Pruritus: Ursachen, Formen und neue Therapien bei ständigem Juckreiz

Der Pruritus bzw. der Juckreiz ist ein Symptom vieler Erkrankungen. Für die Betroffenen ist dieses Dauerjucken oft schwer zu ertragen. Die neuen Biologika könnten Therapieoptionen sein, die auch den Pruritus wirksam bekämpfen. MeinAllergiePortal sprach mit Prof. Sonja Ständer, Leiterin des Kompetenzzentrum Chronischer Pruritus (KCP) an dem Universitätsklinikum Münster über die neuen Therapieoptionen.
Autor: Sabine Jossé M. A.
Interviewpartner: Prof. Sonja Ständer ist Leiterin des Kompetenzzentrum Chronischer Pruritus (KCP) an dem Universitätsklinikum Münster
Frau Prof. Ständer, wie entsteht Juckreiz?
Juckreiz, oder Pruritus wie wir in Fachkreisen sagen, kann bei vielen Erkrankungen entstehen. Meist werden von den erkrankten Körperzellen Botenstoffe produziert und freigesetzt, die entsprechende Rezeptoren an den Nervenfasern haben und so direkt Jucken auslösen können. Die Nerven in der Haut, aber auch im Rückenmark und Gehirn können betroffen sein, je nach Erkrankung. Am besten erforscht ist das Jucken bei der Neurodermitis, der, wie der Name schon sagt, durch ein Zusammenwirken von besonderen Entzündungszellen und Haut-Nervenfasern entsteht.
Bei welchen Erkrankungen kann es zu Pruritus kommen?
Man teilt die Formen des Pruritus nach den betroffenen Organsystemen ein.
Es gibt vier Formen des Pruritus:
1. Der dermatologische Pruritus: Dazu gehören die Neurodermitis (atopische Dermatitis), die Psoriasis, die Urtikaria, Arzneimittelexantheme und viele weitere entzündliche oder infektiöse Hauterkrankungen.
2. Der systemische Pruritus: Dazu gehören der Juckreiz durch chronische Nierenerkrankungen, Juckreiz bei Lebererkrankungen, aber auch Juckreiz durch Medikamenteneinnahme. Auch Malignome, wie das Leberzellkarzinom können Juckreiz auslösen, genau wie Leukämie und Lymphome.
3. Der neuropathische Pruritus: Das heißt die Juckreiz-Formen, bei der ein Schaden am Nervensystem direkt besteht. Dazu gehört zum Beispiel, wenn auch selten, die Multiple Sklerose. Auch Kleinfaserneuropathien können die Ursache von Pruritus sein.
4. Die vierte große Gruppe der Erkrankungen, bei denen es zu Pruritus kommen kann, sind die psychosomatischen / psychiatrischen Erkrankungen, wie Depressivität oder Wahnvorstellungen. Hierbei kann auch eine chronische Prurigo entstehen.
Wie kommt es zur chronischen Prurigo, was ist die Ursache?
Eine chronische Prurigo entsteht, wenn Patienten mit einer Prädisposition, die langfristig kratzen, Juckknoten entwickeln. Die Grundlage kann eine atopische Dermatitis, eine Psoriasis oder eine Nieren- oder Lebererkrankung sein, aus der sich als weitere Erkrankung die chronische Prurigo, oder die sogenannten Juckknoten entwickeln.
Was genau kann man sich unter Juckknoten vorstellen? Können Prurigoknoten auch wieder verschwinden?
Der Begriff „Juckknoten“ beschreibt sehr typisch aussehende Knoten mit einem hautfarbenen oder gerötetem Zentrum und teilweise hyperpigmentiertem Rand. Sie sind in der Regel sehr therapieresistent und bleiben Jahre bis Jahrzehnte unverändert bestehen. Mittels neuer Therapien kann erstmalig eine Heilung erzielt werden, so dass die Knoten abflachen, jedoch leider meist eine Narbe hinterlassen. Grund dafür ist, dass die Haut sich in dem Knoten wie eine Narbe aufbaut und es auch zu Änderungen der Bindegewebsstruktur kommt.
Gibt es Faktoren, die den Juckreiz verstärken?
Ein wesentlicher Faktor, der den Pruritus bei bestimmten Formen wie zum Beispiel der Neurodermitis verstärken kann, ist das Kratzen. Auch grobe Kleidung, Temperaturschwankungen oder überhitzte Räume können den Pruritus fördern. Ebenso können häufiges Waschen und Baden, sowie entfettende Alkoholumschläge und Eispackungen zur Entstehung von Pruritus beitragen. Auch bestimmte Genussmittel, wie Alkohol, scharfe Gewürze, heiße Getränke etc. können Juckreiz hervorrufen. Darüber hinaus kann eine chronische Stressbelastung zu vermehrtem Juckreiz führen.
Welche neuen Therapieoptionen gibt es zur Behandlung des Pruritus und für welche Patienten kommen sie in Frage?
In der Pharmaindustrie wird viel geforscht, weil man erkannt hat, dass es in den letzten Jahrzehnten nur wenig Fortschritte bei der Juckreiz-Therapie gab. Dabei ist der Leidensdruck der Patienten ausgesprochen hoch. Außerdem wird eine langfristige Therapie benötigt, weil sich chronisches Jucken nur langsam zurückbildet.
Die Dermatologie bietet ein großes Potenzial für den Einsatz von Biologika, zum Beispiel zur Therapie der Prurigo nodularis und der mit Pruritus assoziierten moderaten bis schweren atopischen Dermatitis.
Die zur Behandlung der Prurigo nodularis und der Neurodermitis erforschten immunmodulierenden Systemtherapien blockieren die Wirkung des Interkeukin (IL)-4, IL-13 oder des IL-31 und damit gezielt Mechanismen, die an der Entzündung beteiligt sind.
Aber: Zurzeit sind Biologika in Europa nicht zur Therapie des chronischen Pruritus zugelassen, sondern zur Behandlung moderaten bis schweren Formen der Prurigo nodularis sowie der atopischen Dermatitis und der Psoriasis.
Biologika werden zurzeit also nicht allein zur Juckreiz-Therapie eingesetzt?
Allein zur Juckreiz-Therapie gibt es wie gesagt bisher kein zugelassenes Biologikum. Für die Behandlung der mittelschweren bis schweren Prurigo nodularis steht als erstes zugelassenes Biologikum Dupilumab für erwachsene Patienten zur Verfügung.
Im Oktober 2023 wurden die Ergebnisse der klinischen Phase-III-Studie zum Einsatz von Nemolizumab, einem IL-31-Rezeptor-α-Antagonisten veröffentlicht, die ebenfalls vielversprechend sind. Wir dürfen also gespannt beobachten, wie die Therapiemöglichkeiten der Prurigo zukünftig wachsen.
Für welche Prurigo-Patienten ist die Therapie mit Biologika die richtige Therapie?
Für die Biologika-Therapie mit dem bereits zugelassenen Biologikum Dupilumab kommen Patienten mit moderater bis schwerer Prurigo nodularis im Erwachsenenalter infrage. Zur Unterstützung der Indikationsstellung für eine Systemtherapie haben wir eine Checkliste entwickelt, die schnell im Alltag anwendbar ist und kostenlos heruntergeladen werden kann.
Für Patienten mit atopischer Dermatitis stehen mehrere zugelassene Biologika zur Verfügung - Dupilumab, Tralokinumab, Lebrikizumab -, die auch schon ab dem frühen Kindes- bzw. Jugendalter zugelassen sind.
Wie oft und durch welchen Weg erfolgt die Biologika-Therapie bei Pruritus?
Meist werden Biologika subkutan verabreicht und können grundsätzlich selbst vom Patienten gegeben werden. Die Dosis und Abstände in Wochen richten sich nach dem Präparat und der Erkrankung.
Gibt es auch Gründe, die im Patienten begründet sind und die gegen eine Pruritus-Behandlung mit Biologika sprechen?
Es gibt viele gesundheitliche Faktoren, die man bei der Behandlung von Pruritus-Patienten berücksichtigen muss. Dazu gehören das Alter und der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten, das Vorhandensein von Komorbiditäten oder die Einnahme von Medikamenten. Auch ob eine Schwangerschaft vorliegt, sollte berücksichtigt werden.
Auch der Leidensdruck, die Lokalisation der Hauterkrankung, Lokalisation und Intensität des Juckens sowie die persönlichen Umstände der Patienten werden bei der Therapieentscheidung berücksichtigt.
Das heißt, auch das persönliche Umfeld der Patienten wird bei der Therapieentscheidung berücksichtigt?
Ja, denn so sind zum Beispiel stationäre Klinikaufenthalte für viele Patienten heutzutage nicht mehr umsetzbar. Sei es aufgrund der Berufstätigkeit oder weil Kinder oder zu pflegende Angehörigen zu versorgen sind. Es gilt, sich an den Bedürfnissen des Patienten zu orientieren, und diese entsprechen nicht immer den Erwartungen. So zeigt zum Beispiel die Forschung von Prof. Matthias Augustin, UKE Hamburg, dass für viele Neurodermitis-Patienten nicht das Abheilen der Hautläsionen an erster Stelle steht. Für viele Patienten ist es in erster Linie wichtig, Medikamente an die Hand zu bekommen, die ihnen ein Stück Unabhängigkeit bieten und die ihnen häufige Klinikbesuche ersparen.
Erfüllen die Biologika den Wunsch der Patienten nach Unabhängigkeit?
Die Biologika erfüllen wie andere Therapieformen auch diese Bedürfnisse, auch weil sie nicht täglich verabreicht werden müssen. Allerdings monitoriert man die Patienten in der ersten Therapiephase auch engmaschiger, um sicher zu gehen, dass die Verträglichkeit gegeben ist. Insbesondere das Blutbild bzw. die Laborwerte der Leber und Nieren werden beobachtet, um eine Schädigung der Organe zu vermeiden. Der Patient muss sich also in gewissen Abständen zur Blutuntersuchung vorstellen.
All diese Faktoren, sowie die Steuerung, Dauer und potenzielle Nebenwirkungen der Therapie müssen mit den Betroffenen ausführlich besprochen werden, um eine praktikable Therapieentscheidung treffen zu können. Es ist wichtig, dass die Therapie für den Patienten umsetzbar ist und dass er weiß, was auf ihn zukommt.
Was ist in Bezug auf die Pruritus-Forschung in der Pipeline und in welchem Stadium?
Neben der bereits erwähnten Studie arbeiten Firmen an weiteren Antikörpern gegen eine Untereinheit des Interleukin-31-Rezeptors, der bereits in Phase II Studien bei der Prurigo untersucht wurde.
Spannend ist auch die klinische Testung von Barzolvolimab, einem monoklonalen Antikörper, der gegen das Protein KIT gerichtet ist, welches auf der Oberfläche bestimmter Immunzellen wie Mastzellen vorkommt und hier eine Schlüsselrolle bei ihrer Aktivierung und Funktion spielt.
In einer Phase III-Studie befindet sich weiterhin ein monoklonaler Antikörper gegen den OX-40-Rezeptor, der die T-Zell-vermittelte Immunantwort moduliert (Rocatinlimab).
Weiterhin werden Januskinase-Inhibitoren in klinischen Studien zur topischen und systemischen Behandlung der Prurigo untersucht.
Recht weit ist man auch bei den Opioidmodulatoren. So wurde zum Beispiel mittlerweile Difelikefalin zur Pruritus-Therapie bei erwachsenen Patienten mit chronischer Nierenerkrankung zugelassen, die eine Hämodialyse benötigen. Difelikefalin wurde zudem zur Behandlung der Notalgia parästhetica untersucht; Nalbuphin zur Behandlung der Prurigo.
Für die Patienten ist dies eine sehr positive Entwicklung, die Hoffnung gibt, denn noch vor einigen Jahren gab es hierfür keinerlei spezifische Therapieansätze. Um die Patienten besser über die Erkrankung und über neue Entwicklungen zu informieren, haben wir die Prurigo nodularis Liga gegründet, die auch auf den sozialen Medien - Facebook und Instagram - vertreten ist, um über aktuelle Entwicklungen zu berichten. Hier berichten wir auch im Anschluss an Kongresse über neue Therapieansätze und stoßen damit bei den Betroffenen auf großes Interesse. Es wird zwar noch geraume Zeit dauern, bis diese neuen Therapieansätze in Form von zugelassenen Medikamenten zur Verfügung stehen, aber es gibt ein Licht am Horizont.
An wen können sich Patienten wenden, wenn sich der Dauerjuckreiz nicht bessert?
In Deutschland gibt es glücklicherweise Expertenzentren, die aufgesucht werden können. An vielen weiteren Standorten gibt es die Möglichkeit an klinischen Studien teilzunehmen.
Die Leitlinie wird derzeit aktualisiert und steht jedem Kollegen zur Verfügung.
Frau Prof. Ständer, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Weiterführende Literatur und Informationen:
Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus, https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/013-048.html
https://www.ukm.de/index.php?id=prurigo-nodularis-liga
https://www.facebook.com/PrurigoNodularisLeague/
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: S. Jossé/ S. Ständer, www.mein-allergie-portal.com
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