Multiple Allergie: Wer ist ein polyvalenter Allergiker?
Eine Allergie kommt nicht immer allein – manche Menschen werden gleich von mehreren Allergien geplagt. Man spricht dann von multiplen Allergien. Diese sogenannten „polyvalenten Allergiker“ sind ganz besonders geplagt, denn die Allergien können sich zum einen an verschiedenen Organsystemen zeigen, wie Haut, Schleimhaut, Lunge oder Darm. Zum anderen können die allergischen Symptome auch über einen langen Zeitraum hinweg, sogar ganzjährig, auftreten, weil es ständig zum Kontakt mit einem relevanten Allergen kommt. Welche Risiken bergen unbehandelte multiple Allergien, was kann man tun und welche Rolle spielt die spezifische Immuntherapie bei der Behandlung?
Autor: Dr. med Anna Eger
Asthma bronchiale - eine reale Gefahr bei allergischer Rhinitis
Heuschnupfen oder Pollenallergie gilt oft noch als “lästig, aber harmlos“, eine Einschätzung, die durchaus nicht zutrifft. Allein die Tatsache, dass 50 Prozent der Patienten mit allergischer Rhinitis im Laufe der Zeit ein Asthma bronchiale entwickeln, belegt die Tragweite der Erkrankung. Asthma schränkt die Lebensqualität der Patienten erheblich ein. Aber nicht erst ein Asthma führt zu Einschränkungen im Alltag. Studien haben gezeigt, dass der der Leidensdruck bei Patienten mit allergischer Rhinitis ausgesprochen hoch ist. Zudem kommt es durch Fehlzeiten auch zu volkswirtschaftlichen Schäden, denn Menschen, die an multiplen Pollenallergien, sogenannten Inhalationsallergien, leiden, haben oft das ganze Jahr über Symptome.
Was ist eine polyvalente Allergie?
Polyvalent bedeutet „mehrwertig“. Zum Beispiel können polyvalente Antikörper mehrere verschiedene Antigene binden und damit gegen mehrere Erreger wirken. Im Zusammenhang mit Allergien heißt polyvalent, dass die Allergiker gegen mehrere Antigene allergisch reagieren.
Was bedeutet eine polyvalente Allergie für die Betroffenen?
Ein Multiallergiker leidet unter allergischen Symptomen, wenn er nicht nur mit einem, sondern mit vielen verschiedenen Allergenen in Kontakt kommt. Das heißt, dass diese polyvalenten Allergiker beispielsweise nicht nur gegen Pollen, sondern auch gegen diverse Lebensmittel oder chemische Stoffe wie Duftstoffe in Parfüms oder Medikamente allergisch reagieren. Manchmal können die entsprechenden Allergene nicht gemieden werden und die Betroffenen haben ständig mit allergischen Symptomen zu kämpfen. Die Folge ist eine erhebliche Belastung des täglichen Lebens.
Welche Reaktionstypen gibt es bei Allergien?
Nach der Art der Reaktion des Immunsystems auf ein Allergen unterscheidet man 4 Reaktionstypen bei Allergien.
Typ-I-Reaktion, auch Überempfindlichkeit vom Soforttyp genannt
Sie ist die häufigste Allergieform. Nach dem Kontakt mit dem Antigen, das in diesem Fall das Allergen ist, kommt es ziemlich sofort durch die Aktivierung von IgE-Antikörpern zur Freisetzung verschiedener Botenstoffe, zum Beispiel Histamin.
Zur Allergieform der Typ-I-Reaktion gehören:
- Allergisches Asthma
- Allergische Konjunktivitis
- Rhinitis allergica, also der Heuschnupfen
- Urtikaria
- Angioödem
- Anaphylaktischer Schock
- Nahrungsmittelallergie
Typ II-Reaktion
Bei dieser Form der Allergie dauert es mehrere Tage, bis es zu Symptomen kommt. Hierbei bilden sich IgG- und IgM-Antikörper. Es werden verschiedene Abläufe in Gang gesetzt, die zum Auflösen der Zielzellen führen.
Typische Krankheiten, die auf der Basis des Allergietyps Typ-II-Reaktion entstehen, sind:
- Allergisch bedingte hämolytische Anämie, dabei lösen sich die roten Blutkörperchen auf
- Thrombopenie, hierbei werden die Blutplättchen im Blut vermindert
- Agranulozytose, dabei werden bestimmte Immunzellen zerstört
- Transfusionszwischenfälle
- Goodpasture-Syndrom, hierbei werden Lungen- und Nierenzellen geschädigt
Typ III-Reaktion
Diese Reaktion zeichnet sich durch Bildung von Immunkomplexen aus.
Im Rahmen autoimmuner Prozesse spielt die Reaktionsform Typ III-Reaktion eine Rolle bei:
- Rheumatoider Arthritis
- Systemischer Lupus erythematodes
- Leukozytoklastischer Vaskulitis
- Polyarteriitis
Liegt eine Sensibilisierung gegen Umweltallergene zugrunde, dann kann diese allergische Reaktionsform zu den folgenden Krankheiten führen, die man eine sogenannte exogenallergische Alveolitis nennt:
- Vogelzüchterlunge
- Farmerlunge
- Byssinose
- Baumwollfieber
Typ IV-Reaktion, auch Überempfindlichkeit vom verzögerten Typ genannt
Bei diesem Reaktionstyp handelt es sich um die zweithäufigste Allergieform. Nach Kontakt mit dem Allergen kommt es zu einer lokalen Entzündungsreaktion durch Aktivierung bestimmter Immunzellen und entzündungsstimulierenden Botenstoffen.
Klassische Beispiele für die Typ IV-Reaktion sind die:
- Kontaktallergie
- Transplantat-Abstoßung
Was ist eine polyvalente allergische Sensibilisierung?
Eine Sensibilisierung ist nicht zu verwechseln mit einer Allergie. Mithilfe eines Allergietests in Form des positiven Prick-Tests wird eine Sensibilisierung nachgewiesen. Das ist aber nicht automatisch gleichbedeutend damit, dass ein Patient auch wirklich allergisch ist. Es kann vorkommen, dass ein Patient viele positive Reaktionen im Pricktest hat. Ist er dann gleich ein Multiallergiker? Nein, denn ob es sich tatsächlich um eine Allergie oder sogar Multiallergie handelt, hängt davon ab, ob der Patient allergische Symptome bei Kontakt mit den entsprechenden Antigenen entwickelt. Die Kunst des Allergologen ist es, herauszubekommen, ob es sich um eine echte Allergie handelt. Dann kann er entscheiden, wogegen eine Hyposensibilisierung erfolgversprechend durchgeführt werden kann.
Was ist eine polyvalente allergische Diathese?
Diathese bedeutet, dass für bestimmte Krankheiten eine Neigung oder Anfälligkeit vorliegt. Sie kann erblich bedingt sein oder durch bestimmte Umstände erworben werden. Eine polyvalente allergische Diathese bedeutet also – ebenso wie eine Sensibilisierung – nicht, dass der Patient gegen vieles allergisch ist. Vielmehr bedeutet dies lediglich, dass ein Patient die Veranlagung hat, mehrere Allergien zu entwickeln.
Was tun bei vielen Allergien?
Die Behandlung von Allergien erfolgt einerseits symptomatisch. Das bedeutet, dass die allergischen Symptome mit Hilfe verschiedener Medikamente bekämpft werden. Diese sind für den Patienten natürlich kurzfristig hilfreich. Sie bewirken aber nichts an dem Grundproblem des Immunsystems, welches die vielen Allergien verursacht. Deshalb gibt es andererseits die Möglichkeit der spezifischen Immuntherapie (SIT), auch Hyposensibilisierung, Desensibilisierung oder allergenspezifische Immuntherapie genannt. Hierbei erhält der Allergiker kleinste Dosen des relevanten Allergens über einen längeren Zeitraum verabreicht. Die Dosis wird ganz allmählich erhöht. So wird das Immunsystem sozusagen an das Allergen gewöhnt. Mit der SIT werden also nicht nur Symptome behandelt, sondern das Immunsystem so moduliert, dass es sich an die Allergene „gewöhnt“. Damit schafft man es nicht nur, die Symptome und Allergiemedikamente zu reduzieren, sondern auch das Risiko für die Entwicklung eines Asthmas zu reduzieren.
Die spezifische Immuntherapie (SIT) – hilft sie auch bei multiplen Allergien?
Dass die spezifische Immuntherapie bei allergischer Rhinitis das Entstehen von Asthma bronchiale verhindern kann, konnte man in Studien nachweisen. Manche Patienten mit multiplen Allergien glauben jedoch, dass eine Behandlung gegen mehrere Allergene nicht möglich sei. Zudem lassen sich viele davon abschrecken, dass bei der klassischen Langzeit-SIT wöchentliche Praxisbesuche nötig sind.
Besonders erfolgversprechend ist die Hyposensibilisierung zwar bei Patienten mit einer einzelnen Sensibilisierung, die noch nicht lange besteht. Aber auch polyvalente Allergiker mit moderaten bis schweren Symptomen zeigen ein gutes Ansprechen auf die SIT. Die Desensibilisierung hilft also auch bei multiplen Allergien. Es können allerdings nicht unbegrenzt viele Allergenextrakte gleichzeitig verabreicht werden. Laut Leitlinie kann man mit maximal 3 verschiedenen Allergenen eine SIT durchführen, davon können unter bestimmten Vorsichtsmaßnahmen zumindest 2 am gleichen Tag appliziert werden.
Welche Allergenextrakte gleichzeitig für die spezifische Immuntherapie eingesetzt werden, wird entschieden nach:
- Wie stark ist die Symptomatik?
- In welchem Zeitraum bestehen die Beschwerden?
- In welchem Maß ist die Lebensqualität beeinträchtigt?
- Können die Allergene gemieden werden?
Welche weiteren Formen der allergenspezifischen Immuntherapie neben der klassischen SIT gibt es noch?
Neben der klassischen Langzeit-Immuntherapie, die mindestens drei Jahre und oft auch länger dauert, weitere Möglichkeiten. Zu erwähnen sind zum Beispiel die Cluster Therapie und die Ultra Rush Therapie, die beide in kürzerer Zeit ihre Wirksamkeit entfalten. Eine weitere Alternative ist die sublinguale Immuntherapie (SLIT), bei der das Therapieallergen unter die Zunge appliziert wird und die der Patient nach einer gewissen Zeit selbst weiterführen kann. Die SLIT wirkt sogar wesentlich schneller, als die SIT! Mit der Entwicklung von sogenannten Allergoiden zur Anwendung in der subkutanen Immuntherapie konnte eine weitere extreme Verkürzung der Aufdosierungsphase erzielt werden. Außerdem werden neue Applikationswege wie die epikutane und intralyphatische Immuntherapie erforscht.
Was macht die SIT erfolgreich?
Entscheidend für den Erfolg der SIT ist zunächst die richtige Diagnose. Neben dem nasalen Provokationstest gibt es auch den konjunktivalen Provokationstest am Auge zur Überprüfung der Diagnose. Zur Routine sollte vor Beginn einer SIT die Überprüfung der Lunge mit einem Lungenfunktionstest gehören, auch wenn keine Lungensymptome vorliegen. Das ist wichtig, um das eventuelle Fortschreiten der Erkrankung zu dokumentieren.
Wichtig bei der Wahl des Therapieallergens für eine erfolgreiche SIT ist es, auf bestimmte Kriterien zu achten. Zwei dieser Kriterien sind die Zulassung des Präparats durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und der Nachweis der Wirksamkeit. Die Mitarbeit des Patienten und seine Bereitschaft, die Therapie über einen Zeitraum von 3 Jahren regelmäßig durchzuführen, ist sehr erfolgsentscheidend.
Kontraindikationen sollten vor Beginn der SIT selbstverständlich ausgeschlossen werden.
Wann darf eine Hyposensibilisierung nicht durchgeführt werden?
Zu den Kontraindikationen einer spezifischen Immuntherapie bzw. Hyposensibilisierung bzw Desensibilisierung gehören:
- Ein nicht gut eingestelltes oder unkontrolliertes Asthma
- Schwere Autoimmunerkrankungen oder Immunschwäche
- Aktive Krebserkrankung
- Einnahme von Betablockern, auch als Augentropfen
SIT oder SLIT? Die Therapien sind kombinierbar!
Wichtig für Patienten mit multiplen Allergien: Generell ist es bei der spezifischen Immuntherapie möglich, Therapien zu kombinieren. Das gilt für die verschiedenen Darreichungsformen wie zum Beispiel die subkutane und die sublinguale Immuntherapie, für Extrakte unterschiedlicher Allergene, was bei multiplen Allergien relevant ist und sogar für die Allergenpräparate verschiedener Hersteller. Auch eine Umstellung von der SLIT auf die SCIT ist möglich, etwa wenn bei der SLIT Nebenwirkungen auftreten, die dem Patienten sehr unangenehm sind.
Quellen:
www.aerzteblatt.de/archiv/187283/Allergenspezifische-Immuntherapie-Gute-Praxis-und-innovative-Ansaetze
(Allergenspezifische Immuntherapie: Gute Praxis und innovative Ansätze Dtsch Arztebl 2017; 114(12): A-587 / B-507 / C-493 Klimek, Ludger)
www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/061-004l_S2k_SIT_2014-12-abgelaufen.pdf
www.altmeyers.org/de/dermatologie/allergie-ubersicht-364
www.altmeyers.org/de/dermatologie/immuntherapie-spezifische-6918
Wichtiger Hinweis
Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.
Autor: A. Eger, mein-allergie-portal.com
Lesen Sie auch
-
Typ-2-Entzündung, Allergie: Was tun, wenn alles zu viel wird?
-
Mastzellen - welche Rolle spielen sie bei Allergien?
-
Alternative Behandlung bei Allergien
Weitere Beiträge
News - Allergie Allgemein
- Deutscher Allergiekongress (DAK) 2024: Neues aus Forschung und Praxis
- Biologika bei Asthma, Neurodermitis, Urtikaria, Nasenpolypen, EoE
- Allergie & Entzündung: Was triggert sie? Therapien!
- 20 Jahre Allergologie im Kloster: Neues zu Diagnostik & Therapie
- Update Allergologie - Immunologie: Was ist neu?
- CFS: Wie kommt es zum chronischen Fatigue-Syndrom?
- Alternative Heilmethoden bei Allergien, geht das?
- Allergie – was ist das?