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Zöliakie, Glutensensitivität: Was sind extraintestinale Symptome?

Zöliakie Glutensensitivität extraintestinale Symptome
Zöliakie – Glutensensitivität: Es gibt auch Symptome außerhalb des Magen-Darm-Traktes! Quelle: Y. Zopf

Viele denken bei Zöliakie und dem relativ neuen Krankheitsbild  Nicht-Zöliakie Weizensensitivität (NCWS), im Volksmud meist als Glutensensitivität bezeichnet, vor allem an Symptome im intestinalen Bereich, das heißt an Magen-Darm-Beschwerden. Tatsächlich ist dies nicht immer der Fall, denn auch extraintestinale Symptome können bei Patienten mit Zöliakie und Menschen mit einer NCWS vorkommen. Mit extraintestinalen Symptomen sind all jene Beschwerden gemeint, die sich eben nicht im Magen-Darm-Trakt zeigen und deshalb häufig gar nicht erst mit Zöliakie oder NCWS in Verbindung gebracht werden. MeinAllergiePortal sprach mit Prof. Dr. med. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport, Fachärztin für Innere Medizin und Ernährungsmedizinerin am Universitätsklinikum Erlangen über extraintestinale Symptome bei Zöliakie und NCWS.

Autor: Sabine Jossé M.A.

Interviewpartner: Prof. Dr. med. Yurdagül Zopf

Frau Prof. Zopf, welche extraintestinalen Symptome können durch eine Zöliakie verursacht werden?

Die Patienten können Störungen im blutbildenden System entwickeln, das heißt Blutungen, Ödeme etc.. Auch eine Verminderung der Knochendichte, Muskelbeschwerden, Sensibilitätsstörungen, hormonelle Störungen, Erkrankungen der Haut und Leberentzündung können auftreten. Ferner können Gelenkschmerzen, rezidivierende Aphten der Mundhöhle, Blässe, Ödeme, Amenorrhö und Infertilität entstehen.

Kann es auch bei der Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität zu diesen extraintestinalen Symptomen kommen?

Auf jeden Fall! Bei beiden Erkrankungen kann es sowohl zu Magen-Darm-Beschwerden als auch zu extraintestinalen Beschwerden kommen. Die Symptome von Zöliakie und Glutensensitivität ähneln sich wirklich stark. - Allein aufgrund der Symptomatik lassen sich die Erkrankungen deshalb nicht unterscheiden. Die Diagnose der Glutensensitivität erfolgt als Ausschlussdiagnose, nach Ausschluss der Zöliakie oder Weizenallergie. Die Glutensensitivität ist eine wichtige Differenzialdiagnose der Zöliakie und wurde deshalb jetzt erstmals in die neue Zöliakie-Leitlinie1) integriert.

Auch Menschen mit einer Glutensensitivität vertragen glutenhaltige Getreide nicht. Aktuell wissen wir aber noch gar nicht genau, ob es das Gluten ist, das nicht vertragen wird, oder ob die Unverträglichkeit von anderen Bestandteilen des Weizens, wie zum Beispiel ATI oder FODMAPs,ausgelöst wird. Fest steht lediglich, dass Menschen mit Glutensensitivität , genau wie Zöliakie-Patienten, von einer glutenfreien Diät profitieren.  Da noch unklar ist, welcher Bestandteil des Weizens die Symptome auslöst, empfiehlt die neue Zöliakie-Leitlinie, den bislang verwendeten Begriff Glutensensitivität durch "Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität" zu ersetzen.

Gehören auch psychische Störungen, wie Depressionen, Angststörungen, Panikattacken und Burnout, die bei Zöliakie gehäuft auftreten, zu den extraintestinalen Symptomen bei Zöliakie und Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität?

Ja, auch psychische Störungen gehören bei Zöliakie und Glutensensitivität zu den extraintestinalen Symptomen. Es wird zunehmend deutlich, dass eine Assoziation zwischen Zöliakie, NCWS bzw. Glutensensitivität und Symptomen, wie Depressionen, Angststörungen, Panikattacken und Burnout, vorliegt. Insbesondere im letzten Jahr häufen sich bei uns die Zuweisungen aus der Psychiatrie. Zum Beispiel litt eine meiner Patientinnen, eine junge Frau, unter schwersten Panikattacken. Nach einer Ernährungsumstellung - und hier ging es hauptsächlich um die Getreideanteile – hörten die Panikattacken auf.

Heißt das, es wäre sinnvoll, Patienten mit psychischen Problemen grundsätzlich auf eine eventuelle Zöliakie oder Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität zu untersuchen?

Es wäre durchaus eine sinnvolle Maßnahme, Patienten mit psychischen Störungen, wie Depressionen, Angststörungen, Panikattacken und Burnout, auf Zöliakie und Glutensensitivität zu untersuchen, und es gibt bereits Kliniken, die das systematisch machen.

Es gibt übrigens auch noch andere Erkrankungen, bei denen man festgestellt hat, dass eine glutenfreie Kost die Symptome lindern kann. Dies ist zum Beispiel beim Fibro-Myalgie-Syndrom (FMS) der Fall. Dabei handelt es sich um ein Schmerz-Syndrom mit einer bestimmten Schmerzkonstellation, die sich durch diffuse Schmerzen, unter anderem an den Gelenken, auszeichnet. Da man einen Zusammenhang zwischen FMS und der Ernährung vermutete, hat man in Kliniken, die sich auf das Fibro-Myalgie-Syndrom spezialisiert haben, eine Studie durchgeführt, in der man diese Patienten auf eine glutenfreie Ernährung umgestellt hat. Ein ganz großer Anteil dieser Patienten hatte unter glutenfreier Kost keine Schmerzen mehr.

Treten diese extraintestinalen Symptome zusammen mit den intestinalen Symptomen auf oder kann es auch sein, dass man bei Zöliakie oder Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität keinerlei intestinale Beschwerden hat?

Sowohl bei der Zöliakie als auch bei der Glutensensitivität können die Patienten primär extraintestinale Symptome aufweisen, auch ohne zusätzlich intestinale Beschwerden zu haben. Beispielsweise gibt es Patienten, die nur eine leichte Depression haben. Es gibt auch Patienten, die eigentlich gar keine Beschwerden hatten, zum Beispiel wenn Zöliakie eine Zufallsdiagnostik ist und die sich dann unter glutenfreier Kost mental besser und leistungsfähiger fühlen. Zu einer solchen Zufallsdiagnostik kann es dann kommen, wenn im Rahmen von Zöliakieerkrankungen bei Kindern nahe Verwandte ebenfalls auf Zöliakie untersucht werden und sich dabei zeigt, dass sie ebenfalls eine Zöliakie haben.

Ein anderer Fall aus meiner Praxis ist eine 67-jährige Patienten, die massiven Haarausfall hatte. Auch hier ergaben die Untersuchungen, dass sie unter einer Zöliakie litt. Sie war erst mit 67 Jahren erstmals auf diese Erkrankung untersucht worden. Dies ist ein weiteres Beispiel für Symptome der Zöliakie, die eben nicht den Magen-Darm-Trakt betreffen.

Heißt das, dass es in diesen Fällen zu keinen intestinalen Beschwerden kommt, so dass der behandelnde Arzt eine Zöliakie nicht in Erwägung zieht?

Ganz genau. Viele Kollegen, die mit der Erkrankung einer Zöliakie nicht so oft konfrontiert werden, gehen bei ausschließlich extraintestinalen Symptomen häufig nicht davon aus, dass auch der Magen-Darm-Trakt involviert ist. Deshalb denken sie nicht an diese Diagnose und führen auch die entsprechenden Untersuchungen nicht durch.

Hinzu kommt, dass manchmal nicht adäquat ausgebildete Berater Ernährungsempfehlungen aussprechen, ohne zuvor eine solide Diagnose gestellt zu haben. Ohne Diagnostik sollte man aber nicht auf eine glutenfreie Ernährung umstellen,auch deshalb, weil dies eine Diagnose unmöglich macht.

Ein weiterer Punkt ist, dass Untersuchungen zur Diagnose von Zöliakie auch von Medizinern manchmal nicht korrekt durchgeführt werden. Wenn ein Patient sich bereits glutenfrei ernährt, liegen die im Blut vorhandenen Antikörper unterhalb der Bestimmungsschwelle und sind nicht mehr nachweisbar. Das Ergebnis der Blutuntersuchungen wird dann falsch negativ sein. Genauso ist unter einer glutenfreien Diät bei einer Biopsie des Dünndarms eine Zöliakie-typische Veränderung der Darmschleimhaut nicht mehr nachweisbar.

Um eine valide Diagnose durchführen zu können, müssen die Patienten dann für vier Wochen täglich mindestens 10 bis 15 g Gluten essen, damit man die Antikörper wieder nachweisen kann. Es werden jedoch von nicht spezialisierten Ärzten immer wieder Zöliakieuntersuchungen durchgeführt, obwohl der Patient unter glutenfreier Kost ist, und das führt dann natürlich zu falschen Diagnosen.

Hinzu kommen die IgG-Tests, die aus medizinischer Sicht allgemein nicht anerkannt sind. In diesen Tests werden viel zu viele falsch positive Werte angegeben. Es gibt zwar immer wieder Patienten, die berichten, dass es ihnen deutlich besser ging, nachdem sie alle Lebensmittel, die im IgG-Test als problematisch ausgewiesen wurden, weggelassen haben. Dies liegt aber daran, dass bei der Vielzahl der verbotenen Nahrungsmittel die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass auch das unverträgliche Nahrungsmittel dabei ist. Eine gezielte Diät ist das aber nicht, und irgendwann stellt sich dann eine Mangelernährung ein, die auch wiederum Beschwerden verursachen kann.

All diese Gründe führen dazu, dass es auch heute noch zwischen 5 und 10 Jahre dauern kann, bis eine Zöliakie-Diagnose gestellt wird. Es ist unglaublich, dass die Diagnose teilweise noch so lange dauert. Bei Auftreten von intestinalen Beschwerden denkt der behandelnde Arzt noch am ehesten an die Zöliakie. Aufgrund der extraintestinalen Symptome stellen sich die Patienten aber nicht immer primär bei einem Gastroenterologen vor und Kollegen aus den anderen Fachbereichen denken bei diesen eher „untypischen“ Symptomen dann nicht so sehr an die Zöliakie.

Welche Konsequenzen hat es für den Patienten, wenn die Diagnose Zöliakie gar nicht oder sehr spät gestellt wird?

Ein Zöliakie-Patient benötigt eine regelmäßige Nachsorge, weil es bei der Erkrankung gewisse Komorbiditäten, d.h. Begleiterkrankungen gibt. Dazu zählen u.a. Probleme mit der Knochendichte, Leberprobleme und die Gefahr, dass es zu Tumoren oder Lymphomen kommt. Zudem ist eine unbehandelte Zöliakie mit dem vermehrten Auftreten einer Autoimmunthyreoiditis oder einer Diabetes Typ1- Erkrankung assoziiert. Auch können aufgrund der genetischen Disposition die eigenen Kinder betroffen sein. Wer nicht weiß, dass er eine Zöliakie hat, kann auch nicht alle zwei Jahre systematisch auf gewisse Risikoerkrankungen untersucht werden bzw. seine Kinder untersuchen lassen. Aus diesen Gründen ist die Diagnose bei der Zöliakie so entscheidend.

Sie führten eine Studie zum Thema Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität durch, können Sie dazu etwas berichten?

Wie erwähnt, sind die Auslöser der Beschwerden bei einer NCWS noch immer nicht klar, und neben den Glutenen werden zum Beispiel auch die FODMAPs des Weizens als Trigger-Substanzen in Betracht gezogen. Daher führten wir eine Studie bei Patienten mit klinischem Verdacht auf eine NCWS durch, um den Einfluss von Gluten und FODMAPs bei dieser Erkrankung zu erfassen. Wir beobachteten, dass bei diesen Patienten bereits eine 2-wöchige FODMAP-arme Diät eine deutliche Linderung der klinischen Beschwerden erbrachte. Eine anschließende 2-wöchige glutenfreie Diät führte zu einer weiteren Symptomverbesserung. Im Rahmen dieser Studie wurde bei einer Magenspiegelung zusätzlich eine Gewebeprobe aus dem Dünndarm entnommen und auf Entzündungsmarker untersucht. Auch hier konnten wir bereits nach Einhalten einer 2-wöchigen glutenfreien Diät eine Abnahme an Entzündungszellen in der Darmschleimhaut feststellen. Ferner untersuchten wir die Darmflora der Patienten, da Verschiebungen in der Zusammensetzung der Darmbakterien die Beschwerden zusätzlich verschlimmern können. Hierbei beobachteten wir signifikante Unterschiede in der Zusammensetzung des Mikrobioms bei diesen Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen. Dies alles deutet auf ein multifaktorielles Geschehen bei der Entstehung der NCWS hin, mit einer milden Stimulation des Immunsystems durch Glutene.

Frau Prof. Zopf, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Quelle:

1) Autoren: J. Felber, H. Bläker, W. Fischbach, S. Koletzko, M. W. Laaß, N. Lachmann, P. Lorenz, P. Lynen, Reese, K. Scherf, D. Schuppan, M. Schumann, Collaborators: D. Aust, S. Baas, S. Beisel, J. de Laffolie, E. Duba, W. Holtmeier, L. Lange, C. Loddenkemper, G. Moog, T. Rath, E. Roeb, D. Rubin, J. Stein, H. Török, Y. Zopf, Aktualisierte S2k-Leitlinie Zöliakie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), Dezember 2021 – AWMF-Registernummer: 021-021, https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-021l_S2k_Zoeliakie_2021-12_1.pdf

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

03. August 2022

Autor: S. Jossé, Y. Zopf, www.mein-allergie-portal.com

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