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Haben Allergiker ein besseres Immunsystem?

Haben Allergiker ein besseres Immunsystem?
Sind Allergiker in Bezug auf Virusinfektionen mehr oder weniger gefährdet? Bildquelle: T. Zuberbier

Viele Menschen mit allergischem Schnupfen oder allergischem Asthma waren angesichts der Coronavirus-Pandemie stark verunsichert. Aber auch Patienten, die aufgrund von Hauterkrankungen wie Neurodermitis oder Urtikaria therapiert werden, machten sich Gedanken. Die grundlegende Frage lautete: Sind Allergiker gegenüber Virusinfektionen stärker gefährdet oder haben sie ein besseres Immunsystem? Darüber sprach MeinAllergiePortal mit Prof. Dr. med. Torsten Zuberbier, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie an der Charité in Berlin.

Autor: Sabine Jossé M.A.

Interviewpartner: Prof. Dr. med. Torsten Zuberbier

Herr Prof. Zuberbier, wie gefährlich sind Viruserkrankungen für Allergiker?

Um diese Frage zu beantworten, möchte ich zunächst auf die Rolle des Immunsystems eingehen. Bei Menschen mit Soforttyp- Allergien richtet sich das Immunsystem irrtümlich gegen eigentlich harmlose Stoffe, wenn es sich gegen die Allergene aus Pollen oder Hausstaubmilben wendet. In der Evolutionsgeschichte ist diese genetische Fähigkeit schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt entstanden, denn sie bot einen Überlebensvorteil.

Welchen Überlebensvorteil haben Menschen mit Allergien aus evolutionsgeschichtlicher Sicht?

Menschen mit Soforttyp-Allergien erkranken an schweren Infektionserkrankungen deutlich seltener als andere. Dazu zählt zum Beispiel die Hepatitis, eine virusbedingte Entzündung der Leber. Das konnte in einer italienischen Untersuchung aus den 90er Jahren an Militärrekruten mit Pollenallergien gezeigt werden. Das bedeutet Menschen, die an einer Soforttyp-Allergie leiden, haben im Grunde ein ausgesprochen starkes Immunsystem. Man könnte also sagen, dass Allergiker ein besseres Immunsystem haben.

Könnte das heißen, dass Menschen mit Allergien vom Soforttyp sich auch seltener mit SARS-CoV-2 oder anderen Viren infizieren?

Eine Aussage zum Infektionsrisiko von Soforttyp-Allergikern mit dem Coronavirus lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht treffen, dafür ist Beobachtungszeit zu kurz. Man kann jedoch sagen, dass Menschen mit Soforttyp-Allergien eher weniger stark gefährdet sind, sich mit Viruserkrankungen zu infizieren. Auf keinen Fall jedoch besteht aufgrund der allergischen Erkrankung vom Soforttyp ein größeres Risiko für eine Virusinfektion.

Haben Allergiker auch seltener einen schweren Verlauf bei Corona oder anderen Viruserkrankungen?

Die meisten Studien zeigen, dass Patienten mit Asthma und allergischen Krankheiten kein erhöhtes Risiko für eine schwere COVID-19 Infektion haben. Im Gegenteil, Menschen mit allergischen Krankheiten wie atopische Dermatitis, allergische Rhinitis und Nahrungsmittelallergien zeigen eine höhere Expression von bestimmten Immunzellen in ihrem Körper, die eventuell gegen Inflammation bei der Covid-19 Infektion protektiv wirken.

 

Sind auch Menschen mit allergischem Asthma vor Virusinfekten besser geschützt?

Auch Patienten mit einem allergischen Asthma gehören in Bezug auf Virusinfektionen oder das Coronavirus nicht per se zur Risikogruppe. Vielmehr hängt dies immer vom Schweregrad der Erkrankung und der Behandlung ab. Deswegen der wichtige Ratschlag, den auch die allergologischen Fachgesellschaften in ihren Stellungnahmen zum Umgang mit allergischen Erkrankungen angesichts des Coronavirus geben: Die Asthma-Behandlung sollte in Zeiten vermehrter Virusinfektionen auf keinen Fall vorsorglich unterbrochen werden. Menschen mit Allergien sollten ihre Medikamente zu jedem Zeitpunkt sehr regelmäßig einnehmen. Der Grund: Je besser die Schleimhäute geschützt sind, desto weniger leicht können Viren eindringen.

Inwiefern wirkt sich bei Allergikern eine regelmäßige Einnahme der Medikamente schützend auf die Schleimhäute aus?

Bei einer aktiven, nicht behandelten Allergie weisen die Nasenschleimhaut oder die Lungenschleimhaut ganz klare Schädigungen auf. Diese entsprechen den Schädigungen der Haut, die man von der Neurodermitis in Form von Ekzemen kennt. Wenn die Allergie unkontrolliert ist, kann man sich die Schleimhäute von Nase und Lunge ähnlich vorstellen. Nur durch die Fortführung der Therapie sind die Patienten bestmöglich geschützt. Diese Empfehlung gilt auch für Patienten, die gerade eine Hyposensibilisierung oder auch „Allergenspezifische Immuntherapie (AIT)“ oder Desensibilisierung erhalten.

Das bedeutet, eine Desensibilisierung kann das Immunsystem keinesfalls in Bezug auf Corona oder andere Viren schwächen?

Ja, eine Desensibilisierung mit Allergenen soll auch während der Pandemie fortgeführt werden. Nur bei einer aktiven Covid-19-Infektion kann eine Desensibilisierung, die mittels Injektionen durchgeführt wird, pausiert werden, sodass das Immunsystem nicht mehrfach „belastet“ wird.

Warum betonen Sie im Zusammenhang mit dem starken Immunsystem von Allergikern die Allergien vom Soforttyp?

Ich mache da einen Unterschied, weil es viele verschiedenen Formen von Allergien gibt, Allergien vom Soforttyp und Allergien vom Spättyp. Die IgE-vermittelte Allergie vom Soforttyp oder auch die Typ-I-Allergie, ist die häufigste Form der Allergie.

Zu den Allergien von Soforttyp gehören zum Beispiel:

Bei dieser Form der Allergie werden Antikörper gebildet, die auf sogenannten Mastzellen, den Abwehrzellen in der Haut und der Schleimhaut, sitzen. Bei Allergenkontakt kommt es sehr schnell zu Beschwerden, wie Niesen, Nasejucken, Augentränen. Diese Symptome kennt man zum Beispiel vom Heuschnupfen.

Wie sieht es bei Neurodermitis- und Urtikaria-Betroffene aus, erkranken sie auch seltener an Virusinfektionen und eventuell auch am Coronavirus?

Auch Menschen mit Neurodermitis und Urtikaria haben kein erhöhtes Risiko an Covid-19 zu erkranken. Der Verlauf einer viralen Infektion kann bei diesen Patienten sogar milder sein aufgrund der aktiven Immunzellen die für einen Schutz gegen Entzündung sorgen. Anderseits kann eine Urtikaria und die Neurodermitis (oder atopische Dermatitis) durch eine Covid-19 Infektion aktiviert bzw. aggraviert werden.

Und was weiß man über das Immunsystem von Allergikern mit Allergien vom Spättyp?

Seltenere Allergien sind die Allergien auf Medikamente oder Kontaktallergien, die sich in Form von Kontaktekzemen äußern. Kontaktallergien sind Allergien vom Spättyp und weisen einen anderen Mechanismus auf. Sie sind nicht gemeint, wenn vom Zusammenhang von allergischen Erkrankungen und Viruserkrankungen wie Corona die Rede ist. Allerdings gibt es auch für die Kontaktallergien keinerlei Hinweise darauf, dass das Immunsystem der Patienten im Hinblick auf die Abwehr von Viren in irgendeiner Weise beeinträchtigt sein könnte. Die virale Abwehr erfolgt üblicherweise über die Bildung von Antikörpern und dieser Prozess wird hier nicht tangiert.

Manche Allergiker berichten, dass sie nach einer Corona-Infektion oder Corona-Impfung weniger Heuschnupfen-Symptome haben, kann das sein?

Theoretisch kann eine Corona Infektion oder eine Impfung zahlreiche immunologische Reaktionen im Körper aktivieren. Durch diese Aktivierung können auch andere Systeme antientzündlich also positiv beeinflusst werden.

Das Phänomen „Long Covid“ wird heftig diskutiert - kann das Corona-Virus auch Allergien triggern?

Ja, zahlreiche Studien zeigen, dass zum Beispiel eine chronisch spontane Urtikaria durch die Covid-19 Infektion aktiviert werden kann. Auch nachdem der Patient wieder gesund ist, kann die Urtikaria lange persistieren.

Herr Prof. Zuberbier, herzlichen Dank für dieses Interview!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

17. November 2022

Autor: S. Jossé/ T. Zuberbier, www.mein-allergie-portal.com

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