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Schwere Neurodermitis bei Kindern: Was hilft?

Neurodermitis Kinder Jugendliche
Schwere Neurodermitis bei Kindern: Was tun?, Bildquelle: D. Staab

Neurodermitis wird oft als leichte, temporäre Kinderkrankheit gesehen, aber nicht immer ist das so. Zum einen gibt es Kinder, die unter einer schweren Neurodermitis leiden, zum anderen behalten manche Kinder die Erkrankung auch im Jugendalter. Wann spricht man von einer schweren Neurodermitis? Welche Rolle spielen Superinfektionen? Welche Therapien sind möglich? Was tun? MeinAllergiePortal sprach mit Privatdozentin Dr. med. Doris Staab, Leitende Oberärztin, Leiterin der Sektion Cystische Fibrose (Kinder), Zusatzbezeichnung Pneumologie und Allergologie an der Charité Universitätsmedizin Berlin.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartner: Privatdozentin Dr. med. Doris Staab

Frau Privatdozentin Staab, welche Schweregrade gibt es bei Neurodermitis?

Es gibt verschiedene Scoring-Systeme, also Punktesysteme, zur Beschreibung des Schweregrades bei Neurodermitis. Diese spielen aber vor allem in Studien zur Beurteilung der Effektivität einer Therapie eine große Rolle. Im Alltag behandelt man die unterschiedlichen Hautareale je nach Ausmaß der Entzündung und der Hauttrockenheit. Nur zur Beurteilung, ob eine Systemtherapie, zum Beipspiel mit Dupilumab oder Ciclosporin, indiziert ist, werden diese Gesamt-Scores herangezogen. Einer dieser Scores ist der sogenannte SCORAD-Index. SCORAD steht für „Scoring Atopic Dermatitis Index“, und ein SCORAD-Index-Wert über 50 gilt als schwere Neurodermitis.

Wie häufig ist eine schwere Neurodermitis bei Kindern?

Grundsätzlich ist Neurodermitis bei Kindern eine häufige Erkrankung. Bis zu 30 Prozent sind zu irgendeinem Zeitpunkt im Leben betroffen. Bei über der Hälfte dieser Kinder handelt es sich um einen leichten Verlauf der Neurodermitis, bei der sich die Haut nach einigen Jahren spontan wieder erholt. Nur etwa 10 bis 20 Prozent der Kinder entwickeln eine schwere Neurodermitis.

Wann spricht man bei Kindern von einer schweren Neurodermitis?

Von einer schweren Neurodermitis spricht man, wenn die Symptome mit den üblichen topischen Maßnahmen nicht ausreichend zu kontrollieren sind. Das heißt die Behandlung der Haut durch Cremes, wie eine wirkstofffreie Basispflege und topisches Kortison, hilft nicht ausreichend. Außerdem gilt es als schwere Form der Neurodermitis, wenn immer wieder schwere Läsionen auftreten. Dann kommt es zu offenen, nässenden Wunden. Auch häufige Superinfektionen durch das Bakterium Staphylococcus aureus sind ein Zeichen für eine schwere Neurodermitis. Dazu kommt meistens ein ausgeprägter Juckreiz mit nächtlicher Schlafstörung.

Das heißt bei Neurodermitis verstärkt die Superinfektion mit Staphylococcus aureus das Ekzem?

Bei Kindern kommt es häufiger als bei Erwachsenen vor, dass es durch eine Superinfektion mit Staphylococcus aureus zu extrem starken Exazerbationen kommt. Behandelt man diese erfolgreich, gehen die Exazerbationen aber auch wieder zurück oder werden deutlich besser. Schwere chronische Ekzeme, so wie sie bei Erwachsenen auftreten, sieht man Kindern deutlich weniger.

Woran erkennt man eine Superinfektion einer Wunde?

Superinfektionen sind nicht immer leicht zu erkennen. Eitrige, schmierige Beläge auf offenen Hautstellen sind typisch für eine Staphylokokken-Infektion. Diese kann sich aber auch nur durch knotige Hautveränderungen zum Beispiel an den Beinen äußern. Schwer davon zu unterscheiden sind manchmal auch die Herspesinfektionen, die meist in gruppierten etwas kleineren Bläschen auftreten. Entscheidend ist: Wenn die Haut unter der üblichen Therapie nicht besser wird, sollte man wegen des Verdachts auf eine Infektion besser einen Arzt aufsuchen. 

Gibt es Risiken für eine schwere Neurodermitis beim Kind?

Man geht davon aus, dass diejenigen Kinder eine schwere Neurodermitis entwickeln, die einen besonders schweren Barrieredefekt der Haut haben. Auch eine starke atopische Belastung in der Familie, eine erbliche Anlage für Allergien, könnte sich begünstigend auf die Entstehung einer schweren atopischen Dermatitis auswirken.

An welchen Körperstellen tritt schwere Neurodermitis bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten auf?

Das kann sehr unterschiedlich sein. Sehr häufig sind die Extremitäten inklusive der Hände betroffen, aber auch Gesicht, Hals und Brustkorb können schwer betroffen sein.

Gibt es bei einer schweren Form der Neurodermitis typische Komorbiditäten, also Begleiterkrankungen?

Eine schwere atopische Dermatitis begünstigt den allergischen Marsch. Das bedeutet, aufgrund der Barrierestörung der Haut kommt es eher zu einer Sensibilisierung gegenüber Umweltallergenen. Wir gehen davon aus, dass sich weitere Allergien über die Haut entwickeln. Dazu gehören zum Beispiel Pollenallergien, die Allergie auf Milben, Tierhaarallergien oder auch Nahrungsmittel-Allergien. Man kann das als Folge der Barrierestörung der Haut bezeichnen. Aber auch die Schlafstörung durch den chronischen Juckreiz, Konzentrationsstörungen in der Schule und eine Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung können zu erheblichen psychischen Begleiterkrankungen führen.

Bei Kindern verschwindet die Neurodermitis häufig wieder, gilt das auch für die schwere Form?

10 Prozent der Kinder mit Neurodermitis behalten die Erkrankung langfristig, bis ins Jugend- oder Erwachsenenalter. In der Regel handelt es sich dabei um die schwerer betroffenen Patienten. Die schweren Neurodermitiker sind oft die, die bereits als Säugling erkrankt waren und im Jugendalter immer noch unter atopischer Dermatitis leiden. Dagegen haben Kinder mit leichten Ekzemen, die häufig in den ersten Lebensjahren auftreten, eine gute Prognose. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Neurodermitis wieder verschwindet, liegt bei 80 Prozent, vorausgesetzt, es besteht keine weitere allergische Sensibilisierung. Es gibt aber auch Patienten und Patientinnen, bei denen die Neurodermitis intermittierend auftritt, das heißt nur zeitweise, zum Beispiel bei Stress-Situationen oder in der Schwangerschaft. Darüber hinaus gibt es Patienten, die ein schweres chronisches persistierendes Ekzem haben. Dann sind die schweren Ekzeme durchgängig vorhanden.

Welche Therapieoptionen gibt es für die schwere Neurodermitis beim Kind?

Die erste Stufe der Therapie ist immer die Hautreinigung und die Hautpflege mit wirkstofffreien Basisprodukten. Insbesondere bei Hautverletzungen ist die Hautreinigung ein wesentlicher Faktor. Hat man durch Neurodermitis offene Wunden ist das Risiko für Superinfektionen sehr groß. Hierbei empfehlen wir, die offenen Stellen zunächst zu desinfizieren. Erst nach dem Abtrocknen sollte man dann cremen, damit man das Wundsekret nicht über die gesamte Haut verteilt. Die Faustregel lautet hier „feucht auf feucht“ und „fett auf trocken“.

Wie sieht bei Neurodermitis die zweite Therapiestufe aus?

In der zweiten Therapiestufe kommt das topische Steroid zur Anwendung. Das ist Kortison in Form einer Creme oder Salbe. Bei den schweren Neurodermitikern würde man sich sicher frühzeitig für eine proaktive Therapie entscheiden. Das heißt, man behandelt die Stellen, die immer wieder aufflammen, zweimal pro Woche mit Kortisoncreme, auch wenn die Haut gerade symptomfrei ist. Lassen sich die Symptome so nicht kontrollieren, besteht die Möglichkeit der Kombination mit Tacrolimus-Creme. Die Wirkung dieser Creme übersteigt jedoch in der Regel die eines guten Kortison-Präparates nicht.

Welche Behandlung ist bei Neurodermitis in der dritten Therapiestufe möglich?

Kommt man mit der Lokaltherapie bei der Symptomkontrolle nicht weiter, bestünde bei superinfizierten Wunden die dritte Stufe in einer Therapie mit einem Antibiotikum. Bei der Indikation zu einer antibiotischen Behandlung würde man jedoch immer systemisch in Form von Saft oder Tabletten therapieren und nicht in Form von antibiotikahaltigen Cremes. Geht es nur um eine isolierte Ekzemstelle, ist auch eine topische Therapie machbar. Die großflächige Verteilung von antibiotikahaltigen Cremes auf die Haut ist aber nicht sinnvoll.

Zum einen ist die Behandlung nicht ausreichend effektiv und zum anderen besteht ein hohes Sensibilisierungsrisiko.

Und wie geht man in der vierten Therapiestufe von Neurodermitis vor?

In der vierten Neurodermitis-Therapiestufe gibt es neben der kurzfristigen systemischen Anwendung von Kortisonpräparaten inzwischen auch ein für Kinder ab 6 Jahren zugelassenes Immuntherapeutikum, das Dupilumab. Dieses ist ein spezifischer Antikörper, der im Abstand von 2 Wochen unter die Haut gespritzt werden muss, ähnlich wie bei einer Hyposensibilisierungsbehandlung. Die Ergebnisse sind sehr beeindruckend, die Nebenwirkungen gering, so dass sicher in den nächsten Jahren die Indikation bei schwerer ND frühzeitiger gestellt werden wird, als derzeit noch üblich. Und es werden weitere dieser Antikörpertherapien auf den Markt kommen. Daneben ist für Jugendlcihe ab 16 Jahren auch noch das Ciclosporin für die Behandlung der atopischen Dermatitis zugelassen. Für welche dieser Therapien man sich entscheidet, müssen Arzt und Patienten gemeinsam besprechen.

Wird eine Kortisontherapie bei Neurodermitis ausschließlich als Kortisoncreme verabreicht?

Systemisch, das heißt in Form von Tabletten oder intravenös setzen wir Kortison zur Therapie von Neurodermitis ungern und höchstens sehr kurzfristig ein, da es bei längerer Anwendung erhebliche Nebenwirkungen hat, zum Beispiel auf das Wachstum.

Kann man auch mit einer Ernährungsumstellung Neurodermitis-Schübe bei Kindern verhindern?

Eine unspezifische Nahrungsumstellung hat keinen Einfluss auf die Neurodermitis. Sind jedoch Nahrungsmittelallergien nachgewiesen, kann ein Weglassen dieser Nahrungsmittel auch den Hautzustand verbessern.

Kann schwere Neurodermitis bei Kindern auch von selbst wieder verschwinden?

Grundsätzlich ja, aber eher seltener als bei einem leichten Ekzem.

Im Zusammenhang mit Neurodermitis wird auch am Mikrobiom der Haut geforscht. Ergeben sich daraus Therapieoptionen?

Zur Behandlung des Mikrobioms der Haut, zum Beispiel mit Probiotika, kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen. Auch bei den Probiotika für den Darm ließen sich anfänglich erhoffte Effekte auf die Entstehung von Allergien und Neurodermitis in weiteren Studien nicht bestätigen. Beim Thema vorbeugende Hautpflege ist das ähnlich kontrovers.

Es gibt Studien an Kindern hochbelasteter Eltern, das heißt beide Eltern und auch die Geschwister haben Allergien. Diese Studien zeigten teilweise, dass eine prophylaktische Hautpflege Neurodermitis verhindern kann. Es handelt sich hier um sehr kleine Studien, deren Ergebnisse sich aber in weiteren Studien nicht bestätigen ließen.

Was ist ansonsten noch wichtig für Kinder und Jugendliche mit schwerer Neurodermitis?

Ganz wichtig sind Schulungen im Umgang mit Neurodermitis. Es gibt Neurodermitis-Schulungskurse für Eltern von Kindern bis zu 7 Jahren. Für die 7 bis 12-Jährigen haben wir Kinderschulungen und für die 13 bis 18 jährigen die Jugendkurse. Für Jugendliche, die noch ein schweres Ekzem haben, ist es wichtig, den Umgang mit dieser sehr stigmatisierenden Hauterkrankung zu lernen. Gerade in der Pubertät und gerade für die jungen Mädchen ist Neurodermitis ein ganz schwieriges Thema. Unsere Gruppenschulungsangebote für Jugendliche sind deshalb sehr hilfreich.

Frau Privatdozentin Staab, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

29. September 2022

Autor: S. Jossé/ D. Staab, www.mein-allergie-portal.com

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