Allergie auf Schmerzmittel: Risiko für Nesselsucht & Angioödeme?
Ist es immer eine Allergie auf Schmerzmittel, wenn man nach der Einnahme Quaddeln, das heißt, eine Urtikaria oder Nesselsucht bekommt? Und wie sind Schwellungen, man nennt sie auch Angioödeme oder Quincke-Ödem, nach Schmerzmittel-Einnahme zu bewerten? Ursachen, Symptome, Diagnose und Maßnahmen besprach MeinAllergiePortal mit Prof. Dr. med. Silke Hofmann, Direktorin des Zentrums für Dermatologie, Allergologie und Dermatochirurgie und Koordinatorin des Bergischen Allergiezentrums am Helios Universitätsklinikum Wuppertal, Universität Witten/Herdecke.
Autor: Sabine Jossé, M. A.
Interviewpartner: Prof. Dr. med. Silke Hofmann
Frau Prof. Hofmann, wie häufig kommt es durch Schmerzmittel zu Nesselsucht bzw. Urtikaria oder Angioödemen?
Etwa 2 Prozent der Allgemeinbevölkerung leiden unter einer Allergie auf Schmerzmittel. Dabei muss man jedoch zwei unterschiedliche Formen der Schmerzmittel-Allergie abgrenzen:
- Eine Verstärkung einer vorbestehenden Urtikaria nach Einnahme von Schmerzmitteln.
- Eine Urtikaria oder ein Angioödem als Zeichen einer akuten allergischen Reaktion auf ein einzelnes Schmerzmittel bei Menschen, die ansonsten keine dermatologischen Beschwerden haben.
Liegt eine sogenannte chronisch spontane Urtikaria (CSU) mit täglichen oder sehr häufig auftretenden Quaddeln vor, kommt es durch die Einnahme von Schmerzmitteln bei einigen Patienten zur Verstärkung der Symptomatik. 15 Prozent der CSU-Patienten reagieren auf die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), auch als nichtsteroidale Antiphlogistika oder NSAID bezeichnet, mit Quaddel Schüben. Davon sind Frauen generell etwas häufiger betroffen.
Urtikaria-Quaddeln am Bauch
Wie sieht es genau aus, wenn man nach Schmerzmittel-Einnahme eine Allergie bzw. Urtikaria oder Angioödeme entwickelt?
Bei einer Allergie auf Schmerzmittel treten innerhalb weniger Minuten bis zu 24 Stunden nach der Einnahme der Schmerzmittel rote, erhabene, stark juckende Quaddeln am Körper auf. In manchen Fällen kommt es auch zusätzlich zu Schwellungen im Gesicht, an den Lippen, den Augenlidern oder der Zunge. Auch Hände, Füße und der Genitalbereich können von den Schwellungen, auch als Angioödeme bezeichnet, betroffen sein. Es kann aber auch passieren, dass es nach Einnahme der Schmerzmittel ausschließlich zu Angioödemen kommt, ohne Quaddeln.
Angioödem: Linksseitige Schwellung der Unterlippe
Gelten diese Symptome auch für eine Allergie auf Schmerzmittel bei Kindern?
Grundsätzlich ja, wobei Schmerzmittelallergien insgesamt seltener bei Kindern sind. Bei Kindern finden sich häufiger isolierte Angioödeme ohne Quaddeln.
Welche Wirkstoffe in Schmerzmitteln können Urtikaria oder Angioödeme auslösen?
Auslöser der allergischen Reaktionen sind meist die Wirkstoffe der Schmerzmittel selbst. Es kann also zum Beispiel durch Ibuprofen, Paracetamol, Diclofenac etc. zu Nesselsucht oder einem Quincke Ödem kommen. So sind zum Beispiel für Anaphylaxien auf Schmerzmittel, laut Anaphylaxie-Register, eine ganze Reihe von Medikamenten häufige Auslöser. Da eine Nesselsucht die erste Stufe bei der Entwicklung einer Anaphylaxie sein kann, ist dies durchaus von Bedeutung.
Folgende Schmerzmittel können beispielsweise einen allergischen Schock auslösen, der sich zunächst durch Nesselfieber bzw. Quaddeln oder Schwellungen bemerkbar machen kann:
- Diclofenac
- Acetylsalicylsäure (ASS)
- Ibuprofen
- Metamizol
- Paracetamol
Welche Schmerzmittel führen am häufigsten zu allergischen Reaktionen wie Urtikaria bzw. Nesselsucht und Angioödeme, gibt es eine Art Ranking?
Diclofenac ist mit Abstand der häufigste Anaphylaxie-Auslöser, gefolgt von Acetylsalicylsäure und Ibuprofen gleichermaßen - dann folgt Metamizol. Selten sind Hilfsstoffe in Tabletten schuld, wie Farb- oder Konservierungsstoffe.
Was ist der Unterschied zwischen nicht-steroidalen Schmerzmitteln, wie zum Beispiel Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen oder Diclofenac (auch NSAR oder nicht-steroidale Antiphlogistika bzw. NSAID genannt), und sonstigen Schmerzmitteln?
Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR oder NSAID) wirken über eine Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase (COX) und somit über eine Prostaglandinsynthesehemmung schmerz- und fieberhemmend.
Steroidale Antirheumatika sind Kortison-Präparate, die man zum Beispiel bei Rheuma einsetzt, aber nicht bei Kopf- oder Regelschmerzen.
Opioid-Analgetika wie Tramadol, Tilidin-Naloxon und andere Morphin-artige Medikamente werden bei stärkeren Schmerzen eingesetzt und binden an Opioid-Rezeptoren.
Was sind COX-1-Hemmer?
Die meisten Schmerzmittel sind COX-1-Hemmer. Sie hemmen ein Enzym im Körper, die sogenannte Cyclooxygenase 1. Wird die Cyclooxygenase 1 gehemmt, produziert der Körper anstelle von Prostaglandinen, sozusagen als Ausgleich, verstärkt andere Botenstoffe, die Leukotriene. Man kann das vergleichen mit einer Wippe, wird der eine Botenstoff gehemmt, wird der andere bedeutsamer. Durch die vermehrte Bildung der Leukotriene können ähnliche Symptome auftreten, wie bei Histamin. Deswegen kommt es zu einer Quaddelbildung, zu Schwellungen oder auch zu asthmatischen Symptomen. Diese Symptome treten dann bei einem Patienten oft auch auf, wenn andere Schmerzmittel aus dieser COX-1-Hemmer-Gruppe eingenommen werden.
Was sind COX-2-Hemmer und kann es auch durch COX2-Hemmer zu einer Allergie auf Schmerzmittel kommen?
COX-2 ist ein anderes Enzym und COX-2-Hemmer, sogenannte Coxibe wie Etoricoxib oder Celecoxib führen nur selten zu allergischen Reaktionen. Das bedeutet nicht, dass man auf COX-2-Hemmer keine Allergie entwickeln kann, aber das ist wirklich eine Rarität.
Kann man ein Schmerzmittel auch plötzlich nicht mehr vertragen, obwohl es bislang ohne Probleme verträglich war?
Ja, das ist sogar meistens der Fall. Wenn die allererste Einnahme eines bestimmten Schmerzmittels zu einer Urtikaria führt, dann liegt das meist an anderen Faktoren wie einem begleitenden Infekt. Auch bei Pseudoallergien kann bereits die Erstgabe zu einer allergischen Reaktion auf Schmerzmittel führen.
Spielt es für das Auftreten von Urtikaria und Angioödemen auf Schmerzmittel eine Rolle, ob man diese als Tabletten, Saft oder Spritze genommen hat?
Bei Schmerzmitteln können alle Darreichungsformen Allergiesymptome auslösen. Wenn man allergisch auf ein Schmerzmittel ist, dann wird die Allergie, unabhängig von der Darreichungsform, immer dann auftreten, wenn es zu einem Kontakt mit der Allergie-auslösenden Substanz kommt. Aber: Wenn ein Medikament als Spritze verabreicht wird, tritt die Reaktion am schnellsten auf.
Warum vertragen manche Menschen keine Medikamente gegen Schmerzen, gibt es Risiken, die eine Schmerzmittel-Allergie begünstigen?
Es gibt Studien, die zeigen, dass bei Menschen, die Schmerzmittel nicht vertragen, genetische Veränderungen bestehen. Diese sogenannte genetische Prädisposition liegt bei Schmerzmittel-Allergikern häufig vor. Zum Beispiel konnten Single Nucleotid Polymorphismen in Genen, die für den Abbau der NSAID verantwortlich sind, identifiziert werden. Das sind Variationen einzelner Basenpaare an einer bestimmten Stelle des Genoms. Dann kommt es zu einem Mangel an oder zumindest zu einer Funktionsstörung bei bestimmten Enzymen, die im Körper für den Abbau von Schmerzmitteln zuständig sind.
Was passiert im Körper, wenn es nach der Einnahme von Schmerzmitteln zu einer Nesselsucht oder Angioödemen kommt?
Die Reaktion sollte durch Einnahme oder Infusion mit Antihistaminika wie zum Beispiel Cetirizin oder Dimetinden zunächst akut behandelt werden.
Für fast alle Patienten kann man im Verlauf Schmerzmittel identifizieren, die verträglich sind. Zu beachten ist hierbei: Neben den Patienten, die eine IgE-vermittelte Soforttypallergie gegen ein einzelnes Schmerzmittel haben, gibt es eine größere Gruppe von Patienten mit einer Unverträglichkeit gegen mehrere Schmerzmittel. Diese Patienten vertragen dann COX-1-Hemmer nicht, zum Beispiel Acetylsalicylsäure, Diclofenac oder/und Ibuprofen und sie reagieren möglicherweise auf alle COX-1-Hemmer mit Quaddelbildung, Angioödemen oder asthmatischen Beschwerden. Man spricht dann von einer NSAR-Intoleranz oder NSAR-Unverträglichkeit. Dies gilt als Pseudoallergie.
Es liegt also nicht immer eine Schmerzmittelallergie vor, wenn man auf ein Schmerzmittel mit Nesselsucht oder Angioödemen reagiert?
Nein, wie gesagt, kann es sich auch um ein zufälliges Zusammentreffen mehrerer Faktoren handeln, wie etwa bei Patienten, die gerade erkältet sind oder eine Zahnentzündung haben, und dann Schmerzmittel einnehmen. Infekte alleine können auch eine Urtikaria auslösen.
Das Schmerzmittel kann aber auch ein Verstärkungs- oder Ko-Faktor sein. So gibt es Patienten mit bestimmten Formen einer Nahrungsmittel-Allergie, die zum Beispiel auf Weizen, rotes Fleisch oder Obst nur dann mit Urtikaria reagieren, wenn sie in engem zeitlichem Abstand mit der Nahrungsaufnahme ein NSAR eingenommen haben.
Was ist der Unterschied zwischen einer Pseudoallergie auf Schmerzmittel und einer echten Allergie auf Medikamente?
Pseudoallergien sind Unverträglichkeitsreaktionen mit allergieähnlichen Symptomen, aber ohne Immunreaktion. Die Hemmung der COX-1 führt zu einem Überwiegen von Leukotrienen. Die hierdurch vermittelten Symptome einer Pseudoallergie reichen von Hautausschlägen über Kopfschmerzen, Schwindel bis zu Asthma. Allergietests wie Pricktests mit Schmerzmitteln sind bei Pseudoallergie negativ.
Die echte IgE-vermittelte Soforttypallergie auf Schmerzmittel tritt meist schneller nach Einnahme der Medikamente auf und kann auch schwerere Symptome auslösen als Urtikaria oder Angiödeme. Auch anaphylaktische Schocks sind dann möglich.
Wie wird die Diagnose einer Allergie auf Schmerzmittel gestellt?
Die Diagnose einer Allergie auf Schmerzmittel wird durch eine gründliche Anamnese, gegebenenfalls einen Hauttest und eine orale Provokationstestung unter meist stationärer Überwachung in einer Klinik gestellt.
Welcher Arzt kann eine Allergie auf Schmerzmittel feststellen?
Jeder Allergologe mit einem Schwerpunkt auf Arzneimittelallergie-Abklärung kann auf eine Schmerzmittel-Allergie testen oder den Patienten an eine Klinik verweisen.
Welche Schmerzmittel kann man einnehmen, wenn man tatsächlich eine Allergie auf Schmerzmittel hat, oder sollte man komplett auf Schmerzmittel verzichten?
Opiate sind in der Regel sichere Ausweichpräparate bei einer NSAID-Überempfindlichkeit.
NSAID, die eventuell besser vertragen werden, hemmen weniger stark COX-1. Mögliche alternative Wirkstoffe wären zum Beispiel Etoricoxib, Oxicame oder Paracetamol. Es empfiehlt sich aber eine stationäre orale Provokationstestung zur Identifikation sicherer Alternativen. Diese wird in einer spezialisierten Klinik durchgeführt, in der Notfallmaßnahmen bei Bedarf schnell durchgeführt werden können.
Was tun bei Schmerzmittelunverträglichkeit?
Wenn man Schmerzmittel nicht verträgt, sollte man einen Allergologen aufsuchen und die Unverträglichkeit abklären lassen. Die verdächtigen Medikamente sollte man dann meiden. In vielen Fällen können natürliche Schmerzstiller wie Minzöl bei Kopfschmerzen oder eine Wärmflasche bei Bauchschmerzen erste Linderung verschaffen.
Frau Prof. Hofmann, herzlichen Dank für dieses Interview!
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: S. Jossé/ S.Hofmann, www.mein-allergie-portal.com
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