heißt, es kommt zu einem Fortschreiten der Symptomatik. Einer meiner Patienten hat aus diesem Grunde weitere Symptome wie Magen-Darm-Beschwerden mit Diarrhoen, Magenkrämpfen und schließlich auch Dyspnoe, das heißt Atemnot, entwickelt. Es kann also zu einer Aggravation, das heißt zu einer Verschlimmerung, der Symptomatik mit Multiorganbeteiligung kommen. Dann ist der gesamte Körper vom Alpha-Gal-Syndrom betroffen.
Wie erkennt man, dass es sich um eine Fleischallergie handelt?
Es ist tatsächlich oft weder für den Patienten noch für den behandelnden Notarzt erkenntlich, wo das Allergen zu suchen ist.
Klassische Fälle sind die Patienten, die nachts bzw. in den frühen Morgenstunden mit einer Anaphylaxie aufwachen und den Notarzt rufen müssen. Wenn sich auf Befragung durch den Notarzt dann herausstellt, dass der Patient weder von einem Insekt gestochen wurde noch ein neues Medikament genommen hat, spricht dies zunächst scheinbar gegen eine Allergie. Inzwischen sind die Allergologen jedoch für das Phänomen der verzögerten Anaphylaxie sensibilisiert und denken daran, den Patienten zum Genuss von Fleisch oder Innereien zu befragen und einen IgE-Test auf α-Gal-haltige Analyten zu machen.
Ist es denn für den Notarzt überhaupt erkennbar, dass es sich bei dem Patienten um eine verzögerte Anaphylaxie auf Fleisch handelt?
Aufgrund der Symptomatik und des Zeitpunkts des Auftretens der Beschwerden in der Nacht, ist eine Anaphylaxie für den Notarzt durchaus erkennbar.
Die meisten Patienten zeigen bei einer verzögerten Anaphylaxie auf Fleisch die folgenden Symptome:
- Schwellungen/Angioödeme des Gesichtes
- Schwellungen/Angioödeme der Lippen
- Schwellungen/Angioödeme der Augenlider
- Juckende Quaddeln (Urtikaria/Nesselsucht)
- Atemgeräusche
- Kreislaufprobleme
- Magen-Darm-Beschwerden
Dann liegt der Verdacht auf Anaphylaxie nahe. Die Schwierigkeit besteht aber darin, dass die auslösende Substanz nicht erfragbar ist.
Was passiert nach dem anaphylaktischen Schock auf Fleisch? Was sollten Patienten wissen?
Es besteht durchaus das Risiko, dass das auslösende Fleisch-Allergen auch im Nachhinein unbekannt bleibt. Wenn die Ursache im Anschluss an den Notfall nicht ermittelt wird, besteht für den Patienten ein hohes Risiko, dass es zu weiteren allergischen Schocks kommt. Es gibt hier also eine möglicherweise hohe Dunkelziffer. Die Zahlen des Anaphylaxie-Registers in Berlin zeigen, dass es immer noch eine sehr hohe Anzahl von Patienten gibt, die eine Anaphylaxie hatten, vom Notarzt behandelt wurden, dann aber nicht den Weg zum Allergologen zur Abklärung finden. Unabhängig davon, ob die Anaphylaxie durch das Alpha-Gal-Syndrom oder andere Allergene hervorgerufen wurde, ist dies aber ungeheuer wichtig. Deshalb kommunizieren wir auch den Notärzten, den Patienten unbedingt eine allergologische Abklärung zu empfehlen.
Hinzu kommt bei der α-Gal-assoziierten Fleischallergie, dass sie zum Teil dosisabhängig ist und dass es noch weitere Faktoren gibt, die eine Fleischallergie überschwellig werden lassen.
Welche weiteren Faktoren können bei der Fleischallergie das Auftreten allergischer Reaktionen begünstigen?
Zum einen ist die aufgenommene Fleischmenge ein Faktor. Bei Provokationen beobachten wir das immer wieder. Viele Patienten reagieren erst ab einer gewissen, individuell unterschiedlichen Fleischmenge auf das α-Gal-Allergen mit Symptomen. Die Patienten schildern auch immer wieder, dass sie in der Regel Fleisch vertragen und dass sich nur manchmal Symptome zeigen. Auch die für andere Nahrungsmittelallergien bekannten verstärkenden Faktoren wie Belastung, die gleichzeitige Einnahme von, zum Beispiel bestimmten Schmerzmitteln, spielen für das Alpha-Gal-Syndrom eine Rolle.
Ein weiterer Faktor ist, dass die Patienten unterschiedlich sensibilisiert sind. α-Gal ist nicht gleich α-Gal. Dieses Phänomen ist auch bei anderen Nahrungsmittelallergenen bekannt, aber beim α-Gal Syndrom scheint es unterschiedliche Konstellationen zu geben.
Welche Rolle spielt bei der Fleischallergie die Zubereitung des Fleisches?
Wenn das Fleisch sehr fett zubereitet wird oder das Fleisch selbst viel Fett enthält, scheint dies das das Auftreten von Allergie-Symptomen zu begünstigen. Das ist zum Beispiel bei Spare Ribs, die viel Rinderfett enthalten, der Fall. Reines Muskelfleisch, zum Beispiel in Form eines Steaks, enthält nur sehr wenig Fett und ist damit verträglicher. Das Fett spielt bei der Resorption dieses Allergens eine wichtige Rolle.
Das müsste die Diagnose einer Fleischallergie noch schwieriger machen…
Für die Patienten wird es durch diese Faktoren sehr schwierig, dem fragenden Allergologen das mögliche auslösende Agens zu nennen. Der Patient wird immer sagen: „Ich habe doch nichts Neues gegessen, Fleisch verzehre ich doch schon immer“. Als Allergologe muss man hier in der Anamnese genau nachfragen, zum Beispiel: „Wie essen Sie normalerweise Fleisch, und in welcher Zubereitungsform haben Sie es im Vorfeld der allergischen Reaktion in der Nacht verzehrt?“
Ebenso konnten wir sehen, dass insbesondere Innereien ein häufiger Auslöser allergischer Reaktionen bei Fleischallergikern sind.
Wie verhält es sich mit geräuchertem oder rohem Fleisch aus, hat dies einen Einfluss auf das Auftreten einer allergischen Reaktion?
Nach derzeitigen Stand scheint das Allergen temperaturstabil zu sein.
Warum sind Innereien ein häufiger Auslöser allergischer Reaktionen bei Menschen mit Alpha-Gal-Syndrom?
Hier im Forschungszentrum Borstel haben wir bewiesen, dass Nierchen im Vergleich zu Muskelfleisch deutlich mehr α-Gal enthalten. Das bedeutet, die Patienten nehmen mit Schweinenieren eine deutlich höhere α-Gal-Konzentration zu sich, als bei einer Mahlzeit, die aus reinem Muskelfleisch besteht. Dies scheint ebenso für Leber und andere Innereien der Fall zu sein. Deshalb ist die Frage „Haben Sie Innereien oder Produkte, die Innereinen enthalten, wie zum Beispiel Leber, Nierchen, Würste, etc. verzehrt?“ ein wichtiger Teil der Anamnese.
Bei anaphylaktischen Reaktionen können auch Faktoren wie physische Anstrengung, Infekte etc. eine Rolle spielen, gilt dies auch für Anaphylaxien bei Fleischallergikern?
Auch bei der Fleischallergie ist körperliche Belastung mit einer schneller einsetzenden Reaktion auf α-Gal-haltiges Fleisch assoziiert.
Kann man sagen, wann es beim α-Gal-Syndrom zu einer schnellen und wann zu einer verzögerten Reaktion kommt?
Ob es zu einer schnellen oder einer verzögerten Reaktion kommt, hängt von der Konzentration des α-Gal ab. Man hat beobachtet, dass es bei Patienten, die Nierchen verzehrt haben, sehr schnell zu einer Soforttyp-Reaktion kommt und nicht erst nach 12 Stunden. Deshalb vermutet man hier eine Dosisabhängigkeit.
Wie erfolgt die Diagnose einer Fleischallergie, gibt es einen Fleischallergie-Bluttest oder eine spezielle α-Gal-Syndrom Diagnostik?
Die Diagnose erfolgt über eine ausführliche Befragung des Patienten und über Bluttestungen. Wir nutzen im FZ-Borstel zur Diagnose unserer Patienten einen Spezialtest, der mehrere α-Gal-haltige Proteine enthält. Zuvor hatten wir gesehen, dass Patienten mit einer ganz klaren Anamnese für das Alpha-Gal Syndrom in den zur Verfügung stehenden Routinetests nicht immer positiv sind. Mit unserem Multianalyte Assay erfassen wir deshalb Patienten, die mit der Routinediagnostik manchmal nicht erfassbar sind. Bei unklaren Fällen würde man eine orale Provokation mit Fleisch unter stationären Bedingungen durchführen.
Wie sieht die Therapie bei dem Alpha-Gal-Syndrom aus?
Die Therapie besteht in der Meidung von Säugetier-Fleisch, -Innereien und –Produkten.
Aufgrund der Kreuzreaktibilität zu Gelatine sollten auch gelatinehaltige Produkte wie Gummibärchen, Puddings, Joghurtzubereitungen, Konserven etc. gemieden werden. Dabei ist zu beachten, dass Gelatine auch in Produkten enthalten sein kann, bei denen man dies nicht erwartet. Es gilt also, die Zutatenlisten zu lesen.
Dies gilt ebenso für Medikamente, die ebenfalls Gelatine enthalten können, wie Tabletten Kapseln, Zäpfchen, Infusionen und einige Impfstoffe. Auch tierische Herzklappen können Gelatine enthalten. Dies sollte auch im Allergiepass vermerkt werden.
Ist eine Fleischallergie heilbar, oder gibt es Tabletten, die man vor dem Fleischverzehr einnehmen kann?
Einige Patienten schildern, dass sie nach und nach wieder Säugetierfleisch und –Produkte vertragen, nach erneuten Zeckenstiche diese beginnende Toleranz aber wieder verlieren. Somit gibt es Hinweise auf eine natürliche Toleranzentwicklung.
Eine vorbeugende Tablettentherapie, zum Beispiel mit Antihistaminika, empfiehlt sich nicht, da diese bis zu einem gewissen Grad eine beginnende anaphylaktische Reaktion verschleiern kann. Patienten mit Alpha-Gal-Anaphylaxie sollten, insbesondere, wenn weitere Risikofaktoren vorliegen, wie zum Beispiel Asthma bronchiale, ein Notfallset mit sich führen.
Ist die Corona-Impfung ein Risiko für Fleischallergiker?
Die derzeit zugelassenen Impfstoffe weisen kein alpha-Gal auf gemäß ihrem Herstellungsprozess (Stand November 2022).
Frau Prof. Jappe, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Quellen:
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Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: S. Jossé/ U. Jappe, www.mein-allergie-portal.com
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