Sport und trotzdem krank? Liegt es an der Epithelbarriere?
Dass Sport gesund ist und körperliche Inaktivität krank macht ist allgemeiner Konsens. Zahlreiche Studien belegen den positiven Effekt sportlicher Aktivitäten auf den Organismus. Allerdings hat man festgestellt, dass gerade professionelle Athleten und überdurchschnittlich aktive Freizeitsportler, also Sportler, die besonders oft und besonders intensiv trainieren, häufig unter den unterschiedlichsten Gesundheitsproblemen leiden. Das senkt die Lebensqualität, beeinträchtigt aber auch die Leistung. Ein Davoser Forscherteam hatte den Verdacht, dass ein Zusammenhang zwischen den Gesundheitsproblemen von Leistungssportlern und schädlichen Einflüssen auf Epithelbarrieren bestehen könnte. Die Frage war: Könnten Schädigungen der Epithelbarriere der Grund dafür sein, dass manchmal gerade Leistungssportler trotz Sport krank werden? Über die Ergebnisse der Untersuchung sprach MeinAllergiePortal mit Prof. Dr. med. Cezmi A. Akdis, Universität Zürich und Schweizerisches Institut für Allergie- und Asthmaforschung (SIAF).
Interviewpartner: Prof. Dr. med. Cezmi A. Akdis
Autor: Sabine Jossé M.A.
Prof. Akdis, welche Erkrankungen kommen bei Leistungssportlern häufig vor?
Es gibt Hinweise aus Studien, die zeigen, dass Menschen, die intensiv Sport betreiben, sei es professionell oder in der Freizeit, häufiger unter gastrointestinalen Beschwerden leiden. Zudem zeigte sich bei den Sportlern ein erhöhtes Risiko für Atemwegsinfekte und ebenfalls für nicht Infekt-bedingte Atemwegserkrankungen. Dazu gehören zum Beispiel Belastungsasthma, Nasenschleimhautentzündungen und Erkrankungen des Kehlkopfs. Wir haben deshalb untersucht, welche Rolle die Epithelbarrieren bei dieser Entwicklung spielen könnten.
Findet man diese Erkrankungen denn nur bei sportlich sehr aktiven Menschen?
Nein, generell sehen wir in den letzten 20 Jahren zunehmend auch in der Gesamtbevölkerung einen Zusammenhang zwischen bestimmten Umweltfaktoren, deren Einfluss auf die Epithelbarrieren und den Anstieg allergischer und nicht übertragbarer Erkrankungen. Dazu gehören Allergien, Asthma, Autoimmunerkrankungen, Diabetes, Adipositas, Stoffwechselerkrankungen, rheumatoide Arthritis, Kolitis, Zöliakie, Fettlebererkrankungen, Autismus, Alzheimer, Parkinson und Depressionen.
Was genau versteht man unter Epithelbarrieren?
Die Epithelbarrieren stellen eine Art Barriere zur Außenwelt dar. Damit ist zum einen unsere äußere Haut gemeint, aber auch die Schleimhäute, die unsere Körperhöhlen und inneren Organe auskleiden, sind Epithelbarrieren. Dazu gehören zum Beispiel auch die Schleimhäute der Atemwege inklusive der Lunge und der gesamte Gastrointestinaltrakt, der ebenfalls mit einer Schleimhautbarriere ausgekleidet ist.
Was ist die Aufgabe der Epithelbarrieren?
Aufgabe der Epithelbarrieren ist es, den Organismus vor äußeren Einflüssen zu schützten. Zu diesen äußeren Einflüssen gehören nicht nur Substanzen, die mit der Haut in Berührung kommen. Auch alles, was wir einatmen und essen, bzw. was durch Mund und Nase in den Körper gelangt, kann die jeweiligen Epithelbarrieren beeinträchtigen. Wird ihre Schutzfunktion geschwächt oder fällt sie gar weitgehend weg, können schädigende Stoffe, wie Allergene, Viren, Toxine etc. in den Organismus eindringen und die Entstehungen von Krankheiten begünstigen.
Was macht Sportler besonders anfällig für eine Schädigung der Epithelbarrieren?
Tatsächlich gibt es bei Intensivsportlern bzw. Athleten einige spezielle Faktoren, die die Epithelbarrieren schädigen können. Betroffen sind hier unter anderem die sogenannten Tight Junctions, eine Art kleine Dichtungen, die die Epithelbarrieren intakt und „dicht“ halten, solange sie funktionsfähig sind. Kommt es zu einer Störung verändert sich auch die jeweilige Bakterienzusammensetzung, das Mikrobiom, und die jeweilige Epithelbarriere wird durchlässiger. Dies gilt allerdings nicht nur für Sportler, sondern für alle Menschen, deren Epithelbarriere schädigenden Einflüssen ausgesetzt ist.
Was genau schädigt beim Sport die Epithelbarriere?
Ein Beispiel: Während moderater Sport die Epithelbarriere des Intestinaltraktes stärkt, ein gesundes Mikrobiom fördert und einen proinflammatorischen Immunzustand unterstützt, kann kontinuierlicher intensiver Sport die Tight Junctions der Epithelbarriere schädigen. Es entsteht ein sogenannter „Leaky Gut“ oder „löchriger Darm“ so dass schädigende Stoffe in den Organismus eindringen können. Es kann dann zu Entzündungsreaktionen bzw. Entzündungskaskaden kommen, die bei vielen Erkrankungen, zum Beispiel Allergien, eine Rolle spielen. Besteht bereits eine Nahrungsmittelallergie können Allergene eine löchrige Darmschleimhaut leichter passieren und eine allergische Reaktion auslösen. Dann kann es früher zu einer Anaphylaxie kommen. Aber auch die Epithelbarriere der Atemwege kann unter exzessivem Training leiden, insbesondere bei Ausdauersportarten. Ist die Epithelbarriere nicht intakt, kann dies zum Beispiel eine Anstrengungs-induzierte Bronchokonstriktion, eine Verengung der Bronchien, auslösen. Aber auch toxische Substanzen können für Sportler gefährlich werden, wenn die Epithelbarriere angegriffen ist.
Wie können toxische, also giftige Substanzen Sportlern schaden und wie kommen sie damit in Kontakt?
Bei intensiver sportlicher Belastung steigt die Atemfrequenz und dies kann zu einer erhöhten Inhalation giftiger Luftpartikel führen, die die Epithelbarriere der gesamten Atemwege und insbesondere der Lungen beschädigen und Entzündungen auslösen können. Akute Entzündungsreaktionen wiederum können bereits bestehende Grunderkrankungen triggern, die Atemfunktion einschränken und die sportliche Leistung negativ beeinflussen. Durch diese sogenannten Luftschadstoffe sind Langstreckenläufer und durch Chlor-basierte Desinfektionsmittel sind Schwimmer besonders gefährdet. Aber auch die bei Athleten so beliebten Sportnahrungen können sich negativ auf die Epithelbarriere auswirken.
Wie kann die Epithelbarriere durch die Ernährung geschädigt werden?
Wie groß das Risiko bei Sportlern ist, dass es durch die falsche Ernährung zu einer Schädigung der Epithelbarriere kommt, hängt auch von der Sportart ab. So könnten Athleten, die sich hoch-kalorisch ernähren sollen, häufiger zu speziellen Sportnahrungen greifen, um die gewünschte erhöhte Kalorienzahl zu erreichen. Spezielle Drinks, Spezialnahrungen oder Nahrungsergänzungsmittel für Sportler enthalten jedoch häufig Emulgatoren, Konservierungsmittel, Geschmacksverstärker und andere künstliche Zusatzstoffe wie Stabilisatoren. Diese können sowohl der Epithelbarriere schaden als auch die Balance des Mikrobioms stören und verstärken damit womöglich bekannte mit intensivem Sport assoziierte Bauchprobleme wie Erbrechen und Durchfall. Außerdem steigt durch ein gestörte Epithelbarriere das Risiko für Infektionen, worunter bei professionellen Athleten auch die Leistung leiden kann. Werden dann noch Antibiotika eingenommen, die das Darmmikrobiom zusätzlich belasten, vergrößert dies das Problem zusätzlich. Aber: Dieser Effekt zeigt sich nicht nur bei Hochleistungssportlern, sondern bei allen Menschen, , die sich überwiegend von Fertigprodukten ernähren, welche ebenfalls all diese Zusatzstoffe enthalten. Hinzu kommt bei Hochleistungssportlern möglicherweise noch ein Risiko durch die im Leistungssport geltenden hohen Hygienestandards.
Warum können hohen Hygienestandards ein Risiko für die Gesundheit von Leistungssportlern sein?
Hohe Hygienestandards, so wie sie im Leistungssport üblich sind, bedeuten für die Athleten immer auch eine erhöhte Exposition gegenüber möglicherweise toxischen chemischen Substanzen. Diese sind zum einen in Duschgels Körperpflegemitteln enthalten, und Sportler duschen oft mehrmals täglich. Aber auch in Reinigungsmitteln, Desinfektionsmitteln und Waschmitteln, die zur Reinigung der Umkleidekabinen, Duschen, Handtücher und Trainingskleidung verwendet werden, werden toxische Substanzen eingesetzt. In Verbindung mit intensivem Training, intensiver Atmung und starkem Schwitzen können diese Substanzen speziell Leistungssportlern Schaden zufügen. Sie können das Mikrobiom der Haut angreifen, aber auch das Epithel der Atemwege kommt in Kontakt mit diesen Substanzen.
Was muss passieren, um die Exposition von professionellen Athleten oder aktiven Freizeitsportlern zu senken?
Wir konnten zeigen, dass Leistungssportler und aktive Freizeitsportler einer Vielzahl von schädigenden Stoffen ausgesetzt sind, die sämtliche Organsysteme betreffen. Dies könnte bestehende gesundheitliche Probleme verschlimmern oder sogar auslösen. Es ist deshalb höchste Zeit, dass die Substanzen, die die Epithelbarriere schädigen können, identifiziert und eliminiert werden.
Es muss noch viel geforscht werden, um die folgenden Fragen zu klären:
- Welche Substanzen schädigen welche Epithelbarrieren und wie?
- Mit welchen Biomarkern lassen sich Schäden in der Epithelbarriere feststellen?
- In welchen Produkten sind diese Stoffe enthalten, die die Epithelbarriere beeinträchtigen?
- Welche alternativen Produkte bieten die gleichen Vorteile, ohne schädigenden Effekt auf die Epithelbarriere?
- Welche Therapien können Menschen helfen, deren Epithelbarriere bereites Schaden genommen hat?
Prof. Akdis, herzlichen Dank für dieses Interview!
Quellen:
1) Epithelial barrier theory in the context of nutrition and environmental exposure in athletes, Walter Kistler et. al., Allergy, Received: 27 March 2024 | Revised: 18 June 2024 | Accepted: 28 June 2024, DOI: 10.1111/all.16221
2) Nutritional and environmental exposures in athletes: Implications on the epithelial barrier function, Allergy, Received: 30 July 2024 | Revised: 8 August 2024 | Accepted: 10 August 2024, DOI: 10.1111/all.16280
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: S. Jossé/ C. Akdis, www.mein-allergie-portal.com
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