Entzündungen durch Weizen – was ist neu?
Weizen ist wesentlicher Teil der täglichen Ernährung – ca. 150 g nimmt man täglich zu sich – und das ist für die Mehrheit der Menschen auch kein Problem. Es gibt jedoch nicht wenige Menschen, die Weizen nicht vertragen. „Schätzungsweise 15 Prozent der Konsumenten von Weizen leiden unter entzündlichen weizenbedingten Erkrankungen“ betonte Prof. Schuppan beim 124. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM), am 17. April in Mannheim. Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Detlef Schuppan ist Professor of Medicine an der Harvard Medical School in Boston, USA, Leiter des Instituts für Translationale Immunologie und der Ambulanz für Zöliakie und Dünndarmerkrankungen am Universitätsklinikum Mainz, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Zöliakiegesellschaft und Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS).
Autor: Sabine Jossé M. A.
Interviewpartner: Prof. Dr. med. Detlef Schuppan
Zöliakie: oft unerkannt - assoziierte Erkrankungen!
Zwar ist die Zöliakie, eine entzündliche Reaktionen gegen Gluten in Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste etc., sicher zu diagnostizieren, aber noch viel zu oft erfolgt die Diagnose recht spät. Bleibt die Zöliakie jedoch unerkannt und verzehren die Patienten weiter glutenhaltige Nahrungsmittel, kann es zu Folgeerkrankungen kommen. Dazu gehören durch Malabsorption hervorgerufenen Erkrankungen wie zum Beispiel, Anämie, Osteoporose, bei aktiver Zöliakie: Infertilität und unerklärte Leberwerterhöhungen bis hin zu Leberversagen, das jedoch nur in seltenen Fällen auftritt1).
Zu den assoziierten Autoimmunerkrankungen, die bei Zöliakie auftreten können, gehören unter anderem Typ- 1-Diabetes, autoimmune Schilddrüsenerkrankungen, autoimmune Hepatitis und Dermatitis Herpetiformis. Bei Patienten mit über lange Zeit unentdeckter Zöliakie findet man eine Häufung sonst seltener maligner intestinaler Tumoren, aber auch von Non-Hodgkin-Lymphomen.
Weiter kommt es bei aktiver Zöliakie vermehrt zu neuropsychiatrische Syndromen. Dazu gehören Ataxie, Autismus, Schizophrenie und Migräne.
Auch gewisse genetische Syndrome, wie z.B. das Down-Syndrom, das Ullrich-Turner-Syndrom und das Williams-Beuren-Syndrom findet man bei unbehandelter Zöliakie in deutlicher Häufung.
Zöliakie: Die Lebensqualität leidet
Den Betroffenen fällt es oft schwer, absolut glutenfrei zu leben und ungewollte Kontamination zu vermeiden. Die Lebensqualität von Zöliakie-Patienten kann daher stark beeinträchtigt und, wie eine Studie2) zeigte, vergleichbar sein mit der Lebensqualität von Hämodialyse-Patienten. Dementsprechend wünschenswert wäre eine unterstützende medikamentöse Therapie. Ein vielversprechender Ansatz hierfür ist die Hemmung der Transglutaminase 2 der Darmschleimhaut. Ab Juni 2018 läuft hierzu eine große internationale placebo-kontrollierte Studie an 160 Patienten, die vom Institut für Translationale Immunologie (TIM) in Mainz und der Universität Tampere klinisch geleitet wird.
Negativer Allergietest auf Weizenallergie: Ist es eine IgE-negative Nahrungsmittelallergie?
„Während sich IgE-positive Nahrungsmittelallergien gut diagnostizieren lassen, haben wir eine sehr hohe Prävalenz IgE-negativer Nahrungsmittelallergien“ so Prof. Schuppan, „das konnten wir in einer Gemeinschaftsarbeit mit Frau Prof. Fritscher-Ravens feststellen“. In der Studie1) an Patienten mit Nahrungsmittel-assoziiertem Reizdarmsyndrom (RDS), geschätzt bei 70 Prozent der RDS-Patienten, bei denen Zöliakie, Nahrungsmittelallergien und chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) ausgeschlossen wurden, zeigte sich, dass bei diesen atypische Nahrungsmittelallergien vorhanden waren.
IgE-negative Nahrungsmittelallergie: Die Diagnose mit der konfokalen Endomikroskopie
Dabei erfolgte die Diagnose über eine konfokale Endomikroskopie, das heißt über eine direkte Allergen-Provokation mit Weizen, Milch, Soja und Hefe am oberen Dünndrm. Vorausgegangen war eine drei bis fünftägige hypoallergene Diät, die klassische „Kartoffel-(mit oder ohne Reis) Olivenöl-Salz“-Diät. „Bei 2/3 dieser Patienten zeigten sich bei direkter Allergenprovokation an der Darmschleimhaut allergische Reaktionen gegen eines oder mehrere der vier Allergene, innerhalb von fünf Minuten nach Allergenkontakt, meist abdominelle Symptome“ berichtete Prof. Schuppan.
Bei rund 50 Prozent der Patienten, die nur bei der konfokalen Endomikroskopie allergische Reaktionen zeigten, war der Auslöser Weizen. Bemerkenswert war hierbei, dass die klinischen Symptome oft erst Stunden nach der Allergenkonfrontation auftraten. In einer Folgekohorte3) mit 150 Patienten konnten die Ergebnisse bestätigt werden. Zudem bestand bei 81,8 Prozent der positiv getesteten Patienten eine Familienanamnese einer Atopie, im Vergleich zu 20 Prozent bei der Kontrollgruppe.
Konsequenzen für die Praxis
Mit der konfokalen Endomikroskopie ist es gelungen, nachzuweisen, dass IgE-negative Nahrungsmittelallergien häufiger als angenommen auftreten. Unter Ausschlussdiät bessern sich die Symptome der Patienten deutlich. Allerdings steht diese Diagnostik im klinischen Alltag zurzeit nicht zur Verfügung - neue Bluttests sind in Entwicklung.
ATI-Sensitivität: Auswirkungen auf chronische Erkrankungen
Die ATI-Sensitivität, oft fälschlicherweise als „Glutensensitivität“ bezeichnet, ist eine entzündliche weizenbedingten Erkrankung. Sie gehört zur Gruppe der „Nicht-Zöliakie/nicht Allergie-Weizensensitivitäten“ und ist eine Ausschlussdiagnose. Im Gegensatz zur Zöliakie kommt es bei der ATI-Sensitivität zu keiner evidenten Schädigung der Darmschleimhaut. „Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass ATI die Symptome bestimmter Erkrankungen verstärken können“ erklärte Prof. Schuppan.
ATI – die Charakteristika
ATI (Amylase-Trypsin-Inhibioren) steht für eine Weizenprotein-Familie mit drei Hauptkomponenten, die eine unterschiedliche Primärstruktur, aber eine sehr ähnliche Sekundärstruktur haben. Mit Gluten, dem Kleberprotein des Weizens, haben ATI nichts zu tun.
Charakteristika und Funktionen der Weizen ATI:
- ATI aktivieren die Immunzellen des Darmes, hauptsächlich dendritischen Zellen und Makrophagen
- ATI haben eine sehr kompakte Struktur und sind durch Magen-/Darmenzyme praktisch nicht abbaubar
- ATI spielen im Getreide eine Rolle bei der Keimreifung, indem sie die Stärke- und Proteinreservoirs regulieren
- ATI sind bei der klassischen Weizenallergie und beim Bäckerasthma bereits bekannte Allergene
- ATI sind mit einem hohen Gehalt in Weizen, Roggen und Gerste vorhanden, mit erheblichen Schwankungen, abhängig von Genetik und Anbau. Inälteren Sorten sind ATI in etwas geringeren Mengen vorhanden
- ATI zeigen keine oder eine nur geringe Aktivität in glutenfreien Nahrungsmitteln, wie glutenfreien Getreidesorten oder Gemüsen
- Backen und Kochen führt bei ATI jedoch kaum zu Aktivitätsverlust
ATI – wie verstärken sie bestehende Erkrankungen?
An einem Mausmodell für multiple Sklerose wurde untersucht, welchen Einfluss ATI auf den Krankheitsverlauf haben. Dafür wurden die Mäuse entweder mit einer ATI- freien oder mit einer ATI- haltigen Diät ernährt. Die Verzehrmenge der ATI-haltigen Diät entsprach dabei der Menge, die einer durchschnittlich üblichen Verzehrmenge von 150 g Weizenprodukten pro Tag entspricht. Dabei zeigte sich in der Darmschleimhaut eine Aktivierung der dendritischen Zellen. Wichtig ist hierbei, dass die T-Zellen den Gastrointestinaltrakt sehr schnell verlassen, so dass man sie in der Biopsie fast nicht nachweisen kann. Sie wandern in Richtung periphere Lymphknoten und wahrscheinlich noch weiter in periphere Organe und wirken dort verstärkend auf bereits laufende T-Zell-Reaktionen, z.B. bei Autoimmunerkrankungen. Damit verstärken die ATI zum Beispiel Erkrankungen wie die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), Fettleber, Hepatitis, Leberfibrose, Lupus erythematodes, Asthma, Allergien der unteren Atemwege und Erkrankungen des Zentralnervensystems, wie in präklinischen Studien 3) 4) 5) 6) 7) 8) gezeigt werden konnte.
Auch in einer klinischen Pilotstudie an Patienten mit Colitis Ulcerosa wurde der Einfluss der ATI auf die Erkrankung untersucht. Dabei erhielt eine Patientengruppe eine weizenhaltige Diät, dokumentiert auf ATI-Gehalt, während die andere Gruppe eine um 95 Prozent ATI-reduzierte Diät erhielt. Daraufhin erfolgte ein Crossover, wobei neben der Erfassung der Aktivitätsscores der Erkrankung auch immunologische Tests durchgeführt wurden. Auch bei den Colitis ulcerosa-Patienten zeigte sich, dass die ATI als Immun-Adjuvantien wirken. Dabei war der Effekt dosisabhängig, so dass eine strikt glutenfreie Diät nicht erforderlich zu sein scheint. Die tolerierte Grenzenge steht jedoch noch nicht fest.
Weitere Studien an Patienten mit Multipler Sklerose, PSC, NASH, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn und SLE sind in Arbeit bzw. in Planung.
Quellen:
1) Fritscher-Ravens A, Schuppan D, Ellrichmann M, Schoch S, Röcken C, Brasch J, Bethge J, Böttner M, Klose J, Milla PJ, Confocal endomicroscopy shows food-associated changes in the intestinal mucosa of patients with irritable bowel syndrome, Gastroenterology. 2014 Nov;147(5):1012-20.e4. doi: 10.1053/j.gastro.2014.07.046. Epub 2014 Jul 30, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=fritscher+ravens+ibs
2) Rucha, Z, Pflaum T, Moesinger, M, Milla PJ, Roecken C, Schuppan D, Boettner M, Brasch J, Heckl S, Das M, Fritscher-Ravens A. Double blind randomized controlled cross-over study using confocal endomicroscopy to differentiate wheat from non-coeliac gluten sensitivit (NCGS) in IBS patients usng antigen exclusion vs. sham vs. low FODDMAP's diet to determine successful treatment. Gastroenterology 2017; 152: S43-S43 (Abstract).
3) Pickert G et al, submitted, Khan MA et al, submitted,
4) Bellinghausen I, Weigmann B, Zevallos V, Maxeiner J, Reißig S, Waisman A, Schuppan D, Saloga J. Wheat amylase/trypsin inhibitors exacerbate intestinal and airway allergic immune responses in humanized mice. J Allergy Clin Immunol. 21, März 2018. doi: 10.1016/j.jaci.2018.02.041.
5) Zevallos VF, Raker V, Tenzer S, Jimenez-Calvente C, Ashfaq-Khan M, Rüssel N, Pickert G, Schild H, Steinbrink K, Schuppan D, Nutritional Wheat Amylase-Trypsin Inhibitors Promote Intestinal Inflammation via Activation of Myeloid Cells, Gastroenterology. 2017 Apr;152(5):1100-1113.e12. doi: 10.1053/j.gastro.2016.12.006. Epub 2016 Dec 16, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27993525
6) Schuppan D, Pickert G, Ashfaq-Khan M, Zevallos V, Non-celiac wheat sensitivity: differential diagnosis, triggers and implications, Best Pract Res Clin Gastroenterol. 2015 Jun;29(3):469-76. doi: 10.1016/j.bpg.2015.04.002. Epub 2015 May 8, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26060111
7) Fasano A, Sapone A, Zevallos V, Schuppan D, Nonceliac gluten sensitivity, Gastroenterology. 2015 May;148(6):1195-204. doi: 10.1053/j.gastro.2014.12.049. Epub 2015 Jan 9, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25583468
8) Junker Y, Zeissig S, Kim SJ, Barisani D, Wieser H, Leffler DA, Zevallos V, Libermann TA, Dillon S, Freitag TL, Kelly CP, Schuppan D, Wheat amylase trypsin inhibitors drive intestinal inflammation via activation of toll-like receptor 4, J Exp Med. 2012 Dec 17;209(13):2395-408. doi: 10.1084/jem.20102660. Epub 2012 Dec 3, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=Junker+Y+2012
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