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Schwellungen an Hals & Kopf: Ursache, Therapie, Maßnahmen!

Schwellungen Kopf-Hals-Bereich hereditäres Angioödem
Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich, was kann das sein? Bildquelle: canva dragon images, africa images

Wenn es zu einer Schwellung im Gesicht oder im Bereich der Schluck-Atem-Wege kommt, der medizinische Fachbegriff lautet „Angioödem“, kann das für die Betroffenen sehr unangenehm sein. Schwellungen an den oberen Atemwegen können jedoch auch lebensbedrohlich werden, wenn sie so stark werden, dass die Atmung eingeschränkt wird. Kommt es zu einer Notfallsituation aufgrund akuter Erstickungsgefahr, kann schnelles Handeln lebensrettend sein. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es unterschiedliche Arten von Schwellungen gibt, die auch unterschiedliche Maßnahmen erfordern. Welche Ursachen können Schwellungen haben, welche Therapien sind möglich und welche Notfallmaßnahmen sollte man kennen, wenn es zu Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich kommt? MeinAllergiePortal sprach mit Prof. Dr. med. Jens Greve, Oberarzt der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie am Universitätsklinikum Ulm und Priv.-Doz. Dr. med. Janina Hahn, Oberärztin an der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie am Universitätsklinikum Ulm über Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich: Ursache, Therapie und Notfallmaßnahmen.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartner: Prof. Dr. med. Jens Greve, Priv.-Doz. Dr. med. Janina Hahn

Dr. Jens Greve

 

Dr. med. Janina Hahn, Assistenzärztin an der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie am Universitätsklinikum Ulm.

 

Frau Dr. Hahn, Herr Prof. Greve, welche unterschiedlichen Ursachen können Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich haben?

Frau Dr. Hahn: Es gibt zwei Arten von Schwellungen, die sich nach dem zugrunde liegenden Gewebshormon unterteilen lassen. Zum einen gibt es Schwellungen, die durch von Mastzellen ausgeschüttete Botenstoffe, hauptsächlich dem Gewebshormon Histamin, verursacht werden. Zu diesen Mastzell-vermittelten Schwellungen kann es zum Beispiel im Rahmen einer Urtikaria, auch Nesselsucht genannt, oder auch im Rahmen von Allergien kommen.

Seltener sind die durch das Gewebshormon Bradykinin-vermittelten Schwellungen, die zum Beispiel im Rahmen des hereditären Angioödems, einer vererbbaren Erkrankung, auftreten können. Auch Medikamente können diese Art von Schwellungen verursachen, ein möglicher Auslöser sind zum Beispiel ACE-Inhibitoren, blutdrucksenkende Medikamente.

 

 

Wo genau im Kopf-Hals-Bereich können Schwellungen bzw. Angioödeme auftreten?

Herr Prof. Dr. Greve: Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich können in dieser Körperregion sowohl innen, d.h. in Mundhöhle, Rachen oder Kehlkopf, als auch außen, im Gesicht, auftreten. Auch können Angioödeme von außen nach innen übergehen. Wenn sich z.B. außen an der Lippe ein Angioödem bildet, ist nicht absehbar, ob sich die Schwellung weiter in die Mundhöhle hinein und dann auch in Richtung Kehlkopf fortsetzen wird.

Frau Dr. Hahn: Angioödeme, die als Nebenwirkungen auf Medikamente auftreten, z.B. auf ACE-Hemmer, treten fast ausschließlich im Kopf-Hals-Bereich auf.

Herr Prof. Dr. Greve: … und hier speziell im Bereich der Schleimhäute, wie Mundhöhle, Rachen und Kehlkopf.

Was genau passiert im Körper, wenn es zu Schwellungen kommt?

Herr Prof. Dr. Greve: Bei Schwellungen kommt es zu einer Gefäßerweiterung und zu einer Permeabilitätserhöhung. Permeabilitätserhöhung bedeutet, dass Flüssigkeit durch die Gefäßwand in das umliegende Gewebe austreten kann. Dadurch kommt es zu einer Flüssigkeitsansammlung und damit zu einer Schwellung.

Wie häufig sind die Mastzell-vermittelten Schwellungen?

Frau Dr. Hahn: Am häufigsten sind die Mastzell-ausgelösten, Mastzell-vermittelten Schwellungen. Dazu gehört der komplette Formenkreis der Allergien, wie zum Beispiel durch Wespenstiche oder Nahrungsmittelallergien ausgelöste klassische Sofortreaktionen. Dazu gehört die Urtikaria, oder Nesselsucht, die zum Teil allergisch bedingt sein kann, aber auch unabhängig von Allergien möglich ist. Zudem gibt es eine große Gruppe idiopathischer Schwellungen, das sind Schwellungen, deren Ursache unklar ist.

Wie häufig kommt es zu Bradykinin-vermittelten Schwellungen?

Frau Dr. Hahn: Die Bradykinin-vermittelten Schwellungen als Nebenwirkung auf ACE-Inhibitoren sind eher selten. Lediglich bei 0,5 Prozent der Patienten, die ACE-Hemmer einnehmen, kommt es zu Schwellungen als Nebenwirkung des Medikamentes. Allerdings ist die Zahl der Menschen, die regelmäßig ACE-Hemmer einnehmen, so groß, dass man in Deutschland von mehreren Tausend Fällen pro Jahr ausgehen muss. Die Dunkelziffer dürfte hier jedoch relativ hoch sein.

 

Und wie häufig kommt es zu den Bradykinin-vermittelten Schwellungen?

Frau Dr. Hahn: Die erbliche Variante der Schwellungen, das hereditäre Angioödem (HAE), ist sicher die seltenste Form der Schwellungen. Hier erfolgt der entscheidende Hinweis in der Regel durch die Anamnese, denn die Patienten geben oft an, dass in der Familie bereits ähnliche Fälle aufgetreten sind.

Herr Prof. Dr. Greve: In der Literatur ist in Bezug auf das hereditäre Angioödem von einer Erkrankungszahl von 1 zu 10.000 bzw. 40.000 die Rede, für Deutschland geht man von knapp 1.600 diagnostizierten Patienten aus. Es gibt jedoch bestimmt auch hier eine hohe Dunkelziffer, denn wir diagnostizieren immer wieder neue Patienten im Erwachsenenalter mit der erblichen Form der Bradykinin-vermittelten Schwellungen. Allein in unserer Klinik sind das jährlich 5 bis 10 Neudiagnosen des hereditären Angioödems pro Jahr.

Oft berichten die Patienten, dass sie schon seit Jahren unter den Symptomen leiden, und häufig sind bei den Patienten auch die Eltern oder Geschwister vom hereditären Angioödem betroffen. Bei ca. 25 Prozent der Patienten handelt es sich jedoch um Spontanmutationen, das heißt, dass bei diesen Patienten die Erkrankung tatsächlich erstmals in der Familie auftritt, was die Diagnose noch schwieriger macht.

Wie gefährlich sind Mastzell-vermittelte Schwellungen?

Frau Dr. Hahn: Bei Schwellungen kommt es auf die Lokalisation an, das heißt, auf die Körperstelle, an der die Schwellung manifestiert ist. Befindet sich eine Schwellung im Bereich der oberen Schluck-Atem-Straße, also im Hals, insbesondere im Bereich des Kehlkopfes, ist die Schwellung immer gefährlich. Der Grund hierfür ist, dass der Verlauf der Schwellung nicht vorhersehbar ist und fortschreiten kann.

Etwas ungefährlicher, aber dennoch auch sehr gefährlich, sind die Mastzell-vermittelten Schwellungen. Das liegt daran, dass von ärztlicher Seite bei Schwellungen grundsätzlich Kortison und Antihistaminika eingesetzt werden, um die Schwellung zum Abklingen zu bringen. Das ist die übliche und auch schnell verfügbare Therapie. Die Mastzell-vermittelten Schwellungen sprechen auf diese Therapie an und die Schwellungen gehen zurück.

Gilt das auch für Bradykinin-vermittelte Schwellungen?

Herr Prof. Dr. Greve: Ebenso gefährlich, wenn nicht noch gefährlicher, sind die Bradykinin-vermittelten Schwellungen, sei es die medikamenteninduzierten Schwellungen oder das hereditäre Angioödem. Der Grund: Diese Formen der Schwellungen treten deutlich seltener auf, werden häufig nicht erkannt und dementsprechend auch häufig nicht richtig therapiert. Gefährlicher sind die Bradykinin-vermittelten Schwellungen also nicht per se, sondern deshalb, weil die Gefahr besteht, dass sie nicht erkannt werden und wie Histamin-vermittelten Schwellungen behandelt werden. Auf diese Therapie sprechen die Bradykinin-vermittelten Schwellungen jedoch nicht oder nur unzureichend an.

Als ein mögliches Begleitsymptom von Schwellungen hatten Sie eine Urtikaria genannt, gibt es weitere Begleitsymptome, die die unterschiedlichen Angioödem-Formen unterscheiden?

Herr Prof. Dr. Greve: Das urtikarielle, Mastzell-vermittelte Angioödem kann sich von den anderen Schwellungsformen dadurch unterscheiden, dass es bei der Urtikaria in der Regel zu Quaddeln und Juckreiz kommt. Häufig hatten die Patienten in der Vergangenheit bereits nesselsuchtartige Beschwerden, so dass sich die Diagnose aus der Anamnese ergibt.

Beim Bradykinin-vermittelten Angioödem hingegen kommt es weder zu Quaddeln noch zu Juckreiz, sondern ausschließlich zu Schwellungen. Aufgrund des großen Flüssigkeitsvolumens im Gewebe kann es bei Bradykinin-vermittelten Schwellungen auch zu Spannungsschmerz kommen und häufig dauern diese Schwellungen recht lange an, unbehandelt bis zu 72 Stunden, das heißt ca. zwei bis drei Tage.

Betroffene berichten häufig, dass die Schwellungen bereits zurückgegangen sind, bis ein Arzttermin möglich ist…

Herr Prof. Dr. Greve: Dieses Problem trägt dazu bei, dass es oft schwierig ist, die Diagnose zu sichern, denn am besten ist es immer, der Arzt kann das Angioödem sehen. Glücklicherweise besitzen aber die meisten Menschen ein Smartphone, sodass die Patienten ein Bild machen und in die Sprechstunde mitbringen können. Wir raten unseren Patienten aber grundsätzlich, bei einer Schwellung im Kopf-Hals-Bereich sofort in die Notfallambulanz zu kommen, die 24 Stunden am Tag verfügbar ist.

Gibt es für die Schwellungen auch frühe Warnzeichen?

Prof. Dr. Greve: Bei manchen HAE-Patienten kommt es im Vorfeld der Schwellungs-Attacken zu frühen Warnzeichen man nennt das auch „Prodromi“. Dazu gehört zum Beispiel das Erythema marginatum. Das ist ein Girlanden-förmiges, rotes Erythem – eine Rötung der Haut. Dieses Erythem ist nicht erhaben, es befindet sich also auf Hautniveau und es juckt auch nicht. Kommt es bei einem Patienten zu Prodromi hat das den Vorteil, dass man sich sofort behandeln kann. So kann vermieden werden, dass es überhaupt zu einer Schwellungs-Attacke kommt.

Weitere Prodromi, bzw. frühe Warnzeichen für Schwellungs-Attacken, sind zum Beispiel:

  • Müdigkeit
  • Gesteigertes Durstgefühl
  • Unruhegefühl

Wie wird die Diagnose Mastzell-vermitteltes oder Bradykinin-vermitteltes Angioödem gestellt?

Frau Dr. Hahn: Es gibt keinen Schnelltest zur Unterscheidung von Mastzell-vermittelten oder Bradykinin-vermittelten Schwellungen. In einer akuten Situation muss die Diagnose über die Anamnese gestellt werden, bzw. aufgrund der Patientenhistorie.

Die verschiedenen Formen der Angioödeme sind sehr leicht zu verwechseln. Abgesehen vom Juckreiz und der Quaddelbildung gibt es keine klinischen Hinweise auf die unterschiedlichen Formen. Gerade beim hereditären Angioödem weiß man, dass oft auch der Magen-Darm-Trakt betroffen ist, sodass es zu keiner sichtbaren Schwellung kommt, sondern häufig zu schweren Bauchattacken. Die Anamnese, das heißt das Abklären der Vorgeschichte des Patienten und der eventuellen Medikamenteneinnahme, ist bei der Diagnose am Wichtigsten.

Ein weiteres Diagnosetool, das wir häufig empfehlen, ist das Führen eines Schwellungstagebuches. Das Schwellungstagebuch soll dabei helfen, die Triggerfaktoren zu ermitteln, z.B. ob die Symptome nach dem Konsum gewisser Nahrungsmittel auftreten.

Gibt es für das hereditäre Angioödem auch einen Bluttest?

Herr Prof. Dr. Greve: Bei allen Patienten mit Schwellungen, bei denen der Verdacht besteht, dass ein hereditäres Angioödem vorliegt, wird ein Bluttest auf ein Serpin, den C1-Esterase-Inhibitor, durchgeführt. Dabei untersuchen wir sowohl ob der C1-Esterase-Inhibitor überhaupt in ausreichender Konzentration vorhanden ist, als auch den Aktivitätslevel des Serpins. Durch diesen Bluttest lässt sich eindeutig nachweisen, ob ein hereditäres Angioödem vom Typ I oder Typ II besteht. Häufig werden die Patienten an spezialisierte Zentren überwiesen. Im akuten Fall steht dieser Test leider nicht zur Verfügung, da die Untersuchung des Blutes eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.

Eine dritte Form des hereditären Angioödems ist mit diesem Test nicht diagnostizierbar, weil diese Form mit einem normalen C1-Esterase-Inhibitor–Wert einhergeht. Hier wird die Diagnose anhand der Familienanamnese erstellt und dadurch, dass die Medikamente, die für das hereditäre Angioödem vom Typ I und II zugelassen sind, auch bei dieser dritten Form wirken.

Wichtig ist bei diesem Bluttest auf das hereditäre Angioödem jedoch auch die korrekte Durchführung. Oft wird nur die Konzentration des C1-Esterase-Inhibitors bestimmt. Beim hereditären Angioödem vom Typ II ist die C1-Esterase-Inhibitor-Konzentration jedoch normal oder sogar erhöht, das Serpin „funktioniert“ aber nicht. Deshalb ist es zur vollständigen Diagnostik wichtig, nicht nur das Vorhandensein des Serpins zu überprüfen, sondern auch dessen Aktivitätslevel. Es kommt durchaus vor, dass den Patienten fälschlicherweise gesagt wird „Sie haben kein hereditäres Angioödem“, weil die Diagnose nicht vollständig war.

Zur besseren Übersicht – was ist ein hereditäres Angioödem Typ 1 oder Typ-1-HAE??

Herr Prof. Dr. Greve: Der Typ 1 des hereditären Angioödems ist der häufigste Typ. Bei diesen Patienten ist der C1-Esterase-Inhibitor sowohl in der Konzentration als auch in der Funktion erniedrigt.

Und was ist ein hereditäres Angioödem Typ 2 oder Typ-2-HAE?

Herr Prof. Dr. Greve: Beim selteneren Typ 2 des hereditären Angioödems ist die Konzentration des C1-Esterase-Inhibitors normal bzw. sie kann sogar erhöht sein, aber die Funktion ist eingeschränkt.

Und schließlich – was ist ein hereditäres Angioödem Typ 3 oder Typ-3-HAE?

Herr Prof. Dr. Greve: Beim Typ 3 des hereditären Angioödems, dem seltensten Typ, der erst seit ca. 10 bis 12 Jahren bekannt ist, ist das Serpin, d.h. der C1-Esterase-Inhibitor, sowohl in der Konzentration als auch in der Aktivität normal. Anhand der Familienanamnese, d.h. anhand der Tatsache, dass es Familienmitglieder gibt, bei denen diese Schwellungen ebenfalls aufgetreten sind und anhand der Tatsache, dass die für den Typ I und II zugelassenen Medikamente wirken, wird die Diagnose gestellt. Ein Teil dieser Patienten hat Mutationen in verschiedenen Genen, eines davon ist das Gerinnungsfaktor XII-Gen. Es werden aber immer wieder neue verantwortliche Mutationen gefunden. Dies kann mit Hilfe einer Genanalyse untersucht werden.

Sie hatten erwähnt, dass Bradykinin-vermittelte Angioödeme häufig nicht erkannt werden, bedeutet dies, die Schwellungen werden mit Kortison und Antihistaminika behandelt, obwohl diese Therapie nicht wirkt?

Herr Prof. Dr. Greve: In unserer Klinik gibt es für solche Fälle ein Standardverfahren. Häufig kommen Patienten mit Schwellungen zu uns, nachdem der Notarzt bereits Kortison und Antihistaminika verabreicht hat. Wenn wir daraufhin feststellen, dass die Schwellung nicht zurückgeht und noch weiter progredient ist, das heißt, noch weiter zunimmt, ist dies bereits ein Anhaltspunkt für ein Bradykinin-vermitteltes Angioödem, sodass wir dementsprechend behandeln.

Wie schnell sollten Schwellungen an so kritischen Stellen wie dem Kopf oder im Hals behandelt werden?

Herr Prof. Dr. Greve: Das kommt auf die vorhandene Infrastruktur an. In einer HNO-Klinik, die im Notfall auf eine Intensivstation zurückgreifen kann und wo die Behandler wissen, wie man einen Atemweg sichert, ist das Zeitfenster sicher größer als in einem weniger erfahrenen Umfeld. Es kann lebensrettend sein, bei einem Patienten mit Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich frühzeitig eine Atemwegssicherung durchzuführen, das heißt, man intubiert. Hierzu haben wir unserer Klinik einen Algorithmus entwickelt und publiziert.1)

Können sich Angioödem-Attacken von Mal zu Mal steigern?

Herr Prof. Dr. Greve: Das ist sehr unterschiedlich, es gibt schwere und leichte Angioödeme und wiederholt auftretende Schwellungen müssen nicht unbedingt stärker ausgeprägt sein. Das bedeutet jedoch auch, dass leichte Angioödeme nicht zwangsläufig leicht bleiben müssen, wenn sie erneut auftreten.

Frau Dr. Hahn: Hier spielt auch die Lokalisation eine Rolle. Im Gesicht bzw. im Kopf-Hals-Bereich hat man grundsätzlich weniger Platz als bei einer Schwellung, z.B. am Arm, die keine akute Lebensbedrohung darstellt. Eine Einschränkung der Lebensqualität bringen Schwellungen immer mit sich, aber im Kopf-Hals-Bereich kann ein Zentimeter mehr lebensbedrohlich sein.

Welche Triggerfaktoren kennt man für Bradykinin-vermittelte Schwellungen bzw. Angioödeme?

Frau Dr. Hahn: Bei den Bradykinin-induzierten Angioödemen und gerade beim hereditären Angioödem kann sowohl positiver als auch negativer Stress die Schwellungen auslösen.

Auch medizinische Eingriffe bzw. mechanische Manipulationen jeglicher Art können eine Schwellung auslösen. Deshalb sollten Patienten mit hereditärem Angioödem vor zahnärztlichen Behandlungen und Eingriffen auf jeden Fall eine Kurzzeitprophylaxe durchführen, weil Schwellungen hierbei recht wahrscheinlich sind. In diesem gefährlichen Bereich gilt es, eine Schwellung von vornherein zu verhindern.

Hormonelle Faktoren können ebenfalls schwellungsauslösend wirken. Bei Frauen kann es deshalb angeraten sein, die Pille dementsprechend auszuwählen.

Welche Triggerfaktoren kennt man für Mastzell-vermittelte Schwellungen bzw. Angioödeme?

Frau Dr. Hahn: Bei den Mastzell-vermittelten Angioödemen, die mit einer Urtikaria einhergehen, gibt es verschiedene Auslöser, z.B. die druckinduzierte Urtikaria oder die kälteinduzierte Urtikaria. Das heißt, bei Druck oder Kälte an der Haut kommt es zu Quaddeln bzw. manchmal auch zu Angioödemen. Hinzu kommt die idiopathische Form, die immer wieder spontan auftritt und deren Auslöser unbekannt ist. Bei den allergischen Varianten ist das jeweilige Allergen der Triggerfaktor. Bei all diesen Formen der Urtikaria kann es auch im Kopf-Hals-Bereich zu Schwellungen kommen.

Sind Tätowierungen bei Angioödemen möglich?

Herr Prof. Dr. Greve: Dafür, dass der Farbstoff, der unter die Haut gespritzt wird, Schwellungen auslösen könnte, gibt es keine Anhaltspunkte. Jegliche Verletzung der Haut kann jedoch dazu führen, dass ein Angioödem auftritt.

Kommen wir zur Therapie des hereditären Angioödems, welche Möglichkeiten gibt es?

Frau Dr. Hahn: Im Grunde ist die Therapie des hereditären Angioödems Typ I und II relativ einfach - man verabreicht einen C1-Esterase-Inhibitor oder verhindert die Wirkung des Bradykinins an seinem Rezeptor. Das Problem liegt in der Zulassung, da der C1-Esterase-Inhibitor und der Bradykinin-B2-Rezeptorantagonist nur für das hereditäre Angioödem vom Typ I und II zugelassen ist, während der Typ III oft eine Verdachtsdiagnose bleibt. Das bedeutet, die Therapie des hereditären Angioödems vom Typ III erfolgt off-label.

Ein ähnliches Problem besteht bei den Bradykinin-vermittelten Schwellungen bzw. den ACE-Hemmer-induzierten Angioödemen, die als Nebenwirkung von Medikamenten auftreten können. Auch hier gibt es keine kausal zugelassene Therapie, sodass die Behandlung ebenfalls off-label erfolgt. Es hat sich jedoch gezeigt, auch in Studien, dass die Therapie sehr gut wirkt.

Wie genau erfolgt die Therapie der Angioödeme im akuten Notfall?

Frau Dr. Hahn: In einer Notfallsituation therapieren wir auch ACE-Hemmer-induzierte Angioödeme zunächst intravenös mit Antihistaminika und Kortisonderivaten, d.h. meist ist dies im Vorfeld schon durch den behandelnden Notarzt geschehen. Wenn wir sehen, dass die Schwellung daraufhin nicht zurückgeht, was beim ACE-induzierten Angioödem klassischerweise der Fall ist, verabreichen wir den Patienten entweder Icatibant, den Bradykinin-2-Rezeptorantagonist, oder ein C1-Esterase-Inhibitor-Konzentrat intravenös. Beide Therapien wirken in der Regel sehr gut.

Und wie sieht die Therapie der Schwellungen in der Dauerbehandlung aus?

Frau Dr. Hahn: Bei den ACE-Hemmer-induzierten Schwellungen braucht man insofern keine Dauerbehandlung, weil die Patienten diese ACE-Hemmer dringend absetzen sollten. Wenn das auslösende Medikament nicht mehr eingenommen wird, sollten keine Schwellungen mehr auftreten.

Herr Prof. Dr. Greve: Beim hereditären Angioödem gibt es für die schwer betroffenen Patienten, bei denen sehr häufig Schwellungen auftreten, prophylaktische Therapien. Zugelassen in Deutschland ist, wie besprochen, der C1-Esterase-Inhibitor, der zur Dauerbehandlung intravenös oder subkutan – also unter die Haut - verabreicht wird. In den letzten Jahren haben weitere Medikamente die Zulassung für die Prophylaxe beim hereditären Angioödem erhalten, zum Beispiel eine erste Tabletten-Therapie mit einem Hemmstoff des Plasma Kallikreins, der täglich eingenommen werden muss und eine weitere subkutane Therapie mit Lanadelumab, einem monoklonalen Antikörper, welcher regelmäßig in einem Abstand von zwei bis vier Wochen verabreicht wird.

An welchen Facharzt soll man sich bei Schwellungen im Bereich der oberen Atemwege wenden bzw. wann sollte man den Notarzt rufen?

Frau Dr. Hahn: Bei Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich ist der wichtigste Faktor, dass der Arzt aufgesucht wird, zu dem der Anfahrtsweg am kürzesten ist. Zwar sind interdisziplinäre Notaufnahmen und Fachkliniken, beispielsweise HNO-Kliniken, auf Atemwegssicherung spezialisiert, aber wenn diese weit entfernt sind, ist es wichtiger, dass man so schnell wie möglich in ärztliche Betreuung kommt. Auch allgemeininternistische Notaufnahmen haben Antihistaminika und Kortison immer vorrätig. Im Zweifelsfall ist der Notarzt zu rufen, das ist allemal besser, als mit einer Schwellung im Kopf-Hals-Bereich eine Stunde allein im Auto in eine Klinik zu fahren.

 

Gibt es Angaben, die der Patient bei unklarer Ursache der Schwellungen machen kann, um die Diagnose zu erleichtern?

Frau Dr. Hahn: Der Patient kann angeben, ob eine solche Schwellung in der Vergangenheit bereits bei ihm aufgetreten ist bzw. ob es ein Erstereignis gibt, ob Verwandte ebenfalls von Schwellungen betroffen sind oder ob er selbst ein auslösendes Ereignis definieren kann. Sind beim Patienten bereits mehrfach Angioödeme aufgetreten, ist, wie besprochen, ein Schwellungstagebuch hilfreich, denn so gewinnt der behandelnde Arzt einen guten Überblick.

Schwierig sind in diesem Zusammenhang allerdings die ACE-Hemmer induzierten Angioödeme. Zwar kommt es häufig bereits in den ersten Wochen nach Ersteinnahme der ACE-Hemmer zu Schwellungen, theoretisch ist es jedoch auch möglich, dass es erst Jahre nach der Ersteinnahme erstmals zu einer Schwellung kommt. Der zeitliche Zusammenhang ist dann sehr schwer herzustellen.

Welche Sofortmaßnahmen kann der Patient selbst einleiten?

Frau Dr. Hahn: Patienten mit bekannter Allergie oder Patienten mit Schwellungen unklarer Genese verordnen wir ein Notfallset, das selbst angewendet werden kann. Es besteht aus einem Antihistaminikum und einem Kortisonderivat in flüssiger Form, das schnell getrunken werden kann. Für Patienten mit hereditärem Angioödem ist von Vorteil, dass die Anti-Bradykinin-Medikation größtenteils auch für die Heimselbsttherapie zugelassen ist. Hier ist es wichtig, dass die Patienten selbst, aber auch die Angehörigen in der Verabreichung der Medikamente geschult sind.

Frau Privatdozentin Hahn, Herr Professor Greve, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Quellen:

1)   Hahn J, Bock B, Muth CM, Pfaue A, Friedrich D, Hoffmann TK, Greve J. [The ulm emergency algorithm for the acute treatment of drug-induced, bradykinin-mediated angioedema]. Med Klin Intensivmed Notfmed. 2019 Nov;114(8):708-716. doi: 10.1007/s00063-018-0483-1. Epub 2018 Sep 19. Review.

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

05. Dezember 2021

Autor: S. Jossé/J. Greve/J. Hahn, www.mein-allergie-portal.com

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