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Allergie auf Bisphenol A in Zahnmaterialien

Bisphenol A Allergen Lebensmittel Zahnmaterial
Kann es durch Bisphenol A in Zahnmaterial und Zahnersatz zu Allergien kommen? Bildquelle: L. Höhne

Bisphenol A (BPA) kommt bei der Herstellung von Zahnmaterialien zum Einsatz, findet sich aber auch in der Verpackung von Lebensmitteln . Allerdings könnte BPA gesundheitliche Risiken bergen, unter anderem auch im Hinblick auf Allergien. Darum befasst sich aktuell die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit Bisphenol A. MeinAllergiePortal sprach mit Lutz Höhne, Zahnarzt für Umwelt-Zahnmedizin und ehemals 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Umwelt-Zahnmedizin (DEGUZ) darüber, ob es durch Bisphenol A auch zu Allergien und Autoimmunerkrankungen kommen könnte.

 

Autor: Sabine Jossé M.A.

Interviewpartner: Lutz Höhne

Herr Höhne, was genau ist Bisphenol A (BPA) und wo wird es eingesetzt?

Bisphenol A ist der Ausgangsstoff für Chemikalien wie Polycarbonatkunststoffen (PEG), Vinylesterharze oder Epoxide. Jährlich werden 10 Millionen Tonnen BPA produziert und in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt. In der Lebensmittelindustrie wird Bisphenol A bei der Herstellung von Verpackungen verwendet. In der Zahnheilkunde findet man Bisphenol A bzw. BPA als Verunreinigung  in zahnärztlichen Kunststoffen. Auch Thermopapier aus Thermodruckern setzt relativ viel Bisphenol A frei, hier wird es über die Haut aufgenommen.

Wie kommt Bisphenol A in Lebensmittel?

Bisphenol A findet sich in den Innen-Beschichtungen von Konservendosen oder auch auf der Innenseite von Kapselverschlüssen, zum Beispiel bei Bierflaschen oder Softdrinks. Durch diesen direkten Kontakt kann Bisphenol A in die Lebensmittel gelangen.

Wie kommt Bisphenol A in Zahnmaterialen?

In der Zahnheilkunde wird Bisphenol A für die Synthese von Bisphenol-A-Glycidylmethacrylat (Bis-GMA) und Bisphenol A-Dimethacrylat (Bis-DMA) verwendet. In den fertigen Kunststoffen ist Bisphenol A dann als Verunreinigung enthalten. Bis-DMA kann sich zersetzen. Hier wird dann ebenfalls Bisphenol A frei. Die Universität Freiburg hat bei in Vitro-Untersuchungen an verschiedenen Kunststoffen Bisphenol A in Füllungskunststoffen feststellen können. Ebenfalls finden wir Bisphenol A als Ausgangsstoff für die Synthese epoxidhaltiger Wurzelfüllmaterialien.

Was macht Bis-GMA und Bis-DMA so interessant für Zahnmaterial?

Die Substanzen Bis-GMA und Bis-DMA bestehen aus relativ großen Molekülen, die schon seit 40 oder 50 Jahren verwendet werden. Sie sorgen für eine gute Vernetzung der Kunststoffe, bringen viel Stabilität in die Füllung und sind deshalb sehr haltbar. Auch sind diese Komposite relativ günstig herzustellen. Aufgrund der günstigen Herstellungskosten und der jahrzehntelangen Verwendung hält man an ihnen weiterhin fest.

Zwar hat die Risikobewertung durch die EFSA schon vor einigen Jahren dazu geführt, dass von Bis-GMA-haltigen Füllungen abgeraten wurde. Diese wurde aber nicht umgesetzt, weil keine Verpflichtung bestand, tatsächlich auf solche Füllungen zu verzichten. Das ist bemerkenswert, denn man war sich auch bei der EFSA vollkommen darüber im Klaren, dass Bis-GMA häufig mit Bisphenol A verunreinigt ist.

Gibt es denn keine Zahnmaterialien ohne Bis-GMA und Bis-DMA?

Die meisten Hersteller verzichten auf Bis-DMA, seitdem wissenschaftlich gesichert ist, dass diese Teile es sich zersetzt und dann Bisphenol A freilässt. Aber bei Bis-GMA sind einige Kunststoffhersteller noch nicht so weit. Auch heute schon kann man aber durchaus ein Bisphenol-A-freies Bis-GMA kaufen. Nur ist das natürlich erheblich teurer. Wenn man mehr als den doppelten Preis für ein Bisphenol-A-freies Bis-GMA zahlen muss, stellt sich leider immer die Frage: "Wofür entscheidet man sich, für den besseren Preis oder für die Ethik?"

Hat der Patient denn die Möglichkeit zu erfahren, ob das für ihn geplante Zahnmaterial Bis-GMA und Bis-DMA enthält, das Bisphenol A freisetzt?

Der Patient muss sich auf den Zahnarzt verlassen. Er weiß nicht, was in einer Füllung enthalten ist und hat auch keine Möglichkeit, mitzuentscheiden. Aber: Auch die wenigsten Zahnärzte haben dafür eine Entscheidungsgrundlage, weil bei Zahnmaterialien nicht alle Inhaltsstoffe deklariert werden. Die Hersteller wiederum, in deren Füllungen Bis-GMA enthalten ist, untersuchen das eingekaufte Material in der Regel nur stichprobenartig, wenn überhaupt.

Wer forscht denn an der Frage, wie viel Bisphenol A aus Zahnmaterial ausgeschieden wird?

Insgesamt gibt es in Deutschland ein substanzielles Forschungsdefizit zu dieser Fragestellung. Aktuell werden Zahnmaterialien von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg durch in-vitro Versuche auf Bisphenol A untersucht. Es gibt auch eine Kooperation zwischen dem Institut für medizinische Diagnostik (IMD), der Charité in Berlin und der DEGUZ. Zusammen haben wir vor drei Jahren eine Speichel-Untersuchung entwickelt, mit der wir differenziert auf verschiedene Kunststoff-Monomere im Speichel untersuchen können. Dazu gehört unter anderem auch Bis-GMA, beziehungsweise auch Bisphenol A. Methacrylate konnten zwar bisher auch im Speichel untersucht werden, aber nicht differenziert auf einzelne Monomere, das ist extrem kompliziert.

Bisphenol A befindet sich ja auch in Beschichtungen von Lebensmittel-Verpackungen, wo genau?

Die Innenbeschichtung von Konservendosen oder auch Bierflaschen-Kronkorken enthalten Bisphenol A-haltige Kunststoffe. So kann Bisphenol A auch in die Lebensmittel gelangen. Das soll zwar alles geändert werden und einige Verpackungs-Hersteller haben Bisphenol A auch aus ihren Verpackungsmaterialien entfernt. Dafür haben sie aber häufig ein anderes Bisphenol eingesetzt, wie zum Beispiel Bisphenol S. Das sind eigentlich nur Bisphenol-Varianten, die ähnlich schädliche Wirkungen haben - ein typischer Fall von Greenwashing.

Warum befasst sich aktuell die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit den Risiken von Bisphenol A?

Mittlerweile gibt es seine hohe Zahl an Untersuchungen, die zeigen, daß die Bevölkerung sehr hoch mit Bisphenol A belastet ist. So findet man bei 86 Prozent der Bevölkerung BPA im Urin. Außerdem findet man Bisphenol A auch im Nabelschnurblut. Hohe Gehalte an Bisphenol A im Nabelschnurblut, also mehr als 19 ng/l, setzen Entzündungsbotenstoffe frei. Diese werden mit der späteren Entwicklung von Allergien und Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht. Hinzu kommt: Bisphenol A ist endokrin wirksam.

Welche Maßnahmen plant die EFSA im Hinblick auf Bisphenol A?

Die EFSA ist für die Risikoerfassung und Bewertung von Chemikalien für die Gesundheit zuständig. 2015 senkte man den Referenzwert für die tolerierbare tägliche Aufnahme, man spricht auch von „tolerable daily intake“ (TDI). So wurde der TDI-Wert von Bisphenol A auf 50µg auf 4 µg/kg Körpergewicht festgelegt. Aktuell findet eine neue Risikobewertung statt. Man diskutiert eine Wertabsenkung des TDI-Wertes um den Faktor 100.000 auf eine tägliche Aufnahme von 0,04 Nanogramm/kg Körpergewicht.

Was bedeutet es, dass Bisphenol A endokrin wirksam ist?

Das bedeutet, dass Bisphenol A eine hormonähnliche, östrogenartige Wirkung hat. Die Substanz dockt an entsprechende Rezeptoren der Zellen an und wirkt sich auf den Hormonhaushalt aus, denn Hormone sind bereits im Nanogramm-Bereich wirksam.

Auch hat man in zahlreichen Studien festgestellt, dass Bisphenol A im Körper auch Botenstoffe freisetzen kann. Diese Prozesse haben Auswirkungen auf verschiedene Bereiche, wie Neurologie, Endokrinologie und Immunologie.

Hinzu kommt, dass die Einwirkung von Bisphenol A im Niedrigdosisbereich immer über einen langen Zeitraum erfolgt. Nicht zu vergessen sind auch andere Chemikalien, wie beispielsweise Phtalate, das sind Weichmacher, die ja ebenfalls endokrin wirken. Es kann also zu Summationseffekten und Wechselwirkungen kommen. Das Bedeutet, die Effekte addieren sich oder bedingen sich gegenseitig. Es macht deshalb keinen Sinn, solche Substanzen nur nach toxikologischen Gesichtspunkten zu untersuchen. Darüber hinaus ist Bisphenol A epigenetisch wirksam.

Was bedeutet es, dass Bisphenol A epigenetisch wirksam ist?

Dass Bisphenol A epigenetisch wirksam ist bedeutet, dass sich mögliche Veränderungen auch weitervererben können, bzw. dass die Auswirkungen einer Exposition in der Schwangerschaft erst Jahre später zu einer Symptomatik führt. Mit Bisphenol A werden zum Beispiel spätere Fettleibigkeit und Prostataprobleme in Verbindung gebracht. Für die Zahnheilkunde ist die Aufnahme von Bisphenol A ebenfalls relevant. Zumindest im Tierversuch hat man einen Zusammenhang zwischen Bisphenol A und der Molaren-Incisivus-Hypomineralisation (MIH) beobachtet.

Was genau ist Molaren-Incisivus-Hypomineralisation und welche Rolle spielt Bisphenaol A dabei?

Bei Molaren-Incisivus-Hypomineralisation haben die Kinder von Geburt an schlecht mineralisierte Backen und Frontzähne. Das Dentin wird durch den unzureichenden Schmelz nicht mehr geschützt. Frühzeitige Karies ist programmiert. Es gibt eine Studie an Ratten, bei der ein Zusammenhang zwischen MIH und Bisphenol A nachgewiesen wurde. Allerdings glaubt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nicht, dass diese Studienergebnisse so einfach auf Menschen übertragbar wären. Ich persönlich kann mir dies jedoch sehr gut vorstellen. Das Problem ist aber, dass Mütter in der Schwangerschaft und Kinder nicht nur mit Bisphenol A in Kontakt kommen. Sie kommen aber parallel dazu auch mit sehr vielen anderen Stoffen in Berührung, zum Beispiel mit Weichmachern. Aber auch das Zusammenwirken von einer Vielzahl kleiner Belastungen kann zu chronischen Problemen führen, die dann im Laufe der Zeit Symptome auslösen.

Hat Bisphenol A weitere Folgen für die Gesundheit?

Man bringt Bisphenol A die folgenden schädlichen Spätwirkungen auf die Gesundheit in Verbindung:

  • Verweiblichung
  • Schädigung der Lungenfunktion
  • ADHS
  • Depression
  • Angst
  • Diabetes
  • Unfruchtbarkeit

Deshalb ist Bisphenol A von der European Chemicals Agency als besonders besorgniserregender Stoff eingestuft worden. Des Weiteren gibt es natürlich auch noch eine Wirkung bei Erwachsenen, Jugendlichen, und auch bei Schwangeren.

Welches Risiko stellt Bisphenol A für Schwangere dar?

Wenn Schwangere Bisphenol A aufnehmen oder, noch schlimmer, wenn Schwangere eine Zahnfüllung bekommen, die Bisphenol A enthält, kommt es in der ersten Zeit immer zu einer erhöhten Freisetzung von verschiedenen Monomeren. Diese Substanzen werden über das Nabelschnurblut weiter zum Baby transportiert. Welchen Schaden wir hier anrichten, können wir momentan überhaupt noch nicht vorhersagen. Eigentlich sollte man diese Zusätze ganz verbieten, aber das ist natürlich schwierig. Ich glaube, die EFSA ist auf dem richtigen Weg mit dem Vorschlag, den Referenzwert der täglichen Aufnahme deutlich zu senken. Ich hoffe, dass das auch tatsächlich umgesetzt wird.

Reichert sich Bisphenol A im Körper an?

BPA ist schlecht wasserlöslich, aber gut fettlöslich: Deshalb wird Bisphenol A in Fettgewebe gut gespeichert.

Kann Bisphenol A Allergien auslösen und wie sehen die Symptome aus?

Bisphenol A kann Allergien auslösen – das wird allerdings viel zu selten überprüft. Die Symptome lassen sich schwerlich beschreiben, da nie eine alleinige Exposition mit Bisphenol A vorliegt. Unabhängig von allergischen Symptomen sollte man hellhörig werden, wenn man eine zu spät einsetzende Pubertät bei Jungen, bzw. eine zu früh einsetzende Pubertät bei Mädchen beobachtet. Aber das kann natürlich auch durch andere endokrin wirksame Chemikalien hervorgerufen worden sein. Hier muß man mit umweltmedizinischen bzw. umweltzahnmedizinischen Diagnosemethoden arbeiten.

Gibt es einen Test, mit dem Bisphenol A nachweisen kann?

Der Nachweis der Aufnahme erfolgt über den quantitativen Nachweis von Bisphenol A Im Urin, aus zahnärztlichen Kunststoffen im Speichel.

Da die Chemikalie Bisphenol A systemisch aufgenommen wirkt, macht ein Epicutantest oder ein Bluttest, die zur Diagnose von Allergien dienen, wenig Sinn. Deshalb bietet sich der Lymphozytentransformationstest (LTT) an, wie bei Medikamententestungen auch.

Was kann man tun, wenn man befürchtet, Zahnersatz im Mund zu haben, der Bisphenol A enthält?

Mit entsprechenden Speicheltests kann man feststellen, ob es durch den Zahnersatz, Füllungen oder den KFO-Kleber, den Bracketkleber zu einer Bisphenol A-Freisetzung gekommen ist. Misst man eine entsprechende Belastung im Speichel, so ist die vollständige Entfernung der Restaurationen notwendig. Zwar hatte die EFSA 2015 zahnärztliche Restaurationen in der Risikobewertung ausgeschlossen, weil man der Meinung war, dass der orale BPA-Wert bereits fünf Tage nach einer Restauration wieder beim Ausgangswert liegen würde. Nach unseren Untersuchungen bei der DEGUZ ist diese Stellungnahme aber nicht haltbar. Wir messen die Bisphenol A-Freisetzung auch noch Jahre später und raten deshalb zur vollständigen Entfernung von Zahnmaterialien, die Bisphenol A freisetzen könnten. Bei der Entfernung des Zahnersatzes sollte man aber auch entsprechende Kunststoffe unter Kronen oder Brücken nicht vergessen. Nach der Sanierung sollte man den Erfolg im Speichel nachtesten.

Wieviel Bisphenol A gelangt aus dem Zahnmaterial in den Mund?

Bisphenol A, das im Speichel festgestellt wird, geht tatsächlich durch Zahnmaterial im Mund in Lösung. Wir haben jetzt über 300 Proben untersucht und in 4 Prozent der Proben Bisphenol A gefunden. Dabei messen wir zwischen 0 bis 136 Mikrogramm pro Liter Speichel, durchschnittlich 6 Mikrogramm. Hier werden also teils unglaubliche Mengen freigesetzt.

Lässt sich das Bisphenol A vollständig aus dem Organismus entfernen?

Wenn wir eine gewisse Bisphenol A-Konzentration im Speichel messen und wir entfernen dann die Werkstoffe vollständig aus dem Mund, lässt sich die Substanz im Speichel auch nicht mehr messen. Dagegen kommt das Bisphenol A, das im Urin gemessen wird, tatsächlich über die Nahrung oder über die Haut in den Körper. Wir müssen die Klinik viel intensiver untersuchen und herausfinden, was im Körper passiert, wenn er mit Bisphenol A in Berührung kommt. Wir in der Zahnarztpraxis können uns nur auf einzelne Fälle unter unseren Patienten beziehen. Deswegen brauchen wir umfangreiche Studien, die Zusammenhänge zwischen Bisphenol A und den unterschiedlichen Symptomen und Erkrankungen herstellen kann. Entfernen kann man im Körper an Fettgewebe gebundenes BPA nicht – es hilft nur Prävention, also Verzicht auf Bisphenol A in Kunststoffen.

Herr Höhne, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

02. Juli 2022

Autor: S. Jossé/ L. Höhne, www.mein-allergie-portal.com

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