Mikrobiom, Darmflora, Darmbakterien: Was ist das?
Mit dem Mikrobiom des Darmes, umgangssprachlich auch als „Darmflora“ bezeichnet, beschäftigten sich in den letzten Jahren zahlreiche Forschungsvorhaben. Man weiß deshalb mittlerweile eine ganze Menge über die Mikroben, die im Darm leben. Vieles ist aber auch noch unerforscht. Hier erklären wir, was über das Darmmikrobiom bekannt ist.
Autor: Prof. Dr. med. Martin Storr
Mikrobiom: Was ist das?
Der Begriff Mikrobiom oder Mikrobiota bezeichnet die Gesamtheit aller Mikroben eines Lebensraums, also alle den menschlichen Darm besiedelnden Mikroorganismen. Im engeren, wissenschaftlichen Sinn wird damit die Gesamtheit aller mikrobiellen Gene des entsprechenden Lebensraums bezeichnet.
Darmflora und Immunsystem
Was in den Körper gelangen darf und wogegen er sich schützen sollte, regelt die Darmbarriere. Aus diesem Grund spielt die Darmflora, die ein Bestandteil der Darmbarriere ist, eine wichtige Rolle in Bezug auf unser Immunsystem. Das Mikrobiom beeinflusst an der Darmbarriere Prozesse unseres Körpers, wie das Immunsystem. Im Darm werden von den Mikroben beispielsweise Fettsäuren produziert, welche wiederum wichtig für die Aktivierung von speziellen Immunzellen wie den regulatorischen T-Zellen sind. Diese Zellen können beispielsweise in bestimmten Situationen das Immunsystem unterdrücken. Auch hat das Mikrobiom großen Einfluss auf Gallensäuren, welche ebenso einen Einfluss auf das Immunsystem haben.
Was ist eine Dysbiose?
Unter einer Dysbiose verstehen wir Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmflora, wie sie zum Beispiel bei einem Leaky Gut - einem „löchrigen Darm“ - auftreten. Es kommt dann zu Abweichungen in der Bakterienvielfalt. Die Symptome einer Dysbiose können wie folgt aussehen:
- Blähungen
- Bauchschmerzen
- Unwohlsein
- Übelkeit
- Erbrechen
Mittlerweile weiß man, dass sich eine Dysbiose schwächend auf das Immunsystem auswirken kann, so wie es beim Leaky Gut auftritt. Auch scheint eine geringere Bakterienvielfalt mit bestimmten Erkrankungen einherzugehen. Dazu gehören zum Beispiel Allergien, chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) oder Adipositas. Besteht im Gegensatz dazu eine ausgewogene Bakterienvielfalt im Darmspricht man von einer Eubiose.
Das Mikrobiom des Darmes beim Reizdarmsyndrom
Man geht davon aus, dass auch beim Reizdarmsyndrom (RDS) ein Zusammenhang mit einem nicht optimalen Mikrobiom des Darms besteht. Festgestellt wurde bereits, dass Patienten mit einem Reizdarmsyndrom eine andere Bakterien-Zusammensetzung des Mikrobioms aufweisen als Gesunde. Dabei scheinen sich bestimmte Bakterienstämme besonders stark zu vermehren. Unklar ist, ob das veränderte Mikrobiom die Ursache des RDS oder dessen Folge ist.
Das Mikrobiom der Haut bei Neurodermitis
Nicht nur im Darm, auch auf der Haut gibt es ein Mikrobiom. Ist das Mikrobiom der Haut gestört, schwächt dies die Hautbarriere und es besteht eine höhere Anfälligkeit für bakterielle Infektionen der Haut. Wie beim Mikrobiom des Darmes spricht man auch bei der Haut von einer Dysbiose des Hautmikrobioms. Bei Neurodermitis-Patienten hat man ein Ungleichgewicht der Bakterienvielfalt auf der Haut nachgewiesen. Im Vergleich zu Gesunden zeigen Neurodermitiker eine veränderte und weniger vielfältige, bakterielle Besiedlung der Haut. Wieso das so ist, ist noch nicht bekannt.
Das Mikrobiom der Lunge bei Asthma
Man ging früher davon aus, dass die Lunge quasi steril sei. Heute weiß man, dass sie von bakteriellen, viralen und anderen Mikroben besiedelt ist. Das bedeutet, es gibt ein Mikrobiom der Lunge. Im Vergleich zum Mikrobiom des Darmes ist das Lungenmikrobiom weitaus weniger gut erforscht. Fest steht jedoch, dass ein intaktes Mikrobiom der Lunge das Immunsystem unterstützen und vor Infektionen schützen kann. Bekannt ist, dass es auch hier einen Zusammenhang zwischen bestimmten Erkrankungen und einem veränderten Lungenmikrobiom gibt. Zum Beispiel kommen bei Patienten mit zystischer Fibrose einzelne Keime im Vergleich zu Gesunden vermehrt vor. Auch beim Mikrobiom der Lunge kann es also zu einem Ungleichgewicht kommen. Auch beim Asthma gibt es Hinweise auf eine veränderte Zusammensetzung des Mikrobioms. Routineuntersuchungen zum Lungenmikrobiom gibt es im Moment noch keine.
Mikrobiom und Allergien: Was ist bekannt?
Allergische Erkrankungen werden möglicherweise durch eine gestörte Darmflora begünstigt wissenschaftlich anerkannt sind solche Konzepte aber noch nicht. Bei Kindern mit Allergien wie Asthma oder Nahrungsmittelallergien, konnte in Studien eine sogenannte „Dysbiose“ des Mikrobioms, hauptsächlich im Darm, nachgewiesen werden, es ist aber völlig unklar ob dies miteinander zu tun hat. Dabei unterschied sich sowohl die Art der Bakterien als auch deren Mengenverhältnis vom Bakterienprofil gesunder Kinder. Nach aktuellem Kenntnisstand ist dies im Wesentlichen auf die unterschiedliche Ernährung zurückzuführen.
Welche Bakterien sind im Mikrobiom von Allergikern auffällig?
In den unterschiedlichsten Studien sind für Allergiker Dysbiosen der Mikrobiota beschrieben. So findet man bei Allergikern zum Beispiel erhöhte Mengen an Actinobacteria und Firmicutes und erniedrigte Anteile an Bacteroidetes. Wieso dass so ist, ist unklar, es könnte am ehesten an den Medikamenten liegen, die Menschen mit Allergien einnehmen.
Mikrobiom und Art der Geburt
Der Grundstein für ein gesundes Mikrobiom wird bereits bei der Geburt gelegt, wenn nicht sogar noch früher. Während der Geburt siedeln sich Mikroorganismen in dem bis dahin noch sterilen Darm des Kindes an. Dabei spielt auch die der Art der Geburt eine Rolle. Bei einer natürlichen Geburt beginnt die Besiedlung des Darmes mit den mütterlichen Keimen bereits während des Geburtsvorgangs. Bei durch Kaiserschnitt zur Welt gekommenen Kindern bildet sich hingegen zunächst eine Darmflora mit einer anderen Zusammensetzung, die sich aber im Verlauf der Zeit an die Flora von nicht Sectio-Kindern angleicht.
Mikrobiom und Stillen
Auch das Stillen, wie jeglicher Ernährungsumstand, hat einen Einfluss auf die Entwicklung des Mikrobioms. Das Immunsystem wird von der Darmflora mitgeprägt. Ein Zusammenhang zwischen Mikrobiom und der Neigung zu allergischen Erkrankungen wird oftmals diskutiert, wissenschaftlich belegt ist ein solcher Zusammenhang aber nicht.
Mikrobiom und Adipositas - Übergewicht
Adipositas bzw. Übergewicht ist eine weitere Erkrankung, bei der man einen Zusammenhang mit dem Mikrobiom des Darmes vermutet. Studien haben gezeigt, dass eine verminderte Menge und geringere Vielfalt an Mikroorganismen mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht einhergehen. Dies liegt vor allem daran, dass Menschen mit Übergewicht an einer Fehlernährung leiden, die sich ungünstig auf das Mikrobiom auswirkt. Oftmals wird dargestellt, dass das Mikrobiom alleine großen Einfluss auf das Körpergewicht hätte und man alleine wegen eines ungünstigen Mikrobioms an Gewicht zulegt. Dies hat sich wissenschaftlich nicht bewahrheitet, vielmehr ist Übergewicht eine Konsequenz aus zu hoher Energieaufnahme mit mangelnder Bewegung. Darunter leidet dann auch das Mikrobiom. Das Märchen, dass Menschen nur wegen eines ungünstigen Mikrobioms an Gewicht zunehmen verkauft zwar Bücher, ist aber wissenschaftlicher Unfug.
Mikrobiom und Ernährung
Streng wissenschaftlich kann man nicht behaupten, dass es eine Mikrobiom-gerechte Ernährung gibt. Es gibt aber Hinweise in Form von Studien, die gezeigt haben, dass eine vorwiegend auf Fast Food basierende Ernährung, also eine fett-, kohlenhydratreiche Kost und Zucker in prozessierter Form, die Mikroorganismen- und Bakterienvielfalt innerhalb des Mikrobioms reduziert und die Menschen dick werden lässt. Dies war übrigens schon vor dem Mikrobiom-Hype bekannt. Über eine auf Fett und Kohlenhydrate reduzierte Ernährung gewinnen die darauf spezialisierten Organismen die Überhand und verdrängen andere Mitglieder des Mikrobioms, das ist ganz normal, denn die Ernährung bestimmt die Zusammensetzung des Mikrobioms sehr wesentlich. Eine Analogie: Anstelle eines komplexen Biotops, in etwa vergleichbar mit einem hochdiversen Mischwald, haben wir dann eine Monokultur, die möglicherweise empfindlicher auf Stressfaktoren reagiert. Diese reduzierte Diversität wiederum ist mit potenziellen negativen Effekten verbunden. Positiv für das Mikrobiom ist eine ballaststoffreiche Kost mit viel Obst und Gemüse. Ballaststoffe sind Nahrungsbestandteile, die im Verdauungsprozess nicht abgebaut werden können. Sie dienen den Mikroorganismen als Nahrungssubstrat und erhöhen deren Vielfalt. Diese Vielfalt wiederum ist anscheinend mit positiven Effekten verbunden. Wer sich also darmgesund ernähren möchte isst viel ballaststoffreiche Lebensmittel.
Mikrobiom nach Antibiotika
Von Antibiotika weiß man, dass sie die Zusammensetzung der Mikrobiota empfindlich beeinträchtigen können. Bereits nach einer kurzen Behandlungsdauer mit Antibiotika von nur 7 Tagen reduziert sich die Diversität des Mikrobioms, also die Vielfalt der Keime im Darm. Im Anschluss an die Antibiotika-Behandlung dauert es in wissenschaftlichen Analysen dann viele Monate, bis sich die ursprüngliche Mikrobiota wieder vollständig rekonstituiert hat. Dies darf aber nicht überbewertet werden, in den meisten Fällen sind die Mikrobiom-Veränderungen vorübergehend und nur minimal. Nur in ganz seltenen Einzelfällen entsteht ein größerer Schaden, dann kann eine Infektion mit Clostridium difficile auftreten. Aber das ist zum Glück nur sehr, sehr, selten der Fall. In den meisten Fällen entsteht kein relevantes Problem, dies wird oftmals dramatisierend dargestellt. Davon sollte mansich nicht beunruhigen lassen.
Das Mikrobiom bei Kindern
In den ersten 30 Lebensmonaten eines Kindes vervollständigt sich das Mikrobiom. Besonders das Stillen und auch die Art der Geburt spielen dabei eine große Rolle. Vaginal entbundene Kinder tragen recht früh eine besonders hohe Keimvielfalt mit sich, was als positiv gewertet wird. Allein die Ernährung mit Muttermilch zählt als eines der wichtigsten Faktoren für die Entstehung einer günstigen Struktur unseres Mikrobioms. In Sachen Allergieentwicklung weiß man, dass eine frühe Zusammenführung von Darm und Umwelt wichtig ist. Es soll eine Toleranz gegen harmlos Stoffe aufgebaut werden, was zur Folge hat, dass das Risiko für Nahrungsmittelallergien sinkt. Übertriebene Hygiene im Kindesalter ist demzufolge als schädlich zu bewerten und sollte vermieden werden.
Präbiotika und Probiotika: Verbessern sie das Mikrobiom?
Die Zusammensetzung und Diversität der Darmbakterien ist entscheidend für ein ausgeglichenes Mikrobiom. Dementsprechend gibt es Bestrebungen, diese Faktoren positiv zu beeinflussen. Diese Einflussnahme könnte durch Prä- und Probiotika erreicht werden. Präbiotika gelten als „Futter“ für die Darmbakterien, am besten geeignet sind hierfür pflanzliche Ballaststoffe. Probiotika wiederum enthalten Darmkeime, die sich als günstig für das Mikrobiom erwiesen haben. Dies können zum Beispiel Laktobazillen oder Bifidobakterien sein. Eines der natürlichsten Probiotika ist Joghurt und fermentierte Lebensmittel. Eine gesunde Kost sollte demnach Joghurt und fermentierte Lebensmittel enthalten. Probiotikapräparate benötigt unser Darm nicht. Es gibt einzelne Erkrankungen bei denen Probiotika hilfreich sein können. Hierzu sollte man sich aber unbedingt von einem Arzt beraten lassen.
Natürliches „Futter“ für das Mikrobiom?
Damit sich die „guten“ Bakterien vermehren können, sollte man ihnen das richtige „Futter“ zur Verfügung stellen. Dabei handelt es sich um förderliche Ballaststoffe. Viele derartige Ballaststoffe sind beispielsweise in Lauch enthalten aber auch andere pflanzliche Lebensmittel sind ballaststoffreich. Präbiotika sollten über die Ernährung zugeführt werden, angereicherte Präparate sollten vermieden werden, dies resultiert meist nur in unerwünschten Wirkungen.
Mikrobiom und Fettsäuren
Einen positiven Effekt auf das Mikrobiom hat man bei langkettigen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren beobachtet, den Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren. Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren gehören zu den essentiellen Fettsäuren und können vom Organismus nicht selbst produziert werden. Sie müssen über die Nahrung aufgenommen werden.
Nahrungsmittel, die langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren enthalten sind unter anderem:
- Sonnenblumenöl
- Sojaöl
- Maiskeimöl
- Leinöl
- Hanföl
- Leber
- Eier
- Hering
- Makrele
- Lachs
Diese Lebensmittel mit einem günstigen Omega-3 / Omega-6 Verhältnis sollten Bestandteile des eigenen Speiseplans sein.
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: Prof. Dr. med. Martin Storr, www.mein-allergie-portal.com
Lesen Sie auch
-
Emulgatoren in Lebensmitteln: Wo werden sie eingesetzt? Wie wirken sie?
-
Kuhstallpille bei Allergie: Hilft Immunstärkung vom Bauernhof?
-
Darmgesund kochen: Wie geht das?
Weitere Beiträge
News - Darmflora, Mikrobiom
- Fettsäuren, Mikrobiom: Der Einfluss auf Allergien
- Mikrobiom, Darmflora, Darmbakterien: Was ist das?
- Allergien: Wie kann man die Darmbarriere stärken?
- Kuhstallpille & Allergie: Immunstärkung vom Bauernhof?
- Mikrobiom: Wann ist eine Darmreinigung sinnvoll?
- Darmgesund kochen: Wie geht das?
- Emulgatoren in Lebensmitteln: Wie wirken sie?
- Bauernhof-Effekt: Ist das ein Schutz vor Allergien?