Schwere Nasenpolypen: Was bedeutet das für die Patienten?
Nasenpolypen sieht man nicht, jedenfalls nicht ohne medizinisches Werkzeug, dem sogenannten Endoskop. Sie können jedoch die unterschiedlichsten Beschwerden verursachen und die Lebensqualität erheblich einschränken. Was das für die Patienten bedeutet, erläutert Prof. Martin Wagenmann, Hals-Nasen-Ohrenarzt und Allergologe an der HNO-Klinik am Universitätsklinikum Düsseldorf im Gespräch mit MeinAllergiePortal.
Autor: Sabine Jossé M.A.
Interviewpartner: Prof. Dr. med. Martin Wagenmann
Herr Prof. Wagenmann, was versteckt sich hinter der Erkrankung „schwere Nasenpolypen“?
Die Bezeichnung „Nasenpolypen“ ist eigentlich ein vereinfachter Ausdruck für eine chronische Entzündung der Nasen- und Nasennebenhöhlen, die mit einer Polypenbildung einhergeht. Medizinisch korrekt spricht man von einer chronischen Rhinosinusitis, die ohne oder mit Polypenbildung auftreten kann. Die Nasenpolypen selbst sind im Grunde gutartige, entzündliche Gewebewucherungen der Nasennebenhöhlenschleimhaut. Meist wachsen sie von beiden Seiten aus den Nebenhöhlen in Richtung Nasenhaupthöhle hinein.
Wie kommt es zur Bildung von Nasenpolypen?
In den meisten Fällen beruht eine Nasen- und Nasennebenhöhlenentzündung mit Polypenbildung auf einer ganz bestimmten Entzündungsform, einer sogenannten Typ-2-Entzündung. Diese ist eigentlich Teil der regulären körpereigenen Immunabwehr. Gerät sie aber außer Kontrolle, kann es zu unterschiedlichen Erkrankungen kommen, je nachdem welches Gewebe betroffen ist. Zum Beispiel kann die Nase von einer chronischen Nasen- und Nasennebenhöhlenentzündung betroffen sein, an der Haut kann es zu Neurodermitis kommen oder bei der Lunge zu Asthma bronchiale. Bei all diesen Erkrankungen werden vom Immunsystem spezifische Botenstoffe produziert, die letztendlich zu einer permanenten Entzündung führen. Bei den Nasenpolypen ist das zum Beispiel in der Nasennebenhöhlenschleimhaut der Fall.
Wie viele Patienten sind denn in Deutschland von Nasenpolypen betroffen?
Nasenpolypen sind durchaus häufig. Man weiß, dass in Europa etwa 11 Prozent der Bevölkerung an einer chronischen Entzündung der Nasen- und Nasennebenhöhlen leiden, und rund jeder Fünfte davon leidet auch an Nasenpolypen. Umgerechnet auf Deutschland wären das ca. 1,8 Millionen Betroffene, aber genaue Zahlen sind leider derzeit nicht bekannt.
Wie kann ein Patient erkennen, dass er eine chronische Nasen- und Nasennebenhöhlenentzündung mit Nasenpolypen entwickelt hat – wie sehen die Symptome aus?
Typische Symptome bei einer chronischen Nasen- und Nasennebenhöhlenentzündung sind zum Beispiel eine verstopfte Nase und, dadurch bedingt, Probleme beim Atmen. Aber auch eine permanent laufende Nase gehört zu den häufigsten Beschwerden. Oft kommt es bei den Patienten auch zu Riechstörungen bis hin zu Einschränkungen des Riechvermögens und Geschmackssinns. Viele klagen auch über Druckschmerzen im Gesicht. Falls derartige Symptome deutlich über den Zeitraum einer „normalen“ Erkältung hinaus auftreten, sollte der Patient hellhörig werden. Von „chronisch“ sprechen wir dann, wenn zwei oder mehrere Symptome mehr als zwölf Wochen andauern. Letztendlich kann ein HNO-Arzt dann die Diagnose stellen. Dazu wird eine Endoskopie durchgeführt, denn es gilt stets festzustellen, ob es sich um eine chronische Nasen- und Nasennebenhöhlenentzündung mit oder ohne Nasenpolypen handelt.
Wie beurteilen Sie die Einschränkungen, die Patienten durch Nasenpolypen im täglichen Leben haben?
Die Einschränkungen im Alltag sind bei Patienten mit Nasenpolypen abhängig vom Schweregrad der Erkrankung. Je schwerer die Ausprägung und je schlechter kontrolliert, desto gravierender die Einschränkungen. Ein Beispiel dafür ist der mit Nasenpolypen nicht selten einhergehende Verlust des Riechvermögens. Dies kann den Patienten auch die Lust am Essen nehmen, weil sie dann auch nichts schmecken können. Es gibt sogar Situationen, in denen der Verlust des Riechvermögens regelrecht gefährlich werden kann, wenn beispielsweise Rauch oder Gas nicht gerochen wird. Oft kommt es durch die Nasenpolypen aber auch zu Schlafstörungen und das kann schon sehr stark auf das Gemüt drücken. Insgesamt kann man sagen, dass die Einschränkung der Lebensqualität bei Nasenpolypen ähnlich stark ausgeprägt ist wie beim Rheuma.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Nasenpolypen?
Traditionell behandeln wir Nasenpolypen mit salzhaltigen Nasenduschen, sozusagen als Basispflege. Die wichtigste Therapie bei Nasenpolypen ist jedoch die Therapie mit intranasalen Kortikosteroiden – also kortisonhaltigen Nasensprays. Antibiotika sind in den meisten Fällen keine sinnvolle Maßnahme bei Nasenpolypen – sie kommen nur in ganz speziellen Situationen zum Einsatz. In schwereren Fällen werden manchmal auch Kortisontabletten eingesetzt. Diese eignen sich aber nicht für eine Langzeittherapie, weil sie sehr häufig zu unangenehmen Nebenwirkungen führen können. Wenn das alles nicht hilft, können die Nasenpolypen auch operativ entfernt werden.
Hat der Patient durch diese Therapien dann endlich seine Ruhe?
Dass ein Patient durch diese Maßnahmen dauerhaft „Ruhe hat“, kann man so nicht sagen. Wie gesagt können Kortisontabletten wegen der Nebenwirkungen nicht langfristig eingesetzt werden. Sie unterdrücken die akute Entzündung auch nur so lange, wie sie eingenommen werden und gehen nicht die Ursache an. Es kann also zur Besserung kommen, die Nasennebenhöhlenentzündung ist aber nicht geheilt. Auch ist zu erwarten, dass die Probleme nach Absetzen der Therapie wieder zunehmen.
Dasselbe gilt auch für Operationen. Dann werden die Nasenpolypen zwar entfernt, aber die zugrundeliegende Typ-2-Entzündung des Gewebes besteht weiterhin. Das erklärt, warum die Nasenpolypen bei vielen Patienten auch nach einer Operation wiederkommen. Es erklärt auch, warum eine ganze Reihe von Patienten bereits mehrere Nasenpolypen-Operationen über sich ergehen lassen mussten – zum Teil mehr als zehn!
Das heißt: Mit den „klassischen“ Behandlungsmöglichkeiten können wir zwar durchaus viel bewirken, aber bei vielen Patienten kann damit eben keine dauerhafte Kontrolle erreicht werden.
Gibt es überhaupt eine Möglichkeit zur dauerhaften Symptomkontrolle?
Glücklicherweise ja, aber lange Zeit waren die erwähnten Therapien unsere einzigen Behandlungsmöglichkeiten. Reichen diese nicht aus, können wir mittlerweile sogenannte Biologika zur Therapie der Nasenpolypen einsetzen. Das sind Antikörper, also spezielle Eiweißmoleküle, die ganz gezielt an der zugrundeliegenden Entzündungsreaktion ansetzen. Genauer gesagt verhindern sie, dass die bereits erwähnten entzündungsfördernden Botenstoffe ihre Wirkung in der Nasenschleimhaut entfalten können.
Was passiert, wenn Nasenpolypen nicht erkannt werden und unbehandelt bleiben?
Wie gesagt handelt es sich bei einer Nasen- und Nasennebenhöhlenentzündung um eine chronische Erkrankung. Die zugrundeliegende Entzündung ist permanent vorhanden und heilt nicht irgendwann von selbst wieder ab. Es ist typisch für Nasenpolypen, dass es im Verlauf der Erkrankung mal bessere und mal schlechtere Phasen gibt. Letztendlich dürften die Symptome aber auf lange Sicht immer mehr zunehmen. Deshalb sind die Patienten gut beraten, einen Facharzt aufzusuchen. Zum einen, damit eine valide Diagnose gestellt werden kann und zum anderen, damit die Symptome mit einer adäquaten Therapie kontrolliert werden können.
Angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie: Ist in Bezug auf die Therapie der Nasenpolypen etwas zu berücksichtigen?
In der gegenwärtigen Situation ist diese Frage durchaus berechtigt. Um Verunsicherungen entgegenzuwirken, haben sich hierzu auch unterschiedliche Gremien Gedanken gemacht – sowohl auf ärztlicher als auch auf Patientenseite – und diese auch veröffentlicht. In Deutschland gibt es zum Beispiel die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Allergie und klinische Immunologie (DGAKI), die zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie (DGHNO-KHC) und weiteren Fachgesellschaften erarbeitet wurden. Die wesentliche Aussage dieser Empfehlungen ist, dass die Therapiestandards bei Patienten mit einer chronischen Nasen- und Nasennebenhöhlenentzündung beibehalten werden sollen, solange die Patienten nicht akut an COVID-19 erkrankt sind. Dies gilt sowohl für die Basistherapie mit kortisonhaltigen Nasensprays als auch für die anderen Therapieformen wie Kortisontabletten oder auch operative Maßnahmen. Auch für Biologika wird die Fortführung der Therapien empfohlen.
Grundsätzlich gilt: Es ist wichtig, dass die zugrundeliegende Erkrankung therapiert und somit kontrolliert bleibt, denn das Risiko, an COVID-19 zu erkranken, erhöht sich durch die Behandlung nicht. Dies gilt auch für die Corona-Impfung. Auch hier gibt es für Patienten, die mit Biologika behandelt werden, keine Einschränkungen. Auch diese Patienten können und sollen geimpft werden. Es ist lediglich zu beachten, dass ein einwöchiger Abstand zwischen Biologika-Therapie und Impfung eingehalten wird.
Ein abschließender Blick in die Zukunft: Was wünschen Sie sich als Arzt in Bezug auf die Behandlung von Nasenpolypen?
Die Mechanismen, die der Entstehung einer chronischen Nasen- und Nasennebenhöhlenentzündung mit Nasenpolypen zugrunde liegen, werden zwar schon seit langem erforscht. Es gibt aber noch viele offene Fragen und wir haben nicht alle Zusammenhänge vollständig verstanden. Ich würde mir deshalb wünschen, dass wir die Erkrankung noch besser verstehen, damit wir die Patienten zielgerichteter und individueller therapieren können. Das Ziel ist, alle Betroffenen möglichst effektiv und nebenwirkungsfrei von ihren Leiden zu befreien. Wir wollen die Erkrankung kontrollieren, ohne dass es zu einer Verminderung der Lebensqualität kommt. Erfreulicherweise sind wir mit der Einführung der Biologika diesem Ziel schon ein erhebliches Stück nähergekommen.
Herr Prof. Wagenmann, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: S. Josse/M. Wagenmann, www.mein-allergie-portal.com
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