Heuschnupfen, Hausstaubmilben, Insektengift: AIT trotz SARS CoV-2?
Die Allergie Immuntherapie (AIT) ist bislang die einzig ursächliche Behandlung bei bestimmten Allergien, zum Beispiel Heuschnupfen, Hausstaubmilben und Insektengift. Aber gerade im Hinblick auf diese Therapieform war am Anfang des Lockdowns die Verunsicherung bei Allergiepatienten groß. Deshalb hat die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) bereits einige Tage nach dem Lockdown in Deutschland Empfehlungen zur Durchführung der AIT 1) formuliert und an ihre Mitglieder zirkuliert. Ziel war es, Patienten und Ärzten eine gewisse Handlungsorientierung zu geben und einer unbegründeten Unterbrechung der AIT entgegen zu wirken. Bei der Fachveranstaltung „Allergologie im Kloster 2020“ sprach MeinAllergiePortal mit Prof. Oliver Pfaar, Sektion Rhinologie und Allergologie, Klinik für HNO-Heilkunde am Universitätsklinikum Marburg, welcher diese und folgende Initiativen zum Thema „COVID-19 und AIT“ koordiniert hat.
Autor: Sabine Jossé M.A.
Autor: Prof. Dr. med. Oliver Pfaar
Herr Prof. Pfaar, müssen Patienten mit Allergien befürchten, ein höheres Risiko zu tragen, sich mit dem Coronavirus zu infizieren oder COVID-19 zu entwickeln?
Mittlerweile können wir auf der Basis der weltweit vorliegenden Daten zu COVID-19 sagen, dass Allergiker nicht zu den Risikogruppen für einen gefährlicheren und schweren Verlauf der Erkrankung infolge einer SARS-COV-2 Infektion gehören.
Dennoch ist und bleibt unser therapeutisches Ziel, die allergische Erkrankung unserer Patienten mit einer optimalen medikamentösen antiallergischen Therapie sowie mit der Allergen Immuntherapie (AIT) möglichst zu kontrollieren.
Viele Allergiker befinden sich ja gerade mitten in einer Allergen Immuntherapie (AIT), sind sie eventuell dadurch empfänglicher für SARS-CoV-2 oder COVID-19? Die AIT „moduliert“ ja das Immunsystem….
Die AIT ist eine immunmodulierende Therapie, d.h. sie „erzieht“ das fehlgesteuerte oder dysbalancierte Immunsystem von Allergikern. Aber es handelt sich ja bei der Erkrankung um keine Immunschwäche im eigentlichen Sinn, sondern eher um eine Überreaktion, die durch die AIT wieder „balanciert“ wird im Sinne einer Toleranzentwicklung gegenüber den ursächlichen Allergenen. Wir wissen zudem, dass die durch die AIT ausgelösten immunologischen Mechanismen, die den Erfolg der Therapie ausmachen, kaum Überschneidungen haben zu den Pathomechanismen, die ursächlich sind für eine Infektion mit SARS-COV-2 oder einen schweren Verlauf einer COVID-19 Erkrankung. Daher empfehlen die internationalen und nationalen Positionspapiere übereinstimmend, dass während der derzeitigen Pandemie bei gesunden Menschen die AIT keineswegs unterbrochen, sondern unter Beachtung der allgemeinen Indikationen und Kontraindikationen fortgeführt werden sollte.
Was empfehlen Sie Patienten, die jetzt im Herbst eine Allergen Immuntherapie beginnen wollten. Sollte man das tun, auch wenn die Infektionszahlen in der kalten Jahreszeit wahrscheinlich wieder steigen?
Der Beginn der AIT ist bei gesunden und beschwerdefreien Patienten auf jeden Fall möglich und zu empfehlen. Wenn allerdings der Verdacht auf eine Infektion mit SARS-COV-2 besteht, ein positives Testergebnisse vorliegt oder sich Symptome der COVID-19 Erkrankung einstellen, sollte der Beginn einer AIT nicht erfolgen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Fortführung der Therapie.
Angenommen man steckt sich während einer Allergen Immuntherapie doch mit SARS-CoV-2 an, was dann? Empfehlen Sie unterschiedliche Vorgehensweisen, je nachdem ob es auch zu Symptomen kommt?
Selbstverständlich gilt gerade bei der AIT, dass diese unter strikter Beachtung möglicher Kontraindikationen durchgeführt wird, d.h. die AIT sollte bei einem Patienten, der an Fieber und Husten leidet und einen schlechten Allgemeinzustand hat, unterbrochen werden, egal ob sie mit Spritzen oder sublingual, mit Tropfen oder Tabletten, durchgeführt wird. Auch beim Verdacht auf eine SARS-CoV-2 Infektion oder sogar einem positiven Testergebnis empfiehlt es sich, die Therapie zu unterbrechen.
Sobald die Beschwerden abgeklungen sind und der Patient wieder völlig beschwerdefrei ist, kann die AIT bei negativem SARS-CoV2-Testergebnis dann wieder aufgenommen werden.
Welche Risiken bestehen, wenn Patienten aus Angst vor COVID-19 ihre Allergen Immuntherapie unterbrechen oder gar nicht erst beginnen?
Wenn eine laufende Immuntherapie unterbrochen wird, kann sich der klinische Erfolg dieser Therapie nicht umfänglich einstellen: Insgesamt soll die AIT ja drei Jahre durchgeführt werden, und dies gilt sowohl für die subkutane (SCIT) als auch für die sublinguale Form (SLIT).
Eine unbegründete Unterbrechung der AIT kann dazu führen, dass diese später nicht wiederaufgenommen wird, die Extrakte nicht mehr haltbar sind oder der Patient insgesamt das Interesse an dieser Therapieform verliert. Dann fehlt auch die Motivation zur Therapietreue.
Wenn die Therapie - obgleich medizinisch sinnvoll - überhaupt nicht begonnen wird, ist dies ebenfalls eine vertane Chance, die allergischen Beschwerden mittel-und langfristig unter Kontrolle zu bringen. Die AIT ist die einzige krankheitsmodifizierende Therapieform, die wir den Patienten mit allergischen Erkrankungen anbieten können. Dies ist ja gerade der wesentliche Unterschied zur reinen antisymptomatischen Therapie.
Gibt es Erkenntnisse dazu, wie sich die Pandemie-Maßnahmen auf die Versorgung der Allergiepatienten ausgewirkt haben?
Genau zu dieser Frage erheben wir jetzt retrospektiv weltweit (EAACI/ARIA) sowie auch auf nationaler Ebene (DGAKI) in Deutschland die entsprechenden Daten. Wir wollen wissen, welchen Einfluss die Pandemie auf das Verordnungsverhalten der AIT, auf deren Durchführung sowie auf ihre allgemeine Sicherheit hatte. Diese wichtige Erhebung wird uns helfen, Aussagen zur AIT unter diesen Pandemiebedingungen zu treffen und uns besser vorzubereiten auf eine eventuelle zweite Welle im Herbst. Unsere Kollegen sind herzlich aufgerufen, sich an dieser anonymen Umfrage zu beteiligen!
Herr Prof. Pfaar, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
1) https://dgaki.de/gefaehrliche-defizite-in-der-allergologie-bleibt-der-patient-auf-der-strecke/
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.