Reizdarm: Wann helfen pflanzliche Medikamente?
Bei Patienten mit Reizdarm ist das Interesse an pflanzlichen Medikamenten, auch Phytopharmaka genannt, groß. Allerdings stellt sich dann manchmal die Frage, ob pflanzliche Medikamente auch ausreichend wirksam sind und ob man einen Reizdarm rein pflanzlich behandeln kann. MeinAllergiePortal sprach mit der Prof. Karen Nieber, ehem. Leiterin des Lehrstuhls Pharmakologie am Institut für Pharmazie der Universität Leipzig über pflanzliche Hilfe gegen Reizdarm.
Autor: Sabine Jossé M.A.
Interviewpartner: Prof. Karen Nieber
Frau Prof. Nieber, können pflanzliche Medikamente beim Reizdarm helfen, was kann man pflanzlich tun?
Studien zeigten, dass pflanzliche Medikamente eine gut verträgliche Alternative zu chemisch-definierten Medikamenten bei Magen-Darm-Problemen sind. Mit Hilfe von pflanzlichen Medikamenten kann man einen Reizdarm beruhigen.
Welche Pflanzen helfen denn bei Reizdarm?
Beim Reizdarm haben sich die drei Bestandteile Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle bewährt, weil sie sich in ihren Wirkungen ergänzen. Die Wirkung der Myrrhe ist sehr vielfältig, krampfstillend, entzündungshemmend, beruhigend, austrocknend, blähungsmindernd sowie wundheilend und antibakteriell. Die Kamillenblüten wirken entzündungshemmend, antimikrobiell und unterstützen die Wirkung von Myrrhe und der Kaffeekohle. Kaffeekohle "saugt" nicht nur Giftstoffe auf, sodass diese ausgeschieden werden, sondern enthält auch pharmakologisch-aktive sekundäre Pflanzenstoffe, die eine vielfältige entzündungshemmende Wirkung vermitteln. Diese Pflanzenkombination ermöglicht einen synergistischen Wirkmechanismus auf mehreren Ebenen, der auch als „Multi-Target-Wirkung“ bekannt ist. Das pflanzliche Mittel sorgt somit für eine Aktivierung der Magen-Darm-Schleimhaut und reduziert die Entzündungsanfälligkeit der Schleimhaut. Eine Multi-Center-Kohortenstudie mit mehr als 1.000 Patienten in 131 Arztpraxen zeigte, dass die unterstützende Behandlung zu einer deutlichen Besserung der Durchfallsymptomatik und des Gesamtbeschwerdebilds bei Reizdarm sowie chronisch- und akut-entzündlichen Darmerkrankungen führte.
Bei zahlreichen Verdauungsbeschwerden wie Reizdarm und Durchfall haben sich auch andere Heilpflanzen bewährt – so beispielsweise Blutwurz und Flohsamen. Wenn man diese Heilpflanzen kombiniert einsetzt, verstärken sie sich häufig in ihrer Wirksamkeit. So kann man einen Reizdarm sehr gut pflanzlich behandeln.
Wirken pflanzliche Arzneien auch bei Darmentzündungen?
Die entzündungshemmenden und Gewebe-regenerierenden Wirkungen von pflanzlichen Mitteln spielen beim Reizdarm eine Rolle. Bisher wusste man aber wenig über die Wirkungsmechanismen. Wir konnten in Studien zeigen, dass Myrrhe den Spannungszustand der glatten Darmmuskulatur senkt, die Stärke der Darmkontraktionen verringert und dadurch Darmkrämpfe lindern kann.
Haben pflanzliche Medikamente gegen Reizdarm auch eine Wirkung auf die Darmbarriere, die beim Reizdarm ja auch eine Rolle spielt?
Die Forschungen der Kollegen der Berliner Charité zur pflanzlichen Therapie beim Reizdarm ergaben, dass Myrrhe außerdem die Darmbarriere stärkt. Das kann hilfreich sein, um einem "Leaky Gut Syndrom" vorzubeugen. Dieser "durchlässige Darm" kann sowohl Auslöser des Reizdarmsyndroms als auch von Allergien und Unverträglichkeiten sein.
Was genau ist Kaffeekohle? Kann man sie selber machen bzw. selbst herstellen?
Im Gegensatz zur medizinischen Aktivkohle, die durch eine „komplette“ Verkohlung zum Beispiel der Kokosnussschale entsteht, wird die Kaffeekohle gezielt nur bis zu einem bestimmten Grad der Kaffeebohnen geröstet. So bleiben stoffwechselaktive Bestandteile enthalten, die auch im Kaffee zu finden sind. Durch dieses spezielle Herstellungsverfahren lässt sich auch erklären, warum die Kaffeekohle im Gegensatz zur medizinischen Aktivkohle nicht nur physikalisch-adsorbierend wirkt, sondern zusätzlich auch pharmakologische Effekte ausübt. Außerdem wurde im Rahmen einer Studie an der Universität Leipzig gefunden, dass sich die Partikelstrukturen beider Substanzen unterscheiden. Die Oberfläche von Kaffeekohlepartikeln ist weniger porös, was auf ein anderes Adsorptionsvermögen im Vergleich zu Aktivkohle hindeutet. Da Kaffeekohle durch einen speziellen, genau definiten Prozess hergestellt wird, kann man dieses medizinische Produkt nicht selbst herstellen.
Bei Reizdarmpatienten gibt es ja unterschiedliche Symptome….
Hauptsymptome des Reizdarmsyndroms sind Bauchschmerzen in Verbindung mit veränderten Stuhlgewohnheiten wie Durchfällen, Verstopfung oder Wechsel von Durchfall und Verstopfung.
Entsprechend der Änderung der Stuhlfrequenz werden drei Reizdarm-Typen unterschieden, die unterschiedlich häufig auftreten:
- Verstopfungs-Typ (17 Prozent)
- Durchfall-Typ (32 Prozent)
- Gemischter Typ (46 Prozent)
Welche pflanzlichen Medikamente können für welchen Reizdarm-Typ angewendet werden?
Für Reizdarm vom Verstopfungs-Typ tut eine ballaststoffreiche Ernährung gut – insbesondere lösliche Ballaststoffe wie Leinsamen und Indische Flohsamenschalen. Wie ein Schwämmchen binden sie Wasser im Darm, steigern das Stuhlvolumen und erleichtern den Toilettenbesuch. Die Wirksamkeit ist aber nur dann gegeben, wenn sehr viel Flüssigkeit zu den Ballaststoff-Präparaten genommen wird. . Besonders geeignet ist Pfefferminzöl, wenn die Symptome schmerzhafte Krämpfe (Spasmen) und spastische Verstopfung bzw. schmerzhafte Blähungen vorherrschend sind. Wichtig bei der Anwendung sind magensaftresistente Zubereitungen in Weichgelatinekapseln, die erst in den betroffenen Darmabschnitten ihre Wirkung entfalten und zu keiner Reizung der Magenschleimhaut führen. Für Reizdarm-Betroffene, die zu Verstopfung neigen, lohnt sich auch eine Ernährungsumstellung. Stopfende Lebensmittel wie Kakao, Bananen, Heidelbeeren oder gekochte Karotten sollten vermieden werden. An ihre Stelle rücken Sauermilchprodukte wie Joghurt, Quark und Kefir
Beim Reizdarm vom Durchfall-Typ wird bereits seit mehr als 60 Jahren ein Kombinationsarzneimittel aus Kaffeekohle, Myrrhe und Kamille zur unterstützenden Behandlung von Magen-Darm-Störungen eingesetzt, besonders wenn diese mit Durchfällen, Krämpfen und Blähungen einhergehen. Aber nicht nur die veränderte Stuhlgewohnheit wird dadurch verbessert, auch die entzündungshemmende Wirkung kann dazu beitragen, dass sich die Symptome des Reizdarmsyndroms bessern. In der S3-Leitlinie „Colitis ulcerosa“ wird diese pflanzliche Kombination in der Remissionserhaltung empfohlen.
Beim gemischten Reizdarm-Typ kann eine Pflanzenkombination aus Kümmel, Iberis Amara, Mariendistel, Kamille, Süßholzwurzel, Pfefferminz, Melisse und Schöllkraut gut helfen, wie klinische Studien zeigten. Die unterschiedlichen Pflanzenextrakte wirken an mehreren Stellen des Verdauungstrakts gleichzeitig und können so verschiedene Beschwerden des Reizmagens und Reizdarmsyndroms lindern. Für eine Langzeitbehandlung steht auch ein Kombinationspräparat ohne Schöllkraut zur Verfügung.
Gibt es weitere Arzneipflanzen, die Reizdarm, auch Reizdarm und Durchfall helfen können?
Neben den bereits erwähnten Mitteln haben sich bei Reizdarm weitere Kombinationen bewährt, die Pfefferminz- und Melissenblätter und Kümmel- sowie Mariendistelfrüchte enthalten oder eine Kombination aus Süßholzwurzel, Gänsefingerkraut, Angelikawurzel, Kamillenblüten und Bitterstoffe.
Bei Reizdarm und Durchfall können auch getrocknete Heidelbeeren zur Linderung der Beschwerden beitragen. Wissenswertes zum Thema "Pflanzliche Hilfe beim Reizdarmsyndrom" finden Patienten in der gleichnamigen Broschüre, die von der Deutschen Reizdarmhilfe e.V. empfohlen wird. Es gibt also einige Möglichkeiten, einen Reizdarm mit pflanzlichen Präparaten zu behandeln.
Welche Maßnahmen helfen Menschen mit Reizdarm sonst noch?
Das Führen eines Symptom- und Ernährungstagebuchs kann helfen herauszufinden, welche Nahrungsmittel gut und welche schlecht für den Reizdarm sind. Eine ausgewogene, ballaststoffreiche Ernährung und häufige kleinere Mahlzeiten können helfen, dass der Darm besser funktioniert. Alkohol, scharfe Gewürze und Nikotin sollten vermieden werden. Wichtig ist auch Stress abzubauen und sich viel bewegen, zum Beispiel durch Walking oder Jogging. Spezielle mikrobiologische Untersuchungen des Stuhls können dazu beitragen Ursachen herauszufinden, die die Symptome des Reizdarms verschlimmern. Es können zum Beispiel Enzyme oder Botenstoffe vermehrt nachgewiesen werden, die typisch für Entzündungen der Darmschleimhaut sind. Wenn eine unausgewogen zusammengesetzte Bakterienbesiedlung im Darm zu den Symptomen beiträgt, dann können Probiotika helfen, indem sie das natürliche Gleichgewicht der Darmflora wiederherstellen.
Wie schnell helfen pflanzliche Mittel beim Reizdarm?
Bei den Behandlungsempfehlungen der Fachgesellschaften wird betont, dass die Wirkung pflanzlicher Medikamente auf unsere Verdauungsorgane nicht zu unterschätzen ist. Viele Patienten würden diese aber nicht lange genug anwenden, um eine positive Wirkung zu erreichen. Es ist wichtig, mehrere Wochen bis zu drei Monaten mit der Phytotherapie durchzuhalten, um eine Besserung zu erzielen. Um die Beschwerden effektiv zu lindern, ist bei der Phytotherapie Geduld gefragt.
Wo liegen die Vorteile pflanzlicher Arzneimittel bei Verdauungsbeschwerden?
Die Anwendung von pflanzlichen Kombinationen bei Verdauungsbeschwerden hat eine lange Tradition und sind zum Teil uralte Hausmittel. Naturheilmittel haben in dieser Zeit ein hohes Sicherheitsprofil bewiesen, denn die Nebenwirkungen sind gering oder zu vernachlässigen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Darmschleimhaut durch pflanzliche Kombinationspräparate nicht angegriffen wird.
Ganz wesentlich ist, dass ein Pflanzenextrakt per se ein Vielstoffgemisch mit einer Vielzahl pharmaklogisch aktiver Stoffe ist. Diese lösen unterschiedliche, je nach Wirkort sogar gegensätzliche Wirkungen aus. Das ist bei Krankheitsbildern mit unterschiedlichen Ursachen, wie es beim Reizdarmsyndrom der Fall zu sein scheint, von großem therapeutischem Wert.
Wo sehen Sie beim Reizdarm die Grenzen pflanzlicher Medikamente?
Pflanzliche Arzneimittel haben große Vorteile bei gastrointestinalen Befindlichkeitsstörungen und leichten Verdauungsbeschwerden. Hier sind sie gut für eine Langzeittherapie geeignet und können chemisch-definiere Arzneimittel ersetzen oder ergänzen. Bei mittelschweren und schweren Verlaufsformen sollten allerdings Standardmedikamente vom Arzt verschrieben werden.
Frau Prof. Nieber, herzlichen Dank für dieses Interview!
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: S. Jossé/ K. Nieber, www.mein-allergie-portal.com
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