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Angioödem durch ACE-Hemmer: Was kann helfen?

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Angioödeme – Schwellungen durch ACE-Hemmer: Was kann helfen?; Bildquelle: J. Greve

ACE-Hemmer sind weltweit sehr häufig verschriebene Arzneistoffe, aber sie können Angioödeme - auch „Quincke-Ödeme“ genannt - auslösen. Zwar ist das eine seltene Nebenwirkung, aber wenn akute Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich auftreten, kann das lebensbedrohlich sein. Eine Arbeitsgruppe am Universitätsklinikum Ulm untersucht deswegen Möglichkeiten, ACE-bedingte Angioödeme besser zu behandeln. MeinAllergiePortal sprach mit Prof. Dr. med. Jens Greve, Oberarzt der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie am Universitätsklinikum Ulm und Priv.-Doz. Dr. med. Janina Hahn, Oberärztin an der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie am Universitätsklinikum Ulm.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartner: Dr. Jens Greve, Dr. Janina Hahn

Herr Prof. Greve, Frau Privatdozentin Hahn, was sind ACE-Hemmer?

ACE Hemmer gehören zu den am häufigsten eingesetzten Medikamenten in Deutschland. Indiziert werden ACE-Hemmer beispielsweise zur Therapie von Bluthochdruck und Herzschwäche.

Wie häufig kommt es durch ACE-Hemmer zu Schwellungen bzw. Angioödemen?

allergenimmuntherapie hausstaubmilbenallergie hypo priv dozentin dr janina hahn meinallergieportalPriv.-Doz. Dr. med. Janina Hahn; Bildquelle: J. HahnDie Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten, da von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen wird, weil die Ödeme nicht selten als Allergie fehldiagnostiziert werden. Angesichts der hohen Zahl von Menschen, die regelmäßig ACE-Hemmer einnehmen, ist das Problem der Angioödeme ausgesprochen relevant. In Deutschland verwenden schätzungsweise 7 Millionen Menschen diese Mittel gegen Bluthochdruck und Herzschwäche. Geht man bei den Quincke-Ödemen durch dieses Arzneimittel von 0,5 Prozent Betroffenen aus, muss man jährlich mit etwa 35.000 durch ACE-Hemmer ausgelöste Angioödem-Fälle rechnen.

Wo genau tritt das Angioödem genau, bzw. am häufigsten auf? Gibt es eine "Startlokalisation", bei der das Angioödem beginnt?

Durch ACE-Hemmer vermittelte Angioödeme treten typischerweise im Bereich der Schleimhäute und/oder Haut des Kopf-Hals-Bereiches auf. Das kann zum Beispiel innerlich – zum Beispiel im Bereich der Zunge sein. Eine typische Startlokalisation kann man nicht definieren, der Verlauf kann ganz unterschiedlich sein.

Es gibt eine Vielzahl von ACE-Hemmern. Besteht das Risiko, ein angioneurotisches Ödem zu entwickeln, bei allen Präparaten gleichermaßen?

Das Risiko für Angioödeme ist prinzipiell bei allen ACE-Hemmern vorhanden. In der Literatur gibt es jedoch unterschiedliche Angaben zur Häufigkeit des Auftretens. Diese liegt zwischen 0,1 und 0,7 Prozent. Es gibt also Schwankungen.

Tritt das Quincke-Ödem relativ schnell nach Beginn der Einnahme von ACE-Hemmern auf?

Nein, das ist nicht immer der Fall. Die Schwellungen können auch nach längerer Zeit problemloser Einnahme auftreten. Warum das der Fall ist, ist noch unbekannt. Angioödeme, die unter der Therapie mit einem ACE-Hemmer, aber nicht zum Beginn der ACE-Hemmer-Therapie auftreten, werden möglicherweise nicht mit diesem in Zusammenhang gebracht.

Somit ist die Diagnose nicht leicht zu stellen.

Gibt es ACE-Hemmer, bei denen es besonders häufig zu Schwellungen kommt?

Es gibt kein bestimmtes Präparat unter den ACE-Hemmern, bei denen Angioödeme ganz besonders häufig auftreten.

Gibt es Risikofaktoren, die das Auftreten von Angioödemen befördern?

Es ist bekannt, dass dunkelhäutige Menschen ein bei zu 3-fach erhöhtes Risiko für das Auftreten eines ACE-Hemmer induzierten Angioödems haben. Zudem gibt es weitere Medikamente mit ähnlichem Wirkungsmechanismus, die in Kombination mit ACE-Hemmern ein erhöhtes Ödem-Risiko haben.

Beim hereditären Angioödem, das durch dasselbe Gewebehormon ausgelöst wird, kennt man Risikofaktoren wie Stress, Entzündungen oder Traumata als Auslöser des Angioödems.

Bei den von ACE-Hemmern verursachten Angioödemen sehen wir diese Zusammenhänge bisher nicht. Hingegen dürfen Patienten mit hereditärem Angioödem keinen ACE-Hemmer einnehmen, da ein deutlich erhöhtes Risiko für ein Ödem besteht.

Können Angioödeme bei Patienten, die ACE-Hemmer nehmen, wiederholt auftreten?

Solange der ACE-Hemmer eingenommen wird, kann es zum Auftreten von Angioödemen kommen. Daher sollte der jeweilige ACE-Hemmer nach dem Auftreten eines solchen Angioödems unbedingt abgesetzt werden.

Warum kann es bei ACE-Hemmern so lange dauern, bis sich bei den Patienten erstmals ein Angioödem zeigt?

Die Gründe für diese Latenzzeit sind bislang unbekannt.

Wie haben Sie den Zusammenhang zwischen ACE-Hemmer und Angioödem bemerkt?

Die Angioödeme treten vornehmlich im Kopf-Hals-Bereich und dort im Bereich der Schleimhäute auf. Als HNO-Ärzte wurden wir deshalb gehäuft mit dem Phänomen konfrontiert, so dass wir relativ rasch eine Verbindung herstellen konnten.

Gehört das ACE-Hemmer-vermittelte Angioödem zu den allergischen Reaktionen?

Nein, es sind andere Mechanismen auslösend, als bei Allergien. Die normalerweise bei Allergien eingesetzten Medikamente wie Kortison und Antihistaminika helfen deshalb nicht, was die Patienten in lebensbedrohliche Situationen bringen kann.

Was genau ist denn dann ein durch ACE-Hemmer verursachtes Angioödem?

ACE-Hemmer-vermittelte Angioödeme sind durch das Gewebehormon Bradykinin vermittelte Angioödeme. Der ACE-Hemmer hemmt den Abbau des Bradykinins, dieses akkumuliert und es kann so zum Auftreten der Schwellungen, also zum Angioödem, kommen.

Bradykinin ist ein Gewebshormon, das bei der Kontrolle des Blutdrucks eine Rolle spielt. Wie kommt es aufgrund von ACE-Hemmern, die ja gerade den Blutdruck kontrollieren sollen, zu einer vermehrten Ausschüttung?

ACE-Hemmer hemmen die Umwandlung von Angiotensin I zu Angiotensin II. Folge ist, dass der Blutdruck gesenkt und somit auch die Nachlast für die Herzarbeit verringert wird.

Deshalb werden ACE-Hemmer auch zur Behandlung der Herzinsuffizienz eingesetzt. Bradykinin erhöht die Gefäßpermeabilität, es dilatiert periphere und koronare Arterien und hat antithrombogene, antiproliferative und antifibrinogene Wirkungen. Die Gefäßerweiterung und Permeabilitätserhöhung führt zum Flüssigkeitsaustritt aus den Gefäßen und damit zum Angioödem. Die gewünschte Wirkung des ACE-Hemmers ist nicht der Anstieg des Bradykinins, sondern die Hemmung des ACE.

Wie therapiert man ACE-Hemmer-vermittelte Angioödeme?

Zur Behandlung von akuten Angioödemen, ausgelöst von ACE-Hemmern, gibt es bislang noch keine zugelassene Therapieform. Das bedeutet jede Therapie erfolgt „off label“, das heißt außerhalb der Zulassung.

Zumeist werden die ACE-Hemmer vermittelten Ödeme erst wie allergische Schwellungen mit Kortsion und Antihistaminika behandelt. Es gibt zudem Bradykinin hemmende Medikamente, die für Patienten mit hereditärem Angioödem zugelassen sind. Zum Beispiel der Wirkstoff Icatibant, ein Bradykinin B2-Rezeptorblocker, der seit 2008 für die Behandlung des hereditären Angioödems zugelassen ist, kann auch Patienten mit einem ACE-Hemmer induzierten Angioödem helfen. Dabei wird das Bradykinin an seinem B2-Rezeptor, der überwiegend für die Entstehung eines Angioödems zuständig ist, gehemmt, wodurch sich das Angioödem zurückbildet. Icatibant ist eine zugelassene Therapie für die Indikation „hereditäres Angioödem“ und wird dafür auch eingesetzt. Die Therapie ist jedoch nicht überall vorhanden und verhältnismäßig teuer.

Die Patienten, die mit einem akuten Angioödem zu Ihnen kommen, befinden sich in einer Notsituation, wie gehen Sie hier vor?

Wenn die Patienten zu uns kommen, haben sie in der Regel bereits vom Notarzt Kortison und/oder ein Antihistaminikum erhalten. Wenn man dann durch die Anamnese feststellt, dass es sich höchstwahrscheinlich um ein durch ACE-Hemmer verursachtes Angioödem handelt und Kortison und Antihistaminikum keine Wirkung zeigen, versorgen wir den Patienten, nach entsprechender Aufklärung über die „off-label-Behandlung“ mit dem Bradykinin-Antagonisten. In der Regel ist der Patient in der Lage, seine Zustimmung zur Behandlung zu geben. Besteht akute Erstickungsgefahr, handeln wir, den mutmaßlichen Patientenwillen vorausgesetzt, ebenso.

Gibt es bei der Behandlung von Herzinsuffizienz und hohem Blutdruck Alternativen zu ACE-Hemmern?

Kommt es durch einen ACE-Hemmer zu einem Angioödem, empfehlen wir, dass der Hausarzt den Patienten auf ein anderes Medikament umstellt. Alternativen wären ein Kalzium-Antagonist oder Betablocker, je nachdem, was der Hausarzt oder der Kardiologe empfehlen.

Würden Sie empfehlen, dass ACE-Hemmer aufgrund des Angioödem-Risikos generell weniger häufig verordnet werden?

Ich würde nicht generell von ACE-Hemmern abraten. ACE-Hemmer haben eine ganze Reihe von Vorteilen für den Patienten und die Angioödemrate ist selten. Wichtig ist, dass die betreuenden Ärzte wissen, dass es diese durch ACE-Hemmer verursachten Angioödeme gibt. Wichtig zu wissen ist auch, dass die Angioödeme nicht in direktem Zusammenhang mit der Ersteinnahme stehen müssen, sondern auch nach Jahren der Einnahme noch auftreten können. Insbesondere dann, wenn der Patient keine Reaktion auf Kortison und Antihistaminika zeigt, sollte man an diese Möglichkeit denken. Und noch ein Hinweis: Die ACE-Hemmer induzierten Angioödeme treten immer ohne Juckreiz und Nesselsucht, also ohne Quaddelbildung, auf. Auch dies ist ein deutlicher Unterschied zum allergischen Angioödem.

Herr Prof. Greve, Frau Privatdozentin Hahn, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

08. Oktober 2022

Autor: S.Jossé/ J. Greve/ J. Hahn, www.mein-allergie-portal.com

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