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Histaminintoleranz, gibt es das, oder sind es psychische Ursachen?

Histaminintoleranz Histaminunverträglichkeit Histaminose
Prof. Torsten Zuberbier zu Histaminintoleranz: Gibt es sie oder nicht?, Bildquelle: T. Zuberbier

Für Menschen mit lange ungeklärten Bauchproblemen ist die Diagnose „Histaminintoleranz“, auch als „Histaminose“ bezeichnet, zunächst eine Erleichterung. Endlich scheint eine Ursache für die oft quälenden Beschwerden gefunden. Doch als „Therapie“ wird dann häufig eine Kostform empfohlen, die eine sehr umfangreiche Meidung mit sich bringt. Der Leidensdruck durch die Ungewissheit sinkt, während der Leidensdruck durch die Diät steigt. Wie weit die Ernährung bei dem Krankheitsbild eine Rolle spielt, ist unter Medizinern durchaus umstritten. Man ist sich auch nicht einig, ob es eine Histaminunverträglichkeit, ausgelöst durch Nahrungshistamin, überhaupt gibt. Woran liegt das? Was weiß man über die Unverträglichkeit von Histamin? Und wann ist die Diagnose Histaminintoleranz dann wirklich gestellt? MeinAllergiePortal sprach mit Prof. Dr. med. Dr. h. c. Torsten Zuberbier, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie an der Charité in Berlin und Leiter der Stiftung ECARF.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartner: Prof. Torsten Zuberbier

Herr Prof. Zuberbier, warum wird über die Frage, ob es die Histaminintoleranz - und vor allem die Beeinflussung über Nahrungshistamin - überhaupt gibt, oder nicht, so heftig diskutiert?

Über die Histaminintoleranz wird deshalb kontrovers diskutiert, weil die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Histaminverträglichkeit nicht ausreichend sind. Vollkommen unklar ist, ob Histamin aus der Nahrung wirklich ein relevanter Einflussfaktor ist. Gleichzeitig vermuten viele Menschen, dass ein Übermaß an Histamin im Körper die alleinige Ursache aller möglicher Beschwerden und unspezifischer Symptome ist. Und die Empfehlung in Richtung histaminarmer Kost ist schnell gegeben, obwohl eine solche Kost den Speiseplan und das Sozialleben der Menschen massiv beeinträchtigt. Entsprechend wird dann auch in den Medien und im Internet über die Unverträglichkeit von Histamin berichtet. Überall ist zu lesen, dass Diät die „Therapie“ ist. Ignoriert wird dabei, welche Konsequenzen solche pauschalen Diätempfehlungen haben.

Woher kommt denn die Vorstellung, dass es eine Erkrankung Histaminintoleranz gibt?

Histamin ist ein Botenstoff unseres Körpers, der für zahlreiche physiologische Funktionen verantwortlich ist. Unter anderen ist Histamin einer der vermittelnden Botenstoffe allergischer und pseudoallergischer Reaktionen.

Histamin kann,als Vermittler, die folgenden Symptome auslösen:

  • Flush - plötzliche Hautrötung
  • Juckreiz
  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • Durchfall
  • Bauchschmerzen
  • Naselaufen
  • Atemnot
  • Schwindel
  • Blutdruckabfall
  • Herzrasen

Wenn man diese Symptome betrachtet, decken sich viele mit Beschwerden, die Patienten berichten. Also ist die Hypothese, dass diese Menschen möglicherweise ein Zuviel an Histamin haben. Allerdings ist vollkommen unklar, woher dieses Zuviel kommt. Denn Histamin ist ja nicht nur Bestandteil gereifter und verdorbener Nahrungsmittel. Es wird auch im Körper selbst als Botenstoff gebildet. Zusätzlich haben wir diverse Histaminbildner im Darm. Denen man übrigens durchaus günstige immunologische Wirkungen zuschreibt.

Eine Hypothese ist, dass Histamin nicht effektiv genug abgebaut wird. Daher auch der Name in Anlehnung an die Laktoseintoleranz, der ein unzureichender Abbau zugrunde liegt. Von Intoleranz kann man in Bezug auf Histamin deshalb nicht sprechen, denn ein Mangel oder eine Fehlfunktion der histaminabbauenden Enzyme Diaminooxidase und Histamin-N-Methyl-Transferase konnten bisher noch nicht bzw. nicht sicher nachgewiesen werden.

Wie erklären sich dann die Symptome, über die die Patienten berichten, nachdem sie histaminreiche Nahrungsmittel gegessen haben?

Beim Verzehr von verdorbenem Fisch mit besonders großen Histaminmengen bekommt jeder Mensch leichte Vergiftungssymptome. Ob diese allerdings tatsächlich auf das Histamin zurückgehen oder ob diese nur ein Zeichen für Verderb sind, ist unklar. Wahrscheinlich reagiert der Körper selbst auf das verdorbene Nahrungsmittel mit hohen Histaminausschüttungen in Form einer Abwehrreaktion. Denn Provokationen mit Histamin lösen deutlich mildere Symptome aus, als gleiche Mengen in verdorbenem Fisch.

Lässt sich denn nachweisen, ob manche Menschen empfindlich auf Nahrungs-Histamin reagieren?

Viele Patienten mit vermuteter Histaminintoleranz fühlen sich unter histaminarmer Diät besser. Wir wissen aber, dass auch Diäten ein Placebo darstellen können. Weil die Diät erst einmal der Ausweg aus der Ungewissheit ist, liegen viele Hoffnungen und Erwartungen auf der Auslassdiät. Doch meist stellen sich Symptome nach einer Zeit wieder ein.

Außerdem leiden die Menschen, wenn sie streng Diät halten, unter der sozialen Isolation, die diese mit sich bringt. Um nachzuweisen, ob Histamin wirklich der Auslöser ist, könnte man eine orale placebokontrollierte doppelblinde Expositionstestung mit Histamin durchführen. Doch die wenigen Studien, die diesen Ansatz verfolgt haben, zeigen nicht zu reproduzierende Symptome. Dies lässt große Zweifel an der Rolle des zugeführten Histamins aufkommen. Einige Experten vermuten, dass zusätzlich noch Kofaktoren hinzukommen müssen, damit die Beschwerden auftreten. Aber auch das ist nicht bewiesen.

Was verstehen Sie unter Kofaktoren?

Kofaktoren, die die reaktionsauslösende Schwelle von bekannten Auslösern, erniedrigen können, sind zum Beispiel:

All diesen Faktoren liegt offenbar zugrunde, dass sie die Darmbarriere beeinflussen können.

Die Histaminintoleranz könnte also ein Phänomen sein, dass nur bei bestimmten Menschen dann auftritt, wenn bestimmte Faktoren zusammentreffen?

Grundsätzlich ja. Aber es ist bisher vollkommen unklar, wie der Mechanismus dieser Reaktionen ausfällt und welchen Anteil die Ernährung dabei hat. Eine klar diagnostizierbare Erkrankung „Histaminintoleranz“ gibt es wahrscheinlich nicht. Trotzdem gibt es sicher Einzelpersonen, die mit der Nahrung aufgenommenes Histamin in etwas höherer Dosierung nicht vertragen. Die Histaminintoleranz ist eine Ausschlussdiagnose. Das bedeutet, diagnostizierbare Erkrankungen, zum Beispiel solche, die für eine erhöhte körpereigene Histaminausschüttung verantwortlich sind, werden ausgeschlossen, bevor bestimmte Beschwerden dann einer Histaminintoleranz zugeordnet werden.

Welche Erkrankungen, außer einer Histaminintoleranz, können ähnliche Beschwerden hervorrufen?

Bei Flush, das heißt bei anfallsartigen Rötungen, müssen neuroendokrine Tumoren ausgeschlossen werden. Ist von dem Flush nur das Gesicht, der Hals, das Dekolleté betroffen, könnte es sich auch um eine Rosacea handeln. Andere Ursachen für Juckreiz können Urtikaria, also Nesselsucht, Pruritus- oder Prurigo-Erkrankungen sein. Bei Übelkeit, Erbrechen, Durchfall müssen Magen-Darmerkrankungen wie Magengeschwüre, entzündliche Magen-Darm-Erkrankungen, Laktoseintoleranz, Fruktosemalabsorption und Zöliakie abgeklärt werden. Diese Erkrankungen können auch mit einer eingeschränkten Barrierefunktion einhergehen und damit eine Aufnahme von Histamin möglicherweise erleichtern. Tritt Rhinorrhoe, also Naselaufen, auf, könnte es sich auch um einen allergischen Schnupfen handeln. Bei Atemnot muss ein Asthma abgeklärt werden. Bei Schwindel, Blutdruckabfall, Herzrasen kann auch eine echte Allergie auf ein bestimmtes Nahrungsmittel vorliegen.

Was raten Sie Patienten, die die Diagnose Histaminintoleranz erhalten haben? Sollten sie nach anderen Ursachen suchen?

Die eben genannten Symptome sollten auf alle Fälle abgeklärt werden. Der Patient darf nicht aufgrund eines Laborwerts einen Stempel mit der Diagnose Histaminintoleranz aufgedrückt bekommen. Schließlich gibt bis heute keinen aussagekräftigen und anerkannten Labortest zum Beweis oder Ausschluss einer Histaminintoleranz. Wenn der Verdacht einer Histaminintoleranz bleibt, muss mit Hilfe einer allergologisch versierten Ernährungsfachkraft geprüft werden, inwieweit die Ernährung Einfluss nimmt. Mit dem dreistufigen Ansatz, den wir in der Leitlinie vorschlagen, geht es nur sekundär um Histaminreduzierung. Primär geht es um die Optimierung der Verdauungsvoraussetzungen durch längere Magenverweil- und Transitzeiten. Denn häufig ist gar nicht das Histamin der auslösende Faktor, sondern eine ungünstige und nicht an Verdauungsvoraussetzungen angepasste Ernährung. Deshalb werden nach einer kurzen Phase der Histaminreduzierung auch schnell wieder histaminreichere Nahrungsmittel hinzugenommen und auf individuelle Verträglichkeit hin getestet.

Wie sieht die Therapie aus, wenn in der stationären oralen placebokontrollierten doppelblinden Expositionstestung eine Histaminintoleranz nachgewiesen wurde?

Bestätigt sich der Verdacht auf eine Histaminunverträglichkeit, was ausgesprochen selten der Fall ist, sollte der Patient trotzdem keine streng histaminarme Diät einhalten, sondern nach dem bereits beschriebenen Vorgehen die individuelle Verträglichkeit unter einer an die Verdauungsvoraussetzungen angepassten Ernährung mit Hilfe einer Ernährungsfachkraft identifizieren.

Kann eine Histaminintoleranz einfach wieder verschwinden?

Die Frage ist schwierig zu beantworten. Aber die Erfahrung zeigt, dass in dem Moment, in dem die Ernährung nicht mehr der Hauptfokus ist und über optimierte Mahlzeitenzusammensetzungen und -abstände viele Beschwerden verschwinden, der Leidensdruck der Einschränkung sinkt und damit die Lebensqualität deutlich steigt.

Herr Prof. Zuberbier, herzlichen Dank für dieses Interview!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

03. September 2022

Autor: S. Jossé/T. Zuberbier, www.mein-allergie-portal.com

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