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Lockere Zahnimplantate durch Allergie auf Titan?

Titan Implantate
Ist tatsächlich das Titan der Grund, wenn das Implantat locker wird? Bildquelle: F. Reichl

Wenn das Zahnimplantat Probleme macht, fällt der Verdacht schnell auf das Implantatmaterial und oft ist das Titan. Aber ist tatsächlich das Titan der Grund, wenn das TitanImplantat locker wird? MeinAllergiePortal sprach mit Univ.-Prof. Dr. Dr. Franz-Xaver Reichl, Leiter der Dental-Toxikologie und des Internationalen Beratungszentrums für die Verträglichkeit von Zahnmaterialen (BZVZ) an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

 

Interviewpartner: 

Univ.-Prof. Dr. Dr. Franz-Xaver Reichl ist Leiter der Dental-Toxikologie und des internationalen Beratungszentrums für die Verträglichkeit von Zahnmaterialen (BZVZ) an der Ludwig-Maximilians-Universität München, https://www.dentaltox.com/

Autor: Sabine Jossé M.A.

Herr Prof. Reichl, was ist eigentlich Titan?

Titan wird aus Erzen gewonnen und gilt als extrem starkes und festes Material. Weltproduzenten sind Australien, Südafrika und Kanada. Der Begriff Titan kommt aus dem Griechischen „titainó “ = sich recken (ugs. = riesig) und bedeutet “sich recken“, „sich strecken“. Das Wort Titan wird oft verwendet für alles, was außergewöhnlich groß und stark ist, deshalb hat man auch das chemische Element Titan danach genannt. Auch eine große amerikanische Rakete wurde 1963 so bezeichnet. Die mit drei Metern größte Blume der Welt nennt man Titanwurz, und auch der Bayerntorwart Oliver Kahn hat den Spitznamen Titan erhalten, weil er sich im Tor bei der Ballabwehr extrem „recken“ also „strecken“ kann.

Wo wird Titan verwendet und speziell in der (Zahn-)Medizin eingesetzt?

Titan wird sehr vielseitig eingesetzt, unter anderem im Maschinenbau, zum Beispiel in Schiffsschrauben, in der Raumfahrt aber auch in Farben, Lacken, Kunststoffen, Lebensmittelzusätzen, Kosmetika, Arzneimittel/Tabletten sowie als UV-Blocker in Sonnencremes. In der Medizin wird Titan für Prothesenmaterialien verwendet, zum Beispiel bei künstlichen Hüft-, Knie oder Schultergelenken. In der Zahnmedizin dient Titan vorwiegend als Material für Dentalimplantate.

Welche Eigenschaften haben Titanimplantate, die in der Zahnmedizin eingesetzt werden?

Titan hat viele positive Eigenschaften. Es ist sehr leicht, aber dennoch sehr stabil, es ist korrosionsbeständig und verfügt über eine hohe Biokompatibilität. Das bedeutet, Titan bietet eine sehr gute Knochenintegration. Alternativ dazu gibt es aber auch zum Beispiel Keramikimplantate aus Zirkon.

Gibt es bei Titanimplantaten auch Nachteile?

Zu möglichen Nachteilen von Titanimplantaten haben wir auch forensische Untersuchungen durchgeführt. Im Zentrum stand die Frage, ob es durch Absonderung von Titanpartikeln in den Kieferknochen zum Verlust eines Zahnimplantats kommen könnte. Dafür haben wir aus menschlichem Leichengewebe mit Implantat Knochenmaterial im Umkreis von ca. 2 cm um das Titan-Zahnimplantat herum entnommen und von außen nach innen bis hin zum Implantat in hauchdünne Scheiben geschnitten. Bei der Untersuchung der Präparate wurden die Titankonzentrationen, die Anzahl der Titan-Partikel, die Partikelgrößen sowie weitere freigesetzte Metalle bestimmt und das Gewebe histologisch aufgearbeitet. Hier konnten wir sehen, dass es bei bestimmten Zahnimplantaten zur Titanpartikel-Freisetzung und Titan-Ablagerung im Knochenmark des Kieferknochens kommen kann. Es konnte ferner gezeigt werden, dass an den Gewebestellen mit hohen Titankonzentrationen, entzündliche fibrotische Veränderungen beobachtet werden konnten. Mit einer Detektionsmethode, die auf der Künstlichen-Intelligenz (KI) basiert, konnten die Hersteller dieser Implantate im Leichengewebe detektiert werden. Die Ergebnisse zeigten, dass die Gewebeveränderungen nur in NICHT-EU-zertifizierten Zahnimplantaten auftraten, nicht aber in EU-zertifizierten Implantaten.

Implantatproben

Proben von Implantaten mit menschlichem Kieferknochen

Bildquelle: F.-X. Reichl

Kieferknochen Titan-Zahnimplantat

Li: Diamantsäge Re: Schnitte (500 µm) von menschlichem Kieferknochen mit Titan-Zahnimplantat wurden mit einer Diamantsäge angefertigt

Bildquelle: F.X.Reichl

Hohe Mengen an Titanpartikeln und sogar andere Metalle, möglicherweise aus Verunreinigungen bei der Herstellung, wurden ausnahmslos in menschlichen Knochen bei NICHT-EU-zertifizierten Zahnimplantaten detektiert. In der EU-zertifizierte Zahnimplantate setzten nahezu kein Titan in den Knochen frei, sie sind deshalb hoch biokompatibel und verträglich.

Knochenmarkfibrose durch Titanpartikel

Histologische Analyse der Knochenmarkfibrose als Resultat einer Entzündungsreaktion ausgelöst durch Titanpartikel

Bildquelle: F.-X. Reichl

Welche Beschwerden können auftreten, wenn ein Titan-Zahnimplantat Titanpartikel in den Kieferknochen abgibt?

In einer der ersten durchgeführten Langzeit-Studien von Thomas Balshi et al. konnte gezeigt werden, dass die Verlustrate bei Titan-Zahnimplantaten innerhalb von 20 Jahren bei fast 10 Prozent lag. Wenn Patienten sich entscheiden, vielleicht doch im Ausland solche NICHT-EU-zertifizierten Zahnimplantate einsetzen zu lassen, weil sie vielleicht billiger sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass Patienten ihr Dentalimplantat früher oder später verlieren, wenn dieses nicht so fest gebundene Titan oder sogar andere schädliche Metalle in den Kieferknochen diffundieren können. Die dadurch eventuell entstehenden Entzündungen könnten das Implantat lockern und im Endeffekt zum Verlust führen.

Gibt es denn auch eine Titan-Allergie?

Titanallergien und auch Nebenwirkungen aufgrund von Titanimplantaten sind äußerst selten (ca. 1: 10.000). Im Grunde reichen die wissenschaftlichen Daten heute nicht aus, um eine solche Allergie wissenschaftlich fundiert nachzuweisen. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Titan nicht nur in Implantaten und Prothesen, sondern, wie bereits erläutert, in vielen möglichen Alltagsprodukten eingesetzt wird. Titan hat deshalb einen hohen Verbreitungsgrad, so dass allergische Reaktionen auf Titan auffallen müssten.

Zum Vergleich: Viel häufiger werden zum Beispiel Allergien gegenüber Quecksilber aus Amalgamfüllungen beobachtet, denn hier klagt etwa jeder Tausendste Patient über Amalgam-Probleme. Noch gravierender ist es gegenüber freigesetzten Inhaltsstoffen aus Kunststofffüllungen, zum Beispiel Methacrylaten, hier klagt sogar jeder 25. Patient über Probleme insbesondere Allergien – Tendenz steigend.

Was kann ein Grund dafür sein, dass sich ein Zahnimplantat aus qualitativ schlechtem Titan lockert?

Lockert sich ein Implantat aufgrund des qualitativ schlechteren Materials, handelt es sich meist nicht um eine allergische Reaktion auf Titan, sondern eher um eine Allergie oder Unverträglichkeitsreaktion auf die im Implantat zusätzlich enthaltenen Begleitstoffe, das sind oft auch Verunreinigungen. Dazu gehören zum Beispiel Kobalt oder Chrom, und diese können durchaus Allergien auslösen. Solche Metalle werden aber nur aus NICHT-EU-zertifizierten Implantaten freigesetzt. In der EU-zertifizierte Implantate sind, wie gesagt, hiervon nicht betroffen. Diese haben einen hohen qualitativen Status.

Wenn es nun doch eine Titan Allergie sein könnte, wie wird die Diagnose gestellt?

Früher haben wir einen Titanstimulationstest im Blut durchgeführt, um eine Titan Allergie zu diagnostizieren. Wir wenden diesen Test aber heute nicht mehr an, weil festgestellt wurde, dass Titanimplantatträger oft hohe Titanstimulationswerte haben, wenn der Patient zum Beispiel häufig Sonnencremes oder auch Arzneimittel/Tabletten verwendet, die reichlich Titandioxydpartikel enthalten können und deshalb falsch positive Ergebnisse resultieren können. Es wäre deshalb auch ein zahnmedizinischer Kunstfehler, wenn man bei einem Patienten das Titanimplantat nur aufgrund eines positiven Titanstimulationstests entfernen würde. Wir verwenden zur Diagnose einer Titan Allergie heute nur noch den Epikutantest mit mehreren Titankomponenten.

Welche Alternativen gibt es, wenn man mit dem Epikutantest eine Titan Allergie feststellt?

Zirkon wäre zum Beispiel ein Material, das auch zur Herstellung von Zahnimplantaten verwendet wird. Man würde dem Patienten dann ein Keramikimplantat, also aus Zirkondioxid empfehlen. Dies wäre bei einer Titan Allergie eine Alternative. Aber auch gegen Zirkone kann es sehr seltene allergische Reaktionen geben. Allerdings haben wir noch nie gesehen, dass ein Patient auf beide gleichzeitig, also Titan und Zirkon, allergisch reagiert.

Prof. Reichl, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

29. Januar 2025

Autor: S. Jossé/ F. Reichl, www.mein-allergie-portal.com

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