Skip to main content

Naschen: Wann ist das gesund, wann macht es krank?

Naschen
Naschen: Wann ist das gesund, wann macht es krank? Bildquelle: S. Mannhardt

Naschen, das machen die meisten Menschen gerne. Schließlich gilt es als erwiesen, dass Süßes das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Gleichzeitig wird Zucker zunehmend als gesundheitsschädlich angesehen und Viele fordern, ganz auf Süßes zu verzichten. Aber ist das wirklich sinnvoll, wieviel Süßes ist o.k. und wann schadet Naschen der Gesundheit? Darüber sprach Dipl. oec. troph. Sonja M. Mannhardt, Praxis für ernährungspsychologische Ernährungstherapie, Müllheim mit MeinAllergiePortal.

 

Interviewpartner: Dipl. oec. troph. Sonja M. Mannhardt, Praxis für ernährungspsychologische Ernährungstherapie, Müllheim

Autor: Sabine Jossé M.A.

Frau Mannhardt, wann spricht man von Naschen?

Naschen ist kein Begriff, der in der Wissenschaft benutzt wird. Man spricht vielmehr von Extras oder von Appetit. In meinen Augen ist Naschen aber etwas anderes als Appetit, den ich beim Essen entwickle oder ein Extra, das nicht benötigt wird.

Wie sieht Ihre Definition von Naschen aus?

Einen Hieper haben, etwas Süßes essen wollen, eine Lust verspüren, Gluscht haben, sagt der Volksmund. Ich spreche seit 40 Jahren von Naschen, wenn das, was wir essen WOLLEN, gezielt ist und wir gleichzeitig keinen physiologischen Hunger haben und sich außerhalb von geregelten Mahlzeiten abspielt, weil Naschen eine Funktion hat.

Was die Wissenschaft bis heute vergisst ist, dass der Mensch nicht nur vernünftig is(s)t, sondern dass jeder Mensch auch Dinge is(s)t und nascht, die unvernünftig sind. Das ist ganz normal.

Aus welchen Gründen naschen Menschen insbesondere Süßigkeiten?

Ach, da gibt es unzählige Motive. Menschen sind unterschiedlich geprägt und führen unterschiedliche Leben. Man muss also genau hinhören, um herauszufinden, woran es liegt, wenn Menschen naschen. Zur Unterscheidung: Mahlzeiten auslassen, zu viel Kohlenhydrate essen, zu wenig Eiweiß zu sich zu nehmen, nicht auf die Körpersignale achten – das kann auch dazu führen, dass wir Lust auf Süßigkeiten haben. Das nennen wir in der Ernährungstherapie Logisches Naschen. Aber: Auch Emotionen und ungestillte Bedürfnisse spielen beim Naschen eine Rolle. Das nennen wir psychologisches Naschen.

Welche Rolle spielen Emotionen und ungestillte Bedürfnisse beim Naschen?

Es gibt kein Essen, das nicht auch mit Emotionen verknüpft ist. Wenn das Essen schmeckt, fühlen wir uns gut. Essen wir mit anderen zusammen, empfinden wir Freude und Zufriedenheit. Es gibt aber auch andere, weniger offensichtliche Motive beim Essen oder Naschen. Schließlich essen wir ja nicht reinen Zucker oder, wenn es um pikante Snacks geht, reines Salz, sondern wir entscheiden uns für Schokolade, Pralinen, Eiscreme, Nüsse, Chips oder greifen zum alkoholischen Getränk. Wir suchen nach etwas Bestimmtem. Unsere Lust zu Naschen ist gerichtet.

Heißt das, man wählt das Naschwerk, das einem gut tut?

Wie ich zuvor schon sagte, bedeutet Naschen, dass wir nach etwas Speziellem „suchen“. Doch was suchen wir? Wir suchen nach etwas, das uns ein gutes Gefühl vermittelt. Das bedeutet also, Naschen dient einem Zweck, es soll uns wieder in Balance bringen. Dies passiert bei vielen Menschen zum Beispiel dann, wenn sie sich einsam fühlen, wenn sie gestresst sind, wenn sie Angst haben oder wenn sie traurig sind. Naschen dient dann als Notlösung, als Notfallmedikament. Und auch das „was“ spielt eine Rolle, nicht nur was die Kalorien anbelangt, sondern auch in Bezug auf die Konsistenz der Naschereien. Wenn Menschen aufgeregt und angespannt sind, tendieren sie eher zu Chips, die man zerbeißen muss. Wer traurig ist und ein Naschi braucht, wählt eher etwas Zartes, Schmelzendes wie Schokolade.

Spielt es eine Rolle, wann man nascht?

Ja, wir ernährungspsychologisch geschulten Berater sehen meist schon auf den ersten Blick, welche Motive das Essen bestimmen. Die meisten Menschen naschen abends. Da dient das Naschen häufig dem „Runterkommen“, der Entspannung oder zu Belohnungszwecken.

Wird das Naschen besser, wenn man gesunde Dinge nascht?

Vom gesunden Naschen halte ich nicht viel. Was soll das sein? Nüsse, Karottensticks, schwarze Schokolade? „Gesundes Naschen“ suggeriert, dass ein Apfel gesund und eine Rippe Schokolade ungesund ist, doch das stimmt nicht! Beides hat etwa gleich viel Brennwert und beides hat Kohlenhydrate. Diese Narrative vom „gesunden Naschen“ stammen aus einer Zeit, als man glaubte, Fett mache dick, Zucker aus Früchten wäre gesund und Zucker aus Schokolade ungesund. Doch so eine Welteinteilung in gut/böse, gesund/ungesund erzeugt nur Folgendes: Ein schlechtes Gewissen, ein Verlernen der Genusskompetenz und wenn es schief geht, geraten Menschen sogar in ein gestörtes, restriktives, Essverhalten hinein.

Es geht also nicht darum, was man nascht, sondern wie man nascht?

Wir müssen den mäßigen Umgang mit Genussmitteln lernen und das bedeutet, nicht ins Extreme zu fallen. Jeder weiß was passiert, wenn man sagt: Denke NICHT an ein rosa Krokodil! Sofort denkt man an genau das, ein rosa Krokodil. Übertragen auf das Thema Naschen bedeutet das: Verbiete Dir vermeintlich Ungesundes und du erntest irgendwann den Dammbruch und wirst genau das im Übermaß essen. Hinzu kommt, dass man es auch bei vermeintlich gesunden Naschereien nicht übertreiben sollte. Ich habe Patienten, die naschen, wie sie sagen, nur Gesundes. Doch was passiert, wenn dieses vermeintlich Gesunde bedeutet, dass sie jeden Abend eine ganze 200 g Tüte Nüsse verzehren? Da ist nicht das WAS das Problem, sondern das WIE VIEL.

Gegen eine genüssliche Handvoll Naschzeug pro Tag, egal, was es ist, ist bei meinen Patienten meist nichts einzuwenden. Entscheidend ist: Wann beginnt mein Naschen mir in irgendeiner Weise zu schaden. Und das entscheidet, ob das Naschen noch im Rahmen ist, oder nicht.

Kann man naschen so viel man will, wenn man schlank ist?

Diese Frage ist nicht pauschal zu beantworten, denn schlank bedeutet nicht gleich gesund. Es gibt auch Schlanke, die alles andere als gesund sind. Oft haben sie Symptome, Erkrankungen, die nichts mit dem Gewicht zu tun haben, und wenn man die Laborwerte sieht, oder mit dem Menschen spricht, erkennt man: Nein, gesund ist dieser Mensch nicht, oder oje, das Naschen beginnt diesem Menschen extrem zu schaden (z.B. TOFI, Fettleber, Essstörung) Und. Nicht jeder Mensch mit Adipositas hat ein Naschproblem, auch das ist ein Mythos.

Wann wird Naschen ungesund oder sogar gefährlich?

Je mehr jemand von Naschzeug lebt, desto weniger isst er von anderen Lebensmitteln und desto weniger profitiert er von deren Nährstoffmix. Ich sage immer: Jedes Extrem ist schädlich. Menschen sind in ihrer Balance, wenn sie Maß halten können – übrigens bei Allem. Wie sagte Paracelsus: „Die Dosis macht das Gift“. Bei unserem Essen schaden beide Extreme. Ganz oder gar nicht führt nicht zu Gesundheit, sondern nach meiner Erfahrung, zu einem völlig gestörten Essverhalten.

Woran erkannt man, dass man zu viel nascht?

Dass man zu viel nascht, erkennt man an den folgenden Verhaltensweisen:

  •  Man kann kein Maß mehr halten
  • Man Mahlzeiten durch Naschzeug ersetzt
  • Man nascht dauernd ohne Hunger und nimmt stetig zu
  • Man bemerkt, dass man seine Emotionen damit reguliert
  • Wenn man eine Erkrankung hat, bei der zu viel Zucker, zu viel Fett etc. diese Erkrankung und die Laborwerte verschlechtert
  • Man hat zu viel Triglyceride im Blut, leidet unter einer Fettleber etc.

Gibt es einen Unterschied zwischen der Art wie Erwachsene und wie Kinder naschen?

Nicht wirklich, aber etwas ist trotzdem auffällig. Erwachsene naschen häufiger bei Stress, Kinder wenn ihnen langweilig ist oder wenn sie traurig sind und alle, um sich wieder besser zu fühlen.

Was kann man tun, wenn man denkt, dass man zu viel nascht?

Fangen wir damit an, was nicht hilft, wenn man zu viel nascht, das wäre:

  • Weglassen, verzichten, ohne zu verstehen, was is(s)t
  • Sich Naschen verbieten, ohne zu verstehen, was los is(s)t
  • Gesundes stattdessen Naschen, ohne zu verstehen, was unbewusst wirkt

Das macht alles keinen Sinn. Das Einzige, was hilft, ist zu verstehen, was is(s)t. Und da das Ganze unbewusst abläuft und nicht rational alleine gelöst werden kann, braucht es an dieser Stelle professionelle ernährungspsychologische Ernährungstherapie, die einem hilft, das eigene Verhalten zu erkennen. Es ist wichtig, im Detail zu verstehen, was für eine Funktion das Naschen bei einem selbst hat. Dazu ist eine professionelle Anamnese nötig, ein regelrechtes Naschkatzencoaching, wie unser Konzept heißt. Das ist übrigens ein ZPP zertifiziertes KonzeptZPP zertifiziertes Konzept, bezuschusst von den Krankenkassen.

Kann man ein normales Naschverhalten lernen?

Natürlich kann man lernen, sich mit Naschen nicht mehr zu schaden und Essgenuss wieder zu lernen.

Doch dazu muss man sich mit seinem gesamten Essverhalten auseinandersetzen - alles hängt mit allem zusammen. Sich nur auf das Naschverhalten zu fokussieren und den Rest des individuellen Essverhaltens zu ignorieren, macht keinen Sinn, denn Gesundheit ist nicht nur am Naschen festzumachen. Sich vorzunehmen „Naschen gesund in den Griff zu kriegen“ hat mit Naschkatzencoaching nichts zu tun. Naschkatzencoaching bedeutet: Meine Naschkatze kennenlernen und verstehen, was sie mir sagen will und nicht ein vermeintliches ungesund durch ein gesund auszutauschen, das löst das Naschthema nicht, sondern gibt dem Naschen nur ein anderes Framing.

Wie gesagt: Es ist besser, sich mit diesem Thema sofort an eine geschulte Ernährungsfachkraft zu wenden, denn wenn die eigenen Lösungen bereits gefruchtet hätten, oder ein Ratschlag wie „du musst, du sollst, du darfst nicht“, wäre das Problem ja bereits gelöst.

Frau Mannhardt, vielen Dank für dieses Interview!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

19. Februar 2025

Autor: S. Jossé/ S. Mannhardt, www.mein-allergie-portal.com

Artikel teilen

Lesen Sie auch

Weitere Beiträge

Nahrungsmittel Allergien und Unverträglichkeiten
Nahrungsmittel Allergien und Unverträglichkeiten
Nahrungsmittel Allergien und Unverträglichkeiten