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Allergische Frühreaktionen & Spätreaktionen bei Nahrungsmittelallergie

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Welche Allergiereaktionen treten sofoert auf, welche später? Bildquelle: K. Nemat

Bei Nahrungsmittelallergien kann es sowohl sehr früh, unmittelbar nach Allergenkontakt, als auch relativ spät zu allergischen Reaktionen kommen. Im Interview mit MeinAllergiePortal erklärt Dr. Katja Nemat, Fachärztin für Kinderpneumologie und Allergologie am Kinderzentrum Dresden-Friedrichstadt (Kid) und Mitglied des Vorstands beim Ärzteverband Deutscher Allergologen e.V. (AeDA), wie sich allergische Frühreaktionen und Spätreaktionen bemerkbar machen können und wie eine sinnvolle Diagnostik aussehen sollte.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartner: Dr. med. Katja Nemat

Frau Dr. Nemat, wie zeigen sich allergische Frühreaktionen bei Kindern?

Allergische Frühreaktionen sind die häufigsten Reaktionsformen bei IgE-vermittelten Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Es kann dann innerhalb von zwei Stunden nach Allergenkontakt zu einer allergischen Reaktion kommen, oft bereits innerhalb der ersten 30 Minuten. Allergische Frühreaktionen können sich an Atemwegen, Haut und Magen-Darm-Trakt bemerkbar machen. Im schlimmsten Fall kann es auch zu Symptomen am Herz-Kreislauf-System und dem Nervensystem kommen. Man spricht bei einer bedrohlichen allergischen Reaktion mit Beteiligung mehrerer Organsysteme von Anaphylaxie.

Und wie zeigen sich bei Kindern allergische Spätreaktionen?

Allergische Spätreaktionen zeigen sich mit einer gewissen Verzögerung zur Aufnahme des Allergens durch die Nahrung. Das Mindestintervall beträgt 6 Stunden, aber häufig zeigt sich die allergische Reaktion erst am nächsten oder übernächsten Tag.

Bei allergischen Spätreaktionen kann es zu klinischen Reaktionen an der Haut und/oder am Magen-Darm-Trakt kommen. Ist bei den allergischen Spätreaktionen der Darm betroffen, kommt es zu dünnen Stühlen, Durchfällen und manchmal auch zu Bauchschmerzen. Bei Kindern mit Neurodermitis kann es zu einem neuen Ekzemschub kommen oder bestehende, leichtere Ekzemherde können aufflammen und der Hautzustand verschlechtert sich.

Es gibt zwei Formen der allergischen Spätreaktionen, die IgE-vermittelten und die nicht IgE-vermittelten. Es gibt sogar Kombinationen aus allergischen Früh- und Spätreaktionen, die man oft nicht diagnostiziert, weil die Frühreaktion ja in der Regel schnell behandelt und es dadurch gar nicht erst zu einer Spätreaktion kommen kann.

Können Sie ein Beispiel für eine Kombination allergischer Frühreaktionen und allergischer Spätreaktionen nennen?

Wenn ein Kind, das an Neurodermitis und an einer Hühnerei-Allergie leidet, das Hühnerei-Allergen versehentlich zu sich nimmt, zum Beispiel weil es Rührei nascht, kann es als Sofortreaktion zu Quaddeln im Gesicht und Erbrechen kommen und als Spätreaktion, sechs Stunden später oder am Tag danach, zu einem Neurodermitisschub oder einer generellen Hautverschlechterung. Es könnten aber auch Durchfall oder Bauchschmerzen nachfolgen.

Auch wenn die Spätreaktionen in Bezug auf die klinische Symptomatik milder sind, als die Frühreaktionen, sind sie gefürchtet, weil man den zeitlichen Zusammenhang durch den verzögerten Eintritt der klinischen Symptomatik relativ schlecht beurteilen kann. Wird das nicht erkannt und das Nahrungsmittelallergen regelmäßig zugeführt, bildet sich eine chronische oder häufig rezidivierende Smptomatik aus.

Erschwerend bezüglich der Erkennung kommt hinzu, dass bei manchen Nahrungsmittelallergien erst ab einer gewissen Menge oder nach wiederholter Allergenaufnahme Spätreaktionen eintreten, dies ist zum Beispiel bei Weizen oder Kuhmilch möglich. Kleine Mengen werden manchmal beschwerdefrei vertragen. Werden aber größere Mengen an Milch oder wiederholt Milchprodukte zu sich genommen, kommt es zu Symptomen.

Ist es nicht eher bei den nicht allergisch bedingten Nahrungsmittelunverträglichkeiten so, dass die Menge des unverträglichen Nahrungsmittels ausschlaggebend für die Reaktion ist?

Im Prinzip ist das korrekt und könnte mit ein Grund dafür sein, dass allergisch bedingte und nicht allergisch bedingte Nahrungsmittelunverträglichkeiten häufig miteinander verwechselt werden.
Auch im Falle der nicht IgE-vermittelten allergisch bedingten Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind Menge bzw. die wiederholte Allergenaufnahme ausschlaggebend für die Ausbildung einer allergischen Spätreaktion.

Und in welchen Fällen könnten unterschiedliche Allergieformen relevant sein?

Wenn Säuglinge nach dem Abstillen kuhmilchhaltige Säuglingsnahrung bekommen, erhalten sie in der Regel mehrere Portionen am Tag. Wenn sich dann, im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abstillen, Ekzeme ausbilden, ist es sehr sinnvoll, zu überprüfen, ob eine Kuhmilchallergie vorliegt. Es könnte sich um eine Nicht-IgE-vermittelte, aber auch um eine IgE-vermittelte Kuhmilchallergie. Bei letzterer handelte es sich dann um eine allergische Spätreaktion, spezifische IgE wären im Blut nachweisbar, aber eine „klassische“ allergische Frühreaktion tritt nicht auf. Es gibt eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten. Deswegen ist mit der Labordiagnostik eine wirklich sichere Bestätigungs-Diagnostik nur bei den allergischen Frühreaktionen möglich. In anderen, weniger eindeutigen Fällen muss die Krankengeschichte berücksichtigt werden.

Ein weiteres Beispiel: Wenn ein Kind mit der Beikosteinführung erstmals einen weizenhaltigen Grießbrei erhält und danach vielleicht erbricht und eine akute Urtikaria entwickelt und man weist dann im Rahmen der Diagnostik spezifisches IgE gegen das Weizenallergen nach, dann kann man die Diagnose Weizenallergie bei diesem Kind stellen. Aber: Wenn ein Kind mit Neurodermitis eine schlechtere Haut bekommt nachdem die weizenhaltige Beikost eingeführt wurde, in der Labordiagnostik sind aber keine spezifischen IgE auf das Weizenallergen nachweisbar, schließt dies eine Nahrungsmittelallergie nicht aus. Hier könnte es sich um eine nicht IgE-vermittelte Weizenallergie handeln und deshalb wäre der diagnostische Weg weiterzuführen.

Wie würde in diesem Fall der weitere diagnostische Weg aussehen?

Sinnvoll wäre es dann, eine diagnostische Diät durchzuführen, möglichst unter stabilen Umgebungsfaktoren. Das heißt, man streicht in diesem Fall Weizen für ein bis zwei Wochen aus dem Nahrungsplan und ändert die Hauttherapie in dieser Zeit möglichst nicht. Verbessert sich die Haut nicht, kann man von einem zufälligen zeitlichen Zusammenhang ausgehen. Viele Kinder erhalten im Alter von fünf bis sieben Monaten erstmals weizenhaltige Beikost und viele Kinder entwickeln in diesem Zeitraum auch eine Neurodermitis. Verbessert die Haut sich unter Weizenkarenz jedoch deutlich, könnte eine Weizenallergie vorliegen, man kann sie jedoch noch nicht sicher diagnostizieren. Möglich ist ja auch, dass es sich um einen Zufall handelt. So könnte der erste Ekzemschub zufällig zeitgleich mit der Weizenkarenz abgeklungen sein, oder eine bessere Hautpflege könnte zu einem besseren Hautbild geführt haben.

Zur Sicherung der Diagnose muss deshalb Weizen erneut in den Speiseplan eingeführt werden, um zu sehen, ob es dann tatsächlich erneut zu einer Hautverschlechterung kommt. Ist dies der Fall, würde man im Anschluss die therapeutische Diät einleiten mit dem Ziel, das Kind so zu ernähren, dass es möglichst symptomarm oder -frei bleibt. Für alle Nahrungsmittel, die beim kindlichen Ernährungsplan eine Relevanz haben, würde man diese therapeutische Diät regelmäßig durch eine orale Provokation Provokation überprüfen. Man würde so zeitnah erkennen, ob das Kind inzwischen eine Toleranz entwickelt hat.

Wie häufig würde man eine orale Provokation durchführen um zu überprüfen, ob das Kind eine Toleranz auf das Nahrungsmittelallergen entwickelt hat?

Bei Allergien auf Kuhmilch und Weizen provozieren wir in der Regel im Abstand von ein bis zwei Jahren.

Das gilt auch für Allergien auf Hühnerei, obwohl dies kein schwer zu ersetzendes Grundnahrungsmittel ist, aber es ist sehr mühsam, Hühnerei zu meiden.

Bei einer Erdnussallergie würde man sich ungefähr vier Jahre Zeit nehmen, bevor man erneut eine Provokation durchführt.

Leider erleben wir es sehr oft, dass eine diagnostische Diät begonnen wird, und auch weitergeführt wird, obwohl sich die Neurdermitis unter der Karenz nicht verbessert hat. Gerade wenn es um Grundnahrungsmittel wie Weizen oder Kuhmilch geht - die Kuhmilch ist die Haupt-Eiweiß- und Kalzium-Quelle in der frühen Wachstumsphase – ist es potenziell gefährlich für das Kind, wenn solche Diäten unüberwacht sehr lange durchgeführt werden. Außerdem liegt in der Mehrheit der Fälle von Neurodermitis keine Nahrungsmittelallergie vor.

Essentiell wichtig bei therapeutischen Diäten, bei denen Grundnahrungsmittel über einen längeren Zeitraum gemieden werden müssen, ist eine qualifizierte Ernährungsberatung.

Warum ist eine qualifizierte Ernährungsberatung bei therapeutischen Diäten so wichtig?

Speziell bei Kuhmilchallergien muss eine geschulte Ernährungsberaterin die Eltern aufklären, wie eine ausreichend kalzium- und eiweißhaltige Ernährung gewährleistet werden kann, damit das Kind keine Defizite erleidet. Viele Eltern belesen sich zunächst selbst. Es ist jedoch besser, wenn eine gezielte Beratung erfolgt, die auch auf die konkreten Ernährungsgewohnheiten der Familie eingehen kann. Eine Ernährungsberaterin kann berechnen, wie der altersgerechte Kalzium- und Eiweißbedarf des Kindes aussieht und ob und wie dieser über die Ernährung abgedeckt werden kann. Sie berücksichtigt dabei auch kulturelle und familiäre Gewohnheiten und erstellt keine im Alltag gar nicht oder nur schwer realisierbaren Nahrungspläne.

Zum Thema Labordiagnostik: Geht es hier um einen Bluttest bzw. IgE-Test?

Ja, die Rede ist von einem Labortest auf spezifische IgE , das ist in der Nahrungsmittelallergologie der einzig sinnvolle Test. Sehr häufig werden IgG-Tests oder IgG4-Tests durchgeführt, die teilweise auch zur Selbstanwendung in Apotheken oder im Internet erhältlich sind. IgG sind jedoch Antikörper, die nachweisbar sind, wenn lediglich ein Kontakt mit einem Protein aus der Nahrung stattgefunden hat. Jeder Mensch, der Milch zu sich genommen hat, entwickelt spezifische IgE auf Milchproteine, was jedoch nicht Ausdruck einer Allergie ist. IgG-Tests sind keine seriösen Testverfahren und sollten auf keinen Fall zum Einsatz kommen.

Leider erleben wir immer wieder, dass Eltern entweder einen IgG-Test selbst durchgeführt haben oder schlecht beraten wurden. Das führt dann regelmäßig zu großer Verwirrung, denn die Befunde weisen stets eine Vielzahl angeblicher Unverträglichkeiten aus und die Eltern wissen nicht mehr, was sie ihrem Kind zu essen geben können.
Auch der Prick-Test ist ein guter Test, um IgE-vermittelte Reaktionen nachzuweisen.

Welche Rolle spielt der Prick-Test bei der Diagnose von Nahrungsmittelallergien?

Im Rahmen der Atemwegsallergien ist der Prick-Test Standard und in jedem Alter durchführbar. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist der Prick-Test allerdings etwas anspruchsvoller, denn die Ambulanz muss in der Lage sein, den Test so durchzuführen, dass er für die kleinen Kinder nicht traumatisch ist.

Die IgE-Diagnostik ist dem Prick-Test manchmal etwas überlegen. Zum einen deshalb, weil nur eine Blutentnahme nötig ist, um verschiedene IgE zu bestimmen oder auch ein Screening durchführen. Außerdem kann auch die Konzentration der IgE-Antikörper bestimmt werden und aus der Höhe dieser Konzentration kann man bei einigen Nahrungsmittelproteinen auch mehr Aussagen z.B. zur Prognose oder der Verträglichkeit verarbeiteter oder erhitzter Nahrungsmittelproteine ableiten. Das ist etwas spezifischer als die Quaddelgröße beim Prick-Test.

Zum anderen leiden Kinder, die auf frühe Nahrungsmittelallergien getestet werden, häufig unter Neurodermitis, was Hauttests grundsätzlich problematischer macht. Wenn die Haut stark irritiert ist, sollte man einen Prick-Test nicht durchführen. Zum einen ist es für die Kinder sehr unangenehm und kann auch den Juckreiz verstärken und zum anderen sind die Ergebnisse schlecht auswertbar, wenn z.B. am Unterarm gerade ein unruhiges Hautbild vorherrscht. Nur auf erscheinungsfreier Haut ist ein Prick-Test sinnvoll.

Darüber hinaus lassen sich mit dem IgE-Test mehrere Allergene testen. Dies ist mit dem Prick-Test ebenfalls möglich, aber das zur Verfügung stehende Hautareal ist bei sehr kleinen Kindern oft nicht ausreichend. Hinzu kommt auch, dass man angesichts der aktuellen Erkenntnisse, über die Haut auch Sensibilisierungen induzieren zu können, vielleicht noch etwas zurückhaltender bei der Anwendung von Prick-Tests mit Nahrungsmitteln ist.

Wann setzen Sie zur Diagnose von Nahrungsmittelallergien die molekulare Allergiediagnostik ein?

Die molekulare Allergiediagnostik setzen wir in bestimmten Fällen ebenfalls ein, z.B. bei Hühnereiallergikern. Im Hühnerei sind zwei Hauptkomponenten allergisierend, das Ovoalbumin, ein Hühnerei-Protein, das bei Erhitzen oder Verarbeitung verändert wird und nicht mehr allergen wirkt, und das Ovomucoid, ein hitze- und verdauungsstabiles Protein. Durch die molekulare Allergiediagnostik erkennt man anhand des Sensibilisierungsmusters, welches das ausschlaggebende Allergen ist und inwieweit eine orale Provokation mit verbackenem Hühnerei sinnvoll sein könnte. Ist das Ovomucoid das hauptsächlich auslösende Allergen, heißt das aber noch nicht, dass man eine orale Provokation mit verbackenem Hühnerei überhaupt nicht durchführen würde. Man würde sie jedoch etwas später durchführen und wäre sicher insgesamt vorsichtiger. Dahingegen würde man bei einer reinen Ovoalbumin-Sensibilisierung möglichst schnell die Verträglichkeit von verbackenem Ei testen. Wenn das Kind bereits eine allergische Frühreaktion auf Hühnerei hatte, würde man in beiden Fällen ärztlich überwacht testen.

Frau Dr. Nemat, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

19. März 2018

Autor: S. Jossé/K. Nemat, www.mein-allergie-portal.com

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