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Histaminintoleranz: Hormone, Schwangerschaft, Wechseljahre

Histaminintoleranz Hormone
Alles zum Zusammenhang zwischen einer Histaminintoleranz und Hormonen besonders bei Frauen! Bildquelle: K.Wiemer

Wie wirken sich die Hormone auf Histaminintoleranz aus? Viele Frauen mit Histaminintoleranz stellen sich diese Frage, insbesondere in der Schwangerschaft und den Wechseljahren. MeinAllergiePortal sprach mit Dr. med. Kai Wiemer, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie am Klinikum Westfalen in Kamen.

Autor: Sabine Jossé M. A.

Interviewpartner: Dr. med. Kai Wiemer

Herr Dr. Wiemer gibt es einen Zusammenhang zwischen Histaminintoleranz und Hormonen?

Ja, Histaminintoleranz und Hormone stehen in einem Zusammenhang! Zum einen ist das Histamin ein biogenes Amin, das hormonähnliche Wirkungen im Körper haben kann. Außerdem kann sich die Symptomatik der Histaminintoleranz bei Frauen, die die Pille nehmen und in der Schwangerschaft reduzieren.

Ist die Histaminintoleranz ein „Frauenproblem“?

Der Anteil von Frauen unter den mutmaßlich histaminintoleranten Patienten liegt mit 80 Prozent deutlich über dem Männeranteil.

Wodurch reduzieren sich die Symptome der Histaminintoleranz durch die Einnahme der Pille?

Es gibt Fallberichte aus denen hervorgeht, dass es bei manchen Frauen mit Histaminintoleranz durch die Einnahme der Pille zu einer Reduktion der Symptome kommt. Allerdings sind das lediglich Erfahrungsberichte, keine wissenschaftlichen Studien. Dabei scheint die Zusammensetzung des Hormonpräparates eine Rolle zu spielen, zum Beispiel ob Progesteron oder Gestagen enthalten sind. Allerdings sind die Zusammenhänge zwischen der Histaminintoleranz und der Einnahme der Pille nicht immer eindeutig. Einheitliche Empfehlungen zur Pilleneinnahme für Histaminintolerante kann man deshalb daraus nicht ableiten. Es gibt zwar seit 2021 eine neue Leitlinie zum Vorgehen bei oral aufgenommenem Histamin https://register.awmf.org/assets/guidelines/061-030l_S1_Vorgehen-bei-Verdacht-auf-Unvertraeglichkeit-gegenueber-oral-aufgenommenem-Histamin_2022-03.pdf , aber nach meiner Kenntnis enthält diese ebenfalls keine einheitlichen Empfehlungen zur Pilleneinnahme bei Histaminunverträglichkeit.

Welche Pille ist die richtige bei Histaminintoleranz?

Die Datenlage insgesamt zur Histaminintoleranz ist nicht sehr gut, und auch zur Pilleneinnahme wird lediglich in einzelnen Fallberichten postuliert, dass Progesteron Präparate Symptome wie Zyklusschmerzen oder auch Migräne kontrollieren könnten. Dies sind Symptome, die auch bei der Histaminintoleranz auftreten können. Die DGGEF e.V., die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin e.V., gibt hierzu allerdings keine einheitlichen Empfehlungen.

Wodurch kommt es bei Frauen in der Schwangerschaft zur Reduktion der Histaminintoleranz-Symptome?

Kommt es zur Befruchtung, beginnt der Körper der Frau relativ rasch, Schutzmechanismen für das werdende Leben aufzubauen. Diese Schutzmechanismen verhindern, dass das Immunsystem den Embryo als Fremdkörper einordnet. Dazu gehört auch der Schutz vor Histamineinfluss, der zu einem frühen Abort führen könnte. In der Schwangerschaft produziert der weibliche Körper deshalb hohe Mengen an Diaminoxydase, dem Enzym, das Histamin abbaut. Der Diaminoxidase-Level in Gebärmutter und Plazenta schwangerer Frauen kann bis zu 500fach höher sein, als dies normalerweise der Fall ist. So kann es passieren, dass histaminunverträgliche Frauen in der Schwangerschaft eine deutliche Verbesserung ihrer Symptome erleben. Für die Frauen ist das sehr positiv, denn plötzlich können sie all die histaminreichen Speisen essen, die sie normalerweise nicht vertragen haben.

Wie entwickelt sich die Histaminintoleranz nach der Schwangerschaft?

Mit dem Ende der Schwangerschaft ist der Effekt der besseren Verträglichkeit von Histamin wieder vorbei. Histaminintoleranz ist ein sehr umstrittenes Krankheitsbild. Die Tatsache, dass histaminintolerante Frauen während der Schwangerschaft plötzlich wieder histaminreiche Speisen vertragen, ist aus meiner Sicht aber ein deutlicher Hinweis auf die Existenz der Erkrankung.

Könnte man den positiven Effekt hoher Mengen an Diaminoxidase in der Schwangerschaft durch entsprechende Enzympräparate „kopieren“?

Die üblichen Diaminoxidase-Präparate sind zum einen nicht so hochdosiert. Zum anderen haben sie nicht bei allen Histaminintoleranz-Patienten eine symptomkontrollierende Wirkung. Die Patienten müssen das individuell ausprobieren.

Gibt es noch andere Hormone, die bei der Histaminintoleranz Auswirkungen auf die Symptome haben könnten?

Auch die klassischen Stresshormone, wie Adrenalin oder Cortisol könnten bei der Histaminintoleranz eine Rolle spielen. Zum Beispiel gibt es Fallberichte zu Kindern mit ADHS, die auf eine Beteiligung hormoneller Wirkungen an den ADHS-typischen Unruhezuständen hinweisen. Das biogene Amin Histamin kann möglicherweise Adrenalinausschüttungen im Körper erhöhen und dadurch aggressive Unruhezustände fördern. Es gibt Eltern, die von einer Verbesserung dieser Unruhezustände und des Aggressionsverhaltens ihrer Kinder unter einer histaminarmen Diät, durch die sich der Nervenstoffwechsel ändern kann, berichten. Allerdings ist dies wiederum nicht das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie, sondern lediglich ein Fallbericht.

Bedeutet das, dass Stress Symptome und Histaminintoleranz Symptome ähnlich aussehen können?

Wenn Menschen einer Belastung ausgesetzt sind, muss man davon ausgehen, dass vermehrt Stresshormone ausgeschüttet werden. Das gilt sowohl für die Akutreaktion, bei der es zu einer Adrenalinausschüttung kommt, als auch für chronische Stresssituationen mit Cortisolerhöhung. Es kann dann durchaus zu Symptomen kommen, wie sie bei der Histaminunverträglichkeit auftreten. Eine glasklare Trennung der Symptomatik durch Histamin oder durch Stress ist hier nicht möglich.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen den Hormonen Kortison und Cortisol und der Histaminintoleranz?

Glukokortikoide und insbesondere Cortisol sind klassische Stresshormone, die von der Nebennierenrinde tageszeitabhängig ausgeschüttet werden. Zum Beispiel kommt es am Morgen zu einem deutlichen Cortisolhoch. Auch hier gibt es Hinweise darauf, dass es Patienten mit Unruhestörungen oder Panikzuständen unter einer Histamin-Auslassdiät deutlich besser geht. Ein Problem besteht darin, dass viele Patienten mit allergischen Grunderkrankungen unter einer Kortison-Therapie stehen. Dadurch verwischen sich oft die Grenzen zwischen der physiologischen Cortisol-Ausschüttung und der medikamentösen Kortison-Behandlung.

Welchen Einfluss haben die Wechseljahre auf Frauen mit Histaminintoleranz?

Es lässt sich nicht eindeutig sagen, welchen Einfluss die Wechseljahre auf Frauen mit Histaminintoleranz haben. Viele Patienten stellen Symptome einer Histaminintoleranz fest, wenn sie sich der Zeit der Menopause nähern, ab etwa dem 50. Lebensjahr. Allerdings lässt sich häufig anamnestisch nur sehr schwer herausarbeiten, seit wann die Histaminintoleranz-Symptome bestehen. Das liegt daran, dass dieser Prozess oft schleichend ist. Außerdem haben manche Patientinnen vor der Diagnose „Histaminunverträglichkeit“ auch eine anderslautende Diagnose erhalten.

Insgesamt scheint der hormonelle Wechsel in der Menopause dazu zu führen, dass es zu stärkeren Reaktionen auf Histamin kommen kann. Skeptiker argumentieren zwar häufig, dass diese Symptome allein auf das hormonelle Geschehen zurückzuführen seien. Es könnte jedoch auch sein, dass es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt und dann profitieren die Patienten von einer histaminarmen Diät.

Könnte es sein, dass Histaminintoleranz hormonell bedingt ist?

Die Frage, ob die Unverträglichkeit von Histamin hormonell bedingt ist, kann aktuell aus mehreren Gründen nicht beantwortet werden. Man geht davon aus, dass von der Histaminintoleranz zu 80 Prozent Frauen betroffen sind, und Frauen durchlaufen im Laufe des Lebens unterschiedliche hormonelle Phasen bzw. Mikrozyklen. Oft treten bei weiblichen Patienten mit einer Histaminun verträglichkeit bestimmte Beschwerden prämenstruell auf. Ob diese jedoch auf eine Histaminintoleranz hindeuten, ist nicht nachweisbar, denn auch Frauen ohne diese Erkrankung können unter prämenstruellen Beschwerden leiden. Möglicherweise gibt es hier auch das Phänomen eines Symptom Overlaps. Hinzu kommt, dass die Diagnose der Histaminintoleranz nach wie vor schwierig ist.

Viele Betroffene fragen, ob es Maßnahmen gibt, die sich bei Histaminintoleranz positiv auf das hormonelle Gleichgewicht auswirken könnten?

Hier stellt sich zunächst die Frage, was “Hormonelles Gleichgewicht” genau bedeutet. Wenn vermutet wird, dass der Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht geraten ist, sollte man dies zunächst durch einen Hormonspezialisten überprüfen lassen. Möglicherweise besteht eine endokrinologische Erkrankung, zum Beispiel eine Schilddrüsenunterfunktion, die therapiert werden kann. Gleichzeitig sollten stets ein Ernährungs- und Beschwerdetagebuch geführt werden, um eventuelle Zusammenhänge überhaupt erkennen zu können. Dafür braucht man ein gutes Beratungsteam, das sich mit diesen speziellen Ernährungsfragen auskennt, denn nur so ist sichergestellt, dass man ein möglicherweise unverträgliches Nahrungsmittel identifizieren kann. Aber auch die Lebensumstände und etwaige Belastungssituationen, sowie ausgleichender Sport sollten dabei berücksichtigt werden. Dabei sind Körper und Seele immer ganzheitlich zu betrachten.

Was macht die Diagnose der Histaminintoleranz so schwierig?

Es ist durchaus nicht klar, ob das Histamin tatsächlich die Ursache der Beschwerden ist, die man damit in Verbindung bringt. Schließlich ist Histamin ein biogenes Amin, das im Körper selbst vorkommt und kein extern zugeführtes Toxin. Es gibt viele teure Histamin Tests auf dem Markt, die aber nichts aussagen. Dazu gehören zum Beispiel Stuhlanalysen, denn bekanntlich stellen viele Bakterien im Stuhl Histamin selbst her, so dass es kein Nachweis von zu viel aufgenommenem Histamin ist, wenn man dieses in einer Stuhlprobe findet. Auch IgG-Tests aus dem Internet messen nicht die Unverträglichkeit bestimmter histaminhaltiger Lebensmittel, sondern weisen lediglich den Kontakt mit diesen Nahrungsmitteln nach, was sich durch Antikörper zeigt. In der Allergologie versucht man, die Histaminintoleranz mit oralen Provokationstests nachzuweisen. Ein gewisser Unsicherheitsfaktor besteht hier allerdings, wie gesagt, darin, dass bei der Symptomatik Histaminintoleranter viele Faktoren eine Rolle spielen könnten. Das kann die Sorte oder das Anbaugebiet eines Nahrungsmittels sein oder Stressfaktoren etc. Für die Patienten ist das sehr unbefriedigend. Oft bekommen sie eine Pseudodiagnose, schränken ihre Ernährung drastisch ein, und leiden erheblich unter der Situation. Wichtig ist deshalb, dass Bauchbeschwerden nicht vorschnell mit einer Histaminintoleranz in Verbindung gebracht werden. Erst eine saubere Diagnostik ermöglicht eine effektive Therapie, und dabei ist es unerlässlich ein Ernährungs- und Beschwerdetagebuch zu führen, das mögliche Zusammenhänge aufzeigen kann.

Welche nichtzutreffenden Diagnosen erhalten Menschen, die eigentlich eine Histaminintoleranz haben?

In manchen Fällen, wenn gastrointestinale Probleme wie Bauchschmerzen, Übelkeit oder Durchfälle schon seit langem bestehen, haben die Patienten bereits die Diagnose „Reizdarm-Syndrom“ erhalten. Mit zunehmendem Alter erfahren sie dann aber eine Verstärkung ihrer Symptome. Wenn sie dann selbst recherchieren, entdecken sie, dass ihre Symptome zu einer Histaminintoleranz passen könnten und kommen zum Gastroenterologen, um dies abzuklären. Leider gibt es aber keinen eindeutigen Test zur Diagnose der Histaminintoleranz.

Hinzu kommen bei manchen Patienten überlappende Syndrome, zum Beispiel die klassische chronische Urtikaria, eine Hauterkrankung, die mit Flush-Symptomatik, Quaddelbildung und Juckreiz einhergehen kann. Auch hier berichten Patienten, dass es unter einer histaminarmen Ernährung zur Verbesserung der Symptome kommt. Diese Symptome können aber auch bei der Histaminintoleranz auftreten.

Wie kann eine histaminarme Ernährung bei Histamin Unverträglichkeit helfen?

Ist die Diagnose Histaminintoleranz gesichert, kann eine Gemüse-basierte, anti-entzündliche Ernährung mit frischen regionalen Produkten die Symptome verbessern. Diese Ernährungsweise funktioniert aber oft auch bei anderen Erkrankungen. So berichten zum Beispiel auch die von Rheumatischen Erkrankungen oder dem Reizdarm-Syndrom betroffenen Patienten von einer Symptomverbesserung unter dieser Kostform. Generell besteht hier das Problem, dass sich die Symptomatik der Histaminintoleranz von anderen, zum Beispiel durch Stress verursachten Symptomen, nicht sauber trennen lässt. Wichtig ist dabei, dass die Patienten eine professionelle, auf Histaminintoleranz spezialisierte Ernährungsberatung erhalten, um eine Fehlernährung durch eine zu starke Einschränkung der Nahrungsmittelauswahl zu vermeiden.

Inwiefern kann man bei Histaminintoleranz mit einer histaminarmen Ernährung tatsächlich Symptomfreiheit erreichen?

Aus eigener Erfahrung muss ich sagen, dass ich es bis jetzt noch nicht erlebt habe, dass Betroffene durch Ernährungseinschränkungen komplett symptomfrei werden. Vielmehr kommt es oft zu Mangelernährung und Gewichtsverlust. Patienten mit Histaminintoleranz, die sich nur noch von Kartoffeln und Reis ernähren, mögen symptomfrei sein, aber das ist keine Lebensqualität. Im Internet findet man hierzu viele medizinisch nicht nachweisbare Informationen, oft in Verbindung mit Shops, die teure, aber nutzlose Nahrungsergänzungsmittel vertreiben.

Die Diagnose Histamin Unverträglichkeit ist genau aus diesem Grunde umstritten. Die Folge wäre ja, dass man auf alle Histamin-haltigen Nahrungsmittel verzichtet, was in dieser Konsequenz kaum möglich ist. Ganz davon abgesehen, gibt es immer noch die körpereigenen biogenen Amine. Möglicherweise gibt es bei der Symptomatik, die der Histaminintoleranz zugeordnet werden, nicht nur die eine Ursache, sondern mehrere Faktoren, die auch Wechselwirkungen haben.

Herr Dr. Wiemer, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Wichtiger Hinweis

Unsere Beiträge beinhalten lediglich allgemeine Informationen und Hinweise. Sie dienen nicht der Selbstdiagnose, Selbstbehandlung oder Selbstmedikation und ersetzen nicht den Arztbesuch. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

09. April 2024

Autor: S. Jossé/K. Wiemer, www.mein-allergie-portal.com

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