Corona-Impfstoff & Anaphylaxie? Wer ist gefährdet? Risiko PEG?
Mit dem Start der Corona-Impfungen verbreiteten sich die beunruhigenden Nachrichten: Bei einzelnen wenigen Geimpften kam es durch den Corona-Impfstoff zu allergischen Reaktionen bis hin zur Anaphylaxie. Insbesondere Allergiker sind nun verunsichert und fragen sich, ob sie besonders gefährdet sind eine Anaphylaxie zu erleiden. Zudem kam die Frage auf, ob PEG, einer der Inhaltsstoffe des Corona-Impfstoffs von BioNTech/Pfizer, ein möglicher Auslöser der schweren allergischen Reaktionen sein könnte. Dazu sprach MeinAllergiePortal mit Prof. Margitta Worm, Allergologin an der Charité-Universitätsmedizin in Berlin und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI).
Autor: Sabine Jossé M. A.
Interviewpartner: Prof. Margitta Worm
Frau Prof. Worm, es gibt mittlerweile einzelne Meldungen zu allergischen Reaktionen auf den Corona-Impfstoff BNT162b2 von BioNTech/Pfizer, ist das bei Impfstoffen „normal“ oder eher ungewöhnlich?
Schwere allergische Reaktionen auf Impfstoffe sind sehr selten und variieren bezüglich der Häufigkeit zwischen 10: bis 1 : 1 Million.
Erstmals wurde im Dezember 2020 von der BBC von zwei allergischen Zwischenfällen nach der ersten Injektion des Corona-Impfstoffs BNT162b2 von BioNTech/Pfizer berichtet, die in England auftraten.
Bis zum 19. Dezember 2020 sind in Nordamerika bei 6 Personen schwere allergische Reaktionen auf 272.001 Impfungen aufgetreten. Auch im Januar wurde über weitere Fälle in den USA, zuletzt auch in Deutschland berichtet.
Was weiß man aktuell über die Anaphylaxien in Folge des Corona-Impfstoffs?
Laut Medienberichten handelte es sich bei den Fällen in England um Personen mit bekannter „schwerer Allergie“. Sie trugen auch Adrenalin-Autoinjektoren für Notfälle bei sich. Ein BBC-Bericht spricht von ”anaphylaktoiden Reaktionen” mit möglicher Haut-, Atemwegs- und Kreislaufbeteiligung.
Drei der sechs Fälle in den USA zeigten laut CNN unter anderem die folgenden Symptome:
Ein Patient hatte keine allergische Vorgeschichte. Er zeigte erschwertes Atmen und einen erhöhten Puls. Außerdem kam es zu einem Hautausschlag im Gesicht und am Rumpf mit biphasischem Verlauf. „Biphasischer Verlauf“ bedeutet, dass es innerhalb einer gewissen Zeit nach Abklingen der Symptome zu einer zweiten Hautreaktion kam.
Bei dem weiteren Patienten zeigten sich Lidschwellungen, Schwindel und Juckreiz im Hals und bei einem dritten Patienten, von dem ebenfalls keine allergischen Vorerkrankungen bekannt waren, kam es zu einer Zungenschwellung, heiserer Stimme und erschwertem Atmen.
Nach Behandlung mit Adrenalin-Injektionen bildeten sich die Symptome bei allen Impflingen rasch zurück.
Neue Studie!
Man hört, dass PEG ein Bestandteil des Corona-Impfstoffs BNT162b2 von BioNTech/Pfizer ist, der die beschriebenen allergischen Reaktionen ausgelöst haben könnte…
Der Corona-Impfstoff BNT162b2 von BioNTech/Pfizer sowie der mRNA-1273-Impfstoff von Moderna enthalten, neben der spezifischen viralen mRNA, eine Reihe von Zusatzstoffen, die theoretisch eine allergische Reaktion auslösen können.
Die Liste der Inhaltsstoffe des Impfstoffs BNT162b2 von BioNTech/Pfizer enthält - soweit bekannt - neben der modifizierten Virus-mRNA zusätzlich Karbohydrate, diverse Salze und Lipide, eines davon mit Polyethylenglykol (PEG)-2000 gekoppelt. Letzteres formt sogenannte PEGylierte Lipid-Nanopartikel (LNP), in denen die mRNA eingebettet und dadurch stabilisiert ist. Eine Ursache der allergischen oder allergieähnlichen Reaktionen könnte möglicherweise PEG sein.
Was ist PEG und wozu dient es beim Corona-Impfstoff?
PEG ist eine nicht toxische Substanzgruppe und gehört zu den Polymeren. Oft wird PEG auch als „Mikroplastik“ bezeichnet. PEG wird vielen Alltags- und Kosmetikprodukten, wie Cremes, Rasierschaum, Zahnpasta etc., zugesetzt. PEG wird aber auch medizinisch genutzt und in vielen oralen oder intravenös verabreichten Präparaten eingesetzt. Sowohl im Corona-Impfstoff von BioNTech/Pfizer als auch im Impfstoff mRNA-1273 von Moderna ist PEG enthalten.
Was ist über die möglichen allergischen Reaktionen auf PEG bekannt?
Man weiß, dass es zu ungefährlichen, verzögert einsetzenden kontaktallergischen Reaktionen auf PEG kommen kann. Auch Einzelfälle von Soforttypreaktionen auf PEG, bis hin zu anaphylaktischen Reaktionen, wurden beschrieben.
Als weitere Möglichkeit wird derzeit diskutiert, ob es durch PEG-spezifische IgG- und/oder IgM Antikörper zu einer Mastzellaktivierung kommen könnte – einer sogenannten „Complement Activation-Related Pseudoallergy“ (CARPA).
In älteren Studien, die in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren bei Gesunden durchgeführt wurden, konnte man in zwischen 7 und 63 Prozent der Blutserumproben IgG- und IgM-Antikörper gegen PEG nachweisen. Auch aktuelle Untersuchungen an den Blutseren Gesunder zeigen im Mittel bei 72 Prozent der Untersuchten PEG-spezifische Antikörper. In anderen Untersuchungen lagen die Werte bei 20 bis 30 Prozent und damit niedriger. Insgesamt könnte man daraus schließen, dass es durch PEG zu einer Immunreaktion kommen kann.
Welche Erfahrungen hat man mit dem Einsatz von PEG in Impfstoffen gemacht?
Abgesehen von den Corona-Impfstoffen BNT162b2 von BioNTech/Pfizer und mRNA-1273 von Moderna gibt es PEGylisierte Moleküle in anderen Impfstoffen bislang nicht. Man hat hier also keine Erfahrungen. Allerdings gibt es Berichte über nicht-IgE-vermittelte klinische Reaktionen gegen andere PEGylierte Medikamente wie liposomales, PEGyliertes Doxorubicin, ein Arzneistoff, der in der Chemotherapie eingesetzt wird.
Zu beachten ist jedoch: Aktuell steht es nicht mit Sicherheit fest, ob die im Anschluss an die Corona-Impfungen beobachteten Reaktionen gegen den mRNA-basierten Impfstoff von Pfizer-BioNTech durch PEG oder durch andere darin enthaltene Substanzen, wie zum Beispiel die Lipid-Nanopartikel ausgelöst wurden.
Hat man bei den Zulassungsstudien zum Corona-Impfstoff BNT162b2 auch eine erhöhte Anaphylaxiegefahr bei Allergikern festgestellt?
Personen mit schweren Reaktionen auf Impfstoffe oder Hilfsstoffe, die in den jeweiligen Impfstoffen eingesetzt wurden, werden immer von den Zulassungsstudien mit dem Impfstoff ausgeschlossen. Bezüglich einer Anaphylaxiegefahr für Allergiker gab es keine Signale.
Heißt das, dass für Allergiker ein erhöhtes Risiko besteht, durch eine Impfung mit dem Corona-Impfstoff BNT162b2 eine Anaphylaxie zu erleiden?
Nein, dafür gibt es keine Hinweise. Die aktuellen Empfehlungen lauten deshalb: Besteht bei einem Patienten eine bekannte Überempfindlichkeit gegenüber einem oder mehreren Inhaltsstoffen der Corona-Impfstoffe, ist dies eine absolute Kontraindikation gegenüber COVID-19 Impfungen. Das gilt aber aber auch für andere Impfstoffe, zum Beispiel für Impfstoffe gegen Influenza.
Eine vorherige allergologische Abklärung ist für Impflinge nötig, bei denen es nach der ersten Corona-Impfung zu einer Anaphylaxie kam. Auch Patienten mit bekannter Mastozytose, die auf Medikamenteneinnahme anaphylaktisch reagiert haben, sowie nach einer schweren ärztlich behandelten Anaphylaxie, deren Ursache nicht geklärt werden konnte, sollte vor der Anwendung des Corona-Impfstoffs eine allergologische Abklärung erfolgen.
Für Patienten mit Inhalationsallergien, Nahrungsmittel- oder Insektengiftallergien, Urtikaria, Neurodermitis oder allergisches Kontaktekzem, Arzneimittelexanthem, sowie Nasenpolypen oder Asthma bronchiale gelten Impfstoffe im Allgemeinen als unbedenklich. Die vorliegenden Studien zeigen keine Hinweise für ein erhöhtes Risiko für schwere allergische Reaktionen gegenüber Impfstoffen generell und dem COVID-19 Impfstoff von BioNTech oder Moderna.
Neue Studie!
Quelle: M. Worm, J. Ring, L. Klimek, T. Jakob, L. Lange, R. Treudler, K. Beyer, T. Werfel, T. Biedermann, A. Bircher, M. Fischer, T. Fuchs, A. Heller, F. Hoffmann, I. Huttegger, M.V. Kopp, C. Kugler, M. Lommatzsch, O. Pfaar, E. Rietschel, F. Ruëff, S. Schnadt, R. Seifert, B. Stöcker, C. Vogelberg, H. Sitter, U. Gieler, K. Brockow, Anaphylaxie-Risiko bei Covid-19 Impfung – Empfehlungen für das praktische Management, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7814269/
Was weiß man über Wechselwirkungen zwischen den von Allergikern genutzten Therapien, zum Beispiel den Biologika, und dem Corona-Impfstoff BNT162b2?
Aufgrund aktueller Studien und ihres Wirkmechanismus gibt es bislang für die zugelassenen Biologika (Benralizumab, Dupilumab, Mepolizumab, Omalizumab, Reslizumab) zur Behandlung atopischer und/oder eosinophiler Atemwegserkrankungen mit Typ-2-Entzündung keinen Hinweis für ungünstige Wechselwirkungen mit der COVID-19-Erkrankung als solches. Auch in Bezug auf die Wirksamkeit der neuen Impfstoffe ist nicht nicht negativen Wechselwirkungen auszugehen. Die Therapien sollten daher wie geplant durchgeführt werden und müssen nicht unterbrochen werden. Wie bei Totimpfstoffen allgemein empfohlen, können die Impfungen, wenn möglich, zwischen zwei Behandlungsintervalle werden. Ein Impftermin sollte nicht wegen einer Biologikabehandlung nach hinten verschoben, sondern eher die Gabe des Biologikums in Absprache mit dem behandelnden Arzt angepasst werden.
Was sollten Allergiepatienten, die gerade eine spezifische Immuntherapie per Spritze durchführen, im Hinblick auf den Corona-Impfstoff BNT162b2 beachten?
Bei Patienten, die eine Allergen-Immuntherapie mit der Spritze (SCIT) erhalten, lauten die Empfehlungen der Hersteller einen Abstand von 1 bis 2 Wochen zwischen SCIT und Impfung einzuhalten.
Was gilt für Allergiepatienten, die gerade eine orale bzw. sublinguale Immuntherapie mit Tabletten oder Tropfen durchführen?
Eine sublinguale Immuntherapie (SLIT) kann wie üblich weitergeführt werden. Um etwaige Nebenwirkungen der Impfung von Effekten der SLIT zu unterscheiden, wird empfohlen, diese am Tag der Impfung bzw 1-2 Tage nach der Impfung zu pausieren.
Wie lautet Ihre aktuelle Empfehlung für Allergiker, sollten sie eine Corona-Impfung durchführen?
Grundsätzlich gilt:
- Wie gerade besprochen, sollte man in Bezug auf das Risiko von Allergikern bei der Corona-Impfung entsprechend der gerade genannten Empfehlungen vorgehen.
- In unklaren Fällen sollte eine allergologische Beurteilung bezüglich eines möglichen Risikos vor der Impfung durchgeführt werden. Diese Empfehlung gilt für Personen, die eine schwere ärztlich behandelte Anaphylaxie erlitten haben, deren Ursache nicht geklärt ist.
Wichtig ist: Eine Corona-Impfung sollte den Allergie-Patienten nicht pauschal vorenthalten werden und Allergiker sollten auch nicht darauf verzichten.
Frau Prof. Worm, herzlichen Dank für dieses Interview!
Quellen:
1) J. Kleine-Tebbe, L. Klimek, E. Hamelmann, O. Pfaar, C. Taube, M. Wagenmann, T. Werfel, M. Worm, Schwere allergische Reaktionen auf die Covid-19-Impfung – Stellungnahme und praktische Konsequenzen, Allergologie, Jahrgang 44, Nr. 1/2021, S. 7-8. DOI: https://doi.org/10.5414/ALX02215
2) M. Worm, J. Ring, L. Klimek, T. Jakob, L. Lange, R. Treudler, K. Beyer, T. Werfel, T. Biedermann, A. Bircher, M. Fischer, T. Fuchs, A. Heller, F. Hoffmann, I. Huttegger, M.V. Kopp, C. Kugler, M. Lommatzsch, O. Pfaar, E. Rietschel, F. Ruëff, S. Schnadt, R. Seifert, B. Stöcker, C. Vogelberg, H. Sitter, U. Gieler, K. Brockow, Anaphylaxie-Risiko bei Covid-19 Impfung – Empfehlungen für das praktische Management. DOI: 10.1007/s15006-021-9530-6
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