Was ist die Ursache für Allergien, Autoimmunerkrankungen & Co.?
EoE, Colitis ulcerosa, Alzheimer - immer mehr Menschen erkranken an Allergien, Autoimmunerkrankungen und neuropsychiatrischen Erkrankungen, aber was ist die Ursache? Könnte die Epithelbarriere-Hypothese eine Erklärung für den dramatischen Anstieg dieser Erkrankungen sein? Dieser Frage ging eine Gruppe von 48 internationalen Forschern anhand von 642 Referenzen nach, mit erstaunlichen Ergebnissen. Sie konnten 68 Erkrankungen identifizieren, die mit einer Epithelbarriere Störung assoziiert sind. Mit Coautor Prof. Dr. med. Cezmi A. Akdis, Universität Zürich und Schweizerisches Institut für Allergie- und Asthmaforschung (SIAF) sprach mit MeinAllergiePortal über die Ergebnisse dieser aktuellen Studie1) und darüber, wie schädliche Stoffe aus der Umwelt uns krank machen können.
Autor: Sabine Jossé M.A.
Interviewpartner: Prof. Dr. med. Cezmi A. Akdis
Herr Prof. Akdis, wie kamen Sie auf die Idee, die Zusammenhänge zwischen Allergien, Autoimmunerkrankungen, neuropsychiatrischen Erkrankungen und der Epithelbarriere zu untersuchen?
Allergien, Autoimmunerkrankungen und neuropsychiatrischen Erkrankungen haben vieles gemeinsam. Dabei fällt als erstes ins Auge, dass sie alle seit den 60er bzw. 2000er Jahren einen rasanten Anstieg verzeichneten, und das weltweit. Aber es gibt noch weitere Gemeinsamkeiten.
Bei Allergien, Autoimmunerkrankungen und neuropsychiatrischen Erkrankungen kommt es zu:
- Mikrobieller Dysbiose
- Verminderter Anzahl von Keimen
- Vermehrter Anzahl opportunistischer Krankheitserreger
- Aktivierung des Immunsystems
- Entzündungen, sowohl in den betroffenen Geweben als auch systemisch
Es lag also nahe, zu untersuchen, bei welchen Erkrankungen man auch eine nicht mehr funktionsfähige Epithelbarriere vorfindet.
Kann man den Anstieg dieser Erkrankungen beziffern?
Während in den 60er Jahren weltweit 20 bis 30 Millionen Menschen betroffen waren, reden wir mittlerweile von 2 Milliarden Betroffenen. Das bedeutet, die Anzahl der Erkrankten hat sich verhundertfacht, während sich die Weltbevölkerung lediglich verdoppelt hat. Das hat auch volkswirtschaftliche Konsequenzen, denn diese Erkrankungen belasten das Bruttoinlandsprodukt der jeweiligen Länder mit über 10 Prozent. Diesen enormen Anstieg von Betroffenen sehen wir aber auch bei weiteren Erkrankungen.
Abgesehen von Allergien, Autoimmunerkrankungen und neuropsychiatrischen Erkrankungen - bei welchen weiteren Erkrankungen gibt es ebenfalls Hinweise auf einen Zusammenhang mit einer gestörten Epithelbarriere?
Erkrankungen, bei denen die Epithelbarriere ebenfalls eine Rolle spielt, findet man bei den Hautkrankheiten, den Atemwegserkrankungen, den Magen-Darm-Erkrankungen, den Metabolischen Erkrankungen und den Augenerkrankungen. Sie alle haben einen Bezug zur Epithelbarriere-Hypothese.
Insgesamt konnten wir in unserer Untersuchung 68 Erkrankungen identifizieren, bei denen ein Bezug zu einer gestörten Epithelbarriere besteht.
Hauterkrankungen und Epithelbarriere Störungen:
- Neurodermitis
- Alopecia areata
- Allergische Kontaktdermatitis
- Irritative Kontaktdermatiis
- Chronisch spontane Urtikaria
- Psoriasis
- Rosacea
- Pemphigus vulgaris
- Bullöses Pemphigoid
- Hidradenitis suppurativa#
Atemwegserkrankungen und Epithelbarriere Störungen:
- Asthma
- Allergische Rhinitis
- Chronische Rhinosinusitis
- COPD
- Idiopathische Lungenfibrose (IPF)
- Nichtallergische Rhinitis mit Eosinophilie-Syndrom (NARES)
- Sarkoidose
- Pulmonale Hypertonie
- Mukoviszidose
Magen-Darm-Erkrankungen und Epithelbarriere Störungen:
- Eosinophile Oesophagitis (EoE)
- Parodontitis (Zahnfleischentzündung)
- Gastroösophageale Refluxkrankheit
- Barrett-Ösophagus
- Nahrungsmittelallergien
- FPIES (Food protein–induced enterocolitis syndrome)
- Nahrungsmittelproteininduziertes Enterokolitis-Syndrom
- Entzündliche Darmerkrankungen wie zum Beispiel Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn
- Zöliakie
- Reizdarmsyndrom
- Dickdarmdivertikulose
- Mikroskopische Kolitis
Neuropsychiatrische Erkrankungen und Epithelbarriere Störungen:
- Alzheimer
- Parkinson
- Autismus
- Stressbedingte psychiatrische Störungen
- Chronische Depression
- Ischämischer Schlaganfall
- Migräne
- Multiple Sklerose
- Amyotrophe Lateralsklerose
Autoimmunerkrankungen, Autoinflammatorische Erkrankungen, Metabolische Erkrankungen und Epithelbarriere Störungen:
- Morbus Basedow
- Hashimoto-Thyreoiditis
- Systemischer Lupus erythematodes
- Spondylitis ankylosans
- Granulomatose mit Polyangiitis
- Autoimmunhepatitis
- Behçet-Syndrom
- Rheumatoide Arthritis
- Arthrose
- IgA-Nephropathie
- Diabetes
- Fettleibigkeit
- Stoffwechselstörung-assoziierte steatotische Lebererkrankung
- Leber-Zirrhose
Augenerkrankungen und Epithelbarriere Störungen:
- Allergische Konjunktivitis
- Altersbedingte Makuladegeneration
- Trockenes Auge
- Glaukom
- Uveitis
Weitere Erkrankungen und Epithelbarriere Störungen:
- Nierenerkrankung im Endstadium (ESRD)
- Herzinsuffizienz
- Myokarditis
- Osteoporose
- Anämie
- Hämolytisch-urämisches Syndrom
- Sepsis
- Schwere COVID-19-Infektion
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS)
Kommen wir zu den Ursachen: Was genau schädigt die Epithel-Barriere?
Die Epithelbarriere-Hypothese geht davon aus, dass toxische Stoffe aus der Umwelt die Epithelbarriere schädigen. Dies gilt für Menschen und Tiere gleichermaßen. Dazu gehören zum einen natürliche Substanzen wie zum Beispiel Allergene, Bakterien und Pilze. Aber auch die Luftverschmutzung, sowie Mikroplastik und Nanoplastik in der Umwelt und in Gebrauchsgütern können die Epithelien schädigen. Hinzu kommen Tenside in Reinigungsmitteln, Haushaltsreinigern, Geschirrspülern und Desinfektionsmitteln aller Art, sowie Zahnpasten. Aber auch Emulgatoren und Zusatzstoffe in verarbeiteten Lebensmitteln können das Epithel schädigen. All diese Stoffe können entweder über die Haut, den Magen-Darm-Trakt oder die Augen in Berührung mit dem jeweiligen Epithel kommen. Ist die jeweilige Epithelbarriere geschädigt, kann sie ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Dann gelangen Schadstoffe in den Körper, es kommt zu Entzündungs- und Immunreaktionen, und das jeweilige Mikrobiom verändert sich in Richtung Dysbiose.
Sie erwähnten die Emulgatoren in Fertigprodukten, was ist das genau?
Emulgatoren sind Hilfsstoffe, die dazu dienen, zwei nicht miteinander mischbare Flüssigkeiten, zum Beispiel Öl und Wasser, zu einem homogenen Gemisch, einer sogenannten Emulsion, zu verbinden und auch zu stabilisieren. Deshalb werden Emulgatoren von der Lebensmittelindustrie gerne eingesetzt. Aber auch zur Stabilisierung von Aromen und zur Verbesserung der Haltbarkeit von Lebensmitteln werden Emulgatoren verwendet.
Seit wann werden Emulgatoren in Lebensmitteln eingesetzt?
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist der Verbrauch von verarbeiteten Lebensmitteln, die Emulgatoren enthalten, stark angestiegen. Emulgatoren gehören mittlerweile zu den am häufigsten verwendeten Lebensmittelzusatzstoffen. Auffällig ist auch hier wieder, dass im gleichen Zeitraum auch die chronisch entzündlichen Erkrankungen deutlich sprunghaft anstiegen.
In welchen Lebensmitteln sind Emulgatoren enthalten?
Es gibt unendlich viele Lebensmittel, in denen eine Vielzahl unterschiedlicher Emulgatoren verwendet wird.
Getränke, die Emulgatoren enthalten können, sind zum Beispiel:
- Softdrinks
- Bier
- Sportlergetränke
- Milchmixgetränke
Süßspeisen, die Emulgatoren enthalten können sind zum Beispiel:
- Pudding
- Cremespeisen
- Kuchen
- Kekse
- Schokolade
- Fertigbackmischungen
- Marmelade
- Kaugummi
- Fruchtgelee
Pikante Speisen, die Emulgatoren enthalten können sind zum Beispiel:
- Margarine
- Saucen
- Dressings
- Mayonnaise
- Suppen
- Wurst
- Brot
- Blätterteigprodukte
- Knabbergebäck
Aber auch in Säuglingsanfangsnahrung werden Emulgatoren häufig eingesetzt.
Welche Emulgatoren werden von der Industrie in Lebensmitteln eingesetzt?
Zur Herstellung von Fertigprodukten werden zahlreiche Emulgatoren verwendet. Dazu gehören zum Beispiel nichtionische Tensid-Lebensmittelemulgatoren, einschließlich Polysorbate, wie Polysorbat 20 (P20, E432) und Polysorbat 80 (P80, E433). P20 und P80 sind in Lebensmitteln in Konzentrationen von bis zu 1 Prozent enthalten, was von den EU-Regulierungsbehörden in der Regel als sicher für den menschlichen Verzehr betrachtet wird. Allerdings haben wir auch in unserer Studie2) festgestellt, daß Emulgator-Konzentrationen, deutlich unter den behördlich akzeptieren 1 Prozent, bereits einen dramatischen Effekt auf die Darmphysiologie haben. So konnten wir sehen, dass die Epithelbarriere durchlässig wurde. Das heißt, die Tight Junctions, das sind Strukturen zwischen den Mukosazellen der Darmschleimhaut und damit Teil der Darmbarriere, waren nach Kontakt nicht mehr dicht. Weiter setzte ein programmierter Zelltod ein und bei den Epithelzellen wurde eine Entzündungskaskade angestoßen. Zusammenfassend kann man sagen: Die Emulgatoren P20 und P80 zeigen eine deutliche Zytotoxizität, das heißt, sie schädigen Zellen und Gewebe. Darüber hinaus beeinträchtigen Emulgatoren die Funktion und Integrität der Epithelbarriere bzw. der Darmepithelzellen dramatisch, es kommt zu einem sogenannten „Leaky Gut“.
Haben auch andere Emulgatoren, die in Nahrungsmitteln enthalten sind, negative Auswirkungen auf das Darmepithel?
Mehrere Lebensmittelemulgatoren und -zusatzstoffe wurden auf ihre schädlichen Wirkungen auf die Schleimhaut des Darms untersucht, und viele von ihnen zeigten konzentrationsabhängig, daß sie Zellen und Gewebe schädigen können.
Eine schädigende Wirkung auf das Darmepithel zeigten neben P20 und P80 unter anderem die folgenden Lebensmittelzusatzstoffe:
- P60
- Carrageen
- Mononatriumglutamat
- Stärkenanopartikel
- Titandioxid
- Allurarot
- Tartrazin
Welche Schlüsse kann man aus den Ergebnissen Ihrer Studien ziehen?
Zunächst einmal machen die Untersuchungen, die Basis unserer Studie waren, deutlich, wie maßgeblich die Epithelbarriere-Theory zur Erforschung der Mechanismen beitragen kann, die zahlreichen chronischen, nicht übertragbaren Erkrankungen zugrunde liegen. Darauf basierend wird es im nächsten Schritt möglich sein, neuartige therapeutische oder gar präventive Ansätze zu entwickeln.
Herr Prof. Akdis, hezlichen Dank für dieses Interview!
Quellen:
1) Na Sun, Ismail Ogulur et. al., The epithelial barrier theory and its associated diseases, Allergy, 07 October 2024, https://doi.org/10.1111/all.16318
2) Ismail Ogulur, Duygu Yazici, Yagiz Pat, Elif Naz Bingöl, Huseyn Babayev, Sena Ardicli, Anja Heider, Beate Rückert, Vanitha Sampath, Raja Dhir, Mubeccel Akdis, Kari Nadeau, Cezmi A. Akdis, Mechanisms of gut epithelial barrier impairment caused by food emulsifiers polysorbate 20 and polysorbate 80, Allergy, First published: 02 August 2023, https://doi.org/10.1111/all.15825
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: S. Jossé/C. Akdis, www.mein-allergie-portal.com
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