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Probiotika bei Reizdarm und Allergie

Probiotika Neurodermitis Asthma Reizdarm
Prof. Dr. med. Heiner Krammer über Probiotika bei Neurodermitis, Asthma oder Reizdarm! Bildquelle: H. Krammer

Beim Reizmdarm sollen Probiotika einen positiven Effekt haben. Das gleiche gilt auch für atopische Erkrankungen wie allergische Rhinitis - Heuschnupfen - oder Asthma und Neurodermitis. Dabei können sie sowohl präventiv als auch therapierend wirken. Es gibt für einige Erkrankungen durch Studien belegte Behandlungsansätze. MeinAllergiePortal sprach mit Prof. Dr. med. Heiner Krammer, Praxis für Gastroenterologie und Ernährungsmedizin am End- und Dickdarm Zentrum Mannheim (edz) über aktuelle Therapiemöglichkeiten, welche Bakterien helfen und wie wichtig es ist, die richtigen Probiotika-Bakterienstämme einzusetzen.

Autor: Sabine Jossé M.A.

Interviewpartner: Prof. Dr. med. Heiner Krammer

Herr Prof. Krammer, bei welchen Erkrankungen können Probiotika helfen?

Man muss bei den Probiotika zwischen möglichen und nachgewiesenen Anwendungsgebieten unterscheiden

Mögliche Anwendungsgebiete von Probiotika wären unter anderem:

  • Helicobacter pylori
  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten
  • Long-COVID
  • Depressionen und Angststörungen
  • Neurodegenerative Erkrankungen (wie Demenz oder Alzheimer)
  • Allergische Rhinitis (Heuschnupfen)
  • Osteoporose
  • Starkes Übergewicht (Adipositas) und das metabolische Syndrom
  • Und viele mehr…

Für welche Erkrankungen wurde die Wirksamkeit von Probiotika nachgewiesen?

Zu den Anwendungsgebieten von Probiotika mit einer klar nachgewiesenen Wirksamkeit gehören unter anderem die folgenden Erkrankungen:

  • Reizdarmsyndrom
  • Reizmagen
  • Divertikelkrankheit
  • Prävention von Antibiotika-assoziierten Diarrhöen oder C. difficile-Infektionen
  • Rezidivprophylaxe von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Pouchitis
  • Atopische Erkrankungen wie z.B. Neurodermitis und Asthma
  • Prophylaxe bei wiederkehrenden Atemwegsinfekten

Es gibt also Anwendungsgebiete, bei denen die Probiotika eher präventiv eingesetzt werden und Anwendungsgebiete, bei denen man versucht, eine bestehende Erkrankung durch eine Modulation der Darmflora zu therapieren.

Welche Probiotika können bei Neurodermitis helfen?

Neurodermitis gehört zu den atopischen Erkrankungen. Dies sind Erkrankungen deren Risiko vererbt wird und bei denen das Immunsystem der Betroffenen auf harmlose Reize überreagiert und allergische Reaktionen auslöst. Die bekanntesten atopischen Erkrankungen sind Heuschnupfen, Asthma und Neurodermitis. Bei Patienten mit Neurodermitis liegt zusätzlich noch eine erblich bedingte extreme Hauttrockenheit sowie eine geschwächte Barrierefunktion der Haut vor, sodass sich die Symptome auf der Haut manifestieren.

In den letzten Jahren gab es einige Anstrengungen und klinische Studien zur Vermeidung von atopischen Erkrankungen durch die Einnahme von Probiotika von Schwangeren und/oder Säuglingen. Langzeitergebnisse zeigen allerdings keine oder nur sehr geringe Effekte dieser Maßnahme auf das Risiko eine atopische Erkrankung zu entwickeln.

Anders sieht es inzwischen bei der Behandlung der Neurodermitis aus. Hier gibt es vielversprechende probiotische Ansätze: Besonders hervor sticht eine Placebo-kontrollierte Goldstandardstudie mit den beiden Stämmen Lactobacillus paracasei GMNL-133 und Lactobacillus fermentum GM-090 : Die klinische Studie zeigte, dass die Einnahme der beiden Bakterienstämme über 12 Wochen zu einer deutlichen Reduktion der Neurodermitis-Beschwerden, einer geringeren Empfindlichkeit gegenüber Reizstoffen und einer deutlich verbesserten Lebensqualität führte. Weitere Untersuchungen zeigten, dass diese Bakterienstämme das Darmmikrobiom so modulieren, dass das Immunsystem der Betroffenen Signale erhält genau die Immunzellen zu fördern, welche die allergische Überreaktion einbremsen. Zusammenfassend heißt das, inzwischen kann man die Neurodermitis nicht nur von außen zum Beispiel durch Hautcremes - Feuchtigkeits- und Fett-Cremes und Kortison-Cremes - sondern zusätzlich mittels ausgewählter Probiotika natürlich aus dem Bauch heraus behandeln. 

Werden Probiotika denn auch schon zur Behandlung von Asthma eingesetzt?

Auch Asthma gehört wie schon erwähnt zu den atopischen Erkrankungen. Die zugrundeliegende Überreaktion des Immunsystems kann sich in unterschiedlichen Symptomen und an unterschiedlichen Organen äußern. Bei Asthmatikern sind vor allem die Bronchien der Lunge betroffen. Diese ziehen sich anfallsweise zusammen und produzieren zähen Schleim, sodass es bei den Betroffenen zu Atemnot, Reizhusten und pfeifenden Geräuschen beim Ausatmen kommt. Asthma wird leider häufig durch ein Ungleichgewicht des Darm-Mikrobioms begleitet. Um das Immunsystem mit Hilfe von nützlichen Bakterien wieder zu regulieren, müssen probiotische Bakterien besondere Eigenschaften mitbringen. Die beiden oben erwähnten Bakterienstämme Lactobacillus paracasei GMNL- 133 und Lactobacillus fermentum GM-090 haben eben diese immunregulierenden Eigenschaften und konnten in einer klinischen Studie zeigen, dass ihre Einnahme über 12 Wochen die Lungenfunktion und den Asthma Schweregrad der Kinder verbesserte und das Asthma so besser unter Kontrolle gebracht wurde. Somit steht auch bei diesem Krankheitsbild eine Behandlung mittels spezifischer Probiotika, ergänzend zur Standard-Medikation, zur Verfügung.

Werden Probiotika heute schon standardmäßig zur Therapie von Neurodermitis und Asthma eingesetzt?

Auch wenn Probiotika derzeit meist noch nicht in der Behandlungsroutine atopischer Erkrankungen sind, würde ich als behandelnder Arzt den Einsatz von Probiotika als therapeutisches Konzept jedoch immer befürworten, vorausgesetzt der Patient ist an einer solchen Behandlung interessiert. Bei einer Therapie mit Probiotika geht der Patient keine Risiken ein und deshalb ist sie aus meiner Sicht immer einen Versuch wert. Wichtig ist aber, dass nur Probiotika mit nachgewiesenen klinischen Effekten zur Behandlung empfohlen werden!

In welcher Form kann man Probiotika zu sich nehmen, in Nahrungsmitteln oder als Nahrungsergänzungsmittel?

Als Probiotika werden erstmal alle Präparate bezeichnet, die lebende und gesundheitsförderliche Bakterien beinhalten. Die bekanntesten Vertreter sind zum Beispiel die Gattungen Lactobacillus, Bifidobacterium, Enterococcus und Streptococcus. Diese kommen natürlich auch in fermentierten Lebensmitteln vor, wie zum Beispiel Sauerkraut oder Naturjoghurt. Jedoch nicht in der Menge, die einen entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit von Erkrankten Personen machen kann. Zudem ist bei Lebensmitteln unklar, welche Bakterienstämme genau enthalten sind und ob diese einen spezifischen Effekt haben können.

Die Qualität eines Probiotikums, die sich unter anderem durch eine sorgfältige Auswahl der enthaltenen Bakterienstämme abgrenzen lässt, ist jedoch entscheidend. Es gilt nicht „viel hilft viel“. Weder eine sehr hohe Dosierung noch eine sehr hohe Anzahl an Bakterienstämmen entscheidet über die Wirkung eines Probiotikum. Vielmehr gilt es, die für den Gesundheitszustand passenden Bakterienstämme auszuwählen und diese, wie ein Arzneimittel auch, in der wissenschaftlich geprüften Dosierung einzunehmen.

Ist mit Probiotika angereicherter Joghurt sinnvoll?

Joghurts oder Drinks aus dem Supermarkt, die zusätzlich probiotische Stämme enthalten, richten sich genau wie traditionelle Naturjoghurts grundsätzlich an gesunde Personen und dienen als sinnvoller Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung. Sie können das allgemeine Wohlbefinden bei gesunden Menschen durchaus unterstützen. Bei Patienten mit einem definierten Krankheitsbild stellt Joghurt, egal ob mit zugesetzten Kulturen oder nicht, jedoch keinen angemessenen Ersatz dar. Hier sollten immer ausgewählte und klinisch erforschte Bakterienstämme in den nachgewiesenen Dosierungen zum Einsatz kommen.

Wie wirken Probiotika am besten, als Pulver oder als Kapsel?

Probiotika werden in unterschiedlichen Darreichungsformen angeboten, mal als Pulver oder in Kapselform. Die Darreichungsform hat bei hochwertigen Probiotika keine besondere Bedeutung und beeinflusst nicht die Wirkung. Es ist vielmehr Geschmacksache, ob man lieber eine Kapsel schluckt oder ein Pulver in Flüssigkeit auflöst. Vor allem Kinder haben manchmal Probleme beim Schlucken von Kapseln. Hier eignen sich ausgewählte mikrobiologische Präparate in Pulverform oder auch als Kautablette.

Zu beachten ist, hochwertige und klinisch untersuchte Probiotika findet man vor allem in Apotheken und weniger im Supermarkt, in der Drogerie oder auf Webseiten wie Amazon.

Wie genau wirken die Probiotika?

Zunächst müssen Probiotika die Magen-Darm-Passage überwinden. Dafür sind hochwertige Probiotika, die in der Apotheke erhältlich sind, nachgewiesenermaßen, besonders widerstandsfähig gegenüber Magen- und Gallensäuren. Im Dickdarm angekommen siedeln sie sich an, verstärken die dort ansässigen Mikrobiota in ihrer Funktion und entfalten ihre positive Wirkung auf die Darmflora.

Je nach Bakterienstamm können die Probiotika, ausgehend vom Darm, das Folgende bewirken:

  • die Verdauung regulieren.
  • essentielle Vitamine bereitstellen.
  • die körpereigene Abwehr und das Immunsystem unterstützen und modulieren.
  • die Darmbarriere stärken
  • Krankheitserreger verdrängen.
  • mit dem Nervensystem kommunizieren.

Welche Probiotika mit welchem Bakterienstamm helfen beim Reizdarm, gibt es eine Empfehlung?

Viele Patienten fragen, welche Probiotika bei Reizdarm zu empfehlen sind. Bei der Behandlung mit Probiotika ist es ausschlaggebend, den richtigen Bakterienstamm zur Behandlung der jeweiligen Beschwerden auszuwählen. Probiotikum ist nicht gleich Probiotikum. Orientierung geben hier die aktuell vorliegenden Studien.

Zum Beispiel wurde in einer Studie konkret nachgewiesen, dass der spezifische Bakterienstamm Lactobacillus plantarum alle typischen Reizdarm-Beschwerden lindern kann. Die Studienteilnehmer gaben unter anderem an, dass sich die Bauchschmerzen, Blähungen und Stuhlgangveränderungen deutlich linderten. Wegen seiner hervorragenden Wirkung bei Reizdarm-Patienten wird dieser probiotische Bakterienstamm, neben anderen Bakterienstämmen, zum Beispiel Lactobacillus casei Shirota, in der deutschen Behandlungs-Leitlinie für Ärzte empfohlen und ist in jeder Apotheke als Kapsel-Probiotikum erhältlich.

Was kann man als Reizdarm-Betroffener noch tun um seine Beschwerden langfristig los zu werden?

Das Reizdarmsyndrom äußert sich sehr individuell und es gibt derzeit keine ursächliche Behandlung oder Standardtherapie. Inzwischen weiß man vielmehr, dass mehrere Behandlungsstrategien kombiniert werden sollten um eine möglichst effiziente und schnelle Linderung der Beschwerden zu erzielen und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Zur symptomorientierten medikamentösen Therapie sollen Probiotika eingesetzt werden und individuelle Ernährungsempfehlungen sowie Entspannungstechniken wie Yoga oder Darmhypnose in Angriff genommen werden.

Eignen sich Probiotika auch für Kinder, zum Beispiel zur Behandlung vom Reizdarm?

Generell eignen sich Probiotika für alle Altersgruppen. Da sich das Mikrobiom und das Immunsystem aber im Laufe des Lebens verändert, gibt es manchmal auch Unterschiede in der Wirksamkeit spezifischer Stämme in verschiedenen Altersgruppen, zum Beispiel bei Kindern oder Senioren. Gerade bei Kindern würde ich zur Sicherheit immer nur diejenigen mikrobiologischen Präparate empfehlen, die auch in klinischen Studien an Kindern ihre Sicherheit und Wirksamkeit bewiesen haben. Dies ist unter anderem für die beiden Stämme Lactobacillus paracasei und Lactobacillus fermentum für die Behandlung von Neurodermitis und Asthma der Fall. Aber auch die beiden Stämme Lactobacillus acidophilus und Bi­fidobacterium lactis konnten in klinischen Studien mit Kindern zeigen, dass sie das Auftreten typischer Erkältungssymptome und die Erkältungsdauer reduzieren können. Und auch die sichere Anwendung von Lactobacillus plantarum 299v bei Kindern und Jugendlichen mit Reizdarmsyndrom wurde in klinischen Studien gezeigt.

Sind Probiotika auch in der Schwangerschaft verträglich?

In der Regel geht man davon aus, dass die Einnahme von Probiotika keine schädlichen Wirkungen mit sich bringt. Es gibt sogar viele Studien, die gezeigt haben, dass Schwangere und die Kinder davon profitieren. Trotzdem empfiehlt es sich in der Schwangerschaft immer, den behandelnden Arzt oder die Hebamme über die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln oder Medikamenten zu informieren.

Herr Prof. Krammer, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

18. Oktober 2022

Autor: S. Jossé/ H. Krammer, www.mein-allergie-portal.com

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