Hyposensibilisierung bei Heuschnupfen: Dranbleiben lohnt sich!
Bei Heuschnupfen gilt nur eine Hyposensibilisierung, unter anderem auch spezifische Immuntherapie oder Desensibilisierung genannt, als langfristig wirksame Therapie. Allerdings dauert die Therapie lange. Viele Betroffene oder Eltern betroffener Kinder fragen sich deshalb, ob sich der Aufwand lohnt. „Dranbleiben lohnt sich unbedingt“ meint Prof. Dr. med. Christian Vogelberg, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und pädiatrische Pneumologie mit Zusatzbezeichnung Allergologie. Prof. Vogelberg ist Leiter der Abteilung Kinderpneumologie und Allergologie an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin und des Universitäts-Allergie-Zentrums am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden. Weiter ist er Präsident der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA). Im Gespräch mit MeinAllergiePortal erklärt er, was passieren kann, wenn man einer Pollenallergie nicht rechtzeitig mit einer ursächlichen Therapie begegnet.
Autor: Sabine Jossé M.A.
Interviewpartner: Prof. Dr. med. Christian Vogelberg
Herr Prof. Vogelberg, was hilft am besten gegen Heuschnupfen bzw. Pollenallergien?
Bei der Behandlung von Pollenallergien gibt es zwei Therapieansätze: Die symptomatische Therapie zur Behandlung akuter Beschwerden und die ursächliche Therapie. Zur Behandlung der akuten Heuschnupfen-Symptome wie Niesreiz, laufende Nase und Juckreiz gibt es eine Vielzahl von Medikamenten. Gegen den Juckreiz wird beispielsweise der Wirkstoff Cetirizin, ein Antihistaminikum, eingesetzt. Die Entzündung behandelt man unter anderem mit Steroid-Nasensprays. Der zweite wichtige Ansatz ist die Behandlung der Allergie an sich. Damit sind wir bei der Hyposensibilisierung oder auch Allergen-Immuntherapie, die drei Jahre lang durchgeführt wird.
Drei Jahre Hyposensibilisierung gegen Heuschnupfen, lohnt sich das?
Unbedingt, denn diese Therapieform lohnt sich für jeden Allergiker mit einer gesicherten Diagnose. Gesichert ist die Diagnose „Heuschnupfen“ dann, wenn man im Allergietest oder Sensibilisierungstest allergische Antikörper gegen das vermutete Allergen nachweisen kann und die Beschwerden zur passenden Jahreszeit auftreten. Eine Pollenallergie kann in Form einer Frühblüher Allergie bestehen, zum Beispiel auf Haselpollen, Erlenpollen oder Birkenpollen. Aber auch auf Gräserpollen, Kräuterpollen wie Beifuß oder Getreidepollen wie Roggen kann man allergisch sein. Man muss davon ausgehen, dass diese Allergien dauerhaft bestehenbleiben. Deshalb ist die Hyposensibilisierung für diese Patienten die geeignetste Therapieform, und sie lohnt sich unbedingt. Zur Dauer der Immuntherapie: Eine Desensibilisierung dauert länger, damit der Effekt auch lange anhalten kann.
Es gibt auch klassische Heuschnupfen-Medikamente, was kann passieren, wenn man den Heuschnupfen ausschließlich mit Nasensprays und Tabletten behandelt?
Antihistaminika und Nasensprays sind bei Pollenallergien eine rein symptomatische Behandlung der Allergie. Wenn man eine solche Therapie durchführt, ist das in den meisten Fällen im Hinblick auf die Beschwerden durchaus effektiv. Aber: Die Medikamenten-Therapie des Heuschnupfens ändert nichts an der Bereitschaft des Immunsystems, allergisch zu reagieren.
Wenn man das Übel der Pollenallergie „bei der Wurzel“ packen möchte und den Verlauf der Erkrankung beeinflussen will, muss man eine Therapieform wählen, die ursächlich wirkt. Im Gegensatz zu den üblichen Heuschnupfentabletten und -tropfen kann die Hyposensibilisierung das fehlreagierende Immunsystem, das die allergische Reaktion verursacht, positiv verändern. Deshalb geht es bei der Allergen-Immuntherapie nicht nur darum, kurzfristig die Symptome zu behandeln. Man bezeichnet die Allergen-Immuntherapie deshalb auch als „kausale Therapie“.
Bedeutet das, eine rein medikamentöse Behandlung des Heuschnupfens birgt die Gefahr, dass die Allergie schlimmer wird?
Genau, zum einen können die Heuschnupfen-Beschwerden schlimmer werden. Zum anderen kann es passieren, dass sich das Immunsystem zusätzlich gegen andere Allergene richtet. Was bedeutet das? Das heißt, wenn jemand auf Baumpollen allergisch ist, ohne eine kausale Therapie durchzuführen, kann es irgendwann zusätzlich auch zu einer Allergie auf Gräserpollen, Hausstaubmilben oder auf andere Allergene kommen. Es kann zu einer Ausweitung der allergischen Reaktionen kommen - zu multiplen Allergien. Weiter ist es möglich, dass sich die Erkrankung auf andere Organe ausdehnt, zum Beispiel von der Nase auf die Lunge. Ein Patient der „nur“ einen Heuschnupfen, eine allergische Rhinitis, hat, kann ohne eine Hyposensibilisierungs-Behandlung ein allergisches Asthma entwickeln. Auch da wissen wir, dass die Allergen-Immuntherapie einen präventiven Einfluss hat.
Wie genau funktioniert die Hyposensibilisierung gegen Pollen?
Es gibt zwei verschiedene Formen die Allergen-Immuntherapie durchzuführen.
- Die subkutane Immuntherapie, bei der das Allergen unter die Haut in den Arm gespritzt wird.
- Die sublinguale Immuntherapie, hier wird das Allergen in Form von Tabletten oder Tropfen unter der Zunge aufgetragen
Wie wird eine Allergen-Immuntherapie mit der Spritze durchgeführt?
Die Therapie wird vom Arzt durch eine Injektion des Allergenextrakts „subkutan“, das heißt „unter die Haut“, durchgeführt. Dabei wird der Körper durch permanente Konfrontation mit dem Allergen an das Allergen gewöhnt. Während der Aufdosierungsphase wird die Allergendosis langsam gesteigert, bis zu einer sogenannten Erhaltungsdosis. Die Erhaltungsdosis enthält dann die tolerierte Allergenmenge. Diese Dosis wird über drei Jahre verabreicht, damit das Immunsystem eine robuste Toleranz entwickelt, die langfristig, auch nach Ende der Behandlung, erhalten bleibt. Die sublinguale Immuntherapie wird zu Hause durchgeführt. Lediglich zu Beginn der Immuntherapie muss man zum Arzt. Alle weiteren Einnahmen geschehen eigenverantwortlich. Zum Arzt muss man nur zur Verlaufskontrolle, im Optimalfall einmal im Quartal.
Die sublinguale Immuntherapie bedarf dann einer gewissen Selbstdisziplin…
Absolut richtig! Selbstdisziplin ist sehr wichtig bei der sublingualen Immuntherapie, denn die Therapie wird eigenverantwortlich durchgeführt. Das ist Vor- und Nachteil zugleich. Man muss sehr strukturiert, sehr diszipliniert sein, damit man die Einnahme des Allergenextraktes nicht vergisst. Daher muss man im Vorfeld überlegen, ob diese Form der Therapie zum eigenen Lebensstil und Tagesablauf passt. Für Menschen, die vorgegebene Strukturen brauchen und gerne auch einmal an einen Termin erinnert werden, empfiehlt sich eher die subkutane Immuntherapie.
Wann bzw. wie schnell kommt es bei einer Hyposensibilisierung mit der Spritze zur Besserung des Heuschnupfens?
Die Wirkung der Immuntherapie spüren die meisten Patienten bereits nach vier Monaten. Das weiß man aus der Praxis und auch aus Studien, die mit diesen verschiedenen Präparaten durchgeführt wurden. Allerdings sind das noch nicht die maximal möglichen Therapieeffekte. Viele merken im weiteren Verlauf der Behandlung, dass die Wirkung der Hyposensibilisierung immer weiter zunimmt. Sie berichten, dass die allergischen Symptome zurückgehen und dass sie deutlich weniger Medikamente benötigen.
Wann kann man mit der Hyposensibilisierung aufhören, wenn die Heuschnupfen-Symptome weg sind?
Mittendrin aufhören sollte man bei einer Allergen-Immuntherapie auf keinen Fall. Die positive Wirkung der Behandlung beruht ja gerade darauf, dass sie über drei Jahre durchgeführt wird, damit der Effekt auch nach Beendigung der Therapie lange anhält. Deshalb ist es notwendig, drei Jahre durchzutherapieren. Vorzeitig aufzuhören, weil man Effekte der Immuntherapie spürt und keine Symptome mehr hat, wäre absolut falsch.
Wenn die Hyposensibilisierung schon so lange dauert, wären dann nicht Tabletten oder Tropfen die einfachere bzw. weniger aufwendige Lösung?
Es gibt wirksame Arzneimittel bei den sublingualen Präparaten, zumindest was die Tabletten anbelangt, und es gibt wirksame Präparate bei der subkutanen Immuntherapie. Ein direkter Vergleich existiert aber nicht.
Daher ist es aus meiner Sicht auch wichtiger, bei der Entscheidung der Therapieform darauf zu achten, welche Form am besten zum jeweiligen Menschen passt und ob es für das jeweilige Allergen zugelassene Präparate gibt. Letzteres betrifft vor allem Kinder, da es beispielsweise für Kinder momentan kein zugelassenes Präparat für die sublinguale Immuntherapie mit Baumpollen gibt. Wenn man eine Immuntherapie beim Kind mit Baumpollen-Allergie durchführen möchte, kann nur die subkutane Immuntherapie durchgeführt werden und das so früh wie möglich.
Wichtig zu wissen ist aber, dass eine großangelegte deutsche Untersuchung1), an der unsere Klinik beteiligt war, etwas Interessantes ans Licht gebracht hat: Die Pollenallergiker, die ihre Hyposensibilisierung mit der Spritze erhielten, führten sie deutlich länger fort als jene, die die Behandlung als Tabletten erhielten. So erreichten sie häufiger die empfohlenen drei Therapiejahre und verbesserten damit ihre Chancen auf einen Behandlungserfolg.
Warum soll man eine Hyposensibilisierung möglichst früh, sogar bei Kindern schon, durchführen?
Es ist nie zu spät eine Allergen-Immuntherapie durchzuführen, dafür gibt es gute Hinweise und Untersuchungen bei älteren Erwachsenen. Kinder sind aber die geeignetste Patientengruppe, denn bei ihnen besteht die Erkrankung noch nicht so lange und das Immunsystem entwickelt sich noch. Idealerweise sollte man die Hyposensibilisierung bei Kindern und Erwachsenen bei den ersten allergischen Symptomen beginnen. Die meisten Präparate sind allerdings erst ab fünf Jahren zugelassen, sodass in der Regel erst ab diesem Alter die Hyposensibilisierung gestartet wird.
Haben die Kinder bei der Hyposensibilisierung denn nicht Angst vor der Spritze?
Nein, das funktioniert sehr gut. Die Tatsache, dass die Hyposensibilisierung mit einer Spritze durchgeführt wird, spielt bei den meisten Kindern keine Rolle. Sie merken schnell, dass die subkutane Therapie nicht vergleichbar ist mit einer Blutentnahme oder Impfung. Es ist keine schmerzhafte Therapie und deshalb lässt sie sich bei Kindern sehr gut durchführen.
Drei Jahre sind eine lange Zeit, wie motivieren Sie Ihre Patienten, „bei der Stange“ zu bleiben?
Zwei Dinge sind besonders zu beachten.
- Man muss die Menschen bzw. die Eltern überzeugen und aufklären, warum die Therapie sinnvoll und notwendig ist. Sie müssen verstehen, dass eine Allergie eine chronische Erkrankung ist. Es bestehen wenig Chancen auf eine spontane Besserung. Wenn man verhindern möchte, dass die Symptome schwerwiegender werden oder sich weitere allergische Erkrankungen entwickeln, muss man frühzeitig handeln. Man muss den Patienten vermitteln, warum die Allergen-Immuntherapie wichtig ist.
- Der zweite Schritt ist zu erklären, dass eine Hyposensibilisierung keine Kurzzeittherapie ist. Es ist eine langandauernde Therapie, über drei Jahre, und man muss dranbleiben.
Wie treffen Betroffene die richtige Therapieentscheidung und wie können sie sich selbst motivieren?
Es gibt ein paar Faktoren, die dazu beitragen können, die Zeit besser durchzuhalten. Am einfachsten ist die subkutane Allergen-Immuntherapie, weil es feste Termine gibt, zu denen man in die Praxis kommt. Es gibt einen regelmäßigen, direkten Kontakt zwischen Arzt und Patient, man kann den Therapieerfolg miteinander besprechen und mögliche Fragen klären.
Und wie motiviert man sich bei der sublingualen Immuntherapie mit Tropfen oder Tabletten?
Bei der sublingualen Immuntherapie ist das etwas schwieriger, weil man diese Therapieform als Einzelkämpfer im stillen Kämmerlein zuhause durchführt. Umso wichtiger ist es, im Vorfeld über mögliche Nebenwirkungen zu sprechen. Auch muss auf ärztlicher Seite die Bereitschaft signalisiert werden, dass man sich bei Problemen sofort beim Arzt melden kann. Als Beispiel kann das erwähnte Kribbeln im Mund und unter der Zunge zu Beginn der Therapie genannt werden. Schon zu Beginn der Therapie muss über diese mögliche Nebenwirkung gesprochen werden. Dann werden sich die Betroffenen keine Sorgen machen, wenn diese Symptome bei der Hyposensibilisierung mit Tabletten oder Tropfen auftreten. Auch hier ist es empfehlenswert, regelmäßig, etwa einmal im Quartal, in die Praxis zu kommen. Dabei sollten Behandlungswirkung, Nebenwirkungen und mögliche Fragen besprochen werden.
Welche Erfahrungen haben Sie denn mit Patienten, die tatsächlich drei Jahre gegen Pollen durchgehalten haben? Wie hoch ist die Erfolgsquote?
Die Erfolgsquoten bei der Allergen-Immuntherapie bei Heuschnupfen sind sehr gut. Circa 70 bis 80 Prozent der Pollenallergiker profitieren von der Allergen-Immuntherapie. Die Patienten berichten von einer klaren Verbesserung der klinischen Symptome. Nicht alle Patienten werden symptomfrei, das muss man fairerweise sagen. Aber die meisten Patienten haben deutlich weniger Beschwerden, eine kürzere Symptomdauer, brauchen weniger symptomatische Medikamente und berichten von einer spürbaren Verbesserung der Lebensqualität. Gerade den Faktor Lebensqualität sollte man nicht unterschätzen. Für Menschen, die auf Antihistaminika mit Müdigkeit reagieren, zählt jeder Tag, an dem sie das Medikament nicht einnehmen müssen.
Welcher Arzt darf eine Hyposensibilisierung bei Erwachsenen durchführen und wer macht das bei Kindern?
Jeder Erwachsene und jedes Kind hat in seiner Region die Möglichkeit, eine Hyposensibilisierung durchzuführen. Viele Kinderärzte, HNO-Ärzte, Dermatologen oder Pneumologen führen diese Therapieform durch. Es gibt aber auch Allgemeinmediziner, die eine Hyposensibilisierung in ihrer Praxis anbieten. Dann gibt es noch die spezialisierten allergologischen Praxen oder Klinikambulanzen, in denen die Therapie angeboten wird. Die Kosten für eine Hyposensibilisierung zahlt die Krankenkasse.
Herr Prof. Vogelberg, herzlichen Dank für das Gespräch!
Quellen:
1) Christian Vogelberg, Bernd Brüggenjürgen, Hartmut Richter, Marek Jutel, 5Real-World Adherence and Evidence of Subcutaneous and Sublingual Immunotherapy in Grass and Tree Pollen-Induced Allergic Rhinitis and Asthma, Patient Prefer Adherence. 2020; 14: 817–827, Published online 2020 May 13. doi: 10.2147/PPA.S242957
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: S. Jossé/C. Vogelberg, www.mein-allergie-portal.com
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