Zöliakie: Führt Glutenunverträglichkeit zu Gewichtszunahme?
„Kommt es durch Glutenunverträglichkeit zu Gewichtszunahme?“ - diese Frage stellen sich viele bei Zöliakie. Denn im Zuge der Umstellung auf glutenfreie Kost haben Zöliakie-Betroffene oft den Eindruck, zuzunehmen. Dann stellt sich die Frage, ob das Übergewicht tatsächlich auf die glutenfreie Ernährung zurückzuführen ist. oder könnte es andere Gründe für die Gewichtszunahme geben? MeinAllergiePortal sprach mit Dr. med. Stephanie Baas, medizinische Beraterin der Deutschen Zöliakie Gesellschaft e.V. (DZG) in Stuttgart, über Zöliakie und Übergewicht.
Autor: Sabine Jossé M.A.
Interviewpartner: Dr. med. Stephanie Baas
Frau Dr. Baas, kann Glutenunverträglichkeit zu Übergewicht führen und wie häufig ist das?
Es gibt durchaus einige Zöliakiebetroffene, die nach der Umstellung auf die glutenfreie Ernährung zunehmen. Wieviel Prozent der Betroffenen dies betrifft, lässt sich jedoch nicht sagen.
Welche Ursachen führen bei glutenfreier Kost zur Gewichtszunahme?
Die Gewichtszunahme nach Umstellung auf glutenfrei kann verschiedene Ursachen.
Zum einen kann dies durch die Erholung des Darmes bedingt sein. Bei Zöliakie-Betroffenen ist die Dünndarmschleimhaut vor der Ernährungsumstellung geschädigt. Dadurch können Nährstoffe nicht vollständig aufgenommen werden. Bekommt der Körper dadurch zu wenig Energie in Form von Kohlenhydraten, Eiweißen und Fetten, fährt er den Stoffwechsel herunter. Das ist ähnlich wie bei einer Reduktionsdiät, der Körper läuft dann sozusagen auf „Sparflamme“. Erholt sich der Dünndarm nun unter der glutenfreien Ernährung, können die Nährstoffe wieder besser resorbiert werden. Das kann für sich schon zur Folge haben, dass der Betroffene zunimmt. Wenn zuvor der Grundumsatz durch den Energiemangel heruntergesetzt war, kann das Gewicht relativ plötzlich steigen. Ein weiterer Grund für eine Gewichtszunahme kann die wieder gefundene Freude am Essen und damit die vermehrte Kalorienaufnahme sein.
Das heißt man nimmt bei Glutenunverträglichkeit zu, weil man durch die glutenfreie Kost nach dem Essen keine Beschwerden mehr hat?
Durch ständige ungeklärte Beschwerden nach dem Essen, kann es bei Zöliakie-Betroffenen vor der Ernährungsumstellung zu Appetitlosigkeit kommen. Dann wird automatisch auch weniger gegessen. Verschwinden die Beschwerden nun unter der glutenfreien Ernährung, kommt der Appetit und Spaß am Essen zurück.
Können auch glutenfreie Fertigprodukte der Grund für Übergewicht bei Zöliakie sein?
Fertigprodukte ohne Gluten machen nicht automatisch dick. Aber natürlich kann auch die Zusammensetzung von glutenfreien Fertigprodukten eine Gewichtszunahme begünstigen. Die glutenfreien Produkte enthalten in der Regel weniger sättigende Ballaststoffe. Sie machen deshalb weniger schnell satt wodurch mehr gegessen wird. Außerdem sind sie durch das fehlende Klebereiweiß häufig trockener. Um das auszugleichen und den Geschmack zu verbessern, ist bei glutenfreien Fertigprodukten meist der Anteil an Zucker und Fett höher. Dadurch enthalten diese Produkte oft mehr Kalorien als vergleichbare glutenhaltige Produkte. Das zeigt auch, dass glutenfreie Lebensmittel nicht zwingend gesünder sind als die glutenhaltigen.
Wichtig ist noch, dass die Gewichtszunahme nicht immer ein Grund zur Klage ist. In einigen Fällen ist es durchaus gewünscht, dass man bei Glutenunverträglichkeit an Gewicht zunimmt. Beispielsweise wenn vor der Ernährungsumstellung eine Mangelernährung bzw. Untergewicht bestanden hat.
Gibt es Risikofaktoren für eine Gewichtszunahme bei Glutenunvertäglichkeit?
Die Risikofaktoren von Zöliakie-Betroffenen für eine Gewichtszunahme unterscheiden sich nicht von denen für die Allgemeinbevölkerung.
Beispielsweise erhöhen die folgenden Ursachen das Risiko für Übergewicht bei Zöliakie:
- Bewegungsmangel
- eine unausgewogene, kalorienreiche Ernährung
- der übermäßige Verzehr zuckerhaltiger Getränke
- die erbliche Veranlagung
- Wechseljahre
- steigendes Alter
Welche Rolle spielen Begleiterkrankungen der Zöliakie, wie zum Beispiel Hashimoto, Diabetes etc. für das Gewicht?
Eine Schilddrüsenunterfunktion führt zu einer Verlangsamung des Stoffwechsels und damit häufig zu einem ansteigenden Gewicht. Bei der Hashimoto-Erkrankung kommt es zu einer solchen Unterfunktion. Bei Morbus Basedow, einer anderen Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, kommt es eher zu einer Überfunktion und damit eher zu Gewichtsverlust. Bei einem neu auftretenden Autoimmun-Diabetes, dem Typ 1- Diabetes, ist der Gewichtsverlust eines der typischen Symptome. Bei einer guten Einstellung des Diabetes sollte das Gewicht möglichst konstant sein. Ein Typ 2-Diabetes ist für sich ja schon meist mit Übergewicht verbunden. Dieses führt dann zu der Insulinresistenz. Das bedeutet, dass der Körper ständig hohe Mengen an Insulin ausschüttet. Die Zellen verlieren dann mit der Zeit ihre Empfindlichkeit auf das Insulin, es hat dann kaum noch Wirkung am Gewebe. Die Betroffenen sollen dann an Gewicht verlieren, um diesen Zyklus zu durchbrechen und die Insulinwirkung wieder zu verbessern. Das Übergewicht ist also Auslöser, nicht Folge der Erkrankung.
Kann man bei Glutenunverträglichkeit mit glutenfrei auch abnehmen?
Ja, auch eine Gewichtsabnahme kann erfolgen, wenn eine Glutenunverträglichkeit besteht. Dies kann zum einen am ungewohnten Geschmack der glutenfreien Produkte liegen. Die glutenfreien Getreide und Pseudogetreide, welche als Alternative zu glutenhaltigen Getreidesorten verwendet werden, schmecken anders. Die gängigen Getreidesorten wie Weizen, Dinkel, Gerste und Roggen sind geschmacklich nicht vergleichbar und haben den bekannten Eigengeschmack. Buchweizen dagegen schmeckt beispielsweise nussig und etwas herb. Außerdem ist die Konsistenz der glutenfreien Mehle häufig trockener und krümeliger. Manchen Betroffenen schmecken deshalb viele glutenfreie Produkte nicht, weshalb sie weniger essen und dadurch abnehmen. Außerdem sind Betroffene durch die Umstellung auf die glutenfreie Ernährung dazu gezwungen, sich mit ihrem Ernährungsverhalten zu beschäftigen.
Heißt das, man könnte bei Zöliakie abnehmen, weil man bewusster isst?
Durch die Glutenunverträglichkeit muss man beim Einkaufen Zutatenlisten überprüfen. Möglicherweise fallen auch viele Lieblingsprodukte weg, die sehr kalorienreich waren. Zudem müssen alternative Rezepte ausprobiert werden. Dadurch ernähren sich viele nach der Diagnose Zöliakie deutlich gesünder als zuvor. Ein wichtiger Faktor ist auch die reduzierte Verfügbarkeit von glutenfreien Produkten.
Die eingeschränkte Auswahl glutenfreier Produkte führt also zu Gewichtsverlust?
Hat sich beispielsweise ein Betroffener vor der Diagnose beim Gang durch die Fußgängerzone immer von Leckereien beim Bäcker verführen lassen, so ist er hier durch die glutenfreie Ernährung eingeschränkt. Glutenfreie Produkte sind nicht immer und überall verfügbar, sodass öfter verzichtet werden muss und der schnelle Snack zwischendurch wegfällt. Auch das ist eine Verhaltensänderung, die zur Gewichtsabnahme führen kann.
Zurück zur Gewichtszunahme: Welche Möglichkeiten gibt es, gegenzusteuern?
Prinzipiell ist die Rechnung ganz einfach: Verbrauche ich mehr Kalorien, als ich zu mir nehme, dann nehme ich ab. Nehme ich aber langfristig mehr Kalorien auf, als ich verbrauche, dann nehme ich zu. Das Grundprinzip für ein gesundes Körpergewicht ist also eine ausgeglichene Kalorienbilanz. Wichtig ist aber, keine Crash-Diäten zu machen. Diese signalisieren dem Körper wieder eine Mangelsituation. Auf diese reagiert er mit einer Einschränkung seines Gesamtumsatzes. Erhöht man dann wieder die Kalorienmenge, nimmt man sofort zu, da das Gleichgewicht komplett aus dem Lot gebracht wurde. Dies ist auch bekannt als JoJo-Effekt. Hier muss langfristig gedacht und gehandelt werden, am besten mit Unterstützung durch eine erfahrene Ernährungsfachkraft.
Wichtig sind dazu eine vollwertige, ausgewogene Ernährung und eine Steigerung der körperlichen Aktivität für ausreichende Bewegung. Eine gute Orientierung hierfür bieten die 10 Regeln für vollwertiges Essen und Trinken der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE): https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/10-regeln-der-dge/
Frau Dr. Baas, herzlichen Dank für dieses Interview!
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: S. Jossé/S.Baas, www.mein-allergie-portal.com
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