Skip to main content

Alternative Allergiediagnostik: Wann wird es gefährlich?

Alternative Allergiediagnostik gefährlich
Wie gefährlich sind Methoden wie Bioresonanz, Kinesiologie, Dunkelfeldmikroskopie, zytotoxischer Leukozytentest, IgG4-Test, Auspendeln, Wünschelruten, Irisdiagnostik für Allergiker? Bildquelle: C. Hentschel

In die alternative Allergiediagnostik setzen viele insbesondere dann große Hoffnungen, wenn sich die Ursache ihrer Beschwerden nicht so leicht finden lässt. Sie erwarten dann eine sanftere, naturverbundenere Medizin. Allerdings können diese Verfahren auch Risiken bergen, insbesondere für Allergiker. Welche Methoden gehören zur alternativen Allergiediagnostik? Welchen Stellenwert haben sie in der Allergologie und wann wird es gefährlich? MeinAllergiePortal sprach mit Dr. med. Christian Hentschel, Allergologe, Psychotherapeut, Allgemeinmediziner und Experte für Naturheilverfahren in Düsseldorf.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartner: Dr. med. Christian Hentschel

Herr Dr. Hentschel, was ist eigentlich „alternative Allergiediagnostik“?

Zunächst sollten wir den Begriff „alternativ“ klären. Wenn man „Alternative“ aus dem Lateinischen überträgt, dann ist eine „Alternative“ die Entscheidung zwischen zwei gleichwertigen Optionen. Das heißt, man könnte sowohl das eine als auch das andere machen, mit gleichem Ergebnis. Ein praktisches Beispiel: Ich kann den Bus, den Zug, das Schiff oder die Bahn nehmen, um zum Punkt A zu fahren. Das wären Alternativen, denn ich komme immer am gleichen Ort an.

Bei der alternativen Allergiediagnostik bzw. der alternativen Medizin handelt es sich aber leider nicht um gleichwertige Optionen. Häufig sind das Methoden, die eben gerade nicht Alternativen darstellen, weil sie nicht zu einem gleichwertigen Ergebnis kommen. Auch die alternativen Allergiediagnostiken sind außerhalb der wissenschaftlichen Medizin angesiedelt. Dabei erwecken sie jedoch häufig den Eindruck, wissenschaftlich zu sein!

Welche Verfahren gehören zur alternativen Allergiediagnostik?

Beispiele für alternative Methoden, die in der Allergiediagnostik eingesetzt werden, sind unter anderem:

  • Bioresonanz
  • Kinesiologie
  • Dunkelfeldmikroskopie
  • Der zytotoxische Leukozytentest
  • IgG4-Test
  • Auspendeln
  • Wünschelruten
  • Irisdiagnostik

All diese Verfahren werden zwar als „alternative Allergiediagnostik“ propagiert, können diesen Anspruch jedoch nicht erfüllen.

Wie soll eine Allergiediagnose durch Bioresonanz funktionieren?

Die Bioresonanz ist ein von dem deutschen Scientologen Morell entwickeltes Verfahren, das sogenannte Stör-Schwingungen „aufnimmt“, also diagnostiziert. Diese Stör-Schwingungen sollen durch die Allergene verursacht sein und mit der Bioresonanz kann man diese angeblich nicht nur detektieren, sondern auch auslöschen. Durch das Auslöschen der Allergene soll die Symptomatik dann aufhören.

Aber: Bei der Bioresonanz handelt es sich um ein reines Placebo-Verfahren. Es misst leider überhaupt nichts und folglich therapiert es auch überhaupt nichts. Damit ist die Bioresonanz eine rein Placebo-technisch-apparative Methode. Bemerkenswert ist, dass die Bioresonanz ein recht häufig angewandtes Verfahren ist, das aber nicht nur von Heilpraktikern, sondern auch von Ärzten propagiert wird.

Obwohl es de facto nicht möglich ist, mit der Bioresonanz eine Allergiediagnose zu stellen?

Sämtliche Studien, die über die Bioresonanztherapie bisher angefertigt worden sind, kamen zu einem negativen Ergebnis. Eine Studie von Haines1) aus 2002, hat beispielsweise ganz klar gezeigt, dass dieses Verfahren weder etwas misst noch etwas therapiert. Auch die gesetzlichen Krankenkassen haben sich mit diesem Thema auseinandergesetzt und sind zu dem Schluss gekommen, dass dieses Verfahren nicht erstattet wird. Die Bioresonanz ist eine reine Selbstzahlerleistung zu unterschiedlichen Preisen, für ein Verfahren, das wirkungslos ist. Ich würde den Patienten davon abraten.

Was bedeutet Kinesiologie in Bezug auf die alternative Allergiediganostik?

Bei der Kinesiologie handelt es sich um ein Verfahren, das in den 1960er Jahren vom amerikanischen Chiropraktiker George Goodheart entwickelt wurde. Der zentrale Ansatz dieses Verfahrens ist ein sogenannter Muskeltest, der dazu dienen soll, sogenannte „Ungleichgewichte“ im Körper festzustellen. Das heißt, der Patient nimmt zum Beispiel eine potenziell schädliche oder allergene Substanz in die Hand und der Kinesiologe fordert den Patienten dann auf, den Arm zu heben, während er gleichzeitig einen Widerstand gegen den Arm des Patienten aufbaut. Der Kinesiologe will anhand dieses Muskeltests feststellen, ob das Allergen einen schwächenden Effekt auf die Muskelkraft hat. Ein Beispiel: Die Konfrontation des Patienten mit dem „bösen Zucker“ löst dann oft eine Muskelschwäche aus, während die „gute“ Banane dem Körper wieder Energie gibt und die Muskelkraft erhöht. An einer Studie mit 315 Kindern, die von Pothmann2) 2001 veröffentlicht wurde, ist gezeigt worden, dass dieses Verfahren überhaupt keine reproduzierbaren Ergebnisse liefern kann. Das bedeutet, auch die Kinesiologie ist ein Verfahren, das weder etwas misst noch eine Allergie therapiert.

Die Kinesiologie wird dann wahrscheinlich auch nicht von den Krankenkassen finanziert?

Diese Verfahren werden alle nicht von den Krankenkassen bezahlt und ein Patient sollte immer, wenn er zur Kasse gebeten wird, Vorsicht walten lassen! Der gemeinsame Bundesausschuss (GBA) der Ärzte und Krankenkassen, wird von Lobbyorganisationen stets aufgefordert, diese Verfahren zur Erstattung zuzulassen. Wenn der GBA zu der Ansicht kommt, dass diese Verfahren nicht bezahlt werden sollen, kann man sicher sein, dass sie wirkungslos sind.

Was bedeutet Dunkelfeldmikroskopie?

Ja, bei der Dunkelfeldmikroskopie oder Dunkelfeldanalyse handelt es sich um eine Blutdiagnostik. Dazu werden Blutzellen unter dem Mikroskop untersucht, die sich bei dem Vorhandensein einer Allergie angeblich verändern. Auch die Dunkelfeldanalyse ist jedoch eine nicht valide Untersuchungsmethode.

Was ist ein zytotoxischer Leukozytentest und wie soll er Allergien diagnostzieren?

Dieser Test beruht auf dem theoretischen Konstrukt, dass Leukozyten sich verändern, wenn durch Allergien eine „Entzündungsreaktion“ entsteht. Diese Veränderung soll dann gemessen werden, wenn das Blut des Patienten mit bestimmten Lebensmitteln in Kontakt kommt. Der Test basiert nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Welchen Stellenwert haben IgG oder IgG4-Testungen in der Allergiediagnostik?

Auch der IgG oder IgG4-Test ist ein Bluttest. Aber: Das Immunglobulin G (IgG) wird bei der Konfrontation mit Nahrungsmitteln immer eine Reaktion auf die betreffenden Nahrungsmittel zeigen. Das heißt aber nicht, dass die IgG4-Messung eine Allergie detektieren kann. Das ist völlig unsinnig, genauso wie bei den anderen Verfahren. Wenn ein Patient als Ergebnis eines IgG oder IgG4-Tests den Eindruck bekommt, er sei auf eine Vielzahl von Nahrungsmitteln allergisch, kann das schlimme Folgen haben.

Was kann passieren, wenn Patienten auf IgG oder IgG4-Tests vertrauen?

Wenn Patienten auf IgG oder IgG4-Tests vertrauen, kann es sein, dass die Patienten unnötiger Weise monatelang bestimmte Diäten durchführen. Es gibt auch Mütter, die ihre Kinder jahrelang bestimmten Diäten unterziehen. Ganz besonders häufig wird zurzeit die Elimination von Weizen- oder Milchprodukten propagiert, deren Unverträglichkeit angeblich mit dem IgG4-Test gemessen wurde. Das kann im schlimmsten Fall – was aber auch schon passiert ist – zu einer Mangelernährung führen. Insbesondere bei Kindern wäre das besonders schädlich. Hinzu kommt, dass Patienten aufgrund der alternativen Allergiediagnostik oft nicht die richtige Behandlung bekommen.

Wie diagnostiziert man durch Auspendeln eine Allergie?

Viele Patienten vertrauen auch auf das Auspendeln. Es gibt Therapeuten, Ärzte und Heilpraktiker, die sich ausschließlich auf das Pendeln verlegt haben und die Allergien „auspendeln“. Es gibt aber auch Methoden, bei denen durch bestimmte Wünschelruten die Allergene diagnostiziert werden sollen, oder die Irisdiagnostik. Das sind alles Verfahren, die auf keinen Fall eine Allergie diagnostizieren können.

Wie soll eine Allergie mit Hilfe einer Wünschelrute festgestellt werden?

Mit der sogenannten Radiästhesie, sollen Energien, Schwingungen, Strahlungen und Störungen diagnostiziert werden, die dem Menschen schaden. Dazu gehören auch Allergien oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Neben der Wünschelrute werden auch Pendel und andere Gerätschaften dafür eingesetzt.

Wie soll eine Allergie durch Irisdiagnostik festgestellt werden?

Mit der Irisdiagnostik sollen sogenannte Irisphänomene, das heißt Farbe, Dichtigkeit oder sonstige Anzeichen der Regenbogenhaut (Iris) des Auges in Zusammenhang gebracht werden. Diese Methode beruht im Wesentlichen auf der Beobachtung des Untersuchers und kann keine Allergien diagnostizieren.

Wie verhindert die alternative Allergiediagnostik eine adäquate Behandlung der Allergie?

Als Allergologe sehe ich häufig solche Fälle, insbesondere bei Kindern. Aufgrund der alternativen Allergiediagnostik und –therapie werden die Kinder dann nicht einer spezifischen Immuntherapie (SIT) oder einer Asthmatherapie zugeführt. Es gibt Eltern, die bestimmte alternative Methoden bevorzugen und die den Kindern deshalb eine adäquate, wirksame, valide, schulmedizinische Allergie-Therapie vorenthalten. Das heißt, die Kinder haben häufig kein Asthmaspray, die Kinder sind nicht mit der Immuntherapie behandelt oder haben keine Antihistaminika. Das sind die gefährlichen Dinge, die dabei passieren können, wenn man auf alternative Methoden vertraut: Es kommt zu einer Unterlassung der Therapie, die Patienten werden nicht adäquat behandelt und die Symptome verschlimmern sich.

Kann diese Nichtbehandlung der ursprünglichen Erkrankung auch noch zu weiteren Erkrankungen führen?

Ja, das ist möglich. In der Allergologie kommt es häufig zu weiteren allergischen Erkrankungen, wenn man eine Allergie nicht adäquat behandelt. Am Anfang ist der Patient sensibilisiert und zeigt nur nasale Symptome. Unbehandelt kann es zu einem Etagenwechsel kommen und zu einem Asthma bronchiale ausarten – also von der Rhinitis zum Asthma. Für die Gesundheit der Betroffenen ist das natürlich äußerst negativ. Eine rechtzeitige Therapie hätte dem Patienten viel Leiden ersparen können. Hinzu kommen unnötige Kosten für das Gesundheitssystem.

Das heißt die Eltern, die eigentlich glauben, ihrem Kind etwas Gutes zu tun, erreichen das Gegenteil?

Leider ja! Während meiner Tätigkeit im Asthmakrankenhaus in Mönchengladbach, dem Kamillianer-Krankenhaus, musste ich zum Beispiel den Fall erleben, dass Eltern ihrem Kind ausschließlich alternative Medikamente verabreicht hatten. Dies obwohl das Kind aufgrund eines allergischen Asthmas obstruktiv und blau angelaufen war. Sie meinten es gut und wollten das Kind nicht schädigen, aber genau das Gegenteil ist passiert.

Viele Menschen vertrauen heutzutage alternativen Testungen. Sie unterziehen sich, häufig, insbesondere beim Colon irritabile, dem Reizdarm-Syndrom, das fälschlicherweise für eine Nahrungsmittelallergie gehalten wird, monate- bis jahrelang einer Diät, die völlig unnötig ist. Dadurch kann es zu einer Mangelernährung kommen. Auch kann die Lebensqualität der Patienten ganz stark eingeschränkt sein. Deshalb rate ich zu einer klaren schulmedizinischen Diagnostik von Allergien, die auch von den Krankenkassen bezahlt wird.

Herr Dr. Hentschel, herzlichen Dank für dieses Gespräch! 

Quellen:

1) J. D. Haines, The King Of Quacks: Albert Abrams, M.D., Skeptical Inquirer, Volume 26, No. 3, May / June 2002

2) Pothmann R1, von Frankenberg S, Hoicke C, Weingarten H, Lüdtke R., Evaluation of applied kinesiology in nutritional intolerance of childhood, Forsch Komplementarmed Klass Naturheilkd. 2001 Dec;8(6):336-44

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

27. Dezember 2021

Autor: S.Jossé/C. Hentschel, mein-allergie-portal.com

Artikel teilen

Lesen Sie auch

Weitere Beiträge