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Allergie durch Waschmittel? Die Epithelbarriere-Hypothese

Allergien Ursache
Allergien, Autoimmunerkrankungen und neurodegenerative Erkrankungen haben eines gemeinsam, die Schädigung der Epithelbarriere! Sind Emulgatoren in Nahrungsmitteln und Waschmitteln die Ursache? Bildquelle: C. Akdis

Die Entwicklung der letzten sechs Jahrzehnte ist dramatisch. An Allergien erkranken immer mehr Menschen. Was ist die Ursache? Eine entscheidende Rolle bei der Krankheitsentstehung könnten Barrierestörungen der Haut und der Schleimhäute spielen. Beim Allergologen-Treff „Allergologie im Kloster“ sprach MeinAllergiePortal mit Prof. Dr. med. Cezmi A. Akdis, Universität Zürich und Schweizerisches Institut für Allergie- und Asthmaforschung (SIAF), über die neusten Ergebnisse seiner Forschung zur Epithelbarriere-Hypothese.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartner: Prof. Dr. med. Cezmi A. Akdis

Herr Prof. Akdis, was ist die Ursache von Allergien?

Die eine Ursache für Allergien gibt es sicher nicht, denn hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Wir haben jedoch gesehen, dass bei der Entstehung von Allergien Barrierestörungen des Epithels eine wichtige Rolle spielen und die Epithelbarriere-Hypothese entwickelt.

Was ist das Epithel?

Mit „Epithel“ bezeichnet man die oberste Zellschicht des Haut- und Schleimhautgewebes. Wir sprechen hier also sowohl über die „äußere“ als auch die „innere“ Haut. Mit „innerer Haut“ sind die Schleimhäute der oberen und unteren Atemwege - Nasenschleimhaut und Lungenschleimhaut - und die Schleimhäute des Gastrointestinaltraktes gemeint. Die Schleimhäute des Gastrointestinaltraktes umfassen die Mundschleimhaut, die Rachenschleimhaut, die Schleimhaut der Speiseröhre, die Magenschleimhaut und die Darmschleimhaut bis zum Darmausgang. All diese Schleimhäute bilden in ihrer Gesamtheit eine Kontaktfläche mit der Außenwelt, auch wenn sie sich im Körperinneren befinden. Normalerweise ist das Epithel eine Barriere gegen schädigende Stoffe aus der Umwelt. Es schützt unseren Körper vor schädigenden Einflüssen. Ist diese epitheliale Schutzbarriere jedoch gestört, kann es diese Funktion nicht mehr wahrnehmen. Wir haben deshalb die „Epithelbarriere-Hypothese“ formuliert.

Was besagt die Epithelbarriere-Hypothese?

Diese Epithelbarriere-Hypothese besagt, dass die Schädigung der Epithelbarriere bei vielen nicht übertragbaren Krankheiten eine Rolle spielt. Dazu gehören übrigens nicht nur Allergien, sondern auch Autoimmunerkrankungen und neurodegenerative Krankheiten. Weltweit sind 2 Milliarden Menschen betroffenen.

Was schädigt die epitheliale Barriere bzw. die Haut und die Schleimhaut?

Die Hautbarriere und die Schleimhautbarriere können durch die folgenden Einflüsse geschädigt werden:

Was passiert, wenn die Schleimhäute im Inneren und auch die äußere Haut ihre Schutzfunktion verlieren?

Im übertragenen Sinne kann man sagen, die Barriere, der Schutz, wird „löchrig“. Die Tight Junctions, das ist eine Art „Kitt“, der die einzelnen Zellen der Haut bzw. des Epithels zusammenhält, werden löchrig. Dieses Phänomen kennt man bei der Neurodermitis, die ja eine Barrierestörung der Haut ist. Beim Darm spricht dann auch vom Leaky Gut, vom löchrigen Darm. Fremde Substanzen, wie Bakterien, Allergene, Chemikalien etc. können Haut und Schleimhaut durchdringen und gelangen ins Körperinnere. Dort können sie zu Entzündungen und Dysbakterie oder Dysbiose führen. Das bedeutet, das natürliche Mikrobiom bzw. die Bakterienzusammensetzung wird an dieser Stelle negativ verändert. Am Mikrobiom des Darmes wird viel geforscht und man weiß, dass es immer dann zu den unterschiedlichsten Erkrankungen kommt, wenn sich die Zusammensetzung der Darmbakterien verändert und deren Vielfalt reduziert ist. Mit der Epithelbarriere-Hypothese setzen wir einen Schritt früher an, denn die Ursache für ein gestörtes Mikrobiom ist die gestörte Hautbarriere. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass all dies eine Rolle bei vielen nicht übertragbaren Krankheiten wie Allergien, Autoimmunerkrankungen und neurodegenerative Krankheiten spielt.

Welche Allergien, Autoimmunerkrankungen und neurodegenerative Krankheiten können durch eine Barrierestörung von Haut und Schleimhaut ausgelöst werden?

Zu den allergischen Erkrankungen, die in den letzten Jahren dramatisch angestiegen sind und bei denen wir einen Zusammenhang mit einer gestörten Epithelbarriere bzw. Schleimhautbarriere sehen, gehören:

Dabei lassen sich die Allergien und Autoimmunerkrankungen in unterschiedliche Kategorien einteilen. Die erste Kategorie zeichnet sich durch lokal entzündetes Epithelgewebe in den betroffenen Organen aus. Dazu gehören:

  • Asthma bronchiale
  • Neurodermitis - atopische Dermatitis
  • Chronische Rhinitis
  • Eosinophile Ösophagitis
  • Entzündliche Darmkrankheiten
  • Zöliakie

Die zweite Kategorie sind Stoffwechsel- und Autoimmunkrankheiten, ausgelöst durch Defekte in den Barrieren von Lunge oder Darm. Dazu gehören:

  • Fettleibigkeit – Adipositas
  • Diabetes Mellitus
  • Rheumatische Arthritis
  • Multiple Sklerose
  • Fettleber
  • Autoimmune Hepatitis
  • Lupus Erythematodes
  • Morbus Bechterew
  • Darmentzündungen
  • Zöliakie

Zusätzlich wurde eine erhöhte Durchlässigkeit der Darmschleimhaut mit neuropsychiatrischen Störungen in Verbindung gebracht, zum Beispiel:

  • Parkinson
  • Alzheimer
  • Stressinduzierte Psychosen
  • Autismus
  • Chronische Depression

Welche Gemeinsamkeiten haben Allergien, Autoimmunerkrankungen und neurodegenerative Erkrankungen?

Erkrankungen wie Allergien, Autoimmunerkrankungen und neurodegenerative Erkrankungen haben eines gemeinsam: Sie stehen in Verbindung mit Industrialisierung, Modernisierung, und Urbanisierung. Das lässt sich sehr gut anhand von Entwicklungsländern verfolgen. Je mehr sich ein Entwicklungsland am sogenannten „Western Lifestyle“, dem westlichen Lebensstil orientiert, um so stärker steigen auch dort die Erkrankungszahlen an. Detaillierte Studien zeigen auf, wie diese Krankheiten vermutlich von Entzündungen verursacht oder verschlimmert werden. Dies als Reaktion auf negative Veränderungen im Mikrobiom und den Immunzellen in der Lunge und im Darm.

Welche Substanzen schädigen die Epithelbarriere bzw. die Hautbarriere und die Schleimhautbarriere?

Es gibt viele Substanzen, die Haut und Schleimhaut schädigen können. Die Menschen werden aufgrund der Urbanisierung und Modernisierung seit den 1960ern immer mehr Chemikalien und Toxinen ausgesetzt. Ebenfalls werden seit den 1960ern anionische Tenside und Enzyme in Waschmitteln verwendet, um ihre Effektivität zu erhöhen. Gleichzeitig sind diese aber auch eine enorme Belastung für die Schleimhäute und das Hautepithel. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Menschen, die beruflich direkt in Kontakt mit Reinigungsmitteln kommen, häufig Erkrankungen wie Asthma, Rhinitis und Neurodermitis entwickeln. Das konnte auch in Experimenten gezeigt werden.

Wie lässt sich nachweisen, dass Waschmittel ein Grund für die Schädigung von Hautbarriere und die Schleimhautbarriere sein könnten?

In Experimenten hat man bronchiale Epithelzellen, also Schleimhautzellen aus der Lunge, im Reagenzglas mit 50‘000-fach verdünntem Spülmittel behandelt. Daraufhin zeigte sich ein entzündetes und zerstörtes Gewebe, ähnlich einer chronischen Wunde. Gleichzeitig waren die Interleukin-33 Werte erhöht. Das ist auch bei bestimmten Allergien der Fall und es kam auch zu Prozessen, die bei einer gestörten Wundheilung auftreten.

Wie kann Waschmittel die Hautbarriere oder die Schleimhautbarriere schädigen, obwohl die Wäsche in der Waschmaschine gespült wird und dann ja auch trocken getragen wird?

Restlos ausgespült werden anionische Tenside und Enzyme aus den Waschmitteln nicht. Das übriggebliebene Wasser, das sich nach einem Waschgang in Kleidung und Handtüchern befindet, enthält immer noch Waschmittel und aktive Tenside. Diese Tenside können die Tight-Junctions des Epitheliums schwächen, wenn man die Kleidung trägt oder die Handtücher benutzt.

Welche Tenside oder andere Inhaltsstoffe in Waschmitteln greifen die Haut und die Schleimhaut an?

Natriumlaurylsulfat und Natriumdodecylbenzolsulfonat sind weitverbreitete Tenside in allen möglichen Reinigungsmitteln.

Man findet Natriumlaurylsulfat und Natriumdodecylbenzolsulfonat in:

  • Waschmitteln
  • Seifen
  • Shampoos
  • Kosmetika
  • Reinigungsmitteln

Sie verletzten die Tight Junction-Barrieren von Lungen und Haut, und dies selbst dann, wenn sie extrem verdünnt wurden. Unglücklicherweise sind Patienten und Kinder diesen schädlichen Stoffen in Putzmitteln, Waschmittel, Spülmitteln und Kosmetika tagtäglich ausgesetzt und damit bedroht.

Welche Inhaltsstoffe in Lebensmitteln schaden der Schleimhaut des Magen-Darm-Traktes?

Es häufen sich die Beweise dafür, dass der weitverbreitete Einsatz von Emulgatoren in der Lebensmittelindustrie die Darmbarriere schädigt, indem sie die Permeabilität des Darmtraktes erhöhen. Das bedeutet, sie greifen die Tight Junctions an, der Darm wird löchrig und die Durchlässigkeit des Darmes erhöht sich. Das kann eine Ursache für Erkrankungen sein, bei denen die gestörte Darmbarriere eine Rolle spielt. In Experimenten an Hamstern konnte man beobachten, dass Emulgatoren in verarbeiteten Lebensmitteln zu Schleimhautschäden führen. Diese zeigten sich in Form von Zottenatrophie, wie sie auch bei der Zöliakie vorkommt. Selbst Spurenmengen vieler zugelassener Emulgatoren wirken pathophysiologisch ähnlich wie Tenside. Sie verändern die Oberflächenspannung und sind toxisch, also giftig, für Zellen und schädigen die Epithelbarriere. So können Bakterien zwischen den Epithelzellen eindringen können.

Was passiert im Körper, wenn man mit Natriumlaurylsulfat und Natriumdodecylbenzolsulfonat aus Waschmitteln oder Emulgatoren aus Fertigprodukten in Berührung kommt?

Anhand von molekularen und zellulären Mechanismen lässt sich die Epithelbarriere-Hypothese wie folgt erklären:

Zusätzlich zu schädlichen Umwelteinflüssen schädigen lokale Entzündungen die Epithelbarriere. Dabei werden die Epithelzellen, die Schleimhautzellen, aktiviert. Unter anderem kommt es auch zur Ausschüttung von Zytokinen wie Il-25, IL-33 und TSLP (thymic stromal lymphopoietin). Diese spielen eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung und Verschlimmerung allergischer Krankheiten. Durch die löchrige Schleimhaut, deren Tight Junction „nicht funktionieren“, baut sich zwar die Entzündung schneller ab. Gleichzeitig dringen aber durch die löchrige Barriere auch fremde Substanzen leichter in tiefere Gewebeschichten ein und verstärken wiederum die Entzündung. Alle Arten von Entzündungen schädigen aber wiederum die Hautbarriere bzw. Epithelbarriere und das darunter liegende Gewebe – ein Kreislauf beginnt. Untersuchungen haben gezeigt, dass genau diese Prozesse bei der Typ 2-Entzündung eine Rolle spielen. Die Typ-2-Inflammation ist wiederum eine Gemeinsamkeit bei allergischen Erkrankungen wie Asthma, Neurodermitis, Nasenpolypen und EoE, Eosinophiler Ösophagitis. Auch Natriumlaurylsulfat und Natriumdodecylbenzolsulfonat aus Waschmitteln oder Emulgatoren aus Fertigprodukten wirken auf ähnliche Weise toxisch. Vermutlich gibt es hier Zusammenhänge und vermutlich genügen bereits geringe Dosen dieser Substanzen, um die Entzündungskaskade in Gang zu setzen.

Wie genau sieht die Entzündungskaskade aus, wenn man mit Natriumlaurylsulfat und Natriumdodecylbenzolsulfonat aus Waschmitteln oder Emulgatoren aus Fertigprodukten in Berührung kommt?

Bringt man das, was beim Kontakt mit Natriumlaurylsulfat und Natriumdodecylbenzolsulfonat aus Waschmitteln oder Emulgatoren aus Fertigprodukten im Köper passiert, mit der Barriere-Hypothese zusammen, kommt es zum folgenden Prozess:

1. Zunächst dringen in die Barriere-gestörte Haut oder Schleimhaut fremde Substanzen ein, wie zum Beispiel Bakterien, Allergene oder Krankheitserreger

2. Dadurch kommt es zu einer Dysbakterie, Dysbiose oder bakteriellen Fehlbesiedlung

3. Dann dringt das gestörte Mikrobiom in tieferes Gewebe ein und stimuliert das Immunsystem

4. Dies befeuert den Entzündungsprozess und reduziert die Biodiversität

5. Es kommt zu Gewebeentzündungen und lokalen Entzündungen

6. Die chronische Entzündung führt zu einer Umformung und Verdickung des Gewebes, einer Fibrose

Dieser Prozess lässt sich bei vielen chronisch entzündlichen Erkrankungen beobachten. So sind zum Beispiel die Kolonialisierung mit dem Bakterium Staphylokokkus aureus sowie die IgE Immunreaktion darauf heute Merkmale von Asthma, atopischer Dermatitis und chronischer Rhinitis.

Was muss passieren, um diese Entwicklung aufzuhalten?

Es gibt genügend epidemiologische Beweise aus Daten von Menschen und Tiermodellen, die die Epithelbarriere-Hypothese stützen. Hier zeigt sich, dass bereits Spurenmengen gewisser giftiger Substanzen die Epithelbarriere schädigen und das Eindringen von Bakterien erhöhen kann. Daraus folgt, dass Patienten chronischer, nicht übertragbarer Krankheiten Kontakt mit diesen Stoffen vermeiden sollten. Dazu gehören

  • Allergien
  • Autoimmun- und Stoffwechselerkrankungen
  • Neurodegenerative Krankheiten
  • Neuropsychiatrische Störungen

Das bedeutet, Patienten mit Krankheiten, die mit einer gestörten Epithelbarriere in Verbindung gebracht werden, sollten diese Substanzen am besten komplett vermeiden, oder zumindest deren Dosierung so niedrig wie möglich halten.

Für die Industrie bedeutet dies die Forderung, neue und sichere Produkte zu entwickeln.

Die Forschung ist gefragt, Biomarker zu entwickeln, um Personen mit Barrieredefekten zu identifizieren und zu begleiten. Zusätzlich benötigt es Studien zur Entwicklung von vorbeugenden oder therapeutischen Maßnahmen. Dazu gehören auch Änderungen des Lebensstils und der Essgewohnheiten.

Herr Prof. Akdis, vielen Dank für das Interview!

Quellen:

Akdis, Cezmi A., Does the epithelial barrier hypothesis explain the increase in allergy, autoimmunity and other chronic conditions?, Nature reviews, Immunology, 12.4.2021, https://www.nature.com/articles/s41577-021-00538-7

Zeynep Celebi Sozener, Betul Ozdel Ozturk, Pamir Cerci, Murat Turk, Begum Gorgulu Akin, Mubeccel Akdis, Seda Altiner, Umus Ozbey, Ismail Ogulur, Yasutaka Mitamura, Insu Yilmaz, Kari Nadeau, Cevdet Ozdemi, Dilsad Mungan, Cezmi A. Akdis, Epithelial barrier hypothesis: Effect of the external exposome on the microbiome and epithelial barriers in allergic disease, Allergy. 2022;77:1418–1449, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35108405/

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

17. Mai 2022

Autor: S. Jossé/ C. Akdis, www.mein-allergie-portal.com

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