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Nahrungsmittelunverträglichkeit oder Allergie?

Wann ist eine Nahrungsmittelunverträglichkeit beim Kind eine Allergie und wann nicht?
Prof. Dr. med. Eckard Hamelmann zur Frage wann ist eine Nahrungsmittelunverträglichkeit beim Kind eine Allergie und wann nicht? Bildquelle: E.Hamelmann

Zeigt ein Kind auf bestimmte Speisen eine Nahrungsmittelunverträglichkeit vermuten die Eltern schnell eine Allergie auf diese Lebensmittel. Nicht immer ist jedoch eine Nahrungsmittelallergie die Ursache für die Symptome der Kinder. Auch nicht allergisch bedingte Nahrungsmittelunverträglichkeiten können zu ähnlichen Symptomen führen. Was also ist der Unterschied bei den Unverträglichkeiten? Wann ist es eine Allergie? Gibt es Tests auf Lebensmittelunverträglichkeiten oder Allergien bei Kindern? MeinAllergiePortal sprach mit Prof. Dr. med. Eckard Hamelmann, Chefarzt am Kinderzentrum im Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartner: Prof. Dr. med. Eckard Hamelmann

 

 

Nahrungsmittelunverträglichkeit beim Kind: Die wichtigsten Fakten!

Es gibt allergisch bedingte und nicht allergisch bedingte Nahrungsmittelunverträglichkeiten

Bei einer klassischen allergischen Nahrungsmittelunverträglichkeit vom Soforttyp findet man IgE-Antikörper im Blut

Seltener sind IgG-vermittelte allergisch bedingte verspätet auftretende Nahrungsmittelunverträglichkeiten

Sehr viel häufiger sind nicht-allergische Nahrungsmittelunverträglichkeiten, wie zum Beispiel Laktoseintoleranz oder Fruktosemalabsorption

Eine klare Diagnose ist die Voraussetzung für eine wirksame Therapie

 

Herr Prof. Hamelmann, was ist eine allergisch bedingte Nahrungsmittelunverträglichkeit?

Von einer allergisch bedingten Nahrungsmittelunverträglichkeit oder Nahrungsmittelallergie spricht man immer nur dann, wenn eine immunologische Grundlage der Unverträglichkeit vorliegt. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn man im Blut einen Antikörper findet, der gegen ein bestimmtes Allergen aus einem Nahrungsmittel reagieren kann. Bei der klassischen Allergie vom Soforttyp findet man dann typischerweise einen IgE-Antikörper. Viel seltener sind Unverträglichkeiten, die sich anhand von anderen als IgE-Antikörpern manifestieren. Man spricht dann von IgG-vermittelten Unverträglichkeiten.

Was ist eine nicht allergische, IgG-vermittelte Nahrungsmittelunverträglichkeit?

Bei IgG-vermittelten Nahrungsmittelunverträglichkeiten erfolgt die Unverträglichkeitsreaktion im Gegensatz zur allergischen Reaktion diffuser und verspätet, also nicht unmittelbar nach dem Allergenkontakt. Außerdem treten IgG-Antikörper als eine normale Reaktion nach dem Verzehr von Nahrungsmitteln auf.

Was bedeutet es, wenn man in Allergietest IgG-Antikörper auf bestimmte Lebensmittel findet?

IgG-Antikörper bilden sich also auch bei völlig gesunden Menschen. Das bloße Vorhandensein von IgG-Antikörpern ist noch kein Hinweis auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit und darf in keinem Falle zu unsinnigen Diäten führen. Leider sehen wir immer häufiger, dass sich Patienten durch den Nachweis vieler IgG-Antikörper große, aber unberechtigte Sorgen vor einer echten Allergie machen. Sie verzichten dann auf viele Nahrungsmittel und riskieren damit sogar einen Nährstoffmangel für sich oder ihre Kinder.

Was versteht man dann generell unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten?

„Nahrungsmittelunverträglichkeiten“ bedeutet einfach nur, dass man bestimmte Nahrungsmittel nicht oder schlecht verträgt. Das kann vielfältige Ursachen haben und muss nicht immer allergisch bedingt sein. So gibt es nicht-allergische Nahrungsmittelunverträglichkeiten, wie zum Beispiel die Laktoseintoleranz oder die Fruktosemalabsorption. Bei beiden handelt es sich um sogenannte Malabsorptionen, eine Enzymschwäche, die zu einem Verdauungsproblem führt. Der Körper ist hier nicht in der Lage, bestimmte Zucker aufzuspalten. Diese nicht abgebauten Doppelzucker verursachen dann Symptome wie Durchfälle, Blähungen und Übelkeit.

Was ist der Unterschied zwischen einer Laktoseintoleranz und einer Allergie auf Kuhmilch?

Eine Laktoseintoleranz hat nichts mit der durch Protein verursachten Kuhmilchallergie zu tun, bei der schon ganz geringe Mengen zu schweren allergischen Reaktionen führen können. Insofern unterscheiden sich auch die Symptome bzw. die Symptomintensität der Nahrungsmittelallergie und der Nahrungsmittelunverträglichkeit. Eine besondere und nicht unumstrittene Form der Unverträglichkeit ist die sogenannte Histaminunverträglichkeit.

Was ist eine Histaminunverträglichkeit?

Es gibt Nahrungsmittel, die vermehrt Histamin freisetzen. Dazu gehören unter anderem Weichkäse, Rotwein, bestimmte Obstsorten und alles, was lange gereift ist. Manche Menschen können dieses Histamin nicht ausreichend abbauen und reagieren darauf mit Übelkeit, Blutdruckabfall oder einem sogenannten Flush, das ist eine Hautrötung bzw. ein Wärmegefühl. Dann gibt es natürlich auch nicht immunologisch oder allergisch bedingte Unverträglichkeitsreaktionen. Dazu gehören beispielsweise Unverträglichkeitsreaktionen auf verdorbene Nahrungsmittel, wie etwa auf die Toxine in verdorbenem Fisch.

Wie unterscheidet man dann eine nicht IgE-vermittelte von einer echten IgG-vermittelten Nahrungsmittelunverträglichkeit?

Eine klare Diagnose ist ganz wichtig, um letztlich eine echte Nahrungsmittelallergie herauszufinden und die nötigen Diätmaßnahmen ansetzen zu können. Ob wirklich eine Nahrungsmittelunverträglichkeit besteht, ermittelt man, indem man zunächst das verdächtige Nahrungsmittel für etwa zwei Wochen weglässt. Bessern sich darunter die Beschwerden, ist der Verdacht bestätigt und man provoziert die Patienten unter standardisierten Bedingungen mit dem speziellen Nahrungsmittel, man nennt das „orale Provokation“. Zeigen sich unter der Provokation erneut die Symptome und man findet entsprechende spezifische IgE-Antikörper, ist der Beweis der Nahrungsmittelallergie erbracht. Finden sich trotz positiver Reaktion auf diese Unverträglichkeits-Tests keine IgE-Antikörper im Blut, kann es sich um eine IgG-Antikörper-vermittelte Reaktion handeln, die man dann bestimmen sollte – aber auch nur dann!

Gibt es Risikofaktoren bei Kindern, die allergische Erkrankungen begünstigen?

Die normale Entwicklung des Immunsystems bewirkt, dass im Laufe der Reifung des Immunsystems eine IgE-Produktion abgestellt wird. Dann bildet sich eine klinische und immunologische Toleranz gegen das bestimmte Allergen bzw. Nahrungsmittel aus. Durch diese Regulation des Immunsystems wird eine möglicherweise vorliegende erhöhte IgE-Produktion wieder herabgesetzt. Bei einigen Kindern reicht diese Regulation aber nicht aus oder fehlt vollständig, so dass sich hier eine Allergie entwickeln kann. Risikofaktoren hierfür sind besonders genetischer Art. Wenn also die Eltern oder Geschwister bereits eine Allergie und/oder Asthma und/oder Neurodermitis haben, erhöht dies das Allergierisiko für das Kind. Man nennt das auch eine „Familienanamnese für atopische Erkrankungen“.

Heißt das, dass bei kleinen Kindern die Entwicklung von Sensibilisierungen, also die Produktion von IgE-Antikörpern, Teil eines ganz normalen Reifeprozesses ist?

In der Tat ist es so, dass sich unterhalb des normalerweise messbaren Bereiches bei vielen Kindern zu Beginn ihres Lebens eine IgE-Produktion gegen bestimmte Nahrungsmittel feststellen lässt, die dann aber wieder verschwindet. Das ist Teil einer normalen physiologischen Entwicklung. Es findet sich aber auch bei vielen Kindern eine IgE-Produktion in geringem Maße, in der Größenordnung der RAST- Klassen 1 und 2, ohne dass diese Kinder Symptome entwickeln. Für die Eltern ist es deshalb wichtig zu wissen, dass der Nachweis von IgE-Antikörpern im Blut nicht mit dem Nachweis einer echten Nahrungsmittelallergie gleichzusetzen ist. Ein positiver IgE-Test belegt lediglich eine Sensibilisierung. Dies allein sollte nicht der Anlass sein, eine Diät durchzuführen.

Manche der im Kleinkindalter auftretenden Allergien verschwinden mit zunehmendem Alter, manche nicht. Wovon hängt dies ab? Wie lässt sich dies beeinflussen?

Ein wesentlicher Faktor ist die Art des Allergens. Zu den transienten Allergien, das sind die Allergien, die sich wieder verlieren, zählen überwiegend die Allergie auf Hühnereiweiß und die Allergie auf Kuhmilch. Zu den persistierenden, also den bleibenden Allergien, zählen vor allem die Fischallergie, die Erdnussallergie und die Baumnussallergie. Bestimmte Allergene sind so potent, dass sie immer wieder sehr starke IgE-Reaktionen bzw. Booster Reaktionen auslösen. So "erinnert" sich zum Beispiel das Immunsystem bei der Erdnussallergie durch die Bildung von Memory B-Zellen sehr gut an das Allergen. Bei jedem Kontakt werden immer wieder sehr hohe Mengen an IgE produziert und dies wird auch beibehalten. Bei anderen Allergenen, wie zum Beispiel bei Milch und Ei, ist die Bereitschaft zur natürlichen Toleranzentwicklung viel größer.

Wie behandelt man eine nicht allergische Unverträglichkeit von Nahrungsmitteln?

Bei einer Unverträglichkeit aufgrund einer Malabsorption muss der Konsum der betreffenden Zuckerstoffe, zum Beispiel Laktose oder Fruktose, reduziert werden. Eine Unverträglichkeit ist weniger gefährlich als eine Allergie. Kleine Mengen des unverträglichen Lebensmittels werden meist problemlos vertragen.

Wie sieht die Therapie bei einer Nahrungsmittelallergie aus? oder eine Unverträglichkeit vorliegt?

Bei der nachgewiesenen klinisch relevanten Nahrungsmittelallergie ist die aktuell einzige Therapieform die strenge Eliminierung. Bereits kleinste Mengen des spezifischen Allergens können zu schweren Reaktionen führen, bzw. zum Anaphylaktischen Schock. Zur Therapie gehört deshalb auf jeden Fall auch eine gute Anaphylaxie-Schulung für Patienten und Familien. In jedem Falle ist eine gute Ernährungsberatung ausschlaggebend für den Erfolg der Therapie. Das Team muss immer aus Patient, Arzt und Ernährungsberatung bestehen. Eine neue Möglichkeit für die Behandlung einer Allergie stellt die Orale Immuntherapie (OIT) dar, die mittlerweile zur Behandlung der Erdnuss-Allergie zur Verfügung steht. Zu anderen Nahrungsmittelallergien laufen klinische Studien

Im schlimmsten Fall kann eine Nahrungsmittelallergie zu einer anaphylaktischen Reaktion kommen. Welche Faktoren erhöhen dieses Risiko?

Es gibt drei Faktoren, die das Risiko einer Anaphylaxie für Nahrungsmittelallergiker erhöhen. Zum einen ist auch hier die Art des Allergens ein Faktor. Hier besteht ein höheres Risiko für einen Anaphylaktischen Schock, wenn es sich um aggressive Allergene wie in Erdnüsse, Baumnüsse und Fisch handelt, also wenn es um persistierende Allergien geht. Als zweites ist die Höhe der Sensibilisierung ein Faktor: bei starken Sensibilisierungsgraden, wie etwa bei der RAST-Klasse 5 oder 6, steigt das Risiko einer anaphylaktischen Reaktion. Allerdings ist man, im Umkehrschluss, bei einer leichten Sensibilisierung, wie bei der RAST-Klasse 2 oder 3, nicht völlig geschützt vor einer Anaphylaxie. Der dritte Faktor sind die sogenannten Augmentationsfaktoren, bei deren Vorliegen das Risiko für eine Anaphylaxie erhöht ist.

Die folgenden Faktoren können das Risiko für einen anaphylaktischen Schock auf Nahrungsmittel erhöhen:

  • körperliche Belastung
  • Infekte
  • psychischer Stress
  • gleichzeitiges Asthma

Prof. Hamelmann, vielen Dank für das Gespräch!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

28. März 2023

Autor: S. Jossé/E. Hamelmann, www.mein-allergie-portal.com

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