Geflügelfleisch Allergie: Primär oder sekundär?
Tatsächlich ist es möglich, eine Geflügelfleisch Allergie, die Patienten sagen oft „Hähnchen Unverträglichkeit“ zu entwickeln. Zu einer Sensibilisierung auf Geflügel kann es auf unterschiedlichen Wegen kommen. Was ist der Unterschied zwischen einer primären und einer sekundären Geflügelfleischallergie? Welche Rolle spielt das Vogel-Ei-Syndrom? MeinAllergiePortal sprach mit Prof. Dr. med. habil. Bettina Wedi, Oberärztin und Leitung Dermatologische Tagesklinik, Allergologie, Labor Dermatologie/Allergologie und Vorsitzende des Comprehensive Allergy Center an der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie der Medizinischen Hochschule Hannover.
Autor: Sabine Jossé M.A.
Interviewpartner: Prof. Dr. med. habil. Bettina Wedi
Frau Prof. Wedi, was ist eine Geflügelfleisch-Allergie und welche Formen gibt es?
Bei der Geflügelfleischallergie gibt es zwei unterschiedliche Allergie-Formen, eine primäre und eine sekundäre Form.
Weiß man heute, wie häufig eine Allergie auf Geflügelfleisch ist?
Es handelt sich um eine sehr seltene Nahrungsmittelallergie, obwohl der weltweite Konsum von Geflügelfleisch in den letzten 50 Jahren stark angestiegen ist. Belastbare Daten zur Häufigkeit stehen allerdings nicht zur Verfügung. Weltweit sind seit 1997 etwa 50 Fälle beschrieben worden.
Was ist eine primäre Geflügelfleisch Allergie?
Bei der primären Geflügelfleischallergie besteht eine echte Nahrungsmittelallergie vom Typ I auf ein Protein im Geflügelfleisch. Das Majorallergen beim Geflügel wurde im Jahr 2020 als Gallus domesticus, Gal d 7., identifiziert, stammt aus dem Skelettmuskel und ist hitzestabil. Diese Form der Geflügelfleischallergie betrifft meist Jugendliche bzw. junge Erwachsene. Die Sensibilisierung erfolgt über die Nahrungsaufnahme, das heißt, die Betroffenen kommen durch das Essen von Hähnchen bzw. Hähnchen-haltigen Produkten mit dem Gal d 7 in Berührung. Eine Reaktion auf Federn oder Kot von Vögeln findet man bei diesen primären Geflügelfleischallergikern nicht. Interessanterweise findet sich aber bei diesen Gefügelfleisch-Allergikern teilweise eine Sensibilisierung bzw. eine klinisch manifeste Allergie gegen Fisch. Dann handelt es sich um ein Fisch-Vogel-Syndrom, englisch „fish-chicken-syndrome“.
Was ist eine sekundäre Geflügelfleisch Allergie?
Bei der sekundären Geflügelfleischallergie handelt es sich um eine Kreuzreaktion, die im Zusammenhang mit einem Vogel-Ei-Syndrom auftritt. Die Sensibilisierung kann hier entweder über die Atemwege durch den ständigen Kontakt mit den Federn und den Exkrementen von Vögeln erfolgen oder durch den Verzehr von Hühnereiern ausgelöst werden. Das hitzelabile Majorallergen wurde als Hühner-Serumalbumin (Gal d 5) identifiziert.
Kann die sekundäre Geflügelfleischallergie plötzlich auftreten? Gibt es Risikofaktoren?
Grundsätzlich kann eine sekundäre Geflügelfleischallergie plötzlich auftreten, da eine inhalative Sensibilisierung gegenüber dem Hühner-Serumalbumin auch klinisch stumm, also unbemerkt, verlaufen kann. Die meisten Patienten haben aber erstmal allergische Symptome im Bereich der Atemwege bei Kontakt zu Vogelfedern oder –exkrementen. Nur ein Teil davon entwickelt im weiteren Verlauf dann auch - meist milde - Symptome beim Verzehr von nicht vollständig erhitztem Ei, das heißt „weichem Ei“, oder Geflügelfleisch.
Wo befindet sich das Allergen Gal d 5 und wie genau kommt es zu einer Sensibilisierung auf Hähnchenfleisch?
Gal d 5 gehört zu den Serumalbuminen. Es findet sich in Vogelfedern und Vogelkot, im Geflügelfleisch und in Eiern, insbesondere im Eigelb. Allerdings unterscheiden sich die Sensibilisierungswege der primären Geflügelfleischallergie von denen des Vogel-Ei-Syndroms.
Bei der primären Geflügelfleischallergie erfolgt die Sensibilisierung in der Regel über den Magen-Darm-Trakt durch das Geflügelallergen in der Nahrung. Es muss keine Eiallergie vorliegen, damit Kinder oder Jugendliche eine Allergie auf Geflügelfleisch entwickeln.
Bei der sekundären Geflügelfleischallergie, die auf einem Vogel-Ei-Syndrom beruht, erfolgt die primäre Sensibilisierung über die Atemwege oder über den Gastrointestinaltrakt. Gefährdet sind beispielsweise Hobbyvogelzüchter oder Mitarbeiter von Geflügelfarmen, die das Allergen einatmen.
Bei Kindern mit einer sekundären Geflügelfleischallergie erfolgt die Sensibilisierung eher über die Nahrung, durch Speisen, die Geflügelfleisch enthalten. Es kann aber auch zu einer primären Sensibilisierung auf Eigelb kommen. Es handelt sich bei der sekundären Geflügelfleischallergie also um eine Kreuzallergie.
Wie sehen die Symptome einer Geflügel-Unverträglichkeit aus bei einer primären Allergie auf Geflügelfleisch aus?
Bei einer primären Geflügelfleischallergie kann es nach dem Verzehr von Geflügelfleisch innerhalb von 30 Minuten zu allergischen Reaktionen kommen, auch wenn dieses gut durchgegart ist.
Zu den Symptomen einer allergischen Reaktion auf Geflügelfleisch gehören:
- Ein orales Allergiesyndrom (OAS)
- Übelkeit
- Erbrechen
- Durchfälle
- Urtikaria bzw. Ausschlag an der Haut
- Angioödeme
- Atemwegsbeschwerden
- Anaphylaktischen Reaktionen
Die anaphylaktischen Reaktionen sind allerdings in der Regel nicht sehr stark ausgeprägt. Zu allergischen Reaktionen kann es bei Menschen mit Geflügelallergie bereits kommen, wenn sie beim Zubereiten von Geflügel dem Küchendunst ausgesetzt sind.
Auf welche Arten von Geflügelfleisch kann man allergisch sein?
Insbesondere auf die folgenden Geflügelsorten kann bei Menschen mit einer primären Geflügelfleischallergie Allergiesymptome auftreten:
- Hühnerfleisch
- Truthahnfleisch/Putenfleisch
Aber auch andere Geflügel können allergische Reaktionen hervorrufen auslösen, wie:
- Ente
- Gans
- Wachtel
- Fasan
Außerdem ist zu beachten, dass Geflügelfleisch auch in zahlreichen Fertigprodukten Verwendung findet, zum Beispiel in Wurstwaren, Fertiggerichten oder Tütensuppen und nicht immer ordnungsgemäß deklariert wird.
Selten liegt ein Fisch-Vogel-Syndrom vor, dann kommt es neben allergischen Symptomen auf Geflügelfleisch auch zu allergischen Symptomen auf Fisch. Hier ist ein Parvalbumin als Allergen kreuzreaktiv, dasGal d 8.
Und an welchen Symptomen erkennt man die sekundäre Allergie auf Geflügelfleisch?
Die Symptome der sekundären Geflügelfleischallergie, die auf einem Vogel-Ei-Syndrom beruht, sind denen der primären Geflügelfleischallergie sehr ähnlich. Allerdings reagieren die Patienten hier nicht auf das Geflügelfleisch, sondern auf die Geflügeleier. So kann es nach dem Verzehr von rohen oder halbgaren Eiern oder Eierspeisen ebenfalls zum oralen Allergiesyndrom kommen. Auch gastrointestinale Symptome, Asthma, oder Hautsymptome wie Urtikaria und Angioödeme sind nach Eigelbkonsum möglich. Essen die Betroffenen jedoch durchgebackene Eier oder Eierspeisen, kommt es zu keinerlei Beschwerden, da das Allergen die Allergenität durch Hitze verliert.
Das heißt, allergische Symptome auf Hähnchenfleisch oder anderes Geflügel treten bei der sekundären Geflügelfleischallergie nicht auf?
Durch den Verzehr von Geflügelfleisch oder Produkten, die Geflügelfleisch enthalten, kommt nur selten zu allergischen Symptomen bei Geflügelfleischallergikern. Das liegt daran, dass Geflügelfleisch und Produkte daraus in der Regel sehr gut durchgegart serviert werden, so dass das Allergen seine Allergenität verliert. Kommt es dennoch zu einem Verzehr von halbrohem Geflügelfleisch kann es zu systemischen Reaktionen kommen. Es kann jedoch auch zu Allergiesymptomen an der Haut kommen, wenn die Patienten rohes Geflügelfleisch anfassen. Möglich sind Rötungen, Urtikaria und Juckreiz.
Wie erfolgt die Diagnose bei der primären und sekundären Geflügelfleischallergie?
Mit Hilfe von Anamnese und einem Prick-Test mit kommerziell erhältlichen Lösungen kann die Diagnose Geflügelfleisch Allergie gestellt werden. Am besten wird auch ein Prick-zu-Prick-Test mit frischem Geflügelfleisch und Ei, roh und gekocht, durchgeführt. Auch durch einen IgE-Test wird die Diagnose einer „Hähnchenallergie“ gestellt. Leider stehen die rekombinanten Majorallergene Gal d 5 und Gal d 7 derzeit noch nicht für die Routinediagnostik zur Abgrenzung primärer und sekundärer Geflügelfleischallergie zur Verfügung. Bei Verdacht auf primäre Geflügelfleischallergie sollte gegebenenfalls auch eine Sensibilisierung gegenüber Fisch ausgeschlossen werden.
Bei der sekundären Geflügelfleischallergie, also beim Vogel-Ei-Syndrom, findet man sowohl beim Prick-Test als auch beim IgE-Test eine allergische Reaktion auf Vogelfedern, Eigelb und Geflügelfleisch.
Was hilft bei einer einer primären und sekundären Geflügelfleischallergie?
Therapeutisch bleibt nur die Karenz. Das bedeutet, man muss das Fleisch von Geflügel oder Vogeleier vermeiden.
Das bedeutet, dass bei primärer Geflügelfleischallergie alle Geflügelsorten gemieden werden müssen. Besteht ein Fisch-Vogel-Syndrom, darf auch Fisch nicht gegessen werden. Der Verzehr von Ei sowie der Kontakt zu Vögeln sind aber unproblematisch.
Bei sekundärer Geflügelfleischallergie oder auch Vogel-Ei-Syndrom dagegen, sollten halbgares Geflügelfleisch und rohes sowie halbgares Ei gemieden werden. Aufgrund der Zerstörung des Allergens durch Erhitzen ist der Verzehr von ausreichend gekochtem bzw. gegartem Geflügelfleisch bzw. Ei meist unproblematisch. Allerdings sollte die Vogelhaltung aufgegeben werden.
Patienten mit starken klinischen Reaktionen sollten gegebenenfalls mit Notfallmedikamenten ausgestattet werden, falls es unabsichtlich zu einer Aufnahme der symptomauslösenden Nahrungsmittel kommt.
Im Gegensatz zu einer Hühnereiallergie im frühen Kindesalter, die meist bis zum Schulalter wieder verschwunden ist, scheinen primäre und sekundäre Geflügelfleischallergie bzw. das Vogel-Ei-Syndrom lebenslang anzuhalten.
Darf man bei einer Hühnereiweißallergie Hühnerfleisch essen?
In der Regel ist das unproblematisch. Es gibt nur sehr wenige Hühnereiallergiker, die auf Geflügelfleisch reagieren.
Bei einer Hühnereiallergie (meist auf Eiklar, aber auch auf Eigelb möglich), die häufig bereits im frühen Kindesalter beginnt und meistens bis zum Schulalter spontan wieder verschwindet, ist das Majorallergen Ovomukoid (Gal d 1, hitzestabil) im Eiweiß, seltener Ovalbumin (Gal d 2, hitzelabil) im Eiweiß ursächlich. Beide Allergene kommen in Geflügelfleisch nicht vor.
Frau Prof. Wedi, herzlichen Dank für dieses Interview!
Quellen:
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- Recke A, Hilger C, Kuehn A.Nahrungsmittelallergie mit Kreuzreaktivität zwischen Hühnerfleisch und Fisch. 2021; 44: 596-602. doi: 10.5414/ALX02211.
Wieczorek D, Kapp A, Wedi B. Seltene Nahrungsmittelallergien: mit IgE auf Kurs kommen. Allergologie 2018; 41: 290-296.
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: S. Jossé/B. Wedi, www.mein-allergie-portal.com
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