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Lebenslang glutenfrei bei Zöliakie? Aber wenn es doch gar nicht weh tut! 

Zöliakie glutenfrei essen
Sinkt die Lebenserwartung, wenn man sich bei Zöliakie nicht glutenfrei ernährt? Bildquelle: S. Mannhardt

Eine Zöliakie ist eine chronische Darmerkrankung, die ein Leben lang bestehen bleibt. Ausgelöst werden die Beschwerden bei Zöliakie durch Gluten, ein Klebereiweiß, das unter anderem in Weizen, Roggen, Dinkel, Hafer und Gerste vorkommt. Die Betroffenen müssen deshalb ein Leben lang auf Gluten verzichten. Darüber wie wichtig es bei Zöliakie ist, auf Gluten zu verzichten, sprach MeinAllergiePortal mit Dipl oec. troph. Sonja M. Mannhardt, Gesundheitsmanagement, Schliengen.

Autor: Sabine Jossé M.A.

Interviewpartner: Dipl oec. troph. Sonja M. Mannhardt

Frau Mannhardt, von Zöliakie betroffene Menschen dürfen unter keinen Umständen glutenhaltige Nahrungsmittel zu sich nehmen. Was ist dabei für die Patienten die größte Herausforderung?

Zum einen ist bei Zöliakie die Lebensmittelindustrie eine Herausforderung. Gluten ist eine Substanz, die in sehr vielen Lebensmitteln enthalten sein kann. Man findet Gluten deshalb auch in Lebensmitteln, wo man es nicht vermuten würde. Außerdem: Rezepturen können sich ändern. Deshalb kommen immer wieder neue Lebensmittel dazu, die ebenfalls Gluten enthalten. Hier im Alltag den Überblick zu behalten, ist nicht so ganz einfach. Zwar besteht für Gluten eine Deklarationspflicht, doch das bedeutet, man muss die Zutatenlisten akribisch lesen. Einfach ins Regal greifen, das geht bei Zöliakie nicht, weil bereits kleine Mengen den Darm schädigen können. Hinzu kommt das Umfeld. Ein weiteres Risiko beim Verzehr glutenfreier Getreide/Pseudogetreide und anderer Lebensmittel sind Gluten-Kontaminationen im Ernte-, Herstellungs-, Verarbeitung,- Verpackungs- und Lagerungsprozess.

Wie können Menschen mit Zöliakie dann sicher sein, dass ein Produkt glutenfrei ist?

Am sichersten sind glutenfeie Produkte, die das europäische Symbol der durchgestrichenen Ähre tragen. Sie dürfen dann nicht mehr als 20 mg/kg Gluten enthalten und dürfen auch die Aufschrift „kann Spuren von Gluten enthalten“ nicht tragen. Das bedeutet, dass sie für Zöliakie-Betroffene sicher sind. Dies gilt auch für „von Natur aus glutenfrei“. Auch bei diesen Produkten muss der Grenzwert von 20mg/kg eingehalten werden.

Warum ist das Umfeld für Patienten mit Zöliakie eine Herausforderung bei der glutenfreien Ernährung?

Eine weitere Herausforderung stellt es für Betroffene dar, dem Umfeld klarzumachen, was Zöliakie bedeutet. Zöliakie ist keine Allergie, die sofort ins Krankenhaus führt, wenn mal etwas Falsches gegessen wird. Dennoch darf das Ganze nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Viele, die Zöliakie nicht kennen, tendieren dazu, diese zu bagatellisieren. Sie nehmen den Wunsch von Zöliakie Patienten aus Unkenntnis mit der Zeit häufig nicht mehr so ernst.  Auch sind Gastronomen noch immer viel zu wenig geschult, um zu gewährleisten, dass Patienten mit einer Zöliakie-bedingten Glutenunverträglichkeit guten Gewissens auswärts essen könnten. Viele Betroffene haben folglich Mühe damit Essen zu gehen und büßen damit auch ein Stück Sozialleben ein.

Es gibt mittlerweile eine große Auswahl an glutenfreien Produkten, ist das nicht eine große Erleichterung für die Betroffenen?

Sicherlich gibt es heutzutage ein großes Angebot an glutenfreien Produkten. Das ist kein Vergleich zu der Zeit vor 25 Jahren, als wir so gut wie keine glutenfreien Spezialprodukte hatten, die frei von Gluten waren. Natürlich kann ein Mensch ohne Brot leben, auch ohne Pizza oder Paniermehl. Es ist aber ganz wunderbar, dass kein Zöliakie-Patient mehr auf irgendein Produkt verzichten muss, sondern dass er für alles eine Alternative findet. Doch all diese Spezialnahrungsmittel nützen nichts, wenn der Zöliakie Betroffene außerhalb der eigenen vier Wände befürchten muss, fast überall auf Gluten zu treffen und Gluten mittlerweile zum Modetrend avanciert ist. Dieser Trend führt leider dazu, dass das Umfeld nicht mehr unterscheidet zwischen WILL auf Gluten verzichten und MUSS auf Gluten verzichten.

Manche Patienten haben den Eindruck, dass sie Gluten nach einer gewissen Karenzzeit trotz Zöliakie wieder vertragen. Ist dieser Eindruck richtig oder falsch?

Erst vor wenigen Wochen hatte ich eine Patientin, die meinte, Gluten wieder zu vertragen. Erst auf meine genaue Anamnese hin, erzählte sie von ihrer Zöliakie, die sie "in der Kindheit" hatte.  Seit über 10 Jahren esse sie wieder normal. Dass ihr Eisenmangel, ihre depressiven Verstimmungen, ihre Fehlgeburten mit ihrer Zöliakie zusammenhängen könnten, das hat sie nicht gedacht. Auch hat sie nicht vermutet, dass ihre Laktoseunverträglichkeit, weshalb sie zu mir gekommen war, eher eine Folge der Zöliakie, als die eigentliche Ursache ihrer Beschwerden sein könnte. Früher hätte sie ja einen "dicken Bauch" gehabt und Durchfälle und war so klein. Heute hat sie nur noch Durchfall, wenn sie "viele Früchte" esse und auch keinen dicken Bauch mehr. Als der Arzt damals in Bulgarien sagte, es hätte sich nun "ausgewachsen", glaubten ihre Eltern und sie selbst, es sei wieder alles in Ordnung. Leider ist das ganz und gar nicht der Fall. Die GFD (Glutenfreie Ernährung) soll bei gesicherter Diagnose Zöliakie lebenslang strikt eingehalten werden. Das bedeutet, dass die Glutenmenge bei weniger als 10 mg pro Tag liegen soll.

Wie merkt man, dass man eine Zöliakie ohne Symptome hat?

Hat der Klient tatsächlich gar keine Symptome, geht er ja leider nicht zum Arzt oder zur Ernährungstherapeutin. Eine Diagnose kann dann nicht gestellt werden, vielfach über Jahre hinweg. Meist ist diese Zöliakie dann ein Zufallsbefund. Häufig ist es aber so, dass die Patienten mit einer unerkannten Zöliakie „unspezifische Unverträglichkeiten“ haben. Oft wird dann ein „Reizdarm“ vermutet oder eine Histaminunverträglichkeit“. Auch neurologische Probleme oder Hautprobleme können auftreten, wenn die Zöliakie nicht erkannt wird.

Gibt es weitere Anzeichen, die auf eine nicht erkannte Zöliakie hinweisen?

Kürzlich war eine Patientin bei mir, die mehrere Fehlgeburten hatte. Das kann ebenfalls ein Hinweis auf eine Zöliakie sein. Wir empfehlen dann eine genauere Diagnostik, weil der Blick auf Zöliakie bei Erwachsenen häufig „verstellt“ ist und sie einfach vergessen wird. Nicht umsonst wird sie auch „Chamäleon der Gastroenterologie“ genannt.

Erst vergangene Woche wurde eine solche Patientin bei mir angemeldet. Sie war zum Arzt gegangen, weil sie stark Gewicht verloren hatte und so müde war. Seit ihrer Corona Infektion klagte sie verstärkt über chronische Erschöpfung und Müdigkeit Der Arzt stellte eine Anämie fest und das hat ihn bewogen genauer hinzuschauen und er wurde fündig: Die Patientin hatte Zöliakie.

Warum ist es bei Zöliakie ganz besonders wichtig, dass die Betroffenen streng auf Gluten verzichten?

Isst ein Allergiker etwas, was ihm nicht guttut, so spürt er sofort am eigenen Leib, dass etwas nicht stimmt. Bei Zöliakie ist das nicht immer so deutlich. Die Zöliakie Symptome im Erwachsenenalter sind eher unspezifisch, sprich, könnten auch etwas anderes sein und der Betroffene hat nicht immer sofort Schmerzen. Das kann Menschen dazu verleiten, das mit der Diät nicht mehr ganz so genau zu nehmen. Letztendliche Gewissheit, ob der Darm geschädigt ist, hat man bei Zöliakie nicht von außen, sondern nur, wenn man den Darm tatsächlich anschaut.

Was passiert bei Zöliakie, wenn man Gluten isst, kann es zu weiteren Erkrankungen kommen?

Wenn man trotz Zöliakie Gluten isst, können sich die Darmzotten durch das Gluten erneut zurückbilden oder sie verschwinden ganz. Dann wird die Oberfläche des Darmes immer geringer. Die Folge sind Mangelernährungszustände, weil nicht mehr genügend Nährstoffe aufgenommen werden können. Eine Anämie oder eine Laktoseintoleranz treten relativ schnell auf. Auch das Ausbleiben der Menstruation, Osteoporose, Nervenschäden und Epilepsie können die Folgen sein, ebenso wie ein erhöhtes Risiko für Lymphome des Dünndarms oder Frühgeburten. Bei Kindern ist Zöliakie der häufigste Grund einer Gedeihstörung und Verhaltensauffälligkeiten. Doch all das ist bei striktem Einhalten der Diät nicht zu befürchten.

Könnte es auch zu Auswirkungen auf die Lebenserwartung kommen, wenn man trotz Zöliakie Gluten isst?

Betroffene, die konsequent Gluten meiden, haben dieselbe Lebenserwartung wie Gesunde. Wer trotz Diagnose weiterhin Gluten isst, schädigt seinen Darm und erhöht sein Risiko an Darmkrebs zu erkranken.

Steigt durch Zöliakie das Risiko, an Krebs zu erkranken?

Das Darmkrebs-Risiko ist bei Menschen mit Zöliakie zwar nur leicht erhöht, doch neuere Studien konnten zeigen, dass der Risikoanstieg insbesondere Patienten betrifft, die die Zöliakie Diagnose erst nach dem 40. Lebensjahr erhalten haben. Das Risiko für Darmkrebs ist wohl im ersten Jahr nach der Zöliakie-Diagnose am größten.

Doch nicht nur der Darm kann Krebs entwickeln. Nach Angaben der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (DZG) ist die Wahrscheinlichkeit für Hals-Nasen-Ohren-Tumoren bei Zöliakie fast 10-mal höher als bei der Normalbevölkerung. Das Risiko von Speiseröhrenkarzinomen liegt bei Zöliakie um 12,3-mal höher, und die Wahrscheinlichkeit für ein T-Zell-Lymphom ist gar 42,7-fach erhöht. Sollte man also von Zöliakie betroffen sein, ist es unabdingbar die glutenfreie Ernährung strikt einzuhalten.

Wie schnell erholt sich der Darm bei Zöliakie unter glutenfreier Ernährung?

Über 90 Prozent der Patienten sprechen ausgesprochen gut auf die glutenfreie Ernährung an. Die Schleimhaut regeneriert sich recht schnell. Besserungen sind schon innerhalb weniger Wochen zu erkennen. Innerhalb weniger Monate bis spätestens 1 Jahr nach Beginn der Diät haben sich die Zotten meist völlig regeneriert und deren Funktionalität ist vollkommen wiederhergestellt. Doch das hängt auch vom Ausgangszustand ab. Bei Marsh 2- oder 3a-Läsionen kann die Schleimhaut nach 6 bis 12 Monaten ausgeheilt sein (Marsh 0), bei Marsh 3b- oder 3c-Läsionen dauert es häufig länger als 2 Jahre.

Welche Untersuchungen sollte man bei Zöliakie regelmäßig durchführen?

Es werden jährliche Kontrolluntersuchungen empfohlen, um Mangelerscheinungen und Komplikationen, sowie Folgeerkrankungen der Zöliakie auszuschließen. Außerdem sollten jährlich die tTG-IgA Antikörper bestimmt werden. Negative tTG-Antikörper weisen auf eine glutenfreie Ernährung des Patienten hin. Bei Patienten und Patientinnen mit IgA-Mangel soll ein IgG-basierter Test (EMA, tTG-IgA, dGP) gemacht werden.

Frau Mannhardt, herzlichen Dank für dieses Interview!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

22. Juli 2022

Autor: S. Jossé/S. Mannhardt, www.mein-allergie-portal.com

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