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Kälteurtikaria: Symptome, Risiken, Diagnose, Therapie

Kälteurtikaria Symptome Risiken Diagnose Therapie
Was ist eine Kälteurtikaria? Bildquelle: F. Ruëff

Die Kälteurtikaria ist eine Sonderform der chronischen induzierbaren Urtikaria, auch Nesselsucht genannt. Das bedeutet, sie gehört zu jenen Urtikariaformen, die typischerweise durch bestimmte Reize zum Beispiel mechanischer oder thermischer Art ausgelöst werden. Was ist die Ursache? Welche Symptome sind typisch für diese "Kälteallergie"? Bestehen Risiken, die sich vermeiden lassen? Wie erfolgt die Diagnose und welche Therapiemöglichkeiten gibt es? MeinAllergiePortal sprach mit Prof. Dr. med. Franziska Ruëff von der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München über Symptome, Risiken, Diagnose und Therapiemöglichkeiten.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartnerin: Prof. Dr. med. Franziska Ruëff 

Frau Prof. Ruëff, was versteht man unter einer Kälteurtikaria?

Die Kälteurtikaria ist eine Sonderform der chronischen Urtikaria, die durch den Kontakt der Haut mit Kälte ausgelöst wird. Viele Formen der chronischen Urtikaria treten nicht nur spontan auf, sondern können auch mit verschiedenen Formen der physikalischen Urtikaria verbunden sein. Somit ist es möglich, dass man sowohl unter einer chronischen spontanen Urtikaria als auch unter einer Kälteurtikaria leidet. In aller Regel ist jedoch die Kälteurtikaria führend, das heißt, sie verursacht die meisten Beschwerden.

Was sind die Ursachen für die Kälteurtikaria?

Man vermutet mittlerweile, dass die Kälteurtikaria durch eine Art von Auto-Allergie ausgelöst wird, wobei der Startschuss der allergischen Reaktion nur unter Einfluss von Kälte abläuft. Möglicherweise liegen dieser Auto-Allergie bakterielle oder virale Infekte zugrunde. Dies würde auch erklären, dass sie häufig bei jungen Menschen auftritt. Weiter hat man festgestellt, dass es eine sehr seltene Form der Kälteurtikaria gibt, die nach Wespenstichen auftritt oder auch im Rahmen einer Hyposensibilisierung gegen Wespengift.

Ist eine Kälteurtikaria erblich?

Nein. Es gibt allerdings eine erbliche Form einer Erkrankung, die ebenfalls durch Kälte ausgelöst wird. Hierbeistehen aber nicht Juckreiz und Quaddeln im Vordergrund, sondern eher Fieber und Gelenkschmerzen verbunden mit einem Hautausschlag. Das familiäre kälteinduzierte autoinflammatorische Syndrom hat tatsächlich genetische Ursachen und muss von der Kälteurtikaria abgetrennt werden, über die ich hier spreche.

Welche Symptome können auftreten, wenn man unter einer Kälteurtikaria leidet?

Es kommt durch den direkten Hautkontakt zu kalten Gegenständen oder durch die Luft zu Rötung, Juckreiz und Quaddeln an der Haut. Die Nesselsucht kann am ganzen Körper auftreten, überall dort wo Kontakt zu kalten Gegenständen besteht oder als Folge von Verdunstungskälte. Schwimmen im kalten Wasser kann sogar lebensgefährlich sein, wenn es zu Systemreaktionen wie bei einem Allergieschock kommt, der sogenannten Anaphylaxie.

Welche Art von Kälte löst die allergischen Symptome aus?

Es spielt bei der der durch Kälte hervorgerufenen Nesselsucht keine Rolle, ob der Kältereiz durch kalte Luft, Flüssigkeiten oder einen kalten Gegenstand ausgelöst wurde. Beschwerden treten nicht nur in der kalten Jahreszeit auf; auch bei Zugluft oder wenn die Haut nass geworden ist und so Verdunstungskälte entsteht, können Beschwerden auftreten.

Was könnte bei einer Kälteurtikaria lebensgefährliche Systemreaktionen auslösen?

Ein plötzlicher sehr starker Kältereiz kann zum Beispiel dazu führen, dass es zu Herz-Kreislauf-Problemen kommt, im schlimmsten Fall zu Bewusstlosigkeit. Dann bestünde das Risiko infolge der Herz-Kreislauf-Schwäche zu ertrinken.

Wie lange halten die Symptome bei der Kälteurtikaria an?

Leider verschwinden die Beschwerden nicht sofort wieder, wenn die Betroffenen ins Warme kommen. Quaddeln, Rötungen und Juckreiz bleiben meist noch einige Minuten meist bis zu etwa 1 Stunde bestehen, bis die ausgetretene Gewebeflüssigkeit aus den Quaddeln vom Körper wieder resorbiert wurde.

Hat man eine Kälteurtikaria von Geburt an oder kann sie auch im Erwachsenenalter erstmals auftreten?

Die klassische Kälteurtikaria besteht nicht von Geburt an. Allerdings kann sie auch schon bei Kindern und Jugendlichen auftreten.

Kann es bei dieser Kälteurtikaria auch zu Schwellungen bzw. Angioödemen kommen?

Die Beschwerden treten genau dort auf, wo die Kälte auf die Haut trifft und zur Histaminfreisetzung der Mastzellen führt, d.h. in den oberen Gewebeschichten der Haut. Tiefere Gewebeschichten erreicht die Kälte meist nicht, weil sie besser geschützt sind. Da Angioödeme jedoch in tieferen Gewebeschichten entstehen, treten sie bei der Kälte-bedingten Nesselsucht eher selten auf. Kategorisch ausschließen würde ich Angioödeme hier aber eher nicht. Wie gesagt können verschiedene Urtikariaformen auch gemeinsam vorkommen. Man könnte also an einem Angioödem plus an einer Kälteurtikaria leiden.

Man hört oft, dass Urtikaria sehr spät diagnostiziert wird, trifft dies auch auf die Form der Nesselsucht zu, die von Kälte getriggert wird?

Klassisch für die chronische spontane Urtikaria generell ist eine gewisse tageszeitliche Rhythmik - häufig treten bei den Betroffenen die Beschwerden in der Früh oder am Abend auf. Oft sieht der Arzt die Quaddeln deshalb nicht mehr, wenn die Betroffenen zum Arzt kommen. Ein Handybild kann deshalb sehr hilfreich sein. Zudem wird es für Dermatologen sicher ein Hinweis auf eine Nesselsucht sein, wenn der Patient von juckenden flüchtigen Quaddeln berichtet, auch wenn diese nicht mehr zu sehen sind. Bei der Kälteurtikaria ist der Zusammenhang zwischen Auslöser und Symptomen unmittelbar und hier lassen sich die Symptome zur Diagnose ja auch leicht reproduzieren.

Wie erfolgt die Diagnose einer Kälteurtikaria?

Zur Diagnose benutzen wir in unserer Klinik ein mit Wasser und Eiswürfeln gefülltes Glas. Setzt man dieses auf die Haut auf, entsteht dort ein Kältereiz von ca. 4° C, was bei manchen Patienten bereits innerhalb von Sekunden bis wenigen Minuten zu den für die Urtikaria typischen Quaddeln führt.

Um die genaue Reizschwelle zu ermitteln, wird das Glas jeweils unterschiedlich lang in Kontakt mit der Haut gebracht, z.B. für eine, drei oder fünf Minuten. So lassen sich unter anderem auch lindernde Effekte erkennen, die zum Beispiel durch medikamentöse Behandlung hervorgerufen werden können.

Ein spezielles Gerät zur Ermittlung der individuellen Reizschwelle hat man an der Hautklinik der Charité entwickelt. Mit dem TempTest© lassen sich Temperaturen zwischen 4 ° C und 44 ° C einstellen und an der Haut testen.

Ist die Kälteurtikaria heilbar oder beleibt sie ein Leben lang bestehen?

Tendenziell gehört die Kälteurtikaria zu den Urtikaria-Formen, die eher längerfristig bestehen bleiben. Im Einzelfall kann man es natürlich immer nicht sagen und auch eine Abheilung oder zumindest Besserung sind möglich.

Wenn die Kälte–Urtikaria sich zurückbildet, geschieht dies meist nicht von heute auf morgen, sondern langsam. Die Erkrankten bemerken dann, dass sich die Reizschwelle positiv verändert. Konkret bedeutet dies, dass sie beispielsweise plötzlich tiefere Temperaturen an der Haut tolerieren können, ohne dass es zu Symptomen kommt. Oder sie merken es an dem längeren Zeitraum, in dem sie einem Kältereiz ausgesetzt sein müssen, bis es zu den typischen Quaddeln verbunden mit Juckreiz kommt.

Welche Therapien bzw. Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei der Kälteurtikaria?

Zunächst der Hinweis auf eine früher übliche Therapie: In der Annahme, dass Infekte eine mögliche Ursache für diese Form der Nesselsucht sein könnten, wurde das zugrundeliegende bakterielle Geschehen früher mit Antibiotikatherapien bzw. mit Penizillintherapien behandelt. Diese hatten auch noch einen anti-entzündlichen Effekt. Zum Teil erfolgte die Behandlung intravenös über vierzehn Tage. Auch eine orale Therapie mit Antibiotika, die für den Patienten angenehmer ist, wurde genutzt. Meine eigenen Erfahrungen mit Antibiotika- oder Penizillintherapien bestätigen allerdings keinen durchschlagenden Effekt.

Es ist jedoch auf jeden Fall sinnvoll, abzuklären, ob ein akuter Infekt besteht, zum Beispiel durch die Überprüfung der Entzündungswerte. Weiter sollte abgeklärt werden, ob beispielsweise Infektionen im Zahnbereich oder eine Helicobacter-Pylori-Infektion bestehen. Wird man hier nicht fündig, würde ich von einer Antibiotika- oder Penizillintherapie absehen.

Was grundsätzlich funktioniert, sind Gewöhnungstherapien, in denen kontrolliert die gesamte Haut mit kaltem Wasser an den Kältereiz gewöhnt wird. Das führt natürlich in der Steigerungsphase erst einmal zu Juckreiz und kann auch zu Kreislaufbeschwerden führen. Der schützende Effekt bleibt allerdings nur erhalten, wenn man täglich kalt behandelt, was auch wieder nicht jedermanns Sache ist.

Wie behandelt man die Kälteurtikaria heute?

Bei der symptomatischen Therapie der Kälteurtikaria würde man mit der Therapie beginnen, die die wenigsten Nebenwirkungen verursacht und wirtschaftlich ist. Symptomatisch ist eine Behandlung durch Antihistaminika der neuesten Generation möglich, die keine sedierende Wirkung haben. Dies gilt ja auch für andere Allergien. Die Antihistaminika blockieren die Histamin-freisetzenden Rezeptoren, die Histamin-Wirkung wird abgeschwächt und die Symptome werden so unterbunden. Antihistaminika helfen manchen Patienten und können - allerdings off-label - auch in bis zu vierfach höherer Dosierung verabreicht werden, um eine Symptomkontrolle zu erreichen.

Weiter kann man versuchen mit Medikamenten, die den Wirkstoff Cromoglicinsäure (DNCG) enthalten, eine Mastzellenstabilisierung zu erreichen; auch auf diese Behandlung sprechen einige Patienten an. Eine andere Möglichkeit wäre eine immunsupprimierende Behandlung. Möglich wäre hier zum Beispiel der Einsatz von Zytostatika, Calcineurin-Inhibitoren oder Leukotrienantagonisten. Kortison, das heißt Kortikosteroide, unterdrücken zwar die Symptome. Bei Dosisreduktion kommen die Beschwerden aber wieder und dafür kann man die Nebenwirkungen nicht in Kauf nehmen.

Zunehmend gibt es jedoch Erkrankte, die auf all diese Medikamente nicht ansprechen und die bereits zu Beginn des Winters massiv leiden. Manche können schon bei eigentlich noch frühlingshaften Temperaturen die Wohnung nicht mehr verlassen, ohne dass alle Hautflächen, die mit der kalten Außenluft in Berührung kommen, anschwellen und glühend rot werden. Da vornehmlich das Gesicht betroffen ist, werden die Betroffenen auch ständig darauf angesprochen, was ganz besonders unangenehm ist. Spaziergänge oder gar Sport im Freien sind dann unmöglich – es droht eine massive Einschränkung der Lebensqualität.

Gibt es auch Therapien für eine schwere Kälteurtikaria?

Mit Omalizumab, einem gegen körpereigenes IgE-gerichteten Antikörper, gibt es mittlerweile ein sehr wirksames Medikament zur Behandlung. Da es aber nicht für die Behandlung der Kälteurtikaria zugelassen ist, sondern nur für andere Urtikariaformen, muss man die Kostenübernahme bei der Krankenkasse speziell beantragen.

Frau Prof. Ruëff, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Quellen:

Leitlinie: Klassifikation, Diagnostik und Therapie der Urtikaria, https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/013-028.html

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

29. Dezember 2022

Autor: S. Jossé/F. Ruëff, www.mein-allergie-portal.com

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