Corona-Lockdown & Social Distancing: Verändert Isolation das Gehirn?
Kann auch bei Zebrafischen das soziale Verhalten durch fehlendes Pth2 beeinträchtigt sein?
Das war nicht der primäre Fokus unserer Studien, aber wir versuchen gerade Verhaltensweisen zu erkunden, die eventuell beeinflusst werden könnten. Für einen Einfluss von Pth2 auf das Verhalten der Tiere spricht, dass schnelle Gentranskriptionsveränderungen mit einem hohen Energieaufwand verbunden sind und sich deshalb wahrscheinlich auch nur evolutionär entwickeln, wenn sie auch eine direkte Konsequenz haben.
Also muss es einen Vorteil haben, Pth2 unter Isolation herunterzuregulieren und in sozialen Gefügen wieder hochzuregulieren?
Ja, und in diesem Kontext ist es wichtig zu erwähnen, um welche Gengruppe es sich handelt. Es geht um Neuropeptide, und diese Moleküle haben sogenannte neuromodulatorische Wirkungen. Man kennt das von anderen Neuromodulatoren wie dem Bindungshormon Oxytocin oder von Stresshormonen. Durch sie wird ein bestimmter Gehirnzustand ausgelöst, und analog dazu könnte man davon ausgehen, dass auch die Anwesenheit von Artgenossen für das Gehirn durch dieses Neuropeptide kodiert wird und dass somit ebenfalls das Gehirn in einen anderen Zustand versetzt wird. Mechanische Reize wie Berührungen scheinen dementsprechend eine Rolle zu spielen. Was das dann konkret für das Verhalten bedeutet müssen wir noch herausfinden.
Fische nehmen mechanischem Reizen über das Seitenlinienorgan wahr. Welches Organ oder welcher Mechanismus wäre das beim Menschen?
Wir wissen, dass das Seitenlinienorgan entlang eines Nervensystems verläuft, das auch die auditive Wahrnehmung steuert. Das Seitenlinienorgan ist dementsprechend mit dem Gehör assoziiert. Allerdings wissen wir nicht, ob das 1:1 übertragbar ist. Für den Fisch hat das Seitenlinienorgan mit Sicherheit eine mechanische Komponente, und wir wissen, dass Pth2 in Nagetieren auch durch mechanische Reize aktiviert wird. Übertragen auf den Menschen wäre das der Körperkontakt.
Auf den Menschen bzw. auf die Isolation durch die Corona-Maßnahmen übertragen: Wie könnte sich der Mangel an mechanischen Reizen in Zeiten von Corona auf die menschliche Psyche auswirken?
Nachdem wir diesen Zusammenhang herstellen konnten, haben wir versucht, passende Datensätze zu finden, um nachzuvollziehen, wie stark Pth2 bei Menschen aus dünn besiedelten Regionen und bei Menschen aus Ballungsräumen vorliegt. Leider gibt es diese Datensätze noch nicht. Wenn man davon ausgeht, dass Pth2 auch bei uns Menschen durch mechanische Reize ausgelöst wird, könnte man annehmen, dass durch soziale Isolation Pth2 in geringerem Maße vorliegt, was auch immer das für uns funktionell bedeuten mag. Hervorzuheben ist an dieser Stelle nochmal, dass der Effekt, bei Fischen zumindest, reversibel ist.