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Histaminintoleranz: Gibt es sinnvolle Tests zur Diagnose?

Histaminintoleranz Tests Diagnose
Dr. Imke Reese zur Histaminintoleranz: Gibt es sinnvolle Tests zur Diagnose?

Welche Tests sind sinnvoll zur Diagnose einer Histaminintoleranz und welche nicht? Viele Menschen, die eine Unverträglichkeit von Histamin im Essen bei sich vermuten, wollen das gerne wissen. Auch die Autoren des aktuellen Updates der Leitlinie zum Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin1) haben sich mit diesem Thema beschäftigt. MeinAllergiePortal sprach mit Erstautorin Dr. Imke Reese, Ernährungsberatung und -therapie, Schwerpunkt Allergologie, in München.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartner: Dr. Imke Reese

Frau Dr. Reese, gibt es Tests, mit denen man die Diagnose Histaminintoleranz stellen kann?

Aktuell gibt es leider keine aussagekräftigen Tests, mit denen man auf Histaminintoleranz testen kann.

Im Grunde sind alle zur Zeit gebräuchlichen Tests zur Diagnose von Histaminintoleranz nicht in der Lage, eine klare Diagnose zu stellen.

Mit nachfolgenden Tests bzw. Verfahren hat man versucht, bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber Histamin, das mit der Nahrung aufgenommen wird,  einen Nachweis zu erbringen:

  • Bluttest auf Histamin durch die Messung des Histamin-abbauenden Enzyms Diaminoxidase (DAO) im Blutserum
  • DAO-Test im Darm: Durch Messung von Enzymaktivitäten der beiden Histamin abbauenden Enzyme DAO und HNMT (Histamin-N-Methyl-Transferase) im Darm
  • Histamin-Test im Stuhl: Durch die Messung von Histamin im Stuhl
  • Histamin-Test im Blutplasma: Durch die Messung der Histaminkonzentration im Plasma
  • Test durch 24-Stunden-Sammelurin: Durch Messung des Methylhistamins im Urin

Doch keiner dieser Test kann eine aussagekräftige Diagnose liefern.

Das grundlegende Problem bei dem Krankheitsbild Histaminintoleranz und seiner Diagnose ist, dass der Goldstandard der Diagnostik in der Allergologie – die doppel-blinde, plazebo-kontrollierte Provokation - bislang keine reproduzierbaren Ergebnisse liefern konnte. Das bedeutet, es ist nicht gelungen, bei den Patienten durch die Gabe vergleichbarer Histamindosen auch vergleichbare Symptome hervorzurufen. Das lässt Zweifel am Krankheitsbild Histaminunverträglichkeit an sich aufkommen: Denn, wenn sich die Symptome durch die Histamingabe nicht verlässlich auslösen lassen, ist das Histamin auch nicht die Ursache der Beschwerden. Dann ergibt es aber auch keinen Sinn, den Patienten eine histaminarme oder gar histaminfreie Diät zu empfehlen.

Was macht die Diagnostik einer Unverträglichkeit auf Histamin aus der Nahrung so komplex?

Die Diagnostik wird bei der Histaminunverträglichkeit dadurch erschwert, dass Histamin nicht nur mit der Nahrung aufgenommen wird. Histamin ist auch ein körpereigener Botenstoff und an vielen physiologischen Vorgängen im Körper beteiligt. Das ist auch der Grund dafür, dass die Symptome der Histaminintoleranz so vielfältig sind und dass sie an so vielen unterschiedlichen Organen auftreten können. Das bedeutet: Man weiß nicht, ob die Beschwerden der Patienten durch das Histamin in der Nahrung, oder durch das körpereigene Histamin hervorgerufen werden.

Warum kann man eine Histaminintoleranz nicht wie bei der Laktoseintoleranz über den Nachweis eines Enzymmangels feststellen?

Aus der Vermutung heraus, dass die Symptome einer Histaminunverträglichkeit durch einen Aktivitätsmangel des abbauenden Enzyms DAO und einer Anreicherung von Histamin infolgedessen zustande kommen, hat man lange versucht, diesen Aktivitätsmangel nachzuweisen.

Erfolgten diese Versuche wie bei der Laktoseintoleranz mit Hilfe eines Atemtests?

Nein, man hat die Aktivität der DAO im Blutserum gemessen. Inzwischen gibt es zahlreiche Messungen bei Betroffenen und gesunden Kontrollen. Doch die Werte von Patienten, die klinisch an einer Unverträglichkeit gegenüber Histamin leiden, unterscheiden sich nicht von denen gesunder Probanden. Die DAO-Werte beider Gruppen sind vergleichbar.

Eine Arbeitsgruppe aus Österreich hat dann sehr spezifisch - mit Hilfe von DAO-spezifischen monoklonalen Antikörpern - geschaut, ob man überhaupt DAO im Blutserum findet. Dies gelang jedoch nicht, zumindest fand man hier keine relevanten Mengen. Lediglich im Darm, in den Nieren und in der Plazenta konnte man DAO nachweisen. Diese Gewebe waren bekannt dafür, dass sie Orte einer DAO-Aktivität sind. Auch in der Spermienflüssigkeit fanden die Forscher DAO in relevanten Mengen. Aber nicht im Blutserum. Insofern stellt diese Untersuchung in Frage, was denn im Blutserum gemessen wird, wenn es nicht die DAO ist.

Eine Messung im Blut bzw. Blutserum ist demnach nicht aussagekräftig?

Nein, diese Messung hat sich als nicht hilfreich bei der Diagnose einer Histaminintoleranz gezeigt.

Dann ist ein Arzt aus Innsbruck auf die Idee gekommen, mit Hilfe der zur Diagnose von Allergien verwendeten Pricktests eine Abbaustörung des Histamins nachzuweisen. Ihm war aufgefallen, dass bei Menschen mit einer klinisch diagnostizierten Histaminintoleranz die Quaddeln häufig nicht nach 20 Minuten wieder verschwinden, sondern länger sichtbar bleiben.

Wie sah der Pricktest auf Histaminintoleranz aus?

Der Arzt aus Innsbruckhat seinen Test den Histamin-50-Pricktest genannt: Dabei wird die Quaddel der Positivkontrolle, die sogenannte „Histaminquaddel“, die bei diesen Tests immer zur Kontrolle der Reaktion dient, 50 Minuten nach dem Setzen der Quaddel ein zweites Mal abgelesen. War die Histaminquaddel dann noch nicht verschwunden, wertete er dies als Beleg für einen verlangsamten Abbau von Histamin. Man muss jedoch beachten, dass es sich bei diesem Test um einen Hauttest handelt. Ob sich die auf diesem Wege bestätigte Abbaustörung auch auf Histamin aus der Nahrung übertragen lässt ist ungewiss., ist unklar.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Messungen der Enzymaktivitäten von DAO und eventuell der Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) in der Darmschleimhaut eine gewisse Bedeutung für die Diagnose einer Histaminintoleranz haben.

Heißt das, man kann über den Test von Enzymaktivitäten von DAO und HNMT in der Darmschleimhaut eine Histaminunverträglichkeit nachweisen?

Die Darmschleimhaut ist am Abbau von über die Nahrung aufgenommenem Histamin beteiligt. Insofern liegt der Verdacht nahe, dass sich ein Aktivitätsmangel der abbauenden Enzyme auf den Organismus auswirken könnte. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, dass bei Tieren die Reife und Integrität der Darmschleimhaut über die Messung der Diaminoxidase erfolgt. Wenn sich – wie in Untersuchungen gezeigt – bei Patienten mit Nahrungsmittelallergien oder Dickdarmadenomen also tatsächlich verminderte Aktivitäten messen lassen, hat dies vermutlich vor allem eine Aussage hinsichtlich der Darmdurchlässigkeit. In den durchgeführten Untersuchungen wurde nicht geprüft, ob die verminderten Enzym-Aktivitäten Einfluss auf die Verträglichkeit histaminhaltiger Lebensmittel haben. Bei Patienten mit Verdacht auf Histamin-Unverträglichkeit wurden solche Untersuchungen nicht durchgeführt, sondern ein Zusammenhang nur vermutet.

Und wie hat man versucht, die Histaminintoleranz-Diagnose durch die Messung von Histamin im Stuhl zu stellen?

Auch die Stuhldiagnose auf Histamin sagt nicht wirklich etwas darüber aus, wie Histamin verstoffwechselt wird. Das Mikrobiom des Darmes wird ja seit einigen Jahren sehr intensiv erforscht. Dabei hat man entdeckt, dass es viele Darmbakterien gibt, insbesondere Laktobazillen, die Histamin bilden können. Offenbar hat Histamin im Darm sogar einen günstigen Einfluss auf die Toleranzentwicklung. Wir könnten Histamin sogar brauchen, um dem Darmimmunsystem die richtigen Signale zu geben.

Für die Stuhltests bedeuten diese Erkenntnisse, dass das Histamin, das man in den Stuhlproben der Patienten vorfindet, auch ein Stoffwechselprodukt dieser Darmbakterien sein kann. Folglich sind hohe Histaminwerte im Stuhl kein Nachweis einer Histaminintoleranz.

Und welche Bedeutung hat die Messung der Histaminkonzentrationen im Plasma?

Auch hier gibt es keinen eindeutigen Nachweis eines Zusammenhangs. In einer Studie hat man den Histamingehalt im Plasma nach Gabe von Histamin im Vergleich zur Gabe von einem Plazebo bestimmt. Und zwar einmal bei Patienten, bei denen man eine Histaminintoleranz vermutete, und einmal bei gesunden Kontrollen. Aber der Histamin-Anstieg im Plasma war bei den vermuteten Betroffenen nur minimal und unterschied sich nicht nach Gabe von Histamin im Vergleich zu Plazebo. Bei den Kontrollpatienten dagegen kam es zu einem Anstieg, aber ohne begleitende Symptome.

Ist denn die Menge des Methylhistamins – einem Abbauprodukt im Urin, aussagekräftig?

Wie viel Methylhistamin man im Urin vorfindet, und dies wird über die Methode „24-Stunden Sammelurin“ gemessen, hängt nicht allein vom Histamingehalt in der aufgenommenen Nahrung ab. Auch ein hoher Eiweißanteil in der Ernährung kann den Methylhistamingehalt im Urin erhöhen. Deshalb ist auch die Bestimmung des Methylhistamingehalts im Urin nicht spezifisch genug, um eine Histaminintoleranz nachzuweisen.

Und die Orale Provokation mit Histamin, warum eignet sie sich nicht als Test auf Histaminunverträglichkeit?

Die orale Provokation eignet sich immer, um eine Unverträglichkeit nachzuweisen – vor allem, wenn Sie verblindet durchgeführt wird. Aber genau hier liegt das Problem: Wenn man Patienten offen mit Histamin provoziert, kann es sehr wohl zu einer Reaktion kommen. Doch diese Reaktion kann auch aufgrund der Erwartung von Beschwerden auftreten. Man nennt das Nozebo-Effekt. Deshalb provozieren wir in der Allergologie oft verblindet und unter Zurhilfenahme von Plazebos. So können wir die Erwartungshaltung zumindest abmildern. Dass Ergebnisse oraler Provokationen mit Histamin bisher nicht reproduzierbar waren, zeigt nicht, dass der Test nicht funktioniert, sondern lässt daran zweifeln, dass es sich wirklich um eine Unverträglichkeit handelt.

Heißt das denn, es gibt keine Tests auf Histaminintoleranz?

Zunächst gilt es Erkrankungen auszuschließen, die ähnliche Symptome aufweisen können und für die eine Diagnose möglich ist. Kommt man damit zu keiner Diagnose und vermutet weiterhin, dass Nahrungsmittel für die Symptome verantwortlich sein könnten, kann das Führen eines Ernährungs- und Symptomtagebuch helfen. Der Patient trägt dann sorgfältig ein, was er wann isst, welche Medikamente er einnimmt, welche Tätigkeiten er ausübt etc. Über ein solches Protokoll kann man prüfen, ob der Verzehr bestimmter Nahrungsmittel verlässlich mit bestimmten Symptomen einhergehen. Ist das nicht der Fall, ist eine Unverträglichkeit sehr unwahrscheinlich.

Und was macht man mit Patienten, die sich aufgrund der Verdachtsdiagnose Histaminintoleranz bereits sehr eingeschränkt ernähren?

Bei diesen Patienten empfiehlt die Leitlinie eine dreistufige Ernährungsumstellung.

Wie sieht diese dreistufige Ernährungsumstellung aus?

In der ersten Stufe bleibt die Zufuhr biogener Amine reduziert und gleichzeitg wird die Ernährung so verändert, dass die Verdauungsvoraussetzungen optimiert werden. Gleichzeitig wird geprüft, ob die Ernährung alle Nährstoffe (Eiweiss, Fett und Kohlenhydrate, aber auch alle Mikronährstoffe) bedarfsgerecht zuführt. Die Mahlzeiten sollten gemüsebetont und nährstoffoptimiert sein.

In der 2. Stufe wird die Kost der Stufe 1. schrittweise ergänzt um „verdächtigte“ Nahrungsmittel. So kann man prüfen, ob eingeführte Nahrungsmittel tatsächlich Symptome auslösen oder nur aus Vorsicht gemieden wurden. Durch die Optimierung der Grundernährung wird in der Regel deutlich mehr vertragen, als die Betroffenen vermuten. Aus den Erkenntnissen der 2. Stufe ergibt sich dann Stufe 3 als individuell auf den Patienten zugeschnittene Dauerernährung.

Ziel ist dabei, dass die Patienten so viele Nahrungsmittel wie möglich essen können und auf so wenig wie möglich verzichten müssen.

Frau Dr. Reese, vielen Dank für dieses Interview!

Quelle:

1)      I Reese, B. Ballmer-Weber, K. Beyer, S. Dölle-Bierke, J. Kleine-Tebbe, L. Klimek, S. Lämmel, U. Lepp, J. Saloga, C. Schäfer, Z. Szépfalusi, R. Treudler, T. Werfel, T. Zuberbier und M. Worm, Leitlinie zum Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. Allergologie, Jahrgang 44, Nr. 10/2021, S. 761-772

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

11. Februar 2022

Autor: S. Jossé/I. Reese, www.mein-allergie-portal.com

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