Skip to main content

Zöliakie: Marsh-Kriterien, was ist das? Was sagen sie aus?

Zöliakie Marsh-Kriterien
Zöliakie - Marsh-Kriterien, was ist das? Was sagen sie aus? Bildquelle: S.Baas

Im Zusammenhang mit Zöliakie oder Sprue hört man immer wieder von den sogenannten „Marsh-Kriterien“ oder „Marsh-Klassifikation“. Welche Rolle spielen sie bei der Diagnose und was sagen sie aus? MeinAllergiePortal sprach mit Dr. Stephanie Baas, medizinische Beraterin der Deutschen Zöliakie Gesellschaft e.V. (DZG) in Stuttgart.

Autor: Sabine Jossé M.A.

Interviewpartner: Dr. Stephanie Baas

Frau Dr. Baas, was versteht man im Zusammenhang mit der Zöliakie unter „Marsh-Kriterien“?

Mit den „Marsh-Kriterien“ teilt man die unterschiedlichen Stadien der Veränderung der Darmschleimhaut bei Zöliakie ein.

Wie kommt es bei der Zöliakie zu der Bezeichnung „Marsh-Kriterien“ oder „Marsh-Klassifikation“?

Prof. Michael N. Marsh war ein britischer Pathologe, der erstmals den Übergang von einer normalen Darmschleimhaut zur vollständigen Zottenatrophie beschrieben hat. Dabei hat er eine Einteilung in verschiedene Stufen vorgenommen - Marsh I, II und III a bis c. Danach hat der österreichische Pathologe Prof. Georg Oberhuber diese Kriterien überarbeitet und diese Einteilung entspricht den heutigen Marsh-Kriterien. Die korrekte Bezeichnung müsste also eigentlich Marsh-Oberhuber-Kriterien lauten, aber die geläufige Bezeichnung lautet Marsh Kriterien.

Wie sehen die einzelnen Stadien der Zöliakie nach den Marsh-Kriterien oder der Marsh-Oberhuber-Klassifikation aus?

Die Marsh-Kriterien bei Zöliakie beschreiben Auffälligkeiten an der Darmschleimhaut, die man im Zusammenhang mit einer Zöliakie beobachtet. Dafür werden der Darmschleimhaut Gewebeproben entnommen.

Marsh I beschreibt das sogenannte infiltrative Stadium. Hier sieht man zunächst nur ein vermehrtes Einströmen von intraepithelialen Lymphozyten (IEL), das heißt, von weißen Blutkörperchen in der Deckschicht der Schleimhaut. Gerade eine besonders hohe Zahl dieser intraepithelialen Lymphozyten ist sehr typisch für die Zöliakie. Häufig liegt der Wert bei über 60 in Bezug auf 100 Schleimhautzellen, wobei die Schleimhaut noch normal strukturiert ist. Das Marsh I-Stadium gilt deshalb noch nicht als eindeutiger Nachweis einer Zöliakie.

Das zweite Stadium der Zöliakie ist das hyperplastische Stadium. In diesem Stadium beginnt der Schleimhautumbau. Es kommt zu einer Verlängerung bzw. Vertiefung der Krypten, das heißt sie hyperplasieren. So versucht der Körper in den Krypten, in denen die neuen Zellen gebildet werden, vermehrt Zellen nachzuproduzieren. Dadurch kommt es zu diesen beschriebenen Veränderungen.

Das Marsh II-Stadium findet man bei Patienten allerdings nur selten, wahrscheinlich handelt es sich um ein Übergangsstadium, das zum Teil auch nur für Randbereiche beschrieben wird. 

Ab dem Marsh-Stadium III a bis c beginnt das destruktive Stadium, mit den verschiedenen Formen der Zottenverkürzung. Dieses Stadium findet man bei Zöliakie Patienten am häufigsten, genau wie das Marsh-Stadium I.

Im Marsh-Stadium III a sind die Darmzotten etwas kürzer und breiter als normal, beim Stadium Marsh III b findet man stummelförmige Zotten und bei Marsh III c sind die Zotten der Darmschleimhaut komplett abgeflacht. Die tiefen Krypten zwischen den ehemaligen Zotten bleiben allerdings bestehen, das heißt die Schleimhaut des Darmes ist nicht gänzlich flach, sondern von Vertiefungen durchzogen.

 

Marsh-Kriterien
Marsh 0                            Durch glutenfreie Ernährung regenerierte Darmschleimhaut
Marsh I                             Infiltratives Stadium
Marsh II                            Hyperplastisches Stadium
Marsh III a – c                  Destruktives Stadium
Marsh IV                           Vernarbung der Schleimhaut
Quelle: Dr. Stephanie Baas, DZG, www.dzg-online.de

 

Ist Marsh III c das letzte Stadium bei der Veränderung der Darmschleimhaut in Folge einer Zöliakie?

Manchmal wird ein Marsh-Stadium IV mit einer Vernarbung der Darmschleimhaut beschrieben. Allerdings sind dies seltene Ausnahmen, Marsh I bis III c sind die Klassifikationen, die in der Regel auftreten.

Bei welcher Untersuchung sieht man, in welchem Stadium der Marsh-Kriterien sich die Darmschleimhaut befindet?

Dazu führt man eine Magenspiegelung bzw. eine Spiegelung des Dünndarms durch. Allerdings ist rein optisch nicht feststellbar, um welches Marsh-Stadium es sich handelt. Zwar können gute Endoskope schon einen ersten Eindruck vom Zustand der Darmschleimhaut vermitteln, aber der eigentliche Befund wird durch einen Pathologen erstellt. Dafür werden Proben entnommen und an den Pathologen versendet. Der Pathologe beurteilt dann die Schleimhaut gemäß der Marsh-Kriterien. Zu einer guten Beschreibung gehören auch Angaben zur Anzahl der intraepithelialen Lymphozyten und eine Beschreibung von Zotten und Krypten.

Man sollte jedoch stets bedenken, dass in einen solchen Befund auch der subjektive Eindruck eingehen kann.

Wie zuverlässig ist das Ergebnis der Pathologie, wenn es um Zöliakie geht?

Wir wissen heute, dass die Biopsie nicht unbedingt der Goldstandard bei der Zöliakie-Diagnose ist, von dem man lange Zeit ausging.

Zum Beispiel könnte schon der Hinweis, dass es um eine Zöliakie-Diagnose geht, dazu führen, dass die Proben anders gesehen werden, als wenn es lediglich um die generelle Beurteilung einer Probe aus der Duodenalschleimhaut geht.

Ein anderer Aspekt ist, dass die Darmzotten nicht immer „kerzengrade“, sondern auch schräg stehen können. Der Pathologe muss deshalb auch die Schnittführung der Probe berücksichtigen. Man weiß mittlerweile, dass Schleimhautproben oft leicht schräg geschnitten werden. Das kann zu großen Beeinträchtigungen bei der Beurteilung der Darmschleimhaut führen.

Heißt das, die Schnittführung bei einer Biopsie ist für eine Zöliakie-Diagnose entscheidend?

Ja, und warum das so ist kann man gut mit dem folgenden Vergleich erklären: Die Zotten des Darms ähneln den Fingern einer Hand. Würde man eine Hand beginnend mit den Fingerspitzen der Länge nach durchschneiden, würde der daraus resultierende Längsschnitt die Finger in ihrer ganzen Länge abbilden. Setzt man den Schnitt aber schräg an, würden die Finger verkürzt erscheinen und sicher auch breiter wirken.

Eine nicht korrekte Schnittführung bei einer Biopsie kann also zu einer falschen Zöliakie-Diagnose führen?

Ja, die Schnittführung bei der Biopsie zur Diagnose der Zöliakie hat einen großen Einfluss auf die Beurteilung des Gewebes bzw. der Zotten und Krypten der Darmschleimhaut. So kann es passieren, dass eine zu schräg angesetzte Gewebeprobe fälschlicherweise als Marsh III a oder b kategorisiert wird. Dann käme es zu einer falsch positiven Diagnose. Diese Gefahr einer zu Unrecht gestellten Zöliakie-Diagnose konnte auch die ProCeDE Studie1), an der auch Frau Prof.Dr. Koletzko aus München mitgearbeitet hat, zeigen. Umgekehrt kann die Schnittführung jedoch auch dafür sorgen, dass die Schleimhaut sich positiver darstellt, als dies tatsächlich der Fall ist. 

Die Patienten sollten über diese doch nicht unerhebliche Einschränkung der Diagnose informiert sein, insbesondere dann, wenn diskrepante Befunde auftreten. Wenn zum Beispiel die Antikörper-Befunde negativ sind, die Biopsie aber positiv, oder auch umgekehrt, sollte man an eine möglicherweise falsch positive oder negative Diagnose denken. Die Histologie ist im Falle der Zöliakie nicht der Goldstandard, den man lange Zeit vorausgesetzt hat.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Stadien der Marsh-Kriterien und dem Beschwerdebild der Zöliakie?

Grundsätzlich würde man erwarten, dass ein Patient mit einer schwereren Veränderung der Darmschleimhaut auch schwerere Zöliakie-Symptome zeigt. Dies muss jedoch nicht zwingend so sein. Man sieht immer wieder Patienten mit Marsh IIIc, die keinerlei Symptome haben. Umgekehrt gibt es Patienten mit Marsh I, die unter starken Beschwerden leiden.

Man kann jedoch sagen: Je höher die Antikörper-Werte, desto eher kommt es zu schwereren Marsh-Veränderungen der Kategorien III a bis c, wobei es auch hier Ausnahmen gibt. Deshalb besagen die ESPGHAN (European Society of Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition)-Kriterien, dass bei einem sehr hohen Antikörper-Befund die Wahrscheinlichkeit für Marsh III b oder c, und damit für eine Zöliakie, steigt und somit auf eine Biopsie verzichtet werden kann. Dieser Zusammenhang zwischen Höhe der Antikörper und Schwere der Schleimhautveränderung ist bislang nur für Kinder und Jugendliche gut nachgewiesen. Daher kann man dieses Prozedere bislang nur bei dieser Altersgruppe anwenden. Erwachsene sollten nach wie vor nach Möglichkeit immer biopsiert werden.

Bei Menschen mit Zöliakie kann es auch zu Nährstoffmangel kommen. Ist dies bei Patienten mit Marsh III eher der Fall?

Grundsätzlich sind bei Patienten mit Marsh III a bis c Nährstoffdefizite eher zu erwarten. Bei diesen Zöliakie Patienten mangelt es dem Darm an Resorptionsfläche. Aber auch hier gibt es immer wieder Patienten, die zwar schwere Schleimhautveränderungen aufweisen, jedoch nicht unter einem Nährstoffmangel leiden. Eventuell liegt das daran, dass bei diesen Patienten tiefere Dünndarmabschnitte gewisse Funktionen übernehmen.

Aber: Bei Patienten mit Marsh III a bis c kommt es auch eher zu Laktoseintoleranz, weil die Laktase von der geschädigten Schleimhaut in geringerer Menge produziert wird. Mit Erholung der Schleimhaut kommt meist auch die Enzymbildung wieder in Gang und Laktose wird wieder gut vertragen.

Ist es möglich, die Darmschleimhaut durch eine glutenfreie Lebensweise wieder vollständig zu regenerieren?

Alles ist möglich. Zöliakie-Patienten können durch eine glutenfreie Kost auf Marsh 0 kommen. Marsh 0 ist eine Kategorie, die man ausschließlich für die wieder gesundete Darmschleimhaut von Zöliakie-Patienten verwendet, nicht für Menschen, die keine Zöliakie haben. Bei Kindern mit Zöliakie ist es so gut wie immer möglich, Marsh 0 zu erreichen, bei Erwachsenen kann das schwieriger werden. Je älter der Patient bei der Diagnosestallung Zöliakie ist, desto schwieriger wird die vollständige Wiederherstellung der Darmschleimhaut. Dann können kleinere Veränderungen bestehenbleiben.

Wie lange dauert es, bis ein Zöliakie-Patient von Marsh III a bis c zu Marsh 0 kommt?

Wie lange es dauert, bis sich die Darmschleimhaut eines Zöliakie-Patienten unter glutenfreier Kost regeneriert, ist sehr unterschiedlich. Bei manchen Patienten dauert es Monate, bei manchen Patienten dauert es Jahre. Studien konnten jedoch nachweisen, dass es auch über Jahre hinweg kontinuierlich zur Verbesserung der Darmschleimhaut kommt, wenn die glutenfreie Kost eingehalten wird.

Wann sollte man mit einer Biopsie überprüfen, ob die Darmzotten sich durch die glutenfreie Diät erholt haben?

Eine Nachbiopsie ist nicht unbedingt nötig. Entsprechend der Zöliakie-Leitlinien ist sie bei einem guten Ansprechen auf die glutenfreie Diät, das heißt bei Rückgang der Zöliakie-Antikörper und Rückgang der Symptome, nicht gefordert.

Eine Nachbiopsie sollte man nicht zu früh vornehmen, denn nach drei bis sechs Monaten glutenfreier Diät findet man häufig immer noch starke Veränderungen der Darmschleimhaut. Oft wird dann vermutet, Diätfehler oder eine refraktäre Zöliakie seien der Grund hierfür. Die Wiederherstellung der Darmschleimhaut kann jedoch auch einfach eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, insbesondere bei älteren Menschen oder wenn die Zöliakie lange unbemerkt blieb.

Frau Dr. Baas, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Quellen:

1) Werkstetter KJ et. al., Accuracy in Diagnosis of Celiac Disease Without Biopsies in Clinical Practice, Gastroenterology. 2017 Oct;153(4):924-935

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

19. April 2022

Autor: S. Jossé/S. Baas, www.mein-allergie-portal.com

Artikel teilen

Lesen Sie auch

Weitere Beiträge